Sexueller Missbrauch ist eine traurige Realität. Die Zahlen der Optimus Studie zeigen deutlich, dass sexuelle Übergriffe an Kindern und Jugendlichen auch in der Schweiz ein ernstzunehmendes Problem sind.
Das Ausmaß sexueller Übergriffe
In der Optimus-Studie aus 2012 gaben 15% der befragten Jugendlichen an, sexuelle Übergriffe mit Körperkontakt erlebt zu haben, während 30% der Schülerinnen und Schüler angaben, Übergriffe ohne Körperkontakt erlebt zu haben. Dabei sind Mädchen häufiger betroffen als Jungen. Bei einem Drittel der betroffenen Kinder und Jugendlichen waren die Übergriffe einmalig, zwei Drittel berichteten von wiederholten Übergriffen. Die Zahlen variieren, je nachdem, wie sexuelle Gewalt definiert wird.
Täter und Umfeld
Sexueller Missbrauch findet meist im sozialen Umfeld der Kinder und Jugendlichen statt. Nur ganz wenige Täter und Täterinnen sind für die betroffenen Kinder und Jugendlichen wirklich Fremde. Im Gegenteil: Täter und Täterinnen nutzen oft bestehende Vertrauens-, Macht- und Abhänigkeitsverhältnisse. Sexueller Missbrauch findet im Freundes- oder Bekanntenkreis der Familie, der Nachbarschaft, Verwandtschaft, der Familie selbst oder in Bildungs-, Sport- und Freizeiteinrichtungen statt. Bei Jugendlichen sind oft auch Gleichaltrige die Täter und Täterinnen.
Die Rolle der Eltern in der Prävention
Am wichtigsten ist die Erziehungshaltung, mit der Eltern ihren Kindern im Alltag begegnen. Begegne ich als Mutter oder Vater meinen Kindern mit Liebe und Respekt, nehme ich ihre Persönlichkeit wahr und ernst, fördere ich ihre Entwicklung und Selbstbestimmung und respektiere ich ihre Körpergrenzen? Bin ich sensibel für die Bedürfnisse meiner Kinder? Ermutige und unterstütze ich meine Kinder darin, sich selbst zu sein und ihre Wünsche zu äussern, ohne dabei die Grenzen anderer zu überschreiten? Diese Grundhaltung ist die wichtigste präventive Massnahme in der Erziehung.
Konkrete Maßnahmen der Eltern
Konkret bedeutet das: Wenn Kinder sich selbst als Person und gleichzeitig auch ihren eigenen Körper als wertvoll, schön und liebenswert entdecken und erfahren dürfen und erleben, dass sie selbst über ihren Körper bestimmen können (und andere ihn beispielsweise nicht ungefragt anfassen dürfen, auch nicht als Liebesbezeugung), ist das ein wichtiger Schutzfaktor. Sexualerziehung ist ein weiterer Schutzfaktor. Kinder brauchen Erwachsene, die auf eine ihrem Alter angemessene Weise mit ihnen über den Körper und Sexualität sprechen. Kindliche Unwissenheit wird von Tätern und Täterinnen ausgenutzt. Wenn Kinder keine Wörter für ihre Geschlechtsorgane und für sexualisierte Berührungen und Handlungen haben, ist es schwierig, darüber zu sprechen, wenn etwas passiert ist. Es hilft Kindern zudem, wenn sie Übung darin haben, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Das unterstützt sie darin, ihre Grenzen zu achten und zu verteidigen sowie über unangenehme Geschehnisse zu sprechen.
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Wichtige Botschaften an Kinder
Erwachsene haben nicht immer recht! Es ist wichtig, dass Kinder die Erfahrung machen, dass Erwachsene sich genauso irren und Fehler machen. Kinder können dazu ermutigt werden, Erwachsenen widersprechen zu dürfen. Es ist wichtig, dass sie erfahren, dass ihr Nein nicht einfach übergangen wird und dass sie in Entscheidungen ein Mitspracherecht haben. Eltern sind gut beraten, wenn sie dafür sorgen, dass sich zuhause keine "Geheimniskultur" entwickelt. Wenn Kinder erleben, dass auch unangenehme Dinge besprochen werden, trauen sie sich eher, selber ebenfalls über unangenehme oder beschämende Erlebnisse zu sprechen. Ausserdem kann Kindern vermittelt werden, zwischen guten und schlechten Geheimnissen zu unterscheiden: Über schlechte Geheimnisse, also Geheimnisse, die sich schlecht anfühlen, muss gesprochen werden! Kinder, die erfahren haben, dass sich ihre Eltern und andere Personen aus ihrem Umfeld für ihre Sorgen und Probleme interessieren und ihnen zur Seite stehen, können sich auch bei sexuellem Missbrauch eher jemandem anvertrauen.
Verhaltensregeln und ihre Grenzen
Diese Verhaltensregeln sind nicht falsch. Selbstverständlich sollten Eltern mit ihren Kindern vereinbaren, dass sie nicht mit fremden Personen mitgehen sollen und dass Erwachsenen grundsätzlich andere Erwachsene und nicht Kinder um Hilfe bitten sollen, usw. Wichtig ist dabei aber, dass Eltern ihrem Kind nicht suggerieren, dass hinter jeder Ecke eine Gefahr lauert. Dies kann ein Kind stark verunsichern und ängstigen. Da die Gefahr aber oft nicht von unbekannten Menschen ausgeht, schützen solche Verhaltensregeln die Kinder in vielen Fällen nicht vor Übergriffen. Ein sexueller Übergriff von einem Erwachsenen gegenüber einem Kind oder Jugendlichen ereignet sich nie zufällig aus einem Moment heraus. Täter und Täterinnen planen ihre Übergriffe oft von langer Hand und intensivieren den Kontakt zu einem Kind oder Jugendlichen über Wochen oder sogar Monate, ohne dabei Grenzen zu überschreiten. So gewinnen sie das Vertrauen des Kindes und der ganzen Familie. Zu den Übergriffen kommt es häufig erst, wenn bereits eine vertrauensvolle und freundschaftliche Bindung zu dem Kind oder Jugendlichen besteht. Das ist mit ein Grund dafür, dass es für die Betroffenen dann so schwierig ist, die Übergriffe als solche zu erkennen und darüber zu sprechen.
Gefährdete Kinder
Täter und Täterinnen suchen sich häufig Kinder aus, von denen sie annehmen, dass sie aus einem der folgenden Gründe leichtere Opfer sind und eher nicht über Übergriffe sprechen werden. Dies können Kinder sein, die bereits psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt oder Vernachlässigung in der Familie erleben oder erlebt haben, oder Kinder, die sich von den Gleichaltrigen nicht akzeptiert fühlen. Auch Kinder, die zuhause zu unbedingtem Gehorsam erzogen werden oder Kinder, die nicht gelernt haben, sich bei Problemen jemandem anzuvertrauen, haben ein höheres Risiko, Opfer eines sexuellen Übergriffs zu werden. All diese Kinder brauchen einen besonderen Schutz! Sie haben einerseits ein besonders grosses Bedürfnis nach Akzeptanz und Nähe, andererseits haben sie oftmals verlernt, ihre eigenen Grenzen wahrzunehmen und sie auch gegenüber anderen zu verteidigen. Eine besonders gefährdete Gruppe stellen zudem Kinder und Jugendliche mit einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder Beeinträchtigung dar.
Anzeichen für möglichen Missbrauch
Wenn ein Kind sexuelle Gewalt erlebt, kann dies ganz unterschiedliche Auswirkungen haben. Jedes Kind reagiert anders. Eindeutige Anzeichen oder Symptome für sexuellen Missbrauch gibt es nicht. Nur selten sind Verletzungen im Genital- oder Analbereich erkennbar. Auch die im Folgenden aufgezählten Anzeichen oder Symptome sind unspezifisch. Das bedeutet, dass sie viele verschiedene Ursachen haben können. Eltern kennen aber ihr Kind und sollten immer dann hellhörig werden, wenn das Kind sich verändert, beispielsweise sein Verhalten ändert und plötzlich viel ängstlicher oder aggressiver ist als vorher, sich stärker zurückzieht oder sich nicht mehr konzentrieren kann oder ein sexualisiertes Verhalten zeigt. Auch körperliche Symptome, Kopf- oder Bauchschmerzen, Schlafstörungen können Anzeichen sein.
Verdacht auf Missbrauch - Was tun?
Wenn ein Kind sich den Eltern anvertrauen kann, ist es von äusserster Wichtigkeit, dass die Eltern ihm glauben. Da die betroffenen Kinder und Jugendlichen sich oft mitschuldig fühlen für das Geschehene, sich dafür schämen und ausserdem vom Täter oder der Täterin unter Druck gesetzt und zur Geheimhaltung verpflichtet werden, ist es für die betroffenen Kinder schwierig, das Geschehene anzusprechen. Je früher aber ein Kind sich jemandem anvertrauen kann, der / die ihm glaubt, umso grösser ist die Chance, dass das Kind das Geschehen verarbeiten kann und desto geringer ist die Gefahr schwerwiegender Folgen. Als Eltern können Sie in einem solchen Fall dem Kind möglichst ruhig zuhören und es trösten. Lassen Sie das Kind so viel erzählen, wie es möchte, fragen Sie es nicht aus. Melden Sie sich umgehend bei einer Opferhilfeberatungsstelle in Ihrer Region oder einer auf sexuelle Gewalt spezialisierte Opferhilfeberatungsstelle wie Castagna (ZH) oder Lantana (BE). Wenn Sie als Eltern den Verdacht haben, dass Ihr Kind sexuelle Gewalt erlebt hat, wenden Sie sich ebenfalls an eine dieser Stellen. Diese können Ihnen helfen, die Situation einzuschätzen und Sie im Bezug auf das weitere Vorgehen beraten.
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Schutzkonzepte in Institutionen
Überall dort, wo Kinder in einem Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis zu Erwachsenen stehen, kann dies potentiell von Erwachsenen ausgenutzt werden. In jeder Einrichtung, sei es eine der Schule, ein Fussballverein oder eine Kindertagesstätte, braucht es deshalb Schutzkonzepte.
Wie wird ein Schutzkonzept erarbeitet?
Am besten wird zuerst ein gemeinsames Verständnis erarbeitet, was grenzverletzendes Verhalten darstellt. Danach kann ein Verhaltenskodex erarbeitet werden. Arbeitsabläufe, Rahmenbedingungen und Regeln werden so gestaltet, dass Situationen, in denen Übergriffe geschehen können, minimiert werden. So kann eine Schule beispielsweise die Regel aufstellen, dass kranke Kinder in der Landschulwoche niemals im Zimmer einer Lehrperson übernachten oder dass Lehr- und Betreuungspersonen keinen privaten Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen pflegen. Im Fussballverein werden Regeln aufgestellt für den Umgang von Trainern und Trainerinnen mit der Garderoben- und Duschsituation. Und in der Kita bestehen Regeln für die intime Pflegesituation beim Wickeln eines Säuglings oder Kleinkindes. Als ein Teil der Feedbackkultur sollen Fachpersonen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, ermutigt werden, einen Kollegen oder eine Kollegin darauf anzusprechen, wenn gewisse Verhaltensweisen als grenzverletzend empfunden werden. Ausserdem muss allen Mitarbeitenden klar sein, wie in einer Verdachtssituation vorzugehen ist.
Wirkung von Schutzkonzepten
Solche Massnahmen führen dazu, dass die betreffende Institution für einen potentiellen Täter oder eine potentielle Täterin extrem unattraktiv wird, was den effektivsten Schutz für die betreffenden Kinder und Jugendlichen darstellt. Erkundigen Sie sich als Eltern, ob an der Schule, in der Kita oder in dem Sportverein Ihres Kindes solche Schutzkonzepte bestehen.
| Bereich | Maßnahmen | 
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| Elternhaus |  
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| Institutionen (Schulen, Kitas, Vereine) |  
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