Die Frage nach dem Einfluss des sozialen Milieus, des pädagogischen Umfeldes und der Autoritätspersonen auf die kindliche Psyche ist aktueller denn je.
Freud wurde am 6. Mai 1856 in Freiberg (Mähren) geboren und lebte bis 1938 in Wien, wo er Medizin studierte und als Neurologe arbeitete. In Wien entwickelte er die Psychoanalyse und gründete mit anderen Ärzten die psychoanalytische Bewegung.
Grundlagen der Psychoanalyse
Freud entwickelte seine Theorien im Laufe der Jahrzehnte allmählich, verwarf, baute um und erweiterte einzelne Teile wieder. Eine abrisshafte Darstellung der Psychoanalyse ist darum in jedem Falle stark vereinfachend. Darüber hinaus setzt jeder Autor grundsätzlich andere Akzente; es handelt sich hier folglich um mein Verständnis und meine Sicht der Psychoanalyse.
Meine Methode ist einfach: Ich gehe von den zentralen Freudschen Begriffen aus und versuche sie zu erläutern.
Das Unbewusste (Ubw)
Die Annahme eines Ubw mit so weitreichenden Wirkungen versetzt dem Glauben des Rationalismus, dass der Mensch grundsätzlich vernünftig zu handeln weiss und mittels vernünftigem Handeln auch eine vernünftige Welt aufbauen kann, einen argen Stoss.
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Kausale Determination
Die zweite grundlegende Hypothese besagt, dass psychisches Geschehen grundsätzlich kausal determiniert ist, dass also das Psychische genauso wie das Organische und Mineralische dem Gesetz von Ursache und Wirkung unterworfen ist.
Freud ist im materialistischen Geist des 19. Jahrhunderts erzogen worden und diesem Denken weitgehend bis ans Lebensende treu geblieben. Leben, Psychisches und Geistiges sind demnach letztlich insgesamt Ausflüsse der Materie und können unmöglich unabhängig von dieser bestehen.
Es liegt im Wesen des Ubw, dass es als solches - direkt - nicht beobachtbar ist. Dabei hat es sich sogar gezeigt, dass die neurotischen Symptome (z. B. hysterische Anfälle) eine Zeitlang verschwanden, wenn der Klient zuvor gewisse belastende Erlebnisse unter Einwirkung der Hypnose wiedererinnern und erzählen konnte.
Selbstverständlich sind Fehlleistungen nicht bloss im Bereiche des Schreibens, sondern bei allen gewohnheitsmässigen Handlungen möglich. So kann man sich verhören, versprechen, verlaufen, verfahren, verwählen, vergreifen, verschlafen, oder man kann etwas vergessen, verlegen oder (z. B. einen Zug oder einen Termin) verpassen. Diese Freudsche Auffassung ist heute zum Gemeingut geworden.
Der psychoanalytisch gebildete Mensch hat es sich angewöhnt, eigenen Fehlleistungen nachzugehen, weil sich meist interessante Entdeckungen über Gegebenheiten des Ubw machen lassen. Es gehört zur grundlegenden Vereinbarung zwischen dem Psychoanalytiker und dem Analysanden, dass dieser alles, was ihm irgendwie ins Bewusstsein kommt, ausspricht, mag es noch so peinlich, unmoralisch, unsinnig und kindisch erscheinen.
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Im Ubw sind folglich diese Vorstellungen miteinander verknüpft (assoziiert). Wenn sich jemand zwangsweise täglich Dutzende von Malen die Hände seift, so spricht dieses neurotische Symptom eine recht deutliche Sprache: Der betreffende Mensch fühlt sich schuldig und möchte seine belastenden Schuldgefühle auf eine - allerdings unnütze - Weise beseitigen.
Traumdeutung
Freud bezeichnet die Traumdeutung als die ‘via regia’ (den königlichen Weg) zum Ubw.
Assoziationsexperiment
So weit ich sehe, hat Jung mit dem ‘Assoziationsexperiment’ erstmals ein projektives Testverfahren entwickelt und angewendet. Alle projektiven Tests beruhen auf der Annahme, dass Gegebenheiten des Ubw in die Wahrnehmung einfliessen.
Zu Jungs Assoziationsexperiment: Der Psychologe liest dem Probanden zweimal eine Reihe von je 50 genormten Reizwörtern vor, die erfahrungsgemäss bei vielen Menschen mit psychischer Energie aufgeladen sind, und fordert ihn auf, bei jedem Wort so schnell wie möglich zu sagen, welches andere Wort ihm dazu einfällt. Anhand der sog. ‘Störungsmerkmale’ werden jene Wörter festgestellt, welche beim Probanden emotional besonders belastet sind.
Der psychische Apparat
Freud hat im Verlaufe seiner Entwicklung seine Theorie insofern umgebaut, als er nach den Instanzen fragte, welche für psychisches Geschehen verantwortlich sind, also: Wer bewirkt etwas? Er betrachtete das Seelenleben als einen aus Einzelteilen zusammengesetzten Apparat. Die Lehre vom psychischen Apparat ist eine der grundlegendsten Anschauungen der Psychoanalyse.
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Es hat zwei Aspekte. Es ist vorerst das Insgesamt von allem natürlich Gegebenen wie Konstitution, Vererbung, Geschlechtszugehörigkeit, Triebe und archaische Bilder (bei Jung: Archetypen).
Das Ich
Freud versteht darunter die ‘Rindenschicht’ des Es, also jene psychischen Bereiche, die zwischen dem Es und der Aussenwelt (der Realität, der Gesellschaft) stehen. Es sind dies die Sinneswahrnehmung, die Motorik, alle bewussten Denk- und Willensvollzüge. Im Gegensatz zum Es, das dem Lustprinzip verpflichtet ist, hat das Ich eine vermittelnde Funktion und untersteht dem Realitätsprinzip. Ihm kommt auch die Aufgabe der Selbsterhaltung zu.
Das Über-Ich
Es handelt sich bei ihm um die kontrollierende, mahnende und strafende Instanz, also um das, was man gängig (aber doch zu wenig genau) als ‘Gewissen’ bezeichnet.
Nachdem Freud die ursprüngliche topologische durch die Struktur-Hypothese ersetzt hatte, stellte sich ihm das Problem, welcher Stellenwert die ursprünglichen Begriffe Ubw, Vbw und Bw in der neuen Betrachtungsweise einnehmen sollen. Damit stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die drei neuen Begriffe Es, Ich und Über-Ich zu den ursprünglichen Ubw, Vbw und Bw stehen.
Die Triebe sind jener Bereich, in welchem sich gewissermassen das Organische und das Psychische begegnen. Tatsächlich lassen sich z. B. der Nahrungs-, Geschlechts- oder Aggressionstrieb durch Beeinflussung des Organismus anstacheln oder dämpfen. Für Freud war es darum selbstverständlich, das Triebleben als die Basis des Psychischen zu betrachten.
Freud hat sich zu Beginn unseres Jahrhunderts, einer Zeit der ausgeprägtesten Prüderie, mit dieser ‘Sexualisierung des gesamten Seelenlebens’ harter Kritik ausgesetzt. So vertrat er die Auffassung, dass z. B. bereits das Saugen des Säuglings an der Mutterbrust eine sexuelle Handlung darstellt.
Freud hat seine Theorie später dadurch ergänzt, dass er dem Lusttrieb den sog. Todestrieb (Destruktionstrieb, Aggressionstrieb) zur Seite stellte. Er sah nunmehr das menschliche Leben eingespannt zwischen die Pole des ‘Eros’ und des ‘Thanatos’. Im Eros sah er das aufbauende, im Thanatos das abbauende Prinzip.
Freud geht grundsätzlich davon aus, dass ‘die Psyche’ nicht etwa eine Wesenheit, sondern ein Vorgang (ein Geschehen, ein Prozess), also etwas Dynamisches ist. Das dynamische Geschehen der Psyche wird nun gemäss seiner Vorstellung in Gang gehalten durch die psychische Energie, die er als Libido bezeichnet.
Die Libido steht grundsätzlich dem Ich zur Verfügung und fliesst ihm „von den Organen her“ zu. Die Libido kann grundsätzlich frei oder gebunden sein. Irgendwelche Sachverhalte werden für den Menschen dadurch bedeutsam, dass sich mit deren Vorstellung Libido verbindet. Freud spricht davon, dass die ‘Objekte’ mit Libido ‘besetzt’ werden.
Ganz am Anfang richtet sich indessen alle Libido auf das eigene Ich, was dann den Zustand des ‘primären Narzissmus’ ausmacht. Das erste ‘Objekt’, das das kleine Kind mit Libido besetzt, ist die Mutterbrust. Man darf sich natürlich nicht vorstellen, dass das Kind gewissermassen Libido an die physische Mutterbrust klebt, sondern in seinem Erleben wird die Mutterbrust zum ersten bedeutsamen Tatbestand.
Rein formal unterscheidet Freud bei jedem Trieb vier Kriterien: Quelle, Objekt, Ziel und Drang. Im Bereiche der Ernährung ist die Quelle das objektive Nahrungsbedürfnis, das Objekt die Nahrung, der Drang die Stärke des Hungergefühls und das Ziel die Stillung des Hungers.
Aufgrund breitester Beobachtung ist es eine grundlegende Überzeugung der Psychoanalyse, dass der Mensch nicht ohne weiteres bereit oder fähig ist, die Inhalte des Es bw werden zu lassen und sie auch als Teil des eigenen Seelenlebens zu akzeptieren.
Entwicklungspsychologie
Die Theorie der Entwicklungspsychologie spielt bei der Frage nach dem, was die Menschen gerade zu den Personen macht, die sie sind, eine wichtige Rolle. Der Mensch verändert sich in seinem Leben von Geburt an immer wieder, wobei einige Verhaltensweisen und Charakterzüge beständig bleiben.
Das Fachgebiet der Entwicklungspsychologie beschäftigt sich grundsätzlich mit der Erforschung, Beschreibung und Bewertung der psychischen Veränderungen und Entwicklungsprozesse von Menschen über die gesamte Lebensspanne hinweg. Das primäre Augenmerk der Entwicklungspsychologie liegt hierbei auf der Frage, wie sich Menschen in verschiedenen Lebensabschnitten entwickeln und welche Faktoren diesen Prozess selbst sowie in Wechselwirkung beeinflussen können.
Im Grunde kann man seit dem 20. Jahrhundert von der Entwicklungspsychologie im wissenschaftlichen Sinne sprechen. Als „Eltern“ dieser gelten die Eheleute Karl und Charlotte Bühler, welche beide an der Universität Wien in der Sprachforschung tätig waren.
Auch der Pionier Sigmund Freud prägte durch seine Forschung die psychosexuelle Theorie, in welcher er die kindliche Entwicklung durch verschiedene Stufen und sexuelle Konflikte beschreibt.
Im Laufe der Zeit entstanden darüber hinaus weitere einflussreiche Theorien, wie Erik Eriksons psychosoziale Theorie oder die Bindungstheorie von John Bowlby.
Mit den Fortschritten in der Forschungstechnologie und einer immer stärkeren Betonung auf die empirische Forschung gewann die Entwicklungspsychologie dabei stetig an Bedeutung. Longitudinale (Längsschnittstudien) beziehungsweise Verlaufsstudien ermöglichten es, Entwicklungsabläufe über einen festgelegten längeren Zeitraum hinweg zu beobachten und immer wieder stichprobenartig zu testen.
In der modernen Entwicklungspsychologie spielen vermehrt auch biologische Aspekte, wie die Erforschung verschiedener Hirnregionen und deren Entwicklung sowie genetische Einflüsse, eine wichtige Rolle. Die Entwicklungspsychologie ist heute ein facettenreiches und integratives Feld, welches ein tieferes Verständnis der menschlichen Entwicklung in jeglichen Lebensphasen ermöglicht.
Die Entwicklungspsychologie umfasst verschiedene Themenfelder, welche sich alle mit den psychischen Veränderungen und Entwicklungsprozessen von Menschen über die Lebensspanne hinweg befassen. Im Laufe der Jahre haben sich eine ganze Reihe an Theorien und Modelle bezüglich der Entwicklungspsychologie gebildet.
Wichtige Pioniere der Entwicklungspsychologie sind dabei wie bereits erwähnt Piaget, Erikson und Freud. Die Theorie Piagets ist dabei primär dem selbstgestalterischen Typus zuzuordnen, wohingegen Eriksons psychosoziale Theorie in den interaktionistischen Bereich fällt.
Grundsätzlich unterteilen alle Vertreter/innen und Forscher/innen der Entwicklungspsychologie das menschliche Leben in verschiedene Entwicklungsphasen. Welche Altersgruppen diese Lebensphasen dabei jeweils umfassen, variiert bei den einzelnen Theorien.
Entwicklungsphasen nach Freud, Piaget und Erikson
Die folgende Tabelle zeigt die verschiedenen Entwicklungsphasen nach Freud, Piaget und Erikson:
| Phase | Freud | Piaget | Erikson | 
|---|---|---|---|
| 1 | Orale Phase | Sensomotorische Phase | Urvertrauen vs. Misstrauen | 
| 2 | Anale Phase | Präoperationale Phase | Autonomie vs. Scham | 
| 3 | Phallische Phase | Konkret-operatorische Phase | Initiative vs. Schuldgefühl | 
| 4 | Latenzphase | Formal-operatorische Phase | Werksinn vs. Minderwertigkeit | 
| 5 | Genitalphase | - | Identität vs. Identitätsdiffusion | 
| 6 | - | - | Intimität vs. Isolierung | 
| 7 | - | - | Generativität vs. Selbstabsorption | 
| 8 | - | - | Integrität vs. Verzweiflung | 
Jean Piaget unterscheidet in seiner Theorie der kognitiven Entwicklung vier Hauptphasen voneinander, die Kinder im Laufe des Heranwachsens durchleben. Freud prägte den Begriff der frühkindlichen psychosexuellen Entwicklung und beschäftigte sich im Rahmen der Entwicklungspsychologie mit der sexuellen Entwicklung von Menschen.
Erikson beschäftigte sich hingegen mit der Entwicklung der “Ich-Identität” und psychosozialen Herausforderungen.
Die Funktionsbereiche der Entwicklungspsychologie umfassen sinngemäss die verschiedenen Aspekte der menschlichen Entwicklung. Hierzu gehören sowohl die kognitive und die emotionale Entwicklung als auch die soziale und die moralische sowie die sprachliche Entwicklung.
Psychoanalyse als Wissenschaft
Psychoanalyse ist in erster Linie eine Wissenschaft, die sich mit dem Seelenleben beschäftigt, es untersucht und Theorien darüber aufstellt, wie das Psychische funktioniert. Sie entstand, als Sigmund Freud vor mehr als hundert Jahren entdeckte, dass die Psyche des Menschen nicht nur bewusst und willentlich gesteuert wird, sondern dass es im Erleben und Verhalten der Menschen auch Unbewusstes gibt, das erheblichen Einfluss auf unser Verhalten und Seelenleben hat.
Dass das Seelenleben von diesen inneren, unbewussten Konflikten geprägt ist, gehört zu den Grundlagen der Erkenntnisse der Psychoanalyse. Aus diesen ersten Entdeckungen an der Schwelle zum 20. Jahrhundert ist heute eine lebendige Wissenschaft geworden, die ihren festen Platz unter den Wissenschaften hat.
Das Setting der Psychoanalyse
Das Setting beschreibt die Rahmenbedingungen, unter denen eine Psychoanalyse stattfindet. Das Setting der klassischen Psychoanalyse umfasst in der Regel mehrere Behandlungsstunden pro Woche.
Die Grundregel
Freud hat die so genannte Grundregel aufgestellt, die dem Patienten zu Beginn der Behandlung mitgeteilt wird. Der Patient soll alles mitteilen, was ihm in den Stunden einfällt, auch wenn er es für bedeutungslos hält oder sich seiner Gedanken schämt. Er soll seine Gedanken nicht hemmen, sondern ihnen freien Lauf in jede Richtung lassen, was Freud das freie Assoziieren nannte.
Zentrale Themen der Psychoanalyse
- Eine allgemeine psychologische Theorie des menschlichen Erlebens und Handelns. Dazu gehören Freuds Trieblehre (speziell die Libido-Theorie), seine Persönlichkeitstheorie (speziell das Strukturmodell des psychischen Apparates), seine Entwicklungspsychologie (speziell das Phasenmodell) und seine Neurosenlehre.
 - Eine Methode zur Erforschung psychischer Vorgänge mit Hilfe von freier Assoziation und Traumdeutung.