Bipolare Störungen werden oft fehlgedeutet und erst viele Jahre nach Krankheitsbeginn diagnostiziert. Dies hat negative Folgen - nicht nur gesundheitlich. Denn manische Phasen können die Betroffenen wirtschaftlich und sozial sehr schnell an den Abgrund bringen. Ein Experte berichtet, welche Symptome auf Bipolarität hindeuten können und worauf in der Therapie speziell zu achten ist.
Menschen, die mit einer bipolaren Störung leben, pendeln oft zwischen Manie und Depression. Die manisch-depressive Erkrankung oder auch bipolare Störung bewegt sich zwischen zwei Polen: Auf der einen Seite Euphorie und Grössenwahn, auf der anderen Seite tiefste Traurigkeit und Antriebslosigkeit. Dies kann den Alltag aus den Fugen bringen.
Was ist eine Bipolare Störung?
Eine manisch-depressive Störung wird häufig auch als bipolare Störung bezeichnet. Die Begriffe haben dieselbe Bedeutung und können gleichwertig gebraucht werden. Sie besteht aus mehreren Episoden mit gegensätzlichen, extremen und völlig übersteigerten Stimmungslagen.
- Bipolare Störung Typ II: Diese Form ist ebenfalls dadurch gekennzeichnet, dass es sowohl zu depressiven als auch zu manischen Phasen kommt.
Ebenso wie eine bipolare Störung kann die Achterbahnfahrt je nach Ausprägung unvorhersehbar und der Übergang abrupt sein. Grundsätzlich können sie sich die Symptome einer bipolaren Störung bei jeder bzw. Auch Mischzustände, in denen gleichzeitig Merkmale einer Depression und einer Manie auftreten, sind möglich.
Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: eine bipolare Störung sorgt für extreme Stimmungsumschwünge. Bei einer Hypomanie handelt es sich um eine abgeschwächte Form der Manie. Hypomanische Menschen stecken voller Energie und Kreativität, wirken aber nervös, zerstreut und überreizt.
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Ursachen und Diagnose
Eine grosse Rolle spielen genetische Ursachen. «Auslöser der Krankheit sind aber oft soziale und psychologische Faktoren», erläutert Dr. Philipp Eich, ehemaliger Chefarzt der Psychiatrischen Klinik in Liestal und nun niedergelassener Psychiater in Basel am Kongress des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM). Wichtig ist, zu betonen, dass eine bipolare Störung keine Erbkrankheit ist, genetische Prädispositionen können jedoch auftreten.
Die Diagnose einer Bipolaren Störung erfolgt leider meist erst fünf bis zehn Jahre nach Krankheitsbeginn, denn Symptome werden oft fehlgedeutet, zum Beispiel als Adoleszentenkrise, reine Depression oder Schizophrenie. Eine bipolare Störung zu diagnostizieren ist nicht einfach und dauert oft mehrere Jahre.
Oft wird die manisch-depressive Störung mit einer unipolaren Depression oder einer Borderline-Persönlichkeitsstörung verwechselt, da sich die Merkmale von diesen Erkrankungen häufig ähneln. Kennzeichnend für die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist jedoch eine durchgehend emotionale Instabilität und die fehlende Kontrolle über die eigenen Gefühle und Emotionen.
Symptome erkennen
Für die Diagnose müssen Ärzte das Wechselhafte und die (hypo)manischen Symptome gezielt suchen. In der Praxis bewährt haben sich beispielsweise folgende Screening-Fragen:
- Gibt es Zeiten, in denen Sie sich ohne besonderen Grund sehr viel besser fühlen, mehr unternehmen, mehr sprechen, mehr leisten und deutlich weniger schlafbedürftig sind?
- Sind Sie in dieser Phase schon in Schwierigkeiten geraten, dachten Sie oder andere, etwas sei mit ihnen nicht in Ordnung?
Formen der Bipolaren Störung
Typisch für die Krankheit ist das Vorkommen von depressiven und manischen Episoden. Bei der Manie sind drei Schweregradstufen - Hypomanie, klassische Manie und psychotische Manie - zu unterscheiden. Das Spektrum ist breit.
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Voneinander abzugrenzen sind die Zustände normale Stimmungsvarianz, Zyklothymie sowie Bipolar I und II. «Bipolar I stellt das klassische depressiv-manische Kranksein dar, Bipolar II eine Spezialform mit hypomanischen Zuständen und ähnlichen depressiven Phasen wie bei Bipolar I», erklärt Dr. Eich. Unter Bipolar II versteht man eine affektive Störung, die nur aus hypomanen und depressiven Episoden besteht. Es sind im bisherigen Verlauf also keine manischen oder gemischten Episoden vorgekommen.
Bipolar-II-Störungen betreffen mehr Frauen als Männer. Bipolar I kommt bei beiden Geschlechtern gleich oft vor.
Bei einer Zyklothymia, auch Zyklothyme Störung genannt, bestehen über Jahre viele Perioden mit leichten hypomanen oder depressiven Symptomen. Rapid Cycling bezeichnet eine Sonderform der bipolaren affektiven Störung.
Man spricht von „rapid cycling“, wenn innerhalb eines Jahres mindestens 4 depressive, manische oder hypomane Phasen oder mindestens 2 bipolare Krankheitszyklen (Manie und Depression) auftreten. Depressives und manisches Syndrom sind keine unvereinbaren Gegensätze. Es kann vorkommen, dass bestimmte depressive und manische Symptome gleichzeitig nebeneinander oder in raschem Wechsel bestehen.
In einem solchen Fall spricht man von einem affektiven Mischzustand bzw.
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Häufigkeit und Verlauf
Bipolare Störungen beginnen meistens im Alter zwischen 15 und 24 Jahren. Die Lebenszeitprävalenz für das bipolare Spektrum beträgt 3,7 bis elf Prozent.
Im Allgemeinen sind die depressiven Episoden bei bipolaren Störungen deutlich häufiger als die manischen. Eine Langzeitstudie mit 146 Patienten zeigte, dass diese 53 Prozent der Beobachtungszeit von 12,8 Jahren in einem stabilen gesunden Zustand verbracht haben. 32 Prozent der Untersuchungszeit wurden in depressiven Zuständen und etwa 15 Prozent in manischen Phasen oder in gemischten manisch-depressiven Episoden zugebracht (1).
Das Risiko für einen Rückfall ist hoch, ebenso die Wahrscheinlichkeit für eine Wiedererkrankung innerhalb von sechs Monaten und für einen Suizid. Residualzustände (z.B. affektive oder kognitive Störungen) und psychotische Symptome sind Risikofaktoren für einen Rückfall.
«Die psychosozialen Folgen einer manischen Episode sind oft gravierend», sagt Dr. Eich. Manische Patienten sind in der Regel schwierig im Umgang, sie haben ein übersteigertes Selbstwertgefühl, sind oft gereizt und können rasch aggressiv werden. «Insgesamt sind sie jedoch häufiger dys- als euphorisch», so der Experte.
Bei Patienten mit manisch-depressiven Erkrankungen kommt es sehr viel häufiger zu Selbstmord oder Selbstmordversuchen (Suizidalität) als in der Allgemeinbevölkerung. Dies vor allem in den depressiven Erkrankungsphasen. Manche Betroffene sehen in ihrer Verzweiflung keinen anderen Ausweg mehr, als sich das Leben zu nehmen.
Komorbiditäten
Psychische und physische Komorbiditäten sind häufig. «Um sie zu erkennen und zu behandeln, sind die Allgemeinpraktiker besonders gefordert», betont Dr. Eich. Die Betroffenen haben etwa ein erhöhtes Risiko für Angststörungen, ADHS, Sucht sowie für kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus und Adipositas.
Ausserdem reagieren sie oft empfindlicher (mit Nebenwirkungen) auf Antipsychotika. Warum, ist unklar.
Therapie der Bipolaren Störung
Für die Behandlung gibt es Schweizer Empfehlungen (2). Die Therapie besteht wie bei der Depression aus den drei Phasen Akutbehandlung, Fortsetzungstherapie und Rezidivprophylaxe. Bei der Manie steht die medikamentöse Behandlung zuerst im Vordergrund, bei der bipolaren Depression empfiehlt sich von Beginn weg zusätzlich Psychotherapie.
«Behandelt werden beide Pole. Wenn also akut therapiert wird, muss man auch bereits die Langzeitbehandlung im Hinterkopf haben», betont Dr. Eich. Denn zum Einsatz kommen sollten vorzugsweise Medikamente, die nach der Akutbehandlung weitergeführt werden könnten. «Monotherapien sind sinnvoll, Kombinationen vor allem mit Standard-Antidepressiva werden empfohlen», erklärte Dr. Eich.
Medikamentöse Behandlung
Lithium ist der Goldstandard für die akute Manie und für die Langzeitbehandlung. Atypische Antipsychotika (v.a. Quetiapin) sind für die Manie, die bipolare Depression sowie für die Langzeitbehandlung die Mittel der ersten Wahl. Eine weitere Option sind Antikonvulsiva. Auch sie wirken wie die Antipsychotika auf den manischen und den depressiven Pol. «Valproat hat eine gute akut-antimanische Wirkung, Lamotrigin vor allem Depressions-verhütende Effekte», erläutert Dr. Eich.
Für die Rezidivprophylaxe sind die Kombinationen Lithium und atypische Antipsychotika wie Aripiprazol, Lurasidon, Risperidon oder Lamotrigin sowie Depotinjektionen mit Risperidon/Paliperidon und Aripiprazol empfohlen.
Einerseits kommen häufig Stimmungsstabilisatoren zum Einsatz, diese werden auch Phasenprophylaktika genannt. Zum anderen werden auch Antidepressive verschrieben. Diese sollen bei einer Bipolaren Störung jedoch nur in Zusammenhang mit Stimmungsstabilisatoren eingesetzt werden und nicht in einer gemischten Episode zur Anwendung kommen.
Über Wirkungen und möglichen Nebenwirkungen bzw.
Eine vorbeugende antisuizidale Therapie ist daher wichtig. Untersuchungen haben gezeigt, dass vor allem durch Lithium neben der depressionsprophylaktischen Wirkung, speziell auch suizidale Handlungen reduziert werden.
Wenn die Stimmung bei Patienten am Ende einer Erkrankungsphase „umschlägt“, d.h. dass sich an eine Manie ohne symptomfreies Intervall eine schwere Depression anschliesst oder umgekehrt, spricht man von einem Switch. Es gibt Hinweise, dass ein Switch in die Hypomanie oder Manie durch medikamentöse Behandlung mit bestimmten Antidepressiva begünstigt werden kann.
Weitere Therapieansätze
«Das Verhindern von Rezidiven ist entscheidend für die berufliche und persönliche Langzeitperspektive», betont Dr. Eich.
Eine wichtige Rolle in der Therapie spielt der biopsychosoziale Behandlungsansatz. Er beinhaltet ein umfassendes Massnahmenpaket aus Pharmako- und Psychotherapie sowie Allgemeinmassnahmen.
Dazu zählen u.a. Psychoedukation, Betreuung, Lifestyle-Coaching, Angehörigenberatung sowie der Verzicht auf antriebssteigernde Drogen und ggf. auch Stimulanzien.
Zentral ist der dringende Appell an die Patienten, die verschriebenen Medikamente nicht von sich aus abzusetzen, sondern sich mit den Behandlern zu besprechen. «In der Praxis sehr hilfreich ist meist die Arbeit mit Stimmungstagebüchern», gab Dr.
Ergänzend zur medikamentösen Behandlung kommt auch oft eine Psychotherapie zum Einsatz. Hier geht es in erster Linie um den Austausch über Gedanken, Gefühle, Beschwerden und Probleme im Alltag. Auch die sogenannte Psychoedukation wird häufig angewandt.
Elektrokonvulsionstherapie (EKT): Bei der EKT (früher auch Elektrokrampftherapie genannt) wird ein generalisierter Krampfanfall künstlich durch elektrische Erregung des Gehirns erzeugt.
Die Konfrontation mit einer manisch-depressiven Störung stellt sowohl für Betroffene als auch für Angehörige eine Herausforderung dar. Informieren Sie sich über die Erkrankung bzw. Holen Sie sich professionelle Unterstützung bzw.
Psychische Krankheiten sind behandelbar. Bei den meisten ist eine Kombination von Psychotherapie, Medikamenteneinnahme und Angehörigenberatung am wirksamsten. Bei saisonalen Depressionen können Lichttherapien die Gesundung begünstigen.
Bei einer bipolaren Störung erfolgt oft nicht eine Psychotherapie im engeren Sinne, sondern ein Coaching, das sehr praxisorientiert ist. Schwerpunkte dabei sind die Krankheitswahrnehmung und die Krankheitsakzeptanz.
Rückfallprophylaktisch können psychotherapeutische Behandlungen (z.B. kognitive Verhaltenstherapien) sogar besser wirken als alleinige medikamentöse Strategien (31).
Umgang mit Depressionen
Verluste und belastende Veränderungen oder Herausforderungen gehören zum Leben. Sie führen dazu, dass wir uns traurig, einsam, niedergeschlagen fühlen. Häufig lässt sich eine solche belastende Situation aushalten und verarbeiten. Wenn nicht, dann kommt es zu einer Depression.
Depression - und auch ihre Sonderformen - kann jeden treffen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Beruf und persönlichen Lebensverhältnissen. Betroffene sind keine Versager, auch nicht faul oder wehleidig, sie leiden an einer ernsthaften Krankheit. Wenn diese erkannt wird, ist sie in den meisten Fällen gut behandelbar.
Eine Depression bahnt sich meist langsam an. Dies macht es so schwierig, sie zu erkennen. Hauptkennzeichen sind eine anhaltende oder wiederkehrende traurige Verstimmung, das Gefühl innerer Leere, Denk-, Konzentrations- und Schlafstörungen. Die daraus resultierende emotionale, körperliche und geistige Erschöpfung kann auch gereizt und wütend machen und innerlich unruhig.
Depression kann zu Appetitlosigkeit führen und das Verlangen nach Körpernähe und Sexualität deutlich reduzieren oder ganz nehmen. Depressive Menschen verlieren die Freude und das Interesse am Leben. Alltägliche Aufgaben, berufliche Verpflichtungen, Freizeitaktivitäten, soziale Kontakte werden zunehmend vernachlässigt. Das Bedürfnis nach Rückzug wird zentral, viele Betroffene schaffen es kaum mehr aus dem Haus, resp. aus dem Bett zu kommen und verbringen viel Zeit mit Schlafen.
Auch körperliche Beschwerden können auftreten, ohne dass Fachleute eine Ursache dafür feststellen. Depression hat viele Gesichter, verschiedene Symptome zeigen sich unterschiedlich. Es gibt leichte, mittelgradige und schwere Depressionen.
Bei leichten Depressionen können die Erwartungen des privaten und beruflichen Umfeldes meist noch erfüllt werden, von aussen ist oftmals nichts ersichtlich. Bei einer mittelgradigen Depression wird es bereits schwieriger. Es kommt vermehrt zu Fehlern, Unzuverlässigkeit, Ausfällen. Abmachungen und Verabredungen werden vermehrt abgesagt.
Bei einer schweren Depression wird schliesslich fast alles vernachlässigt. Alltägliche Verrichtungen wie Aufstehen, Duschen, zur Toilette gehen, Kochen, Essen, Putzen etc. werden nahezu unmöglich.
Früherkennung und zeitige Behandlung sind daher sehr wichtig.
Viele der für die Depression typischen Symptome erklären den Grad der Beeinträchtigung und auch die Tatsache, dass viele an einer Depression Erkrankte sich gar nicht in hausärztlicher Behandlung befinden: Antriebsstörung, sozialer Rückzug, Gefühl von Schuld und Wertlosigkeit verhindern nicht selten den ärztlichen Kontakt.
Burnout
Burnout bedeutet so viel wie ausgebrannt, überfordert, total erschöpft zu sein. Diese Symptome entsprechen auch denjenigen einer diagnostizierten Depression. Beim Burnout wird jedoch ein Unterschied in der Ursache gemacht. Es wird davon ausgegangen, dass die Erschöpfung in erster Linie im anhaltendem Stress bei der Arbeit (auch unbezahlte) zu finden ist.
Es handelt sich also um eine arbeitsbezogene Störung, die sowohl berufliche Mehrbelastung in der Erwerbsarbeit als auch in der Erziehungs- und Familienarbeit und der Pflege von dementen Eltern einschliesst.