Sigmund Freud und die Spieltherapie

Die psychoanalytische Behandlung von Kindern bleibt aktuell.

Abgesehen von seiner Schrift "Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben" von 1909, der erste kinderanalytische Versuch in der Psychoanalyse, blieb Sigmund Freud eher skeptisch gegenüber der Analyse von Kindern, da er keine therapeutischen Mittel sah, die die Sprache ersetzen könnten.

Dieses zentrale Problem der psychoanalytischen Technik und das Ringen um Lösungen ziehen sich durch alle kinderanalytischen Bemühungen von der Anfangszeit bis heute. So widmet sich auch der von Jörg Wiesse herausgegebene Band nicht nur den psychoanalytischen Theorien zur Kindheitsentwicklung, einzelnen schwierigen Störungsbildern wie Autismus und ADHS, sondern auch dem technischen Vorgehen, der Kommunikation zwischen Analytiker und kindlichem Patient und wie sich die kindliche innere Welt in der Beziehung zwischen Psychoanalytiker und Kind spiegelt.

Das Phänomen der kindlichen Depression wird diskutiert, die Wichtigkeit der Spieltherapie und der Hintergrund der infantilen Sexualität für das Verständnis des Unbewussten kommen zur Sprache.

Eine Vielzahl von Fallbeispielen demonstriert die Komplexität des analytischen Prozesses bei Kindern. Die aufgegriffenen Fragen machen den großen Stellenwert der Kinderanalyse bei psychischen Erkrankungen bereits im frühen Kindesalter deutlich.

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Freuds Theorien und die Entwicklung der Psychoanalyse

Der theoretische Hintergrund der Psychoanalyse ist eng mit Freuds praktischer Tätigkeit und seinen persönlichen Erfahrungen verbunden.

Anfänglich verwendete Freud ein Hypnoseverfahren, später entwickelte er daraus die Methode der freien Assoziation. Mit der Traumdeutung (1900) entwickelte Freud die Kernkonzepte des psychoanalytischen Theoriegebäudes, nämlich die Systeme unbewusst, vorbewusst und bewusst.

Sigmund Freuds Theoriengebäude war anfänglich stark von durch den Zeitgeist bedingten mechanistischen Ideen geprägt; dies zeigt sich in Begriffen wie Trieb, Libido, psychischer Apparat etc.

Erst nach 1920 rückte im strukturellen Persönlichkeitsmodell das Ich in das Zentrum der psychoanalytischen Betrachtungsweise (Das strukturelle Persönlichkeitsmodell wird auch Strukturmodell oder Instanzenmodell genannt).

Später, und besonders nach Freuds Tod, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf die Funktionen des Ich. Hierzu gehören z. B.

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Nach Freuds Tod erfolgte eine Erweiterung der psychoanalytischen Betrachtungsweise: Zunehmend wurde den strukturellen Deformationen innerhalb der Ich-Funktionen erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt, Deformationen also, welche das Ich bereits in allerfrühester Kindheit gar nicht erst zu einer angemessenen Entwicklung kommen lassen.

Die Ich-Psychologie war zwischen 1940 und 1980 die vorherrschende Richtung psychoanalytischen Denkens.

Hier spielten Margaret Mahlers Konzepte der Trennungs- und Individuationsprozesse eine zentrale Rolle: Nach einer frühen autistischen Phase des Säuglings (bis zum 1. Lebensmonat) ist demnach eine symbiotische Bindung an die Mutter unabdinglich für das Wohlergehen des Kindes.

In diesem Entwicklungsstadium gibt es noch kein Ich, das von einem Nicht-Ich unterschieden wäre - Innenwelt und Aussenwelt werden somit erst langsam, in der Differenzierungsphase, als unterschiedlich wahrgenommen (Mahler, Pine & Bergman, 1980) (Kriz, 2014, S.

Ich-Psychologie beschäftigt sich mit der Frage, wie es Menschen gelingt, sich an die Welt, in der sie leben, anzupassen. Dabei geht es um Fragen der Entwicklung von Beziehungsstrukturen ebenso wie um die Regulation von Selbst- und Selbstwertgefühl, aber auch um Aspekte der Entwicklung der Motorik oder der Denk- und Wahrnehmungsfunktionen (Mertens, 2014, S.

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Konflikttheorie und das Strukturmodell

Die psychoanalytische Methode soll helfen, die Dramatik im Erleben des jungen Kindes nachvollziehen zu können.

Die Konflikttheorie bildet den Ursprung des psychoanalytischen Denkens. Sie basiert auf einem Trieb oder Antrieb, der als Wunsch erlebt wird, und dessen Hemmung oder Abwehr.

Abwehr ist ein dynamischer Vorgang, der das Bewusstsein vor den gefährlichen, konflikthaften, inneren wie auch äusseren Reizen schützen soll.

So kann z.B. einem Wunsch nach erotischer Annäherung eine unbewusste Hemmung entgegenstehen, weil die Verletzung eines Tabus droht. Deshalb ist die psychoanalytische Konflikttheorie untrennbar mit dem psychoanalytischen Strukturmodell verbunden, welches diese drei Segmente beinhaltet: Das Es als Triebsystem, Ich und Über-Ich als Steuerungssysteme (Gerspach, 2009, S.

Ein bedeutsamer intrapsychischer unbewusster Konflikt ist z. B. jener zwischen den Wünschen nach Abhängigkeit und jenen nach Autonomie.

Dass Konflikte entstehen, ist ein entwicklungspsychologisch gesehen völlig normales Phänomen. Je nach theoretischem Hintergrund der Autoren gibt es mehr oder weniger Konflikte, die begrifflich voneinander abgegrenzt werden.

Gemäss psychoanalytischem Verständnis gibt es aber einen Grundkonflikt, der als zentraler infantiler Konflikt in der Lebensentwicklung eines Menschen beschrieben wird.

Die psychodynamische Betrachtungsweise betrachtet die Grundkonflikte als Bestandteil der menschlichen Entwicklung unter dem Blickwinkel der Konfliktverarbeitung.

Ein differenziertes und auch in der diagnostischen Praxis anerkanntes Modell der unbewussten Konflikte wird in der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) beschrieben. Die OPD unterscheidet acht unbewusste Konflikttypen (siehe folgenden Exkurs).

Im diagnostischen Prozess wird der Patient gemäss dem Stand seiner Entwicklung und Reifung in die vorgegebenen Konflikttypen eingeordnet.

Die acht unbewussten Konflikttypen (OPD):

  • Abhängigkeit vs. Unterwerfung vs. Kontrolle: Im einen Extrem nimmt der Mensch die Gegebenheiten hin als Schicksal, dem er sich fügt, dabei sind Erleben und Verhalten geprägt von Gehorsam und Unterwerfung.
  • Versorgung vs. Autarkie: Im einen Extrem führen Versorgungs- und Geborgenheitswünsche zu starker Abhängigkeit, und der Mensch wirkt passiv und anklammernd. Im anderen Extrem nimmt der Mensch keine Hilfe an und wehrt die Wünsche nach Hilfe ab, indem er sich als anspruchslos darstellt.
  • Selbstwert vs. Objektwert: Es bestehen Selbstwertkonflikte, die im einen Extrem als Minderwertigkeit erlebt werden, während andere aufgewertet oder idealisiert werden.
  • Über-Ich- und Schuldkonflikte: Im einen Extrem führt die Schuldübernahme bis zur masochistischen Unterwerfung.
  • Ödipal-sexuelle Konflikte: Im einen Extrem nimmt der Mensch seine Erotik und Sexualität nicht wahr, im anderen Extrem bestimmt sie alle Lebensbereiche, ohne dass eine Befriedigung gelingt.

In seinem Strukturmodell (auch Instanzenmodell) beschrieb Freud den immerwährenden Kampf zwischen zwei gegnerischen Instanzen der Persönlichkeit - dem Es und dem Über-Ich. Der dritte Aspekt des Selbst, das Ich, tritt in diesem Kampf als Vermittler auf (Zimbardo & Gerrig, 2008, S.

Das Es repräsentiert die grundlegenden Triebe. Es handelt irrational, auf Impulse hin und drängt nach Ausdruck und unmittelbarer Befriedigung, ohne zu berücksichtigen, ob das Gewünschte realistisch und möglich, sozial wünschenswert und moralisch akzeptabel ist.

Das Es wird vom Lustprinzip beherrscht, dem unregulierten Drang nach Befriedigung - insbesondere sexueller, körperlicher und emotionaler Lüste, die hier und jetzt erfahren werden wollen, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen (Zimbardo & Gerrig, 2008, S.

Das Über-Ich repräsentiert die Werte eines Individuums, einschliesslich der moralischen Einstellungen, die von der Gesellschaft gelernt wurden. Das Über-Ich entspricht in etwa der landläufigen Vorstellung von Gewissen.

Es entwickelt sich, indem das Kind nach und nach die Verbote der Eltern und anderer Erwachsener bezüglich gesellschaftlich unerwünschter Handlungen zu seinen eigenen Werten macht. Es ist die innere Stimme des Sollens und des Nicht-Sollens.

Das Über-Ich schliesst auch das Ich-Ideal ein, die Ansicht einer Person darüber, was für ein Mensch sie versuchen sollte zu werden. Das Es will tun, was sich gut anfühlt, während das Über-Ich darauf besteht, das zu tun, was richtig ist (Zimbardo & Gerrig, 2008, S.

Das Ich ist der realitätsgebundene Aspekt des Selbst, der den Konflikt zwischen den Impulsen des Es und den Anforderungen des Über-Ich schlichtet.

Das Ich repräsentiert die persönliche Sicht einer Person auf die materielle und soziale Realität - ihre bewussten Überzeugungen über die Ursachen und Konsequenzen von Verhalten.

Ein Teil der Aufgaben des Ich besteht darin, Handlungen auszuwählen, welche die Impulse des Es befriedigen, ohne unerwünschte Konsequenzen zu haben. Das Ich wird vom Realitätsprinzip beherrscht, das vernünftige Entscheidungen über lustorientierte Begierden stellt (Zimbardo & Gerrig, 2008, S.

Das Ich ist jenes Funktionenbündel, das sich im Dienst des Austauschs mit den jeweils relevanten Umwelten herausbildet und selbst- wie objekterhaltend tätig ist.

Einige sogenannte Ich-Funktionen sind z. B.: Wahrnehmen, Urteilen, Steuern, Antizipieren, Aufschieben. Das Ich bündelt psychische Energie und vermittelt gegensätzliche Kräfte aus Es und Über-Ich.

Die Aufgabe des Ich, zwischen den Anforderungen des Es und denen des Über-Ich eine realitätsangepasste Synthese zu finden, gehört zum Bewussten (Bewusstsein), da sich das Ich dabei der willkürlichen körperlichen Bewegungen, der Wahrnehmung, des Gedächtnisses usw.

Gewisse Teile des Gefüges aus Geboten, Verboten und moralischen Wertvorstellungen (die zum Über-Ich gehören) sind zwar bewusst. Andere Wertvorstellungen und soziale Anforderungen wurden schon in frühester Kindheit übernommen und sind nicht bewusst (oder nicht mehr bewusst).

Diese Anforderungen können sogar verleugnet werden, obwohl eine Person konkret danach handelt.

  • Dynamisch Unbewusstes: Der mentalen Vergegenwärtigung und sprachlichen Reflexion dauerhaft durch Abwehrprozesse entzogen.
  • Das Vorbewusste enthält jene psychischen Inhalte, welche zwar momentan im Bewusstsein nicht präsent sind, aber nahezu beliebig reproduziert und erinnert werden können.

Traumdeutung und das Unbewusste

Der Traum war für Freud «der Königsweg» zur Entdeckung des Unbewussten. Die in der Traumdeutung aufgedeckten Mechanismen finden sich in anderen Erscheinungsformen des Unbewussten wieder, z. B. in Fehlleistungen, Versehen, Versprechern etc.

Freud nahm an, dass das unbewusste Es an der Traumbildung einen wesentlichen Anteil hat.

Freud hat den Traum auch als «Hüter des Schlafes» bezeichnet: Das Ich setzt dabei Bedürfnissen und Ansprüchen, die sonst zum Erwachen führen würden, eine harmlose Wunscherfüllung entgegen, etwa wenn das Hungergefühl durch einen Traum beschwichtigt wird, in dem man etwas isst.

Wenn allerdings der Drang zu gross wird, wacht der Schläfer auf. Die Deutung von Träumen hat im psychoanalytischen Setting einen hohen Stellenwert, weil durch den Traum unbewusstes Material an die «Oberfläche» befördert und der Bearbeitung zugänglich gemacht wird.

Für die Deutungsarbeit allgemein - und auch die mit Traummaterial - gilt, dass es keine allgemein gültigen Deutungen gibt. Es geht dabei um eine Rekonstruktion und Einsicht in die Dynamik des frühkindlichen Konfliktes, der der jeweiligen Störung zugrunde liegt, und nicht um eine präzise Zuordnung zwischen einzelnen Traumelementen und deren Bedeutung.

Da sich der Konflikt besonders in charakteristischen Abwehrmustern manifestiert, geht es bei der Deutungsarbeit eher um die Analyse dieser Abwehrmuster bzw.

Freud definierte zwei Arten des Trauminhalts, den manifesten und den latenten.

Der manifeste Inhalt ist der bewusst erinnerte Traum, der nach dem Aufwachen mehr oder weniger genau erinnert wird. Der latente (versteckte) Inhalt wird nicht erinnert, sondern muss in seiner symbolischen Bedeutung erschlossen werden.

Hier zeigen sich die eigentlichen Motive, die nach Ausdruck suchen, jedoch so schmerzvoll oder inakzeptabel sind, dass sie nur in versteckter oder symbolischer Form ausgedrückt werden können. Um einen Traum zu deuten, muss der Therapeut dessen manifesten Inhalt in den latenten übersetzen.

PsychoanalytikerInnen glauben, dass Träume eine gute Quelle für Informationen über die unbewussten Motivationen des Patienten sind. Therapeuten versuchen mit Hilfe der Traumanalyse, diese versteckten Motive zu enthüllen.

Abwehrmechanismen

Als Abwehr bezeichnet die Psychoanalyse jede psychische Aktivität, die darauf abzielt, psychischen Schmerz in all seinen möglichen Formen zu vermeiden (Müller-Pozzi, 2002). Die Abwehrmechanismen gehören zu den Funktionen des Ich und dienen der Wahrnehmung und Bewältigung der psychischen Realität.

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