Die Geschichte der Beziehungen zwischen Sigmund Freud und Israel ist vielschichtig und von persönlichen Erfahrungen, Antisemitismus und dem Einfluss seiner Psychoanalyse geprägt. Dieser Artikel beleuchtet verschiedene Aspekte dieser Beziehungen.
Freuds persönliche Erfahrungen und die Verbindung zu Israel
Sammy Speier, ein Psychoanalytiker, wurde 1944 in Tel Aviv geboren. Israel blieb für ihn ein Paradies in Erinnerung. Seine Eltern verliessen Israel 1958, was für ihn ein lebenslang wirkendes Trauma war. Er verspürte einen Groll auf seine Eltern, da er in Deutschland Angst und Fremdheit erlebte. Die Sehnsucht nach Israel, nach dem Meer, dem Sand, der Luft blieb bestehen.
Freud selbst musste 1938 kurz nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland nach London fliehen. Seinen vier Schwestern gelang die Ausreise dagegen nicht rechtzeitig, sie wurden alle in Konzentrationslagern ermordet.
Alex Boyt, der Urenkel von Sigmund Freud, nahm die österreichische Staatsbürgerschaft an, nachdem eine Gesetzesreform von 2019 Nachkommen von Verfolgten des Nazi-Regimes die Staatsbürgerschaft erleichterte. Boyts gut dokumentierte Familiengeschichte machte das Verfahren für ihn einfacher, glaubt er. Als er den Pass erhielt, habe es sich wie ein Sieg angefühlt.
Freuds Werk "Der Mann Moses und die monotheistische Religion"
Freuds für die Antisemitismusforschung zentrales Werk "Der Mann Moses und die monotheistische Religion" (1939) ist eine kulturtheoretische Untersuchung über die Entstehung und Entwicklung des Monotheismus und der jüdischen Religion. Freud argumentiert, dass Moses kein Jude gewesen sei, sondern ein ägyptischer Beamter oder Priester, der die Jüdinnen und Juden aus ihrer ägyptischen Gefangenschaft führte und sie zu den religiösen Erben der Aton-Religion machte.
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Freuds Überlegungen zum Charakter und Gehalt der jüdischen Religion sind bemerkenswert. Er entwickelte anknüpfend seine psychoanalytische Theorie über den Antisemitismus: „Die tieferen Motive des Judenhasses wurzeln in längst vergangenen Zeiten, sie wirken aus dem Unbewussten der Völker, […]. Ich wage die Behauptung, dass die Eifersucht auf das Volk, welches sich für das erstgeborene, bevorzugte Kind Gottvaters ausgab, bei den anderen heute noch nicht überwunden ist, so als ob sie dem Anspruch Glauben geschenkt hätten.
Samuel Salzborn betont, dass Neid und Angst für die antisemitischen Projektionen von Bedeutung sind. Der antisemitische Neid bezieht sich auf das Moment der Auserwähltheit, das theoretisch verknüpft ist mit dem im rabbinischen Judentum nicht bestehenden Willen zur Missionierung. Freud charakterisiert dieses Moment als Eifersucht, es liesse sich aber auch im psychologischen Begriff der narzisstischen Kränkung fassen, die auf projektive Weise wiederkehrt: „Es ist die Religion des Urvaters, an die sich die Hoffnung auf Belohnung, Auszeichnung, endlich auf Weltherrschaft knüpft.
Antisemitismus und die Psychoanalyse im Ostblock
Die Geschichte der Psychotherapie im ehemaligen Ostblock ist eine Geschichte von Antisemitismus, Verfolgung, Gulag und Mord. Schon 1930 wurde die Psychoanalyse in der UdSSR verboten. Der Hass der Kommunistischen Partei auf die Psychoanalyse hatte eine Menge mit der Erkenntnis von Sigmund Freud zu tun, wonach die Sexualität den Menschen in vielem bestimmt.
Wie Andreas Petersen nachweist, lag der Ablehnung der Psychoanalyse ein antisemitischer Hass zugrunde, waren doch die meisten Analytiker und die ganz wenigen Analytikerinnen jüdisch, gerade in Russland.
Freud wollte keine seelenlosen Maschinenmenschen produzieren, sondern Individuen helfen, ein Bewusstsein von sich selber zu entwickeln. Damit hatten Freud und seine Schüler die Antithese zum russischen Idealtyp formuliert.
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Österreichs Haltung gegenüber Israel
Österreich positioniert sich israelfreundlicher als die meisten EU-Länder, was eine Wende in der belasteten bilateralen Geschichte darstellt. Das Land bekannte sich erst spät zur eigenen Verantwortung am Holocaust, und immer wieder wurden in der Politik antisemitische Ressentiments geschürt. Die Regierung hisste nicht erst am 7. Oktober die israelische Flagge auf dem Kanzleramt, sondern bereits nach einem Angriff der Hamas im Mai 2021.
Viel zu lange habe sich die österreichische Gesellschaft selbst belogen, sagte Aussenminister Schallenberg dazu und spielte damit darauf an, dass das Land sich jahrzehntelang als «erstes Opfer» Hitlers gesehen hatte. Erst mit der Waldheim-Affäre Ende der achtziger Jahre begann eine echte Auseinandersetzung mit den eigenen Verbrechen. Dieses Versäumnis ist ein Grund dafür, dass sich Österreich nun umso klarer an die Seite Israels stellt.
Die jetzige Nähe geht auf Kurz zurück, der Israel 2018 trotz der Koalition mit der FPÖ nur wenige Monate nach seiner Vereidigung als Bundeskanzler besuchte. Kurz verwendete da erstmals für Österreich den Begriff der Staatsräson, den Angela Merkel zehn Jahre zuvor für Deutschlands Verhältnis zu Israel geprägt hatte.
Sigmund Freud: Ein Jahrhundert der Psychologie
Steve Ayan sieht das 20. Jahrhundert vom 21. aus. Sein Buch bringt uns die Vergangenheit und ihre Figuren wieder nahe. Ayan kann glänzend schreiben. Virtuos kombiniert er Anekdote mit Analyse, Charaktere und ihre Theorie, folgt den Verästelungen der psychoanalytischen Entwicklungen, skizziert die Persönlichkeit seiner Figuren. Er schreibt gleichermassen kritisch wie verständnisvoll. Und porträtiert dabei nicht nur Freud, sondern auch jene Schüler, die sich mit ihm überwarfen: den zum Spirituellen neigenden Basler Pfarrerssohn C. G. Jung zum Beispiel, den Sozialisten Alfred Adler oder den vom Orgasmus besessenen Wilhelm Reich.
Ayan macht deutlich, wie sehr Freuds patriarchaler Charakter der Psychoanalyse als Wissenschaft schadete, weil er Einwände als feindlichen Akt wertete und mit allen Gegnern brach, obwohl viele von ihnen die Besten waren. Denn es war so mit dem Alten: Wer sich ihm und seinen Dogmen unterwarf, wurde gefördert und weiterempfohlen, er durfte Patientinnen und Patienten zur Behandlung übernehmen. Wer widersprach oder Freuds Ansichten ablehnte, wurde exkommuniziert.
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Ausgerechnet mit seinem Dogmatismus hat Sigmund Freud der Psychoanalyse auch geholfen, bloss nicht seiner eigenen. Denn es wurde umso kreativer für die Jüngeren, sich vom Alten zu emanzipieren.
Yair Qedar und sein Film "Outsider. Freud"
Yair Qedar ist ein israelischer Dokumentarfilmer, dessen Werke über israelische Autoren und Autorinnen sowie über die queere Szene viele Preise gewonnen haben. In seinem umfassenden Projekt «Die Hebräer» produzierte und inszenierte er in den letzten zwölf Jahren neunzehn Dokumentarfilme über jüdische Schriftsteller und Dichterinnen, für die er über dreissig internationale und israelische Auszeichnungen gewann.
Yair Qedars jüngstem, preisgekrönten Film «Outsider. Freud» (2025) beleuchtet Sigmund Freuds Schaffen und seine Diskriminierung als Jude im Wien der Jahrhundertwende.
Büchertipps zum Thema Israel und Palästina
Es gibt eine Vielzahl von Büchern, die sich mit dem Thema Israel und Palästina auseinandersetzen. Diese Bücher geben Raum für Menschlichkeit, für zwischenmenschliche Geschichten, für Grauzonen und Widersprüche.
Einige Beispiele sind:
- Ibtisam Azem: Über die Bedingungen einer israelisch-palästinensischen Freundschaft
 - Edward W. Said: Orientalismus
 - Tom Segev: Kritische Hinterfragung der Mythen Israels
 - Hala Alyan: Fünf Generationen der Familie Yacoub und das Trauma der Vertreibung aus Palästina
 - We Are Not Numbers: Persönliche Geschichten von Palästinensern
 - Albert Einstein, Sigmund Freud: Warum Krieg?
 - Colum McCann: Die einzig mögliche Perspektive auf den Nahostkonflikt
 - Sahar Khalifa: Die Folgen der Politik für ihre Erzählfiguren
 
Zusammenfassung
Die Beziehungen von Sigmund Freud zu Israel sind komplex und vielschichtig. Sie sind geprägt von persönlichen Erfahrungen, Antisemitismus, dem Einfluss seiner Psychoanalyse und seinem Werk "Der Mann Moses und die monotheistische Religion". Freud hat einen wichtigen Beitrag zur Antisemitismusforschung geleistet und seine Ideen sind auch heute noch relevant.
| Jahr | Ereignis | 
|---|---|
| 1930 | Psychoanalyse in der UdSSR verboten | 
| 1938 | Freud flieht nach London | 
| 1939 | Freud veröffentlicht "Der Mann Moses und die monotheistische Religion" | 
| 1958 | Sammy Speiers Familie verlässt Israel | 
| 1996 | Boris Jelzin rehabilitiert die Psychoanalyse in Russland | 
| 2018 | Sebastian Kurz besucht Israel | 
| 2019 | Österreichische Gesetzesreform erleichtert Staatsbürgerschaft für NS-Verfolgte | 
| 2025 | Yair Qedars Film «Outsider. Freud» erscheint | 
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