Seroquel bei Angststörungen: Erfahrungen und Fakten

Atypische Antipsychotika wie Quetiapin sind von der Food and Drug Administration (FDA) zur Behandlung von Schizophrenie, bipolaren Störungen und Depressionen zugelassen. Sie werden jedoch auch Off Label in anderen Bereichen wie Erregungszuständen bei Demenz, Angsterkrankungen und Zwangsstörungen verwendet. Die Anwendung bei nicht zugelassenen Indikationen hat sich in den USA zwischen 1995 und 2008 verdoppelt.

Off-Label-Use von Quetiapin

Der Off-Label-Use atypischer Antipsychotika war in einem systematischen Review nur in wenigen Anwendungsbereichen mit einem kleinen signifikanten Nutzen im Vergleich zu Plazebo verbunden. Dazu gehört auch die Anwendung atypischer Antipsychotika bei Angststörungen, Zwangsstörungen, Essstörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Insomnie, Persönlichkeitsstörungen, Depressionen und Substanzmissbrauch.

Methodik der Untersuchung

Für ihre Untersuchung wählten die Autoren Publikationen in englischer Sprache aus den Datenbanken PubMed, EMBASE, CINAHL, PsycInfo, Cochrane DARE und CENTRAL vom Zeitpunkt der Datenbankgründung bis Mai 2011 aus. Zum Vergleich der Wirksamkeit wurden kontrollierte randomisierte Studien herangezogen. Zur Evaluierung der Nebenwirkungen dienten klinische Studien und Beobachtungsstudien mit mehr als 1000 Teilnehmern. Clozapin wurde aus der Untersuchung ausgeschlossen, da es fast ausschliesslich zur Behandlung von Schizophrenie angewendet wird.

In den Review wurden 162 Studien mit Ergebnissen zur Wirksamkeit und 231 klinische Studien oder Beobachtungsstudien mit Ergebnissen zu Nebenwirkungen eingeschlossen.

Ergebnisse der Studien

Generalisierte Angststörung

Quetiapin war in einer gepoolten Analyse von 3 grossen Studien mit 710, 854 und 873 Patienten bei der Behandlung generalisierter Angststörungen mit einer um 26 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit eines positiven Ansprechens (Number needed to treat [NNT] = 8) im Vergleich zu Plazebo verbunden. Als positives Ansprechen wurde eine mindestens 50-prozentige Verbesserung auf der Hamilton-Angst-Skala definiert. In einer Studie zu Olanzapin wurde eine nicht signifikante Wirksamkeit beobachtet. Risperidon zeigte sich in einer anderen Studie unwirksam im Vergleich zu Plazebo.

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Zwangsstörungen

In 10 plazebokontrollierten Studien wurden atypische Antipsychotika als Hilfsmedikation bei Patienten mit Zwangsstörungen untersucht, die auf selektive Serotoninwiederaufnahme-Hemmer (SSRI) nicht angesprochen hatten. In 3 dieser Studien war Risperidon mit einer 3,9-fach höheren Wahrscheinlichkeit eines positiven Ansprechens (Verbesserung von 25% auf der Yale-Brown-ObsessiveCompulsive-Skala) im Vergleich zu Plazebo assoziiert. In 5 Studien erwies sich Quetiapin als nicht signifikant wirksam, und in einer Studie wurde keine Wirksamkeit von Olanzapin im Vergleich zu Plazebo festgestellt.

Andere Off-Label-Bereiche

Bei Essstörungen konnte für Olanzapin keine Wirksamkeit nachgewiesen werden. In der Therapie von Persönlichkeitsstörungen kamen die ausgewerteten Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der Wirksamkeit atypischer Antipsychotika. Belastungsstörungen zeigte sich eine geringfügige Wirksamkeit von Risperidon. Im Zusammenhang mit Substanzmissbrauch erwiesen sich atypische Antipsychotika als unwirksam.

Nebenwirkungen

Der Off-Label-Gebrauch der untersuchten Wirkstoffe war häufig mit Nebenwirkungen verbunden. Bei älteren Demenzpatienten wurde ein erhöhtes Risiko für die Mortalität (Number needed to harm [NNH] = 87) und für einen Schlaganfall (NNH = 53 bei Risperidon) sowie für extrapyramidale Symptome (NNH = 10 für Olanzapin, NNH = 20 für Risperidon) und für Symptome des unteren Harntrakts (NNH = 16-36) beobachtet.

Fazit der Studienautoren

Der Nutzen und die Risiken der einzelnen atypischen Neuroleptika erwiesen sich in diesem Review als sehr unterschiedlich. Quetiapin war bei generalisierter Angststörung und Risperidon bei Zwangsstörungen mit einem Benefit verbunden. Bei der Anwendung atypischer Antipsychotika treten jedoch häufig Nebenwirkungen auf.

Die Autoren identifizierten eine grosse Anzahl von Studien zur Off-Label-Anwendung atypischer Antipsychotika. Bei Symptomen einer Psychose, bei Erregtheitszuständen und allgemeinen Verhaltensstörungen zeigte sich bei älteren Demenzpatienten ein kleiner statistisch relevanter Nutzen für Risperidon, Aripiprazol und Olanzapin.

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Nach Ansicht der Autoren können die Ergebnisse dieses Reviews Ärzte bei einer Entscheidung zu einem Off-Label-Gebrauch unterstützen und zur optimalen individuellen Therapie beitragen.

Quetiapin in der Kritik

Fachleute warnen seit Jahren vor dem Einsatz von Quetiapin bei Beschwerden, für die es nicht zugelassen ist. Trotzdem wird es immer häufiger verschrieben: Im Jahr 2012 verordneten Ärzte in der Schweiz circa 79’400 Personen Quetiapin. Letztes Jahr bekamen rund 156’000 Menschen diesen Wirkstoff, der in den Gehirnstoffwechsel eingreift.

Zugelassen ist Quetiapin, das unter dem Namen «Seroquel», «Sequase» oder «Quetiapin» vertrieben wird, hierzulande ausschliesslich gegen Schizophrenie und bei sogenannten bipolaren Psychosen (depressive und manische Phasen im Wechsel). Tabletten mit verzögerter Wirkstofffreisetzung sind auch als Zusatzbehandlung (nebst anderen Medikamenten) gegen schwere Depression zugelassen.

Dänische Wissenschaftler zeigten letztes Jahr, dass selbst Quetiapin-Dosierungen unter 50 Milligramm bei Erwachsenen mit mehr tödlichen Herzinfarkten und Schlaganfällen einhergehen, verglichen mit der Einnahme von Schlafmitteln aus der Gruppe der sogenannten «Z-Substanzen» (wie beispielsweise Zolpidem) oder mit Antidepressiva vom Typ «SSRI»).

Problematisch kann es insbesondere werden, wenn die Patienten nebst dem Quetiapin weitere Psychopharmaka nehmen, die ebenfalls mit einem erhöhten Sterberisiko in Verbindung gebracht werden. Einen weiteren auffälligen Zusammenhang gibt es zwischen Quetiapin und Demenz - einer der Gründe, es alten Menschen möglichst nicht zu geben.

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Alternativen zur medikamentösen Behandlung

Langfristig wirksamer und sicherer als Medikamente ist bei Schlafstörungen zum Beispiel eine kognitive Verhaltenstherapie. Vier bis acht Sitzungen genügen laut einem Fachartikel im «Schweizerischen Medizin Forum» in der Regel.

Tabelle: Übersicht zu Quetiapin

Indikation (zugelassen) Off-Label-Use Mögliche Nebenwirkungen
Schizophrenie Angststörungen Erhöhtes Mortalitätsrisiko (bei älteren Demenzpatienten)
Bipolare Störungen Zwangsstörungen Schlaganfallrisiko
Depression (als Zusatztherapie) Essstörungen, Persönlichkeitsstörungen, Substanzmissbrauch Extrapyramidale Symptome
Schlafstörungen Symptome des unteren Harntrakts

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