Lithium bei Angststörung: Mythen und Fakten

«Lithium ist und bleibt der Goldstandard in der Rezidivprophylaxe bipolarer Störungen», stellt Prof. Dr. Dr. Michael Bauer vom Universitätsklinikum der Technischen Universität Dresden klar.

Die Wirksamkeit von Lithium

Lithiumsalze wirken erwiesenermassen antimanisch und auch augmentativ-antidepressiv; zudem zeigten sich wiederholt antisuizidale und neuroprotektive Effekte unter der Therapie.

Hartnäckig hält sich allerdings eine Reihe von Mythen insbesondere zur Langzeittherapie mit Lithium, bemängelt Prof. Bauer. Etwa, dass die Wirksamkeit der Substanz mit der Zeit abnimmt oder dass bei einem erneuten Therapiestart nach vorherigem Absetzen ein geringerer Effekt beobachtet wird. Beide Annahmen sind mittlerweile widerlegt.

Manchmal ist es nötig, Lithium mehr oder weniger abrupt abzusetzen, etwa wenn keine ausreichende Wirkung erzielt wird, nicht tolerierbare Nebenwirkungen auftreten, Patientinnen schwanger werden oder andere medizinische Gründe vorliegen. Nach längeren Phasen des Wohlbefindens kann es ebenfalls vorkommen, dass die Patienten eine Unterbrechung der Prophylaxe wünschen.

Das Absetzen sollte jedoch nicht zu schnell geschehen, wie eine Studie von Forschern der Harvard Medical School belegt. Eine schrittweise Reduktion der Dosis - über einen Zeitraum von zwei Wochen oder länger - senkte das Risiko für einen Rückfall deutlich.

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Nach dem langsamen Absetzen vergingen bis zum Auftreten eines Rezidivs im Schnitt elf Monate, bei abrupterem Abbruch hingegen nur vier. Die Dauer der Lithiumbehandlung vor dem Abbruch spielte dagegen keine Rolle.

Gleichwertige Alternativen zur Phasenprophylaxe mit Lithium sind bislang nicht verfügbar. Lamotrigin etwa erhält in der aktuellen S3-Leitlinie nur eine B-Empfehlung, da es vor allem manische Phasen weniger gut verhindert.

Gewichtsveränderungen unter Lithium

Gefürchtet sind unter anderem Gewichtsveränderungen unter Lithium. Eine Metaanalyse aus dem letzten Jahr ergab aber nur einen durchschnittlichen Gewichtszuwachs von rund 460 Gramm unter der Behandlung, was keiner signifikanten Zunahme entsprach. Tatsächlich nahmen die Patienten in den Placebogruppen der eingeschlossenen Studien sogar etwas stärker zu als die mit Lithium behandelten Teilnehmer.

Natürlich gibt es vereinzelt Patienten, die mit einer starken Gewichtszunahme reagieren, erklärt Prof. Bauer. Ein Monitoring erscheint deshalb sinnvoll. Dass Lithium aber generell das Körpergewicht erhöht, gehört seiner Auffassung nach ebenfalls ins Reich der Mythen.

Nephrotoxische Wirkung von Lithium

Anders sieht es mit der nephrotoxischen Wirkung von Lithium aus, die als mögliche Langzeitnebenwirkung laut Prof. Bauer intensiver betrachtet werden muss.

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Eine Analyse koreanischer Wissenschaftler aus dem Jahr 2022 ergab, dass nach rund 20 Jahren Lithiumtherapie die Nierenfunktion tendenziell stärker nachlässt als unter einer gleich langen Behandlung mit Valproat.

Der kritische Wert für die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate von 60 ml/min wurde aber auch nach dieser langen Behandlungsdauer nur von wenigen Lithiumbehandelten unterschritten. Valproat erwies sich in dieser Hinsicht als nicht überlegen.

Im Widerspruch dazu hatte eine Ende 2021 publizierte Metaanalyse eine Verdopplung des Risikos für die chronische Nierenerkrankung unter Lithium ergeben. Die Studienlage ist allerdings auch nach Einschätzung dieser Autoren weiterhin sehr heterogen.

Die Ergebnisse einer schwedischen Kohortenstudie deuten schliesslich darauf hin, dass ein Abfall der Nierenfunktion nach einer Behandlungsdauer von mehr als zehn Jahren vor allem mit sich entwickelnden Komorbiditäten wie Diabetes und Hypertonie zu erklären ist.

Insgesamt spricht die bisherige Evidenz dafür, bei der Therapie mit Lithium zumindest einige Vorsichtsmassnahmen zu beachten, so Prof. Bauer.

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Massnahmen zur Minimierung nephrotoxischer Effekte

Um nephrotoxische Effekte durch eine Phasenprophylaxe mit Lithium möglichst zu vermeiden, empfiehlt Prof. Dr. Dr. Michael Bauer von der Technischen Universität Dresden die folgenden zusätzlichen Massnahmen:

  • engmaschiges Monitoring der Nierenfunktion, insbesondere ab dem 55. Lebensjahr
  • nierenschädigende Lithiumintoxikationen verhindern, was sich vor allem durch gute Psychoedukation erreichen lässt
  • die Nierenfunktion gefährdende Begleiterkrankungen wie Hypertonie, Diabetes mellitus, Nikotin-/Alkoholabusus behandeln
  • nach Möglichkeit die Gabe weiterer nephrotoxischer Medikamente vermeiden, z.B. Wechselwirkungen von Psychopharmaka

Weitere Aspekte der Lithiumtherapie

Psychopharmaka können mit vermeintlich harmlosen Substanzen gefährlich wechselwirken - sogar mit ganz normalen Lebensmitteln.

Einige, die unter Depressionen und Angststörungen leiden, nehmen neben den verschriebenen auch frei verkäufliche Präparate zu sich. Besonders beliebt sei Johanniskraut, sagt Psychiater Müller. Er warnt: «Nur weil diese Präparate pflanzlich sind, heisst es nicht, dass sie keine Wechselwirkungen mit Psychopharmaka verursachen.» Es drohen Schwankungen des Blutdrucks, Störungen des Bewusstseins und der Koordination bis hin zu lebensbedrohlichen Effekten. Einige Wirkungen können sofort, andere erst mit der Zeit zum Problem werden.

Eine Ursache für Wechselwirkungen, die oft unterschätzt wird: Alkohol. «Für gewöhnlich verstärkt er die Wirkung der Psychopharmaka», sagt Müller. So können Medikamente, die beruhigend wirken sollen, mit Alkohol sehr müde machen. Das kann zum Beispiel im Haushalt gefährlich werden.

Bei Wechselwirkungen wird entweder die Aufnahme oder der Abbau des Medikaments gestört. Das kann auch durch normale Lebensmittel geschehen. Grapefruitsaft etwa kann den Abbau von Antidepressiva verlangsamen - und zu Vergiftungen führen.

Ältere Leute müssen besonders vorsichtig sein. «Bei ihnen funktioniert der Stoffwechsel langsamer», sagt Thomas Müller. «Auch das kann Wechselwirkungen begünstigen.» Zudem nehmen die meisten über 65-Jährigen täglich mehrere Medikamente. Deshalb ist es wichtig, sich an die ärztlichen Vorgaben zu halten - und Auskunft über sämtliche Medikamente und deren Dosis zu geben. Wenn sich eine Medikation ändert, sollten alle behandelnden Ärztinnen und Ärzte davon erfahren.

Personen mit bipolarer Störung etwa nehmen Lithium ein. Das hilft, Krankheitsphasen zu verhindern. Allerdings sollten Herzkranke, die Blutdrucksenker zu sich nehmen, die Lithium-Einnahme sofort mit ihrem Kardiologen besprechen. Sonst kann es zu einer Vergiftung kommen.

Lithiumorotat als Nahrungsergänzungsmittel

Lithiumorotat ist ein Lithiumsalz, das in einigen Ländern als Nahrungsergänzungsmittel verkauft und für die kognitive Funktion, das Gedächtnis und bei psychischen Krankheiten verwendet wird. In der Schweiz gehören Lithiumsalze zu den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.

Lithiumorotat wird in viel tieferer Dosis verwendet als die Medikamente für die Behandlung psychiatrischer Erkrankungen („Low-dose lithium“). In hohen Dosen kann Lithium schwere Nebenwirkungen und eine Vergiftung hervorrufen.

Anwendungsgebiete von Lithiumorotat

Als Nahrungsergänzungsmittel wird Lithiumorotat unter anderem für die kognitive Funktion, das Gedächtnis, zur Stabilisierung der Stimmung, bei Depressionen und Angststörungen eingesetzt. Es ist von den Behörden dafür nicht zugelassen. Im Unterschied zu anderen Salzen wird Lithiumorotat nicht für die Therapie psychiatrischer Erkrankungen verwendet.

Dosierung

Gemäss der Packungsbeilage. Lithiumorotat wird in tiefen Dosen eingenommen.

Kontraindikationen

Die vollständigen Vorsichtsmassnahmen finden sich in der Arzneimittel-Fachinformation.

Unerwünschte Wirkungen

In höheren Dosen kann Lithium schwere unerwünschte Wirkungen und eine Vergiftung hervorrufen. Zur Sicherheit der Nahrungsergänzungsmittel stehen uns keine ausreichenden Informationen zur Verfügung. Die Dosis ist in der Regel wesentlich tiefer.

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