Mit Beginn der Pubertät steigt das Risiko, dass Jugendliche an einer Depression erkranken. Bei Jugendlichen gilt die Depression als häufigste psychische Erkrankung. Doch oftmals ist es für Eltern schwierig, die Symptome richtig zu deuten.
Im Obsan-Bericht des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums 2023 gaben 30 Prozent der jungen Frauen zwischen 15 und 24 Jahren und 15 Prozent der gleichaltrigen jungen Männer an, unter mittelschweren bis schweren Depressionssymptomen zu leiden. Auch wenn es sich bei den Erhebungen der Studie um eine Selbsteinschätzung und keine ärztliche Diagnose handelt, sind die Zahlen bedenklich.
Chantal Hofstetter beobachtet, dass viele Jugendliche heutzutage stark herausgefordert werden. Sie ist Psychologin und bei der Stiftung Pro Mente Sana im Programm «ensa Erste Hilfe für psychische Gesundheit» tätig. «Jugendliche und junge Erwachsene stehen unter grossem Leistungsdruck. Und das nicht nur in der Schule, sondern mittlerweile über fast alle Lebensbereiche hinweg. Über die sozialen Medien ist ein konstanter Vergleich mit anderen möglich und häufig werden unrealistische Bilder vermittelt.
Symptome und Anzeichen einer Depression bei Jugendlichen
Es ist wichtig, eine Depression frühzeitig zu erkennen. Denn unbehandelt können sich die Symptome verstärken oder weitere Erkrankungen wie beispielsweise eine Angst- oder Panikstörung hinzukommen. Viele Betroffene neigen zu riskantem Verhalten oder entwickeln mit der Zeit Suizidgedanken.
Folgende Symptome können bei Jugendlichen Anzeichen einer Depression sein:
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- Traurigkeit
 - Gedrückte Stimmung
 - Antriebslosigkeit
 - Verlust von Interesse und Freude
 - Rückzug von der Familie sowie vom Freundeskreis
 - Gereiztheit und schnippisches Verhalten
 - Niedriges Selbstwertgefühl
 - Ängstlichkeit
 - Selbstverletzendes Verhalten
 - Suizidgedanken
 - Appetitveränderung
 - Aggressivität
 - Hohes Risikoverhalten
 - Häufig kommen körperliche Beschwerden dazu.
 
Für das Umfeld kann es schwierig sein, zu unterscheiden, ob eine depressive Störung vorliegt oder das Auftauchen von problematischen Symptomen mit der Pubertät zusammenhängt. Denn in der Pubertät kommt es zu einem neuronalen Umbau, Jugendliche suchen nach ihrer Identität. Stimmungsschwankung treten hormonell bedingt öfters und viel stärker auf. So ist es normal, dass sich Teenager mal down fühlen. Auch Gedanken übers Leben und Sterben gehören zur Pubertät dazu.
Psychologin Chantal Hofstetter entwarnt deshalb: «Es muss sich nicht bei jedem Hänger gleich um eine behandlungsbedürftige Störung handeln. Entscheidend ist das Gesamtbild. Treten mehrere Symptome gleichzeitig auf und halten sie über einen längeren Zeitraum an, sollten Eltern und Bezugspersonen genauer hinschauen.»
Als problematisch erachtet sie es insbesondere, wenn sich Jugendliche von ihren Freundinnen und Freunden zurückziehen und in die virtuelle Welt oder ein Konsumverhalten flüchten. «Wenn depressive Symptome länger als zwei Wochen durchgehend anhalten, zu Leidensdruck führen und den Alltag der Jugendlichen - also zum Beispiel Freundschaften oder Schule und Ausbildung - beeinträchtigen, sollte interveniert werden.
Was können Eltern tun?
Haben Eltern den Verdacht, dass ihr Kind an einer depressiven Verstimmung leidet, sollten sie das Gespräch suchen. Sie können ihre Sorgen ansprechen, am besten in Ich-Botschaften. Chantal Hofstetter rät dazu, fürs Gespräch einen günstigen Moment und eine passende Umgebung zu wählen. Besser als steif am Esstisch zu sitzen ist vielleicht ein ungezwungenes Gespräch beim Geschirrspülen oder beim Spaziergang mit dem Hund.
«Die Eltern sollten möglichst wertfrei ansprechen, was sie beobachtet haben und verstehen wollen, was bei den Jugendlichen gerade passiert. Vorwürfe oder gar Ärger sind hingegen zu vermeiden.» Wichtig ist zudem, die Sorgen und Nöte der Jugendlichen ernst zu nehmen. Aussagen wie, «das gehört zur Pubertät, mach dir nicht so viele Gedanken», gilt es zu vermeiden.
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Hingegen können offene Fragen dabei helfen, dass Jugendliche ihre eigene Situation besser verstehen und selbst Antworten auf ihre Sorgen finden. Vonseiten der Eltern ist dabei vor allem Geduld gefragt. Möglicherweise finden Jugendliche eigene Lösungen für ihre Situation und Eltern können ganz auf Vorschläge verzichten. Vielleicht sind sie aber auch dankbar, wenn Eltern ihnen Lösungsvorschläge anbieten.
Viele Jugendliche sind froh, wenn jemand sie aktiv auf ihre Sorgen anspricht. Denn trotz Enttabuisierung in den sozialen Medien, behält ein Grossteil es für sich, wenn traurige Gedanken und Gefühle da sind.
Manche Jugendlichen möchten aber am liebsten mit niemandem über Sorgen und Probleme sprechen − schon gar nicht mit den Eltern. Hier rät Hofstetter, zu signalisieren, dass die Tür jederzeit offen steht. «Man darf auch explizit ansprechen, dass Jugendliche vielleicht nicht mit den Eltern sprechen wollen und eine andere Vertrauensperson vorschlagen.
Wo gibt es Hilfe?
Belastet Sie die aktuelle Familiensituation oder sorgen Sie sich um Ihr Kind? Die Pro Juventute Elternberatung ist rund um die Uhr für Sie da. Bei Verdacht auf eine Depression bieten die Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienste der Kantone Unterstützung. Eltern können ihr Kind direkt anmelden oder bei der Kinder- respektive Hausarztpraxis um eine Überweisung bitten.
Doch sollte eine Anmeldung nur im Einverständnis der Jugendlichen erfolgen, ausser bei akuter Gefährdung. Denn eine therapeutische Behandlung ist wenig zielführend, wenn Betroffene sie nicht wollen. Möchte jemand keine Unterstützung, ist es wichtig, die Gründe dafür zu verstehen.
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«Oft stecken Schamgefühle, die Angst abgestempelt oder gegen den eigenen Willen behandelt zu werden dahinter», beobachtet Chantal Hofstetter. Sie rät Eltern, über allfällig vorhandene Falschvorstellungen aufzuklären und mit dem Kind sowie allenfalls weiteren Vertrauenspersonen von der Schule oder der Ausbildungsstätte einen gemeinsamen Weg zu suchen.
Wichtig ist auch, sich als angehörige Person Hilfe zu holen, wenn eine Situation überfordert.
Tipps für Eltern
- Ansprechen: Sprechen Sie über Gefühle. Und zwar nicht nur, wenn es jemandem sichtbar schlecht geht. Eine offene Kommunikation schafft Vertrauen und hilft, psychische Leiden frühzeitig wahrzunehmen.
 - Ernst nehmen: Nehmen Sie Ihr Kind ernst, wenn es von Ängsten oder belastenden Gefühlen spricht. Zeigen Sie Verständnis und bieten Sie Unterstützung an - wenn nötig auch wiederholt.
 - Tagesstrukturen: Motivieren Sie Ihre Tochter oder Ihren Sohn, Alltagsstrukturen aufrecht zu halten. Werden Betroffene zu sehr geschont, kann das depressive Phasen verstärken. Zu viel Druck kann sich aber negativ auswirken. Möglicherweise ist es daher sinnvoll, Aufgaben in kleinere Schritte aufzuteilen oder Abstriche zu machen.
 - Bewältigungsstrategien: Herausfordernde Phasen und schwierigen Gefühle gehören zur Pubertät dazu.
 
ensa Erste Hilfe für psychische Gesundheit
Analog zu den Nothelfer-Kursen gibt es auch Erste-Hilfe-Kurse für psychische Gesundheit. Dieses Programm wird in der Schweiz von der Stiftung Pro Mente Sana angeboten und heisst ensa. Der ensa Erste-Hilfe-Kurs Fokus Jugendliche richtet sich an Erwachsene, die ihnen anvertrauten Jugendlichen Erste Hilfe bei psychischen Problemen leisten wollen: also an Eltern, Lehrpersonen, Schulsozialarbeitende, Jugendgruppenleitende, Lehrmeisterinnen und Lehrmeister, etc.
Praxisnah wird Basiswissen über die häufigsten psychischen Krankheiten und Krisen im Jugendalter vermittelt. Die Teilnehmenden lernen, Probleme rechtzeitig zu erkennen, wertfrei anzusprechen sowie Betroffene zu professioneller Hilfe zu ermutigen.
Psychische Erkrankung der Eltern
Kinder und Jugendliche mit einem psychisch erkrankten Elternteil sind mehr Belastungen ausgesetzt und haben ein deutlich erhöhtes Risiko, selbst psychische Störungen zu entwickeln. Weltweit sind ca. 15 bis 23% aller Kinder betroffen, auf die Schweiz übertragen entspricht dies ungefähr 300‘000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.
Gemäss verschiedenen Studien ist die Wahrscheinlichkeit für Kinder, eine psychische Störung zu entwickeln, um den Faktor 3 bis 7 erhöht, wenn sie in einer Familie aufwachsen, in der ein Elternteil psychisch erkrankt ist. Kinder, die aufgrund einer schweren psychischen Belastung oder Störung beraten oder behandelt werden, stammen häufig aus Familien, in denen auch die Eltern von psychischen Belastungen oder Erkrankungen betroffen sind.
Das Erkrankungsrisiko eines Kindes mit einem schizophrenen Elternteil erhöht sich vom Durchschnitt der Gesamtbevölkerung (1 Prozent) auf ca. 13 Prozent. Bei einer schizophrenen Erkrankung beider Eltern erhöht sich das lebenslange Risiko für ihre Kinder, selbst eine solche Störung zu entwickeln, sogar auf etwa 40%.
Das Risiko für eine Depression ist bei elterlicher depressiver Erkrankung etwa um das zwei- bis sechsfache erhöht. Etwa 60% der Kinder von Eltern mit einer Depression entwickeln im Verlauf der Kindheit und Jugend eine psychische Störung.
Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil stellen eine sehr heterogene Gruppe dar. Für die Familie und speziell für die Kinder ist es von grosser Bedeutung, welcher Elternteil von der Erkrankung betroffen ist, wie lang sie besteht und auf welche Weise sie sich auf die familiären Beziehungen, die Kommunikation und nicht zuletzt auf die Alltagsorganisation auswirkt.
Bei einer psychischen Erkrankung eines Elternteils entstehen viele Fragen und Unsicherheit in Bezug auf die Organisation des Familienalltags. Manche Familien können auf ein funktionierendes Netzwerk im privaten oder öffentlichen Bereich zurückgreifen und erhalten von dort eine ihrer Lebenslage und derzeitigen Lebenssituation entsprechende Unterstützung. Das hängt mitunter sehr stark vom Erkrankungsstadium ab.
Doch wollen und müssen Kinder und Jugendliche ihrem Alter und ihrem Wissensstand entsprechend informiert und in das häufig komplexe Management der elterlichen psychischen Erkrankung einbezogen werden. Jüngere Kinder wünschen sich Informationen durch den betroffenen Elternteil, Jugendliche hingegen bevorzugen den Einbezug und Informationen durch Fachpersonen in Praxis oder Klinik.
Psychisch erkrankte Eltern, Familien und ihre Kinder erhalten jedoch zumeist weder während des Spitalaufenthaltes, noch nach Entlassung entsprechende Informationen.
Mittlerweile gibt es in der ganzen Schweiz diverse Beratungs- Behandlungs- und Unterstützungsangebote für Kinder, Jugendliche und Familien mit psychisch und suchterkrankten Eltern. An einigen psychiatrischen Einrichtungen für Erwachsene (z.B. Königsfelden) wurden Sprechstunden für Angehörige und Kinder eingerichtet, die eng mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie zusammenarbeiten (z.B. Chur, Luzern). Zudem existieren Elterngruppen (z.B. in Bern, Zürich, Winterthur) oder integrierte Eltern-Kind-Angebote für Mütter mit Säuglingen und Kleinkindern (z.B. Affoltern) und für Mütter/Väter mit Vorschulkindern bis max. 5 Jahre (z.B. Münsterlingen).
Depression bei Jugendlichen wird von Eltern häufig unterschätzt
Einig... Depression bei Jugendlichen wird von Eltern häufig unterschätzt und in vielen Fällen gar nicht behandelt. Depression erhöht das Risiko für Suizidgedanken und -handlungen: Grund genug, um das Problem ernst zu nehmen.
Hat sich Ihr Kind von der ersten grossen Liebe getrennt, hat es schlechte Noten in der Schule oder hat sein Fussballverein verloren, dann ist er oder sie wahrscheinlich sehr traurig. Kein Psychologe würde in diesem Fall von einer Depression sprechen. Schwierige Erfahrungen gehören zum Leben und auch, dass man lernt damit umzugehen.
Mehrere Symptome müssen sich über mehrere Wochen zeigen, damit man von einer «richtigen» oder «klinisch relevanten» Depression spricht. Die Beschreibung der nachfolgenden Symptome dient als Orientierung. Bei einer Depression verschwindet die Freude am Leben und die Welt wird nur noch grau in grau wahrgenommen. Dinge, die normalerweise Spass machen, werden vernachlässigt, der Appetit nimmt ab. Das Gedächtnis arbeitet nicht mehr so gut. Ihr Kind kann sich kaum noch konzentrieren.
Bei einer starken Depression fühlt Ihr Kind gar «nichts» mehr. Es ist ihm alles egal, es will tagelang nur noch im Bett liegen, verweigert den Schulbesuch oder die Ausbildung.
Depression erhöht das Risiko für Suizidgedanken und -handlungen. Grund genug, um eine Depression ernst zu nehmen und nicht nur als «Phase» zu banalisieren. Dieser Punkt ist besonders wichtig, da Depression bei Jugendlichen von Eltern häufig unterschätzt wird.
Behandlung einer Depression
Eine depressive Erkrankung wird in der Regel auf zwei Arten behandelt. In der Verhaltenstherapie werden neue Verhaltensweisen eingeübt, damit der oder die Jugendliche im Alltag bestehen kann. Durch Verabreichung von Medikamenten (für eine gewisse Zeit) können Veränderungen leichter gelingen.
Bewährt haben sich bei Jugendlichen in der Therapie Gruppenangebote. In der Gruppe erkennt die junge Person, dass sie mit ihren Problemen nicht allein ist. Gemeinsam lassen sich neue Wege leichter gehen.
Der depressive Notfall ist dadurch gekennzeichnet, dass Ihr Kind nicht mehr aus dem abgedunkelten Zimmer kommt, Essen und Trinken seit mehr als zwei Tagen verweigert und auf Ansprache nicht mehr reagiert.
Für eine Vertiefung zum Thema Depression empfehlen wir Ihnen das Buch «Mit dem schwarzen Hund leben» von Matthew Johnstone sowie die Internetseite www.depression.ch.
| Thema | Inhalt | 
|---|---|
| Krankheitsbild | Was ist die Erkrankung? Wie heisst sie? Was bedeutet die Diagnose für den Alltag? | 
| Ursachen | Warum ist Mutter/Vater krank geworden? Was hat die Erkrankung ausgelöst? Hat das Kind eine Schuld daran? Ist die Erkrankung vererbbar? | 
| Symptome | Wie äussert sich die Erkrankung? Was passiert mit Mutter/Vater? Was sind Warnzeichen? | 
| Behandlung | Wie wird Mutter/Vater behandelt? Was bewirkt die Behandlung? Wie lange dauert sie? Was können Angehörige zur Unterstützung beitragen? | 
| Verlauf und Prognose | Wie wird sich die Erkrankung entwickeln? Wird Mutter/Vater wieder gesund? Kann die Erkrankung wieder auftreten? | 
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