Generalisierte Angststörung: Ein Erfahrungsbericht

Ein harmloser Schwindelanfall löste bei Sabrina eine Kettenreaktion aus, die in einer generalisierten Angststörung endete. Sabrina hatte eine generalisierte Angststörung. Gegenüber Nau.ch erzählt sie, was das für sie bedeutete.

Der Auslöser: Ein Schwindelgefühl

Sabrina* ist in den Ferien im Südtirol, als sie einen Schwindel wahrnimmt. Die 31-jährige Bernerin ignoriert das diffuse Gefühl vorerst. «Für ein paar Tage konnte ich es etwas auf die Seite rücken», erzählt sie gegenüber Nau.ch. Zurück in Bern überwiegt die Unsicherheit doch: Sabrina geht zum Arzt. Und da sich auf den ersten Blick nichts feststellen lässt, wird ein MRI verordnet.

Die Angst beginnt

«Ab da fing für mich die Angst an», erzählt Sabrina. «Ich habe mir vorgestellt, dass ich einen Hirntumor habe.» Und das, obwohl es noch tausend andere Gründe für Schwindel gebe - «das ist typisch Angstpatient», weiss sie jetzt.

Sabrina geht zum MRI und wartet angespannt auf das Resultat. Bereits einen Tag später erhält sie den Anruf.

Angst, Erleichterung - und wieder Angst

«Ich weiss noch, es war Freitag und ich bin im Bett gelegen - und mir wurde von der Arztpraxis mitgeteilt, es sei alles in Ordnung. Meine Blutwerte waren super, ich hatte nicht einmal schlechte Schilddrüsenwerte oder einen Eisenmangel. Es war alles top», sagt sie.

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Doch: Für einen kurzen Moment setzt die Erleichterung ein - «und dann ist das Angstgefühl wieder gekommen. Und es ist geblieben».

Sabrina hat wahrscheinlich eine «generalisierte Angststörung» entwickelt, so die spätere Diagnose. Der Weg zur Genesung ist ein langer und für die Bernerin noch nicht vollständig geschafft.

Gegenüber Nau.ch erzählt die junge Frau von ihren Erfahrungen mit der psychischen Krankheit.

Kindheitsängste als Vorbote

«Gewisse Ängste hatte ich bereits als Kind», beginnt sie. Dazu habe etwa die Angst vor dem Tod oder dass ihren Eltern etwas zustossen könnte gehört. Andere Ängste, wie etwa Flugangst, hätten sich erst nach einem schlechten Erlebnis entwickelt. «Ab und zu hatte ich sogar eine Panikattacke», so Sabrina. Andere Dinge wie Auto- oder Liftfahren hätten der jungen Frau jedoch noch nie etwas ausgemacht. «Die Angststörung ist eben nicht rational», erklärt sie.

In den letzten Jahren habe die Angst dann zugenommen - «insbesondere die Hypochondrie», also die Angst vor Krankheiten. So machte sich Sabrina beispielsweise grosse Sorgen, als sie Anfang Zwanzig erstmals Herzstolperer bemerkte, eine meist harmlose Herzrhythmusstörung, die bei vielen Menschen auftritt.

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Über einen Zeitraum von mehreren Jahren suchte sie sowohl Hausärzte wie auch zweimal eine Kardiologin auf. «Für Angstpatienten ist es sehr typisch, Abklärungen zu machen, denen dann aber nicht so ganz glauben zu können», sagt die Bernerin.

Das Leben steht Kopf

Der Schwindel-Vorfall im Herbst 2024 hat dann aber Sabrinas Leben komplett auf den Kopf gestellt. Sie hat das positive MRI-Resultat zwar geglaubt. Trotzdem konnte sie das unangenehme Angstgefühl nicht abschütteln.

«Ich hatte nicht mehr Angst vor etwas Spezifischem. Ich konnte es mir auch nicht erklären», sagt sie. «Mir ging es einfach so schlecht - ich habe es fast nicht ausgehalten.»

Es setzte ein Dauerangstzustand ein, wie er zuvor für die 31-Jährige wohl kaum vorstellbar war. «Zum Glück wusste ich da noch nicht, wie lange das andauern wird.»

Vergebliche Lösungsversuche

Zu Beginn denkt Sabrina nämlich, dass die Genesung wohl eine Sache weniger Tage sein wird. «Ich dachte mir: ‹Jaja, ist halt so, aber in zwei Wochen ist es dann sicher wieder gut.›»

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Sabrina hat sich auch gleich informiert, was man bei Ängsten unternehmen kann. Sie machte einen Online-Kurs und kaufte ein Buch dazu. «Ich habe gemerkt, wenn ich etwas mache, das mir hilft, dann geht es mir zumindest kurzfristig besser.»

Das war am Freitag des MRI-Resultats - doch der gewünschte Langzeit-Effekt blieb aus: «Es war dann einfach am Samstagmorgen wieder genau gleich schlimm. Und am Sonntagmorgen auch wieder.»

Soziale Isolation

Es ist der Beginn eines monatelangen Kampfes: Sabrina muss ihr ganzes Leben umkrempeln.

Sie kann nicht mehr arbeiten und zieht zu ihren Eltern. Doch auch wenn es ihr bei ihrer Familie eigentlich am wohlsten ist, «war es mir eben doch nicht wohl».

Sie zählt ihre Symptome auf: «Ich hatte Herzrasen, weiche Gliedmassen, Schwächegefühl in den Armen, innere Unruhe, allgemeines Unwohlsein, Gedankenrasen und zum Teil schwitzige Hände und Füsse.»

Sabrina sagt: «Ich konnte am sozialen Leben eigentlich nicht mehr teilhaben.» Sie habe zwar noch ein paar soziale Kontakte gepflegt. «Aber wenn die Angst da war, dann war es mir einfach unwohl und ich wollte nur, dass es aufhört.»

Alles andere rückte für sie meist in den Hintergrund: «Ich konnte gar nicht auf etwas anderes eingehen - es interessierte mich dann nicht, so schlimm wie das auch tönt.»

«Ich konnte nicht ruhig sein, sitzen, lesen oder mich auf etwas konzentrieren - nicht einmal Netflix.»

An Tischgesprächen habe sie nicht mehr gross teilhaben können. «Das war schon brutal», erinnert sich die Bernerin.

Das Leben "on hold"

Dazu kam Appetitlosigkeit: «Ich bin erwacht und mir war übel. Ich konnte nicht essen. Ich habe in dieser Zeit viel Gewicht verloren.»

Zeitweise habe sie kaum Energie gehabt, überhaupt zu sprechen. «Ich bin dann einfach nur noch herumgeschlurft.» Es habe sich angefühlt, «als würde ich einen schweren Helm tragen».

Sie fasst zusammen: «Das Leben war einfach plötzlich ‹on hold›» - also angehalten.

Lediglich am Abend ging es der 31-Jährigen etwas besser. «Dann konnte ich noch am ehesten etwas essen oder ein Gespräch oder eine Fernsehsendung geniessen.»

Therapie als Lichtblick

Doch sie reagiert. «Wenn es mir nicht gut geht, war für mich schon immer klar: Ich muss etwas tun», sagt Sabrina. Deshalb wartet sie auch nicht lange damit, sich professionelle Hilfe zu holen und erhält einen Therapieplatz bei einer Psychologin und einer Psychiaterin.

Die Therapie war für Sabrina aber nicht immer einfach. «Ich hatte auch ganz klar Momente, in denen das schwierig war. Es ist extrem anstrengend. Das geht, glaube ich, jedem so, der Angststörungen hat.»

Sie erzählt von ihrer Therapie: «Ich musste mir zehn Sätze aufschreiben, die positiv konnotiert sind. Zum Beispiel: ‹Ich bin eine junge, gesunde Frau› - also das Gegenteil von ‹Ich bin krank›. Und dann musste ich mir jeden Tag einer dieser Sätze 20 bis 30 Minuten lang visuell, auditiv, sensitiv, riechend und schmeckend vorstellen.»

Hilfreiche Unterstützung

Ebenfalls geholfen hatte der Bernerin, mehr über die Krankheit zu lernen. Und: «In meinem Fall waren auch Gespräche sehr wichtig.»

Ihr Umfeld hatte einen spürbaren Einfluss auf ihre Genesung: «Wenn man das Glück hat, Leute im Umfeld zu haben, die bedingungslos für einen da sind, ist das wirklich Gold wert.»

Sabrina warnt aber: «Wichtig ist auch, dass das Umfeld seinen Alltag trotzdem normal weiterlebt.» Schliesslich sollen auch sie gesund bleiben und ihre Energie behalten.

Zusätzlich war auch Bewegung stets ein wichtiger Teil von Sabrinas Alltag. Spaziergänge und Yoga haben ihr geholfen, mit der Angststörung umzugehen.

Rückblickend sagt Sabrina: Auf der einen Seite sei ihre Tatkraft super, da sie sich nicht in die Lethargie ziehen lasse. «Aber auf der anderen Seite musste ich auch lernen: Bei psychischen Erkrankungen - egal, was es ist - braucht es einfach Zeit.»

Und sie musste auch lernen: «Die Heilung ist nie geradlinig. Vielleicht machst du mal einen Schritt vorwärts, aber dann wieder zwei zurück. Ich glaube, ein wichtiger Faktor ist, die Situation auszuhalten und für den Moment zu akzeptieren.»

Sie vergleicht: «Es ist eben nicht wie ein Beinbruch, wo man einfach ein paar Wochen warten muss und es dann wieder gut ist.»

Der Rückschlag und ein Burnout

Vier Monate nach dem MRI kann Sabrina ihre Arbeit wieder zu Teilen aufnehmen und nach Bern zurückziehen.

Wiederum einen Monat später erleidet sie aber einen grossen Rückschlag. «Da ging es mir mega schlecht - jeden Tag», sagt sie.

«Das war sehr deprimierend und sehr zermürbend.» Und es macht sich etwas Weiteres bemerkbar: «Es zeigten sich erste Erschöpfungssymptome.»

Die 31-Jährige erklärt: «Ich war innerlich nach wie vor sehr angespannt und auf Draht, aber auch körperlich sowie mental erschöpft.»

Der monatelange Kampf mit der Angst hat also Sabrina nach und nach jegliche Energie entzogen. «Es war einfach so anstrengend. Wenn du über Monate an den meisten Tagen kein Wohlbefinden und keinen Genuss hast, dann laugt dich das aus.»

Sie erhält eine neue Diagnose: «Burnout - aber nicht von der Arbeit, sondern von der Lebenssituation - mit depressiver Episode.»

Und auch hier ist es schwierig für Sabrina, mit der Situation umzugehen: «Ich habe mir wieder Druck gemacht, weil ich dachte: ‹Warum bessert sich meine Situation nicht? Was mache ich falsch?›»

Immerhin: Durch die Diagnose merkt Sabrina, wie viel sie bereits von der Angststörung überwinden konnte.

«Die Hypochondrie habe ich jetzt praktisch nicht mehr. Und auch die spezifischen Ängste und diffusen körperlichen Symptome, die ich hatte, sind weg - darauf bin ich sehr stolz.»

Klinikaufenthalt als Wendepunkt

Zu diesem Zeitpunkt, sieben Monate nach dem MRI, entscheidet sich Sabrina dennoch für einen stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. «Ich musste mich emotional sowie körperlich erholen», sagt sie.

In der Klinik wurden ihre depressive Episode und die Erschöpfung sowohl medikamentös als auch durch verschiedene Therapien behandelt.

Vor dem Aufenthalt hatte Sabrina grosse Angst und Respekt, doch die Überwindung davon lohnt sich: «Es war eine wichtige und tolle Erfahrung. Mir geht es nun wieder viel besser - auch die emotionale Erschöpfung ist am Abklingen.»

Mut machen und Hoffnung geben

Was Sabrina in den letzten Monaten erleben musste, wird sie wohl für immer zeichnen.

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