Bühnen Bern präsentiert das Stück «Zeit für Freude» des norwegischen Dramatikers Arne Lygre, das die Lebensfreude zelebriert.
Ein Stück über Freundschaft, Familie, Liebe und mehr
Mina Saehlpour: «Zeit für Freude» vom sehr erfolgreichen norwegischen Autor Arne Lygre behandelt die Themen Freundschaft, Familie, Liebe, Einsamkeit und Tod. Der «Anzeiger» sprach mit Regisseurin Mina Salehpour über die Inszenierung.
Arne Lygre schrieb das Stück in der Coronazeit. Nach der Eröffnung der Theater in Norwegen wurde es als eines der ersten Stücke uraufgeführt, und er hatte damit wahnsinnig Erfolg, weil der Titel die Leute so einfing.
Die Vergänglichkeit und das grosse Leben
Wenn ich «Zeit für Freude» höre, dann assoziiere ich damit einen Vanitas-Gedanken, die Vergänglichkeit, das grosse Leben.
Menschliche Beziehungen im Zentrum
Im Zentrum der Inszenierung stehen menschliche Beziehungen. Ja, wenn man beispielsweise einen schlechten Tag hat und einen Spaziergang im Wald unternimmt und dabei auf eine Person trifft, die einem entgegenkommt. Man kommt spontan ins Gespräch und fühlt eine seltsame Nähe zu dieser Person, man ist sich wohlgesonnen. Man sagt dann Tschüss, ohne dass man sich mit dem Vornamen vorgestellt hätte, man hat auch keine Nummern ausgetauscht, aber die Begegnung war etwas ganz Besonderes.
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Ganz oft, denn ich bin ein Mensch, der immer Leute anspricht und Kontakt sucht, egal in welchem Land mein Team und ich gerade arbeiten. Ich kenne auch immer meine Nachbarn, wenn ich in einer fremden Stadt inszeniere.
Auf einer abgelegenen Bank treffen Unbekannte aufeinander. Die Ausgangslage ist statisch, der Text ist es aber überhaupt nicht. Er nimmt einen mit auf eine grosse Reise durch Emotionen.
Die Bühne als Backstube
Wir wollten aber nicht einfach eine Bank auf die Bühne stellen. Wir waren etwas ambitionierter. So verwandeln wir die Bühne in eine Backstube.
Kostüme, die Freude verbreiten
Ich kann Ihnen verraten, was ich mit meiner Kostümbildnerin, Maria Anderski, mit der ich jetzt schon jahrelang zusammenarbeite, besprochen habe. Mir schwebte etwas vor, was grosse Freude verbreitet. Wir dachten erst an eine italienische Hochzeit, die eine grosse Opulenz verströmt, schöne Farben, aber die Kostüme sollten ein bisschen geschlechtslos sein, um eine kleine Künstlichkeit hineinzubringen, da die Figuren Kunstfiguren sind und keine alltäglichen Figuren.
Die Figuren heissen «ein Ich», oder «ein Vaterloser» oder «eine Mutter», sie haben keine Vornamen. Also tragen alle 16 Figuren je ein Kostüm, das sie in jeder Rolle mehr oder weniger unverändert behalten.
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Ein erstaunliches Theaterstück
«Zeit für Freude» ist ein erstaunliches Theaterstück, ein solches Stück habe ich noch nie gemacht. Er lässt mit Worten Figuren entstehen. Die gleichen Spieler sprechen den Text einer anderen Figur, ohne das Kostüm zu wechseln und man merkt, dass es sich um eine andere Figur handelt. Diese Präzision ist erstaunlich.
Gefühle und Gedanken werden durch scheinbar saloppes Geplänkel transportiert, durch Alltägliches werden universelle Themen verhandelt. Das können die norwegischen Autoren sehr gut.
Ich arbeite immer mit den Spielerinnen und Spielern. Je nachdem mit wem ich es zu tun habe, sieht meine Arbeit entsprechend anders aus. Das ist mein Alltag.
Bern und die norwegische Mentalität
Das Stück passt sehr gut nach Bern, weil ich hier mit den Leuten entweder superleicht ins Gespräch komme, wenn ich mit meinem Hund im Wald laufe - oder auch super schwer, wenn ich als Neue in der Nachbarschaft so ein bisschen misstrauisch betrachtet werde. Ich habe das Gefühl, das Private und die Familie sind hier sehr wichtig im Gegensatz zu Berlin, wo ich wohne. Ich glaube, die Norweger sind ähnlich.
«Zeit für Freude» verspricht gute Laune.
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Termine
Vidmar 1, 4. Februar, 18.00 Uhr, 13. Februar, 19.30 Uhr, 25. Februar, 16.00 Uhr, 20. März, 19.30 Uhr, 27. März, 19.30 Uhr, 6. April, 19.30 Uhr.
Die Gesellschaft ist wichtiger als die Familie
Die Regisseurin Mina Salehpour inszeniert bei Bühnen Bern ein Stück über menschliche Beziehungen. Und sagt, warum das Wort Familie problematisch ist.
Es geht im Stück nicht nur um Familie, sondern eher um Begegnungen: Darum, was man denkt, wenn man auf eine Person trifft, und was man tatsächlich ausspricht. Die Frage, wie wir miteinander umgehen, welche Ressentiments wir haben, lässt sich auf die Welt übertragen.
Wir sind eine sehr grosse Weltfamilie und werden immer mehr. Gerade finden neben vielen anderen Kriegshandlungen zwei grosse Kriege statt, und es sind viele Menschen auf der Flucht. Wie man unter diesen Umständen miteinander umgeht, ist für alle eine Herausforderung. Kommt dazu, dass wir gerade die Pandemie hinter uns haben, wir waren alle isoliert.
Das Stück ist übrigens in der Pandemie geschrieben worden und auch direkt danach als eines der ersten Stücke in Oslo aufgeführt worden. 800 Leute haben abwechselnd geweint und sehr laut gelacht.
Hoffnung und Gefühlsbetontheit
Wegen des Gefühls, so sehr auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, dass man über das Miteinander neu nachdenken muss. Das Stück macht auch ein Stück weit Hoffnung, es ist teilweise sehr gefühlsbetont.
Auch Familienverhältnisse spielen im Stück eine zentrale Rolle. Was bedeutet die Familie heute für uns?
Da kann ich nur für mich sprechen: Das Wort Familie wird oft missbraucht, indem es von vielen Menschen als eine Art moralische Instanz benutzt wird. Ich finde, die Gesellschaft ist wichtiger als die Familie - obwohl ich aus dem Iran stamme, wo sicherlich die Blutsverwandtschaft lange höher gehalten wurde als eine gesellschaftliche Verbundenheit. Das hat sich jetzt seit der revolutionären Bewegung #womanlifefreedom etwas verändert. Die Menschen rücken alle wieder mehr zusammen.
Es ist die grösste Herausforderung des Menschen, nach links und rechts zu gucken und zu verstehen, was dort vor sich geht. Das ist eine Lebensaufgabe. Mit diesem Gedanken sollten wir morgens aufwachen und abends zu Bett gehen. Und ab und zu sollte man sich eine Auszeit nehmen, sonst wird man irre. Das Aufeinander-Zugehen kostet Kraft.
Die Problematik des Begriffs Familie
Familie als Wort kann durchaus schwierig verstanden werden. Dass zum Beispiel eine Regenbogenfamilie keine Familie sein soll, halte ich für grossen Blödsinn. Ich selber habe mich gegen das Kinderkriegen entschieden. Ich kann verstehen, wenn Leute das möchten. Aber es gibt genügend Menschen, um die man sich kümmern kann. Mit denen man sich zu einer Familie zusammentun kann. Ob jung oder alt.
Für mich gibt es keinen Zwang, dass man aneinandergekettet und ein unglückliches Leben führen muss, nur weil man verwandt ist. Man sollte stattdessen losgehen und sich selber Menschen suchen. Und die dann zu seiner grossen Familie machen.
Inhalt des Stücks
An einer abgelegenen Bank trifft eine Mutter ihre erwachsene Tochter; ein Mann und seine Exfrau stossen dazu und liefern sich Wortgefechte; eine Witwe und ihre Söhne forschen nach einen guten Ort für ein Grab. Alle suchen sie das Gespräch, mal humorvoll, mal distanziert, mal emotional. Unter dem Deckmantel der scheinbaren Banalität des Lebens wird die Intensität der menschlichen Sehnsüchte spürbar: Begehren, Hoffnung, Hass und Verzweiflung, Einsamkeit und Zugehörigkeit.
Ist es eine Gnade oder eine Gefahr, geliebt zu werden? Ist eine Trennung Rettung oder Schmerz? Überraschenderweise sind die Beziehungen, die sich durch die grösste Nähe auszeichnen, jene, mit denen wir oft nicht gerechnet haben. Wer ist unsere Familie?
Der preisgekrönte norwegische Dramatiker Arne Lygre ist bekannt für seine sensible wie genaue Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen.
Es geht um Liebe, Hoffnung, Begegnung, Trost und Einsamkeit: In zwei Bildern fächert sich ein ganzes Spektrum (zwischen-)menschlicher Regungen und Beziehungen auf. Von Trauer und Verlust, von Entfremdung und Zugehörigkeit, Liebe, Sehnsucht und Trennung. In scheinbar banalen, alltäglichen Situationen treffen hier Typen von Menschen wie eine Mutter, ein Nachbar oder ein Vaterloser aufeinander und verhandeln das Mensch- und Mitmensch-Sein.
In Arne Lygres Stück wird die Intensität der menschlichen Sehnsüchte spürbar.
Über Mina Salehpour
Mina Salehpour, geboren 1985 in Teheran, arbeitet seit 2011 als freischaffende Theaterregisseurin unter anderem am Burgtheater Wien, an der Schaubühne Berlin, dem Düsseldorfer Schauspielhaus und Det Norske Teatret in Oslo. Ihre Arbeiten wurden zu internationalen Theaterfestivals nach Bulgarien, Pune, Chennai und São Paulo eingeladen.
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