Viele Menschen mit Depressionen finden Linderung durch stimmungsaufhellende Medikamente und Psychotherapien. Jedoch sprechen nicht alle Patienten auf diese Behandlungen an. Bei bis zu 30 Prozent der Betroffenen zeigen gängige Antidepressiva nicht die gewünschte Wirkung. In solchen Fällen könnten alternative Ansätze wie Nasensprays mit Esketamin oder natürliche Heilmittel in Betracht gezogen werden.
Johanniskraut: Ein traditionelles Heilmittel
Viele von uns haben das Johanniskraut (Hypericum perforatum L.) bestimmt schon angetroffen, ohne das Bewusstsein, gerade einen kleinen Schatz gesehen zu haben. Denn die Pflanze aus der Gattung Hypericum und der Familie der Hypericaceae gehört zu den ältesten Heilkräutern Europas.
Merkmale und Verbreitung
Sie fühlt sich im gemässigten Klima bis 1500 Meter über Meer sehr wohl. Mit ihren auffällig gelben Blüten ist die mehrjährige Pflanze kaum zu übersehen. Sie prangen in der Regel von Juni bis September über den Wiesen. Die traditionelle Ernte und Blüte am Johannistag, dem 24. Juni, gab der Pflanze den Volksnamen. Man erkennt das Kraut an den ungestielten, gegenständigen Blättern, die eine lanzettlich-längliche Form haben. Im Frühling treiben aus dem Wurzelstock rötliche, kahle Stängel. Diese werden bis zu 80 cm lang und verzweigen sich schliesslich oben. Weitere Merkmale des Johanniskrauts sind fünf gelbe Blütenblätter, fünf Kelchblätter, und zahlreiche Staubblätter.
Wie in Abbildung 2 ersichtlich, zeigen die Blüten des Echten Johanniskrauts eine markante rote Färbung, wenn man sie zwischen den Fingern zerreibt. Ausserdem sind die Blütenstängel, Blütenblätter, Kelchblätter, Fruchtkapseln und Blätter schwarz gepunktet (siehe Abbildung 1). «Perforatum» bedeutet übersetzt «durchlöchert». Die Pflanze verdankt ihren Namen den Öldrüsen auf den Blättern, die als kleine Punkte über das Blatt verteilt sind (siehe Abbildung 3). Diese Punkte enthalten fette Öle, Harze und ätherische Öle mit roten Farbpigmenten.
Das Johanniskraut ist weitverbreitet in Europa, Asien, Nord- und Südafrika, Australien, Nordost- und Nordwestamerika. Während das Johanniskraut in Europa und Asien einheimisch ist, stellen Johanniskrautpopulationen im Nordwesten Amerikas und in Australien ein grosses Problem dar. Die grossen Populationen des Johanniskrauts reduzieren nicht nur den Ertrag von Weideflächen, sondern bergen auch andere Gefahren.
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Geschichte und Anwendung
Die Anwendungsgeschichte der Pflanze reicht weit zurück. Sie wurde bereits zu Zeiten von Dioskurides und Plinius, also im ersten Jahrhundert nach Christus, verwendet und auch Paracelsus, ein berühmter Wissenschaftler um das Jahr 1500, erwähnte später seine positiven Erfahrungen mit der Pflanze. 1964 beschrieb auch der bekannte Schweizer Naturheilkunde-Pionier A. Vogel die heilsame Wirkung des Johanniskrauts. In seiner Zeitschrift «Gesundheits-Nachrichten» dokumentierte er die erfolgreiche Anwendung von Johanniskraut bei Wundbehandlungen, Verbrennungen, Quetschungen, Entzündungen, Magen- und Darmgeschwüren und vielem mehr. Er empfiehlt die Verwendung von Johanniskraut in Form von Öl (siehe Abbildung 6), aber auch in Form von Frischpflanzenzubereitungen, wie z.B. Saft aus den Knospen und Blüten des Krautes.
Im Mittelalter wurde Johanniskraut für solche Zwecke weit verbreitet genutzt. Man glaubte, es könne dem Geist bei verschiedenen „Beschwerden“ helfen. Kräuterkundige des 19. und 20. Jahrhunderts empfahlen die Pflanze daher bei Depressionen, Manie, Angstzuständen und Müdigkeit, obwohl diese Anwendungen nicht wissenschaftlich bewiesen waren. Besonders in Deutschland wurde Johanniskraut in großem Umfang zur Behandlung von Nervenleiden eingesetzt.
Mit dem Aufkommen synthetischer Psychopharmaka geriet der Einsatz von Heilpflanzen bei Erkrankungen des Nervensystems und der Psyche jedoch lange Zeit in Vergessenheit. Mit dem Bekanntwerden vieler Nebenwirkungen synthetischer Psychopharmaka wie Gewöhnung, Abhängigkeit, Sucht etc. hat sich der Fokus der Medizin wieder mehr in Richtung naturheilkundlicher Therapieansätze verschoben.
Aufgrund der weit verbreiteten Anwendung der Pflanze in Deutschland und der Vielzahl an veröffentlichten Berichten hielt es die Regierung für erforderlich, dieser Pflanze genauer auf den Grund zu gehen. Deshalb versammelte sie 1978 eine Gruppe von Experten und Expertinnen (bekannt als Kommission E), um Johanniskraut zu untersuchen und über die verschiedenen verfügbaren Präparate zu berichten. Sie kamen damals zu dem Schluss, dass Hypericum tatsächlich bei leichten und mittelschweren Depressionen wirksam ist und dass der Wirkstoff höchstwahrscheinlich Hypericin ist (siehe Abbildung 8). Nach dieser positiven Bestätigung gewann die Verwendung von Johanniskraut an Beliebtheit. Eine Metastudie im Jahr 2017 bestätigte schliesslich die klinische Wirksamkeit von Johanniskraut bei der Linderung leichter bis mittelschwerer depressiver Symptome, was einen enormen Erfolg für die Phytotherapie darstellt.
Es wurde bestätigt, dass Johanniskrautpräparate synthetischen Wirkstoffen tatsächlich nicht unterlegen sind. In weiteren Studien wurden die Inhaltsstoffe und Wirkmechanismen des Johanniskrauts untersucht. Ursprünglich ging man davon aus, dass der Inhaltsstoff Hypericin für die antidepressive Wirkung des Johanniskrauts verantwortlich ist. Inzwischen ist man sich jedoch einig, dass Hyperforin der entscheidende Inhaltsstoff ist (siehe Abbildung 9). Es hat sich jedoch gezeigt, dass gerade dieser Inhaltsstoff zu Arzneimittelwechselwirkungen führen kann. Insbesondere bei Johanniskrautpräparaten mit hohem Hyperforingehalt wurden Wechselwirkungen mit Medikamenten festgestellt, die von Menschen mit Organtransplantationen eingenommen werden.
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Anwendung und Wirkung von Johanniskraut
Johanniskraut (Hypericum perforatum) findet als Heilpflanze vor allem Anwendung in der Therapie leichter bis mittelschwerer Depressionen. Das Arzneimittel kann in Form einer Kapsel, Tablette oder Tee eingenommen werden. Äußerlich kann das aus den Blättern gewonnene Johanniskrautöl auch auf die Haut aufgetragen werden.
Typische Anwendungsgebiete sind leichte bis mittelschwere Verstimmungen, allerdings kann das echte Johanniskraut auch bei Spannungszuständen und in der Frauenheilkunde eingesetzt werden.
- Depression: Für Präparate mit einer Wirkstoffstärke von 900 bis 1800 mg konnte in einigen Studien eine Wirksamkeit in der Behandlung von Depressionen nachgewiesen werden. Als pflanzliches Antidepressivum stärkt es die Psyche und kann die Stimmung aufhellen.
 - Angst, innere Unruhe und Nervosität: Bei Angstzuständen im Rahmen einer Depression eignet sich die Arzneipflanze für einen ersten Therapieversuch. Präparate zur Behandlung von innerer Unruhe und Nervosität werden häufig mit Baldrian, Passionsblume oder Melisse kombiniert.
 - Frauenheilkunde: Als Tee oder Tinktur wird Hypericum perforatum zur Therapie von Menstruationsbeschwerden und als Stimmungsaufheller während der Pubertät eingesetzt.
 
Nebenwirkungen und Wechselwirkungen
Insbesondere bei Menschen mit heller Haut kann unter Einnahme hoher Dosen von Johanniskraut-Extrakt eine Photosensibilisierung mit sonnenbrand-ähnlichen Hautreaktionen auftreten. Daher sollte direkter Kontakt mit der Sonne gemieden werden. Neben Magen-Darm-Beschwerden sind Müdigkeit, Unruhe und gelegentlich allergische Reaktionen möglich.
Bei gleichzeitiger Einnahme mit Antidepressiva kann durch eine zu starke Anflutung der Neurotransmitter ein lebensgefährliches Serotoninsyndrom ausgelöst werden, bei dem es zu einer Überaktivierung der Körperfunktionen kommt. Das Kraut beeinflusst zudem einige Enzyme, die zur Verstoffwechselung anderer Arzneimittel erforderlich sind, und kann somit eine Verstärkung oder Abschwächung der Wirkung dieser Medikamente zur Folge haben.
Johanniskraut-Produkte können zudem den Effekt verschiedener blutverdünnender Arzneimittel reduzieren, was zu einem erhöhten Risiko für Thrombosen und Embolien führt, und die Verhütungswirkung estradiolhaltiger „Pillen“ abschwächen oder gänzlich aufheben kann, mit der Folge einer ungeplanten Empfängnis.
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Weitere natürliche Alternativen
Neben Johanniskraut gibt es weitere Pflanzen, die bei Stimmungsschwankungen und Verstimmungen helfen können. Dazu gehören Melisse, Passionsblume, Hopfen und Baldrian, welche eine beruhigende und entspannende Wirkung aufweisen. Sie werden bei Beschwerden wie Nervosität, Spannungs- und Unruhezustände sowie auch Prüfungsangst empfohlen.
Safran
Der edle und teure Gewürz Safran wird aus den roten Narbenschenkeln der Crocus sativus-Blüte gewonnen. Safranextrakt reguliert im Körper die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. Der gut verträgliche Safranextrakt besitzt eine vergleichbare Wirkung wie Antidepressiva, welche in der klassischen Therapie eingesetzt werden. Damit ist der pflanzliche Stimmungsaufheller eine ausgezeichnete Alternative.
Melisse
Der Melissenextrakt wirkt beruhigend und hat einen Einfluss auf die geistige Leistungsfähigkeit und die Stresstoleranz. Melisse steigert die geistige Leistungsfähigkeit (Aufmerksamkeit, Gedächtnis), wirkt aber auch beruhigend und verbessert die Schlafqualität, was eine Studie mit dem Melissen-Extrakt Bluenesse® wissenschaftlich bestätigte.
Der Placebo-Effekt
Placebos wirken, weil dem Patienten vorgemacht wird, er bekäme ein echtes Medikament. Dass sie auch ohne solche Täuschungsmanöver funktionieren, ermöglicht Ärzten endlich, sie in der Praxis einzusetzen.
Stefan Schmidt von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg hat für eine Metaanalyse rund 60 Studien über Open-Label-Placebos unter die Lupe genommen. Sein Fazit: Beim klassischen Placeboeffekt glauben die Menschen an eine mögliche Wirkung des Präparats und erwarten deshalb, dass ihnen geholfen wird - beim offenen an die Macht des Effekts an sich. «Bei der Open-Label-Variante wirkt der Placeboeffekt des Placeboeffekts», sagt er.
Ulrike Bingel beobachtet im Magnetresonanztomografen, was ein Placebo im Gehirn bewirkt. Die Neurologin leitet das Zentrum für Schmerzmedizin am Universitätsklinikum Essen. Vor allem zwei Dinge seien auf den MRT-Bildern zu erkennen, sagt sie. Erstens, dass die Erwartungshaltung «Mir wird geholfen» mehrheitlich in einer einzigen Region weit vorne im Gehirn erzeugt wird. «Und zweitens, dass dieses Areal dann andere Hirnareale anstösst, die wiederum direkt mit der Schmerzmodulation verbunden sind.» Bei diesem Vorgang bildet der Körper Opioide, die in der Lage sind, Schmerzsignale bis runter auf die Ebene des Rückenmarks zu dämpfen.
Die Wirkung der Scheinmedikamente kann durch einen weiteren Mechanismus noch verstärkt werden: die Erfahrung. Darauf weist Karin Meissner hin, die wissenschaftliche Leiterin des Zentrums «Analytics4Health» an der Hochschule Coburg. Wenn jemand immer wieder erlebe, dass eine Behandlung helfe, erklärt sie, lerne sein Körper, auf sie zu reagieren, bevor sie überhaupt beginne. Weil der oder die Betroffene erwarte, dass die Wirkung eintrete.
Esketamin: Ein neuer Ansatz bei therapieresistenten Depressionen
„Wenn eine Patientin oder ein Patient auf zwei verschiedene antidepressive Therapien über mehrere Wochen keine Verbesserung zeigt, sprechen wir von einer therapieresistenten Depression (TRD)”, erklärt Prof. Andreas Reif, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Frankfurt.
Immerhin hat die Psychiatrie inzwischen eine Reihe von Medikamenten in der Hinterhand, die dann einen Versuch wert sind. Sie wirken nicht alle eigenständig antidepressiv, können aber die Wirkung von Antidepressiva verstärken.
Eines davon ist ein Nasenspray mit dem Wirkstoff Esketamin, der schon länger in der Anästhesie und zur Schmerzlinderung eingesetzt wird. Das Medikament begünstigt offenbar aber auch die Neubildung von Nervenverbindungen im Gehirn, die sogenannte Neuroplastizität. Der Mangel an solchen synaptischen Verschaltungen gilt als zentrales hirnorganisches Merkmal einer Depression.
Kombitherapie gegen schwere Depressionen
Reif und ein Team aus Kolleginnen und Kollegen aus 24 Ländern haben untersucht, wie gut Esketamin bei Menschen mit therapieresistenten Depressionen wirkt. Die Ergebnisse verglichen sie mit Patientinnen und Patienten, die den Wirkstoff Quetiapin erhalten. Für die Studie ESCAPE-TRD rekrutierten sie insgesamt rund 700 Betroffene.
In beiden Gruppen erhielten die Teilnehmenden den jeweiligen Wirkstoff in Kombination mit einem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Diese Medikamente zählen zu den wirksamsten und meistverordneten Antidepressiva, reichten aber im Falle der hier behandelten Betroffenen nicht aus.
Ergebnisse der Studie
Im Rahmen der Kombitherapie aus Esketamin und SSRI verbesserten sich die depressiven Symptome bei 27,1 Prozent der Behandelten so weit, dass sie nicht mehr als depressiv eingestuft wurden. Für Patienten mit schwer behandelbaren Depressionen ist diese Quote ein sehr gutes Ergebnis. Die positive Wirkung hielt über den Beobachtungszeitraum von 32 Wochen an.
In der Gruppe der Patientinnen und Patienten, die eine Kombinationstherapie aus Quetiapin und SSRI erhielten, galten nur 17,6 Prozent hinterher als nicht mehr depressiv.
“Esketamin als Nasenspray wurde in der EU bereits 2019 und in der Schweiz 2020 zur Behandlung von Erwachsenen mit therapieresistenter Depression zugelassen. Die aktuelle Studie bestätigt die Wirksamkeit des Medikaments für diese Anwendung.”
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