Können Medikamente Depressionen auslösen?

Die Zahl der Depressionen nimmt weltweit dramatisch zu - und damit der Einsatz von Antidepressiva. Doch Zweifel an diesen mehren sich: Soll man wirklich das Gehirn behandeln, wenn die Psyche krank ist?

Weltweit leiden mehr als 121 Millionen Menschen unter Depressionen, und es werden täglich mehr. Im Hochlohnland Schweiz rechnen Fachleute damit, dass gar jeder Fünfte einmal im Leben depressiv wird.

Seit Jahren wird die sogenannte biologische Psychiatrie als vermeintliche Erfolgsgeschichte gefeiert. Psychische Störungen, so die einhellige Sichtweise von Wissenschaft und Pharmaindustrie, seien nichts anderes als Erkrankungen des Gehirns. Dementsprechend sei das Gehirn zu behandeln, wenn in der Psyche etwas schiefläuft.

Die Reduktion psychischer Störungen auf eine gestörte Chemie des Gehirns hat zu einer massenhaften und oft unkritischen Verschreibung von Medikamenten geführt. Gerade die Antidepressiva standen lange Zeit im Ruf, zuverlässige, sichere und nebenwirkungsarme Medikamente zu sein.

Doch immer mehr Fachleute kritisieren die biologische Psychiatrie genauso wie den flächendeckenden Einsatz von Psychopharmaka. Einige sprechen gar von einem «Fundamentalirrtum» und behaupten, die bevorzugte Behandlung depressiver Störungen mit Medikamenten habe zu einer Chronifizierung der Krankheit geführt, im schlimmsten Fall gar zur Invalidisierung von Patienten.

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Die Rolle von Antidepressiva

Bei der Behandlung einer Depression können verschiedene Medikamente zum Einsatz kommen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Medikamente einzuteilen.

  • Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI): Blockieren gezielt das Transportmolekül, das den Überträgerstoff Serotonin wieder in seine Speicher zurückbefördert. SSRI sind gut verträglich und finden daher breite Anwendung. Zu den unerwünschten Wirkungen gehören u.a. Schlaflosigkeit und Appetitmangel, aber auch erhöhte Aggressivität.
  • Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI): Hemmen gezielt den Rücktransport von Noradrenalin und Serotonin. Sie wirken sowohl stimmungsaufhellend als auch antriebssteigernd.
  • Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (NARI): Hemmen gezielt den Rücktransport des Botenstoffes Noradrenalin in seine Speicher. Angewendet werden sie bei leichten und mittelgradigen Depressionen, vor allem wenn die Antriebslosigkeit im Vordergrund steht.
  • Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahme-Hemmer (NDRI): Hemmen den Rücktransport von Noradrenalin und Dopamin in die Neuronen.
  • Trizyklika und Tetrazyklika: Haben eine sehr breite Wirkungsweise, allerdings auch viele unerwünschte Wirkungen. Am Anfang der Therapie werden die Erkrankten oft sehr müde und sind in ihrer geistigen und körperlichen Aktivität sehr eingeschränkt. Ihre Anwendung ist in den letzten Jahren aufgrund der vielfachen Nebenwirkungen stark zurückgegangen.
  • Monoaminoxidase-Inhibitoren (MAO-Hemmer): Hemmen das Enzym Monoaminoxidase, das die Botenstoffe Serotonin, Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin abbaut. Sie greifen in den Stoffwechsel der Botenstoffe im Gehirn ein und wirken u.a. stimmungsaufhellend und antriebssteigernd.
  • Melatonin-Agonisten und selektive Serotonin-Hemmer: Wirken über eine Stimulierung von Melatonin-Rezeptoren und die gleichzeitige Blockade von bestimmten Serotonin-Rezeptoren.

Auf dem Markt gibt es viele verschiedene Antidepressiva. Die Suche nach dem richtigen Medikament kann dauern.

Nebenwirkungen und Risiken

Es ist zwar unbestritten, dass Antidepressiva wirksam sein können. Unklar ist allerdings, ob sie überhaupt merklich besser wirken als Scheinmedikamente, sogenannte Placebos.

Einige Medikamente können auch Depressionen auslösen. Dazu befragten die Forscher rund 26'000 Über-18-Jährige über längere Zeiträume zu ihrem Medikamentengebrauch und stellte fest, dass 37,2 Prozent zu Mitteln griffen, die laut Beipackzettel auch Depressionen hervorrufen können. Tatsächlich klagten 7,6 Prozent der Befragten über depressive oder gar suizidale Gedanken.

Ulrich Hegerl, Direktor der Universitätspsychiatrie in Leipzig, sieht für Patienten darin jedoch keinen Anlass zur Sorge. Zwar gebe es durchaus ein paar Medikamente, die nachweislich Depressionen auslösen können - etwa Kortison oder bestimmte Antibiotika.

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Viele Betagte nehmen eine Reihe von somatischen Medikamenten. Dadurch kommt es vermehrt zu Interaktionen zwischen den Wirkstoffen und zu mehr Nebenwirkungen. Diese können auch Depressionen auslösen. Insbesondere bei Frauen beobachten wir einen vermehrten Konsum von Benzodiazepinen und Sedativa, um Schlafstörungen zu bekämpfen. Solche Medikamente können rasch zu einer krankhaften Abhängigkeit führen. Gleiches gilt auch für den Konsum von Schmerzmitteln.

Alternative Therapieansätze

Neben medikamentösen Behandlungen gibt es auch alternative Therapieansätze:

  • Psychotherapie: In einer Psychotherapie wird gemeinsam mit einer Fachperson in Gesprächen und Übungen an der Veränderung der Lebensgestaltung gearbeitet, um die Symptome und die Beeinträchtigung zu bewältigen.
  • Ergotherapie: Fokussiert auf die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit im Alltag (Produktivität in der Schule, Arbeit, Selbstversorgung, Unterstützung in der Freizeit).
  • Aktivierungstherapie: Zielt auf eine aktivierende Alltagsgestaltung, mit Stärkung vorhandener Interessen und Möglichkeiten (kochen, musizieren u.a.).
  • Musiktherapie: Nutzt als therapeutisch-ressourcenorientiertes Verfahren spezifisch Musik, um die psychische und / oder körperliche Gesundheit wieder gezielt herzustellen.
  • Kunsttherapie: Wählt spezifisch geeignete künstlerische Elemente (u.a. auch Bewegung, Tanz) zur Stärkung von Ressourcen, persönlichen Entwicklung, Kreativität, Sinneswahrnehmung und Wiederherstellung der Gesundheit.
  • Sport- und Bewegungstherapie: Ist eine ärztlich indizierte und verordnete Bewegung, die gemeinsam mit einem Therapeuten/in geplant und durchgeführt wird.
  • Probiotika: Forschende der Universität Basel und der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel zeigen nun, dass Probiotika die Wirkung von Antidepressiva unterstützen und Depressionen mildern können.

Zudem ist es wichtig, sich Unterstützung zu holen, wenn Anzeichen einer Depression auftreten. Das können zunächst Vertrauenspersonen sein oder professionelle Hilfe.

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