Können zwei depressive Menschen eine Beziehung führen?

Die Depression stellt eine enorme Herausforderung für jede (Liebes-)Beziehung dar. Dabei spielt es keine Rolle, ob nur eine oder beide Personen betroffen sind. Beide Konstellationen sind schwierig.

Herausforderungen und Lösungsansätze

"Mein Partner verschliesst sich mir gegenüber. Ich kann keine Gespräche mit ihm führen."

Wenn sich der Partner abkapselt, ist es ein natürlicher Impuls, ihm helfen zu wollen, sein Tief schnellstmöglich zu überwinden. Davon sollte man jedoch absehen, ebenso von Ratschlägen, da gut gemeinte Worte oft das Gegenteil bewirken und als Besserwisserei wahrgenommen werden können.

Das bedeutet aber nicht, dass ein Redeverbot sinnvoll ist. Es erfordert jedoch viel Fingerspitzengefühl. Wenn man Angst hat, das Falsche zu sagen, sollte man dies dem Partner mitteilen. Dies kann der erste Schritt sein, um die eigene Gefühlswelt zu öffnen.

"Er schläft den ganzen Tag, geht nicht mehr zur Arbeit und gemeinsame Termine hält er nicht mehr ein."

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Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass man der Partner ist, nicht Elternteil, Therapeut oder Jobcoach. Bleiben Sie sachlich, denn der Betroffene ist sich der Konsequenzen seines Verhaltens bewusst.

Bei gemeinsamen Abmachungen und Terminen ist die Situation etwas anders, da eine Beziehung nur funktioniert, wenn sich beide Seiten an getroffene Entscheidungen halten. Kommunizieren Sie klar, dass Sie sich beispielsweise auf einen Kinoabend gefreut haben, aber akzeptieren, dass Sie zu Hause bleiben, wenn Ihrem Partner die Menschenmenge im Kino zu viel ist.

In dieser Situation können Sie Alternativen anbieten, wie z.B. einen gemeinsamen Netflix-Abend. Oder Sie akzeptieren seine Entscheidung und gehen trotzdem ins Kino, alleine oder mit Freunden. Machen Sie sich bewusst: Er ist depressiv, nicht Sie.

"Ich weiss, dass meinem Partner ein Klinik-Aufenthalt gut tun würde - aber ich habe Panik davor, dass unsere Beziehung das nicht aushält."

Bedenken Sie, dass ein Klinikaufenthalt die Überlebenschancen der Beziehung deutlich erhöhen kann, im Vergleich dazu, wenn der Partner in seinen quälenden Gedanken versinkt und das gemeinsame Sozialleben sich auf die Wohnung beschränkt.

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"Er ist nun in der Klinik. Er meldet sich kaum. Auch redet er nicht darüber, was er den ganzen Tag macht."

Die Zeit in einer Klinik ist sehr anstrengend, oft verbringt man den ganzen Tag in verschiedenen Therapien, in denen die eigene Persönlichkeit, Vergangenheit, Familiengeschichte und Traumata durchleuchtet werden.

"Normalerweise stopft sich mein Freunde voll, wenn er im Stress ist. Doch momentan isst er kaum noch etwas. Geht es ihm also besser?"

Nein, nicht zwingend. Der Körper kommuniziert ständig. Das Zuviel-Essen ist oft ein Versuch, die innere Leere zu füllen oder durch die späteren Magenschmerzen den Körper wieder fühlen zu können. Grosser Stress kann aber auch lähmen. Und die Depression ist purer Stress.

"Unsere Beziehung zerbricht an seiner Depression!"

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Dieser Gedanke ist schmerzhaft, muss aber ausgesprochen werden. Wenn darüber geschwiegen wird, wird er immer bedrohlicher.

"Eigentlich wollte ich mit ihm Schluss machen. Doch nun, da er Depressionen hat, habe ich Angst, dass er sich etwas antun könnte."

Depressive Menschen sind oft depressiv, weil etwas Wichtiges in ihrem Leben nicht "gelebt" wird. Dies kann eine jahrelang anhaltende Wut sein, die unterdrückt wird, oder ein Lebensstil, den man sich nicht zu leben traut.

Oftmals ist der Weg aus der Depression der Weg der Echtheit: Alles, was der eigenen Persönlichkeit nicht entspricht, wird abgestreift. So sind Jobwechsel oder Umzüge oftmals sehr heilend.

Niemand kann garantieren, dass sich der Partner nichts antun wird, nachdem man mit ihm Schluss gemacht hat. Gleichwohl kann es sein, dass das Beziehungsende für beide heilsam ist. Reden Sie miteinander und weinen Sie auch miteinander. Nichts rückt zwei Menschen näher zusammen, als sich gegenseitig die wahren Gefühle zu zeigen!

Als Partner einer Person mit Depressionen macht man weder alles falsch, noch alles richtig. Es gibt keinen Verhaltenscodex. Und wenn doch, dann ändert sich dieser von Minute zu Minute. Das ist die Depression. Und Ihr Partner kann sich glücklich schätzen, Sie zu haben.

Die Rolle der Paartherapie

Guy Bodenmann erforscht seit Jahrzehnten Paarbeziehungen und sucht nach wirkungsvollen Therapien. Längst weiss man, dass die Depression eines Partners und die Qualität einer Partnerschaft stark zusammenhängen: Bei rund zwei Dritteln der Paare, von denen ein Partner depressiv ist, ist die Paarbeziehung problematisch.

Die Verflochtenheit von Paarbeziehung und Depression ist im Grunde wenig erstaunlich, denn die Depression eines Lebenspartners belastet eine Beziehung sehr stark: Da hat der oder die Liebste plötzlich keine Lust mehr auf Sex, will nicht mehr teilnehmen am gewohnten sozialen Leben, wird apathisch und schwierig.

«Es wäre deshalb wichtig, nicht nur den kranken Partner zu behandeln, sondern auch den gesunden Partner in die Therapie einzubinden», meint Bodenmann. Die individuelle Psychotherapie tut dies jedoch kaum. Dabei ist längst bekannt, wie sehr vor allem das Rückfallrisiko eines psychisch Kranken von der Haltung seines familiären Umfeldes abhängt.

Eine Studie von Guy Bodenmann verglich die Wirksamkeit von drei Therapien für in Partnerschaft lebende depressive Patienten: kognitive Verhaltenstherapie, interpersonelle Psychotherapie und Paartherapie. Alle Therapien dauerten 20 Stunden.

Das Resultat des aufwendigen Vergleichs ist folgendes: Die Krankheitssymptome des depressiven Partners vermochten alle drei Therapien in gleichem Ausmass zu bessern, und dies, obwohl die Paartherapie nur die Partnerschaft «therapierte» und nicht die Depression im engeren Sinne. Bei der Rückfallquote zeigte sich jedoch ein bemerkenswerter Vorsprung der Paartherapie.

Paartherapie, so das Fazit der Studie, ist zwar aufwendiger als eine individuelle Therapie, vermag aber Depressionen deutlich nachhaltiger zu behandeln.

Rückfallquote der verschiedenen Therapien

Therapie Rückfallquote
Paartherapie ca. 30%
Kognitive Verhaltenstherapie 43%
Interpersonelle Therapie 63%

Unterstützung und Hilfe

Leidet Ihre Frau, Ihr Lebenspartner, Ihr Kind oder jemand aus Ihrem Freundeskreis unter einer psychischen Erkrankung? Die gute Nachricht: Sie können dieser Person helfen. Menschen mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen unterstützen Sie mit verschiedenen Hilfestellungen.

Sprechen Sie die betroffene Person in einer ruhigen, ungestörten Situation an und nehmen Sie sich genügend Zeit. Wichtig ist, dass sich während des ganzen Gesprächs alle wohl fühlen. Vermeiden Sie eigene Lösungsvorschläge. Weder gute Ratschläge noch Vergleiche mit Ihrer eigenen Situation sind angebracht. Oft hilft es Betroffenen zu wissen, dass man für sie da ist und ein offenes Ohr hat.

Am besten fragen Sie den geliebten Menschen direkt, wie man ihr oder ihm Hilfe und Unterstützung bieten kann. Bereits ein erstes Gespräch mit einem vertrauten Menschen kann Betroffene anspornen, weiterführende Hilfe bei einer Fachstelle in Anspruch zu nehmen.

Wird Ihr Hilfsangebot abgewiesen? Manche Menschen haben Mühe, über ihre Gefühle und ihre psychische Befindlichkeit zu sprechen. Akzeptieren Sie diese Situation und signalisieren Sie Ihre Hilfsbereitschaft. Man kann niemanden zwingen, Hilfe anzunehmen.

Erwähnen Sie die Möglichkeit, sich an eine Fachstelle zu wenden und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Helfen Sie der bzw. Stehen Sie dem erkrankten Menschen auf jeden Fall bei und organisieren Sie Unterstützung. Informieren Sie die betroffene Person immer über Ihre Schritte und Ihre eigenen Gefühle. Versuchen Sie, die Erkrankte oder den Erkrankten in die Entscheidungen mit einzubeziehen.

Wenn Sie selbst unter der Situation leiden, tauschen Sie sich mit anderen Nahestehenden und Angehörigen aus. Reden Sie über Ihre eigenen Gefühle und Befindlichkeiten. Damit signalisieren Sie Ihre Offenheit gegenüber den Gefühlen Ihrer Partnerin, Ihres Mannes, Ihres Kindes oder Ihrer Eltern.

Pflegen Sie innerhalb der Partnerschaft, der Familie und der Freundschaft gemeinsame Hobbys und Freizeitaktivitäten. Bleiben Sie gemeinsam sozial aktiv und pflegen Sie den Umgang mit Ihrem Freundeskreis. Auch Neues zu lernen und kreativ zu sein, hält geistig fit.

Haben Sie Mut und gehen Sie offen auf Betroffene zu. Sprechen Sie Ihre Sorgen aus und signalisieren Sie Vertrauen und Hilfsbereitschaft.

Wichtiger Hinweis: Diese Checklisten und Tipps ersetzen keine ärztliche oder psychotherapeutische Diagnosestellung.

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