Psychosomatische orthopädische Rehakliniken und die Deutsche Rentenversicherung im Fokus der Kritik

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Braunschweig-Hannover veröffentlichte eine Pressemitteilung, in der sie den Nutzen psychosomatischer Rehabilitation bei Long Covid "belegt" sieht. Diese Mitteilung stiess jedoch auf heftige Kritik, da Patientenerfahrungen und Expertenmeinungen oft nicht mit den positiven Darstellungen der DRV übereinstimmen.

Die umstrittene Studie und fehlende Transparenz

Grundlage der Pressemitteilung ist eine Studie mit Rehabilitanden des Rehazentrums Oberharz in Clausthal-Zellerfeld, dessen Träger die DRV Braunschweig-Hannover selbst ist. Die Untersuchung, eine Masterarbeit, wurde jedoch nicht veröffentlicht. Die DRV interpretiert zwar deren Ergebnisse, gewährte aber keinen Einblick in die Methodik, was Fragen zur wissenschaftlichen Transparenz aufwirft.

Auf die Bitte, die Studie zu übersenden, sagte eine Sprecherin, man müsse sich erst um eine "Freigabe" bemühen. Bis zum Erscheinen dieses Artikels gelang dies nicht. "Unserem Haus wurde die Veröffentlichung einer Zusammenfassung gestattet. Dieses Einverständnis bezieht sich ausschliesslich auf die in der Pressemitteilung dargestellten Inhalte", so die Sprecherin. Weitergehende Fragen zur Methodik beantwortete sie unter Verweis auf den "Urheberschutz" nicht.

Den veröffentlichten Angaben lässt sich entnehmen, dass für die Studie 187 Long Covid-Patienten mit "Fatigue" beziehungsweise "Erschöpfungssymptomen" befragt wurden. Ihr Gesundheitszustand habe sich in der Reha "deutlich verbessert". Das spreche für die Passgenauigkeit des Reha-Konzeptes, heisst es in der Pressemitteilung.

Es gab keine Kontrollgruppe im eigentlichen Sinne: Long-Covid-Rehabilitanden wurden verglichen mit Menschen, die an ganz anderen Erkrankungen, onkologischen und psychosomatischen, leiden. Wie genau die Verbesserung gemessen wurde, geht aus den Angaben nicht hervor - ebenso wenig, welche Patienten überhaupt befragt wurden: Für Long Covid sind mehr als 200 Symptome beschrieben, es ist kein einheitliches Krankheitsbild.

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Patientenberichte und Kritik an der Behandlung

Patienten wie Tobias Kaiser berichten von negativen Erfahrungen in psychosomatisch ausgerichteten Kliniken. Ärzte der psychosomatisch ausgerichteten Klinik hätten ihm unterstellt, zu simulieren, und ihn zu weitaus mehr Bewegung anleiten wollen, als er bewältigen konnte. Bis zu acht Anwendungen jeden Tag standen auf dem Programm, Therapiepläne belegen das. Immer wieder ging es um körperliche Aktivierung, von Wassergymnastik bis Gewichtestemmen. Vieles habe er abgesagt - stets in Sorge, dass ihm dies zu seinem Nachteil ausgelegt werden könnte.

Es gebe eine grosse Unzufriedenheit unter den Post-Covid-Patienten, berichtet eine Frau, die vor einem Monat in der Klinik behandelt wurde. Fünf andere Patienten berichten dagegen, dass die Konzepte aus ihrer Sicht eines gerade nicht waren: passgenau.

Drei der Rehabilitanden, die sich so äussern, wiesen anhand von Dokumenten nach, dass sie im Rehazentrum Oberharz waren. In der Klinik seien alle Patienten in entweder onkologische oder psychosomatische Gruppen eingeteilt worden. Post-Covid-Erkrankte mit hauptsächlich organischen Beschwerden seien durchs Raster gefallen. Für sie selbst sei nach "Schema F" ein auf körperliche Aktivierung setzendes Programm aufgelegt worden.

Das Kardinalsymptom von ME/CFS, die Post-Exertionelle Malaise - eine mitunter bleibende Zustandsverschlechterung nach Überlastung, auch als Belastungsintoleranz bezeichnet - haben man in Clausthal als Belastungsangst fehlinterpretiert, meint die Rehabilitandin. Ihr sei ein Aktivierungsprogramm auferlegt worden, das ihr nicht genutzt, sondern geschadet habe. Seit der Reha sei sie "teilweise auf den Rollstuhl angewiesen".

Die Rolle von ME/CFS und Pacing

Besonders kritisch wird die Behandlung von Patienten mit ME/CFS gesehen, einer schweren Ausprägung von Post Covid. Vor allem bei ME/CFS haben Therapien, die Belastungsgrenzen überschreiten, eine lange Tradition. In zahlreichen Erfahrungsberichten sprechen Betroffene von Fehlbehandlungen durch überfordernde Aktivierung. Die helfe bei vielen Krankheitsbildern, gilt bei Post-Exertioneller Malaise jedoch als riskant.

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Bei ME/CFS ist daher "Pacing" die Strategie der Wahl: Ein Konzept, mit seiner Energie so zu haushalten, dass keine Grenzen überschritten und Verschlechterungen riskiert werden. Als das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vor wenigen Wochen seinen Bericht zum Wissen über ME/CFS im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums vorlegte, erkannte es an, dass verbreitete Aktivierungsansätze "schwerwiegende Nebenwirkungen" auslösen könnten.

Dementsprechend reagieren vor allem die Selbsthilfeorganisationen ME/CFS-Betroffener empört auf die Presseerklärung der DRV. Für Long Covid-Erkrankte mit ME/CFS-Diagnose sei eine psychosomatische Reha "mit erheblichem Gefahrenpotential schwerer Nebenwirkungen und Zustandsverschlechterung verbunden".

Forderungen nach differenzierten Reha-Konzepten

Insgesamt sind die Erfahrungen also bestenfalls gemischt. Die pauschal positive Aussage zu psychosomatischen Rehas in der DRV-Erklärung stösst bei Selbsthilfeverbänden auf Kritik. Das sei "aus wissenschaftlicher Sicht nicht evidenzbasiert", sagt die Ärztin Claudia Ellert, Sprecherin des Verbands Long Covid Deutschland.

Sie hält es für möglich, in Reha-Kliniken einzelne Symptomkomplexe von Post-Covid-Betroffenen graduell zu verbessern - Voraussetzung dafür: Das Programm muss flexibel auf die individuelle Belastbarkeit reagieren. Eine noch unveröffentlichte Befragung des Verbandes legt nahe, dass dies keineswegs der Standard ist. Viele bemängelten, dass die Diagnose Belastungsintoleranz im Reha-Konzept nicht berücksichtigt wurde.

In einer Stellungnahme zum Post-Covid-Syndrom fordert die Bundesärztekammer eine "genaue Erfassung der unterschiedlichen Symptome", um "passgenaue […] Rehabilitationskonzepte anzubieten". Eine konsensbasierte S2-Leitlinie zur Reha nach Covid-19-Erkrankungen stuft eine psychosomatische Reha nur dann als "sinnvoll" ein, wenn "die psychische Krankheitsfolgen" wie eine Depression "im Vordergrund stehen" - andernfalls solle "primär in der entsprechenden somatischen Indikation behandelt werden".

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Die Kritik an der DRV und den psychosomatischen Rehakliniken unterstreicht die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung und individualisierten Behandlung von Long-Covid-Patienten, insbesondere bei Vorliegen von ME/CFS. Die pauschale Anwendung psychosomatischer Konzepte kann kontraproduktiv sein und sogar zu einer Verschlechterung des Zustands führen.

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