Tinnitus aurium bezeichnet ein dauerhaftes Geräusch im Ohr, das sich unterschiedlich äußern kann, wie Pfeifen oder Rauschen. In der Regel ist ein Tinnitus ein psychosomatisches Leiden (subjektiver Tinnitus).
Was ist Tinnitus?
Ob als Ohrensausen oder Rauschen, ob als Fiepen oder Piepsen, wer von einem Tinnitus aurium (Ohrenklingeln, kurz Tinnitus) betroffen ist, trägt ein Ohrgeräusch als ständigen Begleiter mit sich herum. Etwa 5-15 Prozent aller Menschen leiden im Laufe ihres Lebens an einem Tinnitus. Ein Tinnitus kann sowohl einseitig als auch beidseitig auftreten. Das Tinnitus-Geräusch selbst kann bei den Betroffenen sehr unterschiedlich auftreten.
Man unterscheidet zwischen objektivem und subjektivem Tinnitus. Von einem objektiven Tinnitus spricht man, wenn eine organische Geräuschquelle im Ohr oder in der Nähe des Ohres als Ursache des Tinnitus ausgemacht werden kann. Dagegen liegt bei einem subjektiven Tinnitus keine erkennbare körperliche Ursache vor. Dieser ist die mit deutlichem Abstand häufigste Form des Tinnitus.
Ursachen von Tinnitus
Ein Tinnitus kann durch verschiedene Ursachen hervorgerufen werden. Häufig gehen einem Tinnitus ein Hörsturz oder ein Knalltrauma voraus. Schwerhörigkeit und Dauerlärm begünstigen das Entstehen eines Tinnitus. Auch bestimmte Krankheiten oder die Einnahme bestimmter Medikamente können einen Tinnitus verursachen.
Das Ohr und seine Anfälligkeit
Das Ohr ist das erste vollständig entwickelte Organ des menschlichen Körpers. Bereits im Mutterleib beginnen wir, Töne und Geräusche wahrzunehmen und auf sie zu reagieren. Besonders sensibel und störanfällig ist das Innenohr mit der Hörschnecke. In ihr werden die von außen eindringenden Schallwellen in elektrische Signale umgewandelt. Diese elektrischen Informationen werden dann von unserem Gehirn weiterverarbeitet.
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Subjektiver Tinnitus und Phantomtöne
Bei einem subjektiven Tinnitus fehlt die äußere Schallquelle. Der Tinnitus tritt dann als ein Phantomton auf. Dies kann unter anderem daran liegen, dass das Gehirn eine bestimmte Frequenz fälschlicherweise gespeichert hat und immer wieder wahrnimmt.
Hörsturz und Lärmtrauma
Nicht selten geht einem Tinnitus unmittelbar ein Hörsturz voraus. Als Hörsturz wird eine vorübergehende Ertaubung des Innenohres bezeichnet. Bei einem Hörsturz kann das Hörvermögen teilweise, das heißt nur auf bestimmte Frequenzen bezogen, oder gänzlich ausfallen. Auch ein Knall- oder Lärmtrauma ist oft mit einem Tinnitus verknüpft. Ein Lärmtrauma entsteht, wenn sehr hoher Schalldruck die Mechanik des Innenohrs schädigt. Dies kann beispielsweise bei Explosionen oder bei Schusswaffengebrauch der Fall sein. Bei einem leichten Lärmtrauma kann eine vorübergehende funktionelle Störung des Hörvermögens die Folge sein. Beständige Lärmbelastung schädigt das Gehör ebenfalls nachhaltig. Bei einer kontinuierlichen Lärmbelastung von 80 bis 90 Dezibel ist Schwerhörigkeit eine häufige Folge. Man spricht in solchen Fällen von einer Lärmschwerhörigkeit.
Tinnitus und Schwerhörigkeit
Generell besteht ein sehr enger Zusammenhang zwischen Tinnitus und Schwerhörigkeit. Dieser lässt sich auch mit Blick auf die Altersschwerhörigkeit feststellen. Menschen, die an einem Tinnitus leiden, sind sehr häufig auch von Schwerhörigkeit oder von einer anderen Form von Hörverlust betroffen.
Weitere Ursachen
Nicht nur Lärm, auch andere Ursachen können hinter einem Tinnitus stecken. Immer wieder tritt ein Tinnitus als Folge von Kopfverletzungen auf. Auch Krankheiten können der Grund für einen Tinnitus sein. Die Palette an Erkrankungen, die von einem Tinnitus begleitet werden können ist breit gefächert.
Auch die Einnahme von bestimmten Medikamenten kann mit einer Störung der Funktion des Innenohres einhergehen.
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Stress und Tinnitus
Wer unter Stress steht, der ist angespannt, um Höchstleistungen erbringen zu können. Diese Anspannung wird auf den ganzen Körper und seine Organe übertragen; auch auf unser Gehör. Unter Stress ist unser Gehör besonders geräuschempfindlich. Einerseits ist unter erhöhter Anspannung unsere Hörfilterfunktion eingeschränkt. Das bedeutet, dass weniger Störgeräusche weggefiltert werden. Dies führt zu erhöhtem Stresserleben.
Andererseits können, wenn erhöhter Stress zum Dauerzustand wird, normale Geräusche als unangenehm empfunden werden. In solchen Fällen spricht man von einer Überempfindlichkeit des Gehörs (Hyperakusis), die oft in Zusammenhang mit einem Tinnitus auftritt. Nicht immer ist der Stress selbst ursächlich für das Auftreten eines Tinnitus, allerdings erhöht Stress das Risiko für Tinnitus deutlich. Auf der anderen Seite hat ein Tinnitus selbst meist eine stressauslösende Wirkung auf die Betroffenen.
Diagnose von Tinnitus
Doch nicht jedes andauernde Ohrgeräusch ist ein Tinnitus und es ist nicht immer einfach, zu bestimmen, ob im konkreten Fall ein Tinnitus vorliegt oder nicht. Im Internet existieren einige Selbsttests. Diese können einen Gang zum Arzt bei anhaltenden Ohrgeräuschen allerdings nicht ersetzen. Erster Ansprechpartner sollte daher ein Facharzt oder eine Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde sein.
Die Diagnose eines Tinnitus verläuft über eine Reihe von Untersuchungen, in deren Zentrum verschiedene Hörtests, zum Beispiel Stimmgabelversuch, Audiogramm, Messung des Recruitments (Lautheitsausgleich) stehen. Auch neurologische Untersuchungen unter Einsatz bildgebender Verfahren können zur Diagnose hilfreich sein, insbesondere zum Ausschluss schwerer Erkrankungen. Schließlich müssen Lautstärke und Frequenz des Tinnitus selbst mit Hilfe eines Audiometers bestimmt werden. Dies geschieht unter direkter Einbeziehung des Patienten und stellt daher ein subjektives Messergebnis dar.
Behandlung von Tinnitus
Die eine Heilmethode für Tinnitus gibt es nicht. Zwar berichten viele Patienten, dass ihr Tinnitus plötzlich wie von selbst verschwunden ist. Allerdings lässt sich ein andauerndes Ohrgeräusch nicht einfach medikamentös heilen. So verschieden von Fall zu Fall die dahinterstehenden Ursachen sind, so individuell ist der Tinnitus in seinem Erscheinen.
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Bekannt ist, dass es sich bei der überwiegenden Zahl von Tinnitus-Fällen um einen subjektiven Tinnitus handelt, der zu den psychosomatischen Erkrankungen gezählt wird. Daher erfolgt eine Behandlung in der Regel in einem engen Zusammenspiel von HNO-Ärzten und Ärztinnenund Psychologen bzw. Psychologinnen. An einigen Krankenhäusern existieren spezielle Tinnitus-Kliniken oder Tinnitus-Zentren, an denen Patienten von einem spezialisierten Team verschiedener Fachleute ambulant oder stationär versorgt werden.
Akute und chronische Fälle
Im akuten Fall, das heißt beim erstmaligen Auftreten von Ohrgeräuschen geht es neben der genauen Diagnose erstmal darum, zu verhindern, dass ein Tinnitus chronisch wird. Dies bedarf geschulter Maßnahmen und einer guten Beratung durch Fachärzte. In einigen Fällen kann eine medikamentöse Therapie sinnvoll sein. Auch Kortison oder Lidocain kommen zur Behandlung des Tinnitus zum Einsatz, wobei die Wirksamkeit von Lidocain als nicht gerade hoch eingestuft wird.
Um die Entstehung eines chronischen Tinnitus zu verhindern, ist es zudem wichtig, die Aufmerksamkeit möglichst von dem störenden Ohrensausen wegzulenken. Hier ist die richtige Beratung von großer Bedeutung. Je negativer ein auftretender Tinnitus für einen Patienten besetzt wird, desto schwieriger verläuft die Therapie. Dies liegt daran, dass das Tinnitus-Geräusch für das Gehirn ein Signal darstellt, das mit Lerneffekten verknüpft ist.
Psychologische Betreuung und psychosomatischer Charakter
In der Regel erfolgt eine psychologische Betreuung von Tinnitus-Patienten erst, wenn der Tinnitus bereits ein chronisches Stadium erreicht hat. Dies liegt zum Teil auch daran, dass die psychischen Begleitsymptome mit der Dauer des Tinnitus für gewöhnlich zunächst immer mehr zunehmen. Allerdings verkennen viele Patienten anfänglich auch den grundlegenden psychosomatischen Charakter eines subjektiven Tinnitus und versprechen sich Heilung durch rein körperliche medizinische Maßnahmen, etwa durch operative Eingriffe oder eine rein medikamentöse Behandlung.
Tatsächlich sollte eine Tinnitus-Therapie aber immer auf mehreren Ebenen ansetzen. Körperliche Ursachen müssen abgeklärt und behandelt werden. Doch, insofern solche überhaupt ausgemacht werden können, wird das in den meisten Fällen nicht ausreichen, um den Tinnitus zu überwinden.
Stationäre und ambulante Behandlung
In einigen Fällen ist eine vorläufige stationäre Behandlung eine gute Wahl. Dies gilt einerseits für solche Fälle, in denen eine Medikamentengabe unter Überwachung erfolgen sollte. Andererseits kann es erforderlich sein, dass ein Betroffener vorübergehend aus seinem Alltagsumfeld herausgelöst werden muss. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn alltägliche Stressauslöser als Ursache oder verstärkender Faktor für einen Tinnitus ausgemacht werden können, die nicht anders ausgeräumt werden können.
Eine ambulante Tinnitus-Betreuung findet entweder in Praxen oder in Fachkliniken und an Tinnitus-Zentren statt. Auch hier sollte das vertrauensvolle Gespräch zwischen Betroffenen und dem therapeutischen Fachpersonal stets im Zentrum der Behandlung stehen. Der in fast allen Fällen subjektive Charakter eines Tinnitus erfordert in erster Linie das Verständnis des Therapeuten bzw. der Therapeutin und die Akzeptanz des Betroffenen.
Ergänzende therapeutische Maßnahmen
Ergänzend zur fachärztlichen und psychologischen Behandlung können verschiedene weitere therapeutische Maßnahmen bei Tinnitus angewandt werden. Wer sich für eine komplementäre Behandlung entscheidet, muss für sich herausfinden, welche Maßnahme am besten geeignet ist und einem zusagt. Es kann nicht schaden, verschiedene Möglichkeiten auszuprobieren, bis man einen passenden Therapeuten gefunden hat. Neben den genannten primären und sekundären Therapiemaßnahmen werden auch verschiedene Haus- und Hilfsmittel für Tinnitus-Patienten angeboten. Meist zielen diese auf die Linderung häufiger Begleitbeschwerden.
Hausmittel und Medizinprodukte
Zu den gängigsten Hausmitteln zählen Heilpflanzen, die stresslindernd, schlaffördernd oder konzentrationssteigernd wirken. Empfehlenswert sind hier Baldrian, Lavendel oder Melisse, die als Extrakt oder als Tee eingenommen werden können. Auch die Homöopathie und alternative Naturheilverfahren bieten einige Präparate, die geeignet sind, die Begleitbeschwerden eines Tinnitus zu lindern. Von einer ausschließlich homöopathischen Behandlung des Tinnitus ist allerdings abzuraten.
Aus dem Bereich der Medizinprodukte stehen spezielle Hörgeräte, sogenannte Noiser, zur Verfügung. Diese gibt es als Ausfertigungen für Patienten mit und ohne begleitender Hörminderung. Die Geräuschtherapie setzt dabei darauf, dass über einen längeren Zeitraum die Hörwahrnehmung gesteuert und neu erlernt werden kann.
Vorbeugung
Vorbeugung ist die beste Therapie. Da Lärm und Stress als Risikofaktoren gelten, empfiehlt es sich, beides in übermässiger Form zu vermeiden. Tragen Sie bei Konzert- und Clubbesuchen oder beim Schiesstraining einen Gehörschutz. Verzichten Sie auf häufige oder stundenlange laute Musikbeschallung über Kopfhörer.
Umgang mit Tinnitus
In den meisten Fällen bessert sich der Tinnitus im Verlauf, so dass er die Lebensqualität nicht beeinträchtigt oder vollständig verschwindet. In manchen Fällen allerdings können die Ohrgeräusche zu einer deutlichen Belastung führen. Einige Betroffene benötigen Unterstützung, wie z.B. Der Austausch mit Gleichbetroffenen kann bei der Bewältigung einer Krankheit eine grosse Unterstützung sein. Beratung auf der Suche nach einer geeigneten Selbsthilfegruppe erhalten Sie bei Selbsthilfe Zürich.
Psychosomatische Erkrankungen und Tinnitus
Wenn seelische Belastungen körperliche Beschwerden hervorrufen − zum Beispiel im Rahmen von beruflichen oder privaten Konflikten −, spricht man klassischerweise von psychosomatischen Erkrankungen. Durch den Einfluss der Psyche auf den Körper kann sich ein Mensch krank fühlen, ohne dass der Arzt oder die Ärztin eine organische Ursache findet. Häufig steht ein Konflikt am Beginn einer psychosomatischen Störung: Beruflicher Stress oder private Probleme verursachen eine seelische Anspannung, die auf vielfältige Weise auf den Körper einwirkt. Das unwillkürliche (vegetative) Nervensystem wird beeinflusst.
Tinnitus: Störende Ohrgeräusche (Tinnitus) können viele Ursachen haben, häufig spielen psychische Belastungen oder Stress dabei eine Rolle.
Therapieansätze bei psychosomatischen Beschwerden
Falls es jedoch nicht mehr gelingt, normale Alltagsaktivitäten, sportliche Betätigung, Hobbys und Kontakt mit anderen Menschen aufrecht zu erhalten, ist eine Psychotherapie angezeigt. Sie hilft, Auslöser und ursächliche Konflikte für die Beschwerden aufzuarbeiten und Copingstrategien im Umgang oder zur Bewältigung der Beschwerden zu entwickeln. Auch Entspannungsverfahren helfen, ein erhöhtes Anspannungsniveau zu senken (Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation, östliche Bewegungstechniken wie Qi-Gong, Tai-Chi, Yoga). Es können auch Medikamente zur Linderung der Beschwerden eingesetzt werden.
Zusammenarbeit von Spezialisten
Um den vielfältigen Ursachen und Behandlungsansätzen von «Tinnitus» gerecht zu werden, bieten wir am Universitätsspital Zürich eine intensive interprofessionelle Zusammenarbeit mit der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik, der Physiotherapie und dem Zentrum für Zahnmedizin der Universität Zürich an. Hier werden Sie nach den aktuellsten Erkenntnissen der Wissenschaft abgeklärt, beraten und behandelt.
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