Viele Kinder mit Autismus und sensorischen Störungen reagieren empfindlich auf Lärm und bestimmte Geräusche. Angepasster Gehörschutz kann hier eine wertvolle Hilfe sein.
Sensorische Besonderheiten bei Autismus-Spektrum-Störung (ASS)
Sensorik beschreibt die Wahrnehmung und Verarbeitung von Sinnesreizen aus der Umwelt und dem eigenen Körper. Mit unserer Sensorik nehmen wir Raum, Bewegung und Körpergefühl wahr, können Informationen verarbeiten und unsere Gefühle regulieren. Sie hilft uns, den Alltag zu bewältigen, soziale Interaktionen zu meistern und das eigene Verhalten zu steuern. Denn um auf etwas angemessen reagieren zu können, müssen wir korrekt wahrnehmen, was gerade passiert und in unserem Kopf ein zusammenhängendes Bild erstellen können.
Menschen mit Autismus sind oft sehr sensibel gegenüber Lärm, Licht oder Berührungen. Diese Überreizbarkeit kann besonders im Alltag belastend sein, da Geräusche, Lichtverhältnisse und Berührungen, die von anderen Menschen erwartet werden (wie Umarmungen oder Händeschütteln oder der Austausch von Zärtlichkeiten in der Partnerschaft), manchmal als unangenehm empfunden werden.
Einige Menschen mit Autismus lieben bestimmte sensorische Reize, wie zum Beispiel visuelle Effekte oder wiederholte Bewegungen (sogenanntes „Stimming“). Ein bestimmter Sinnesreiz kann auch zu einem Spezialinteresse werden. Manche malen gerne, hören laute Musik oder wippen mit dem Stuhl, um sich zu beruhigen oder besser konzentrieren zu können.
Plötzliche Sinneseindrücke können großen Stress und intensive Reaktionen auslösen. Und da die Betroffenen solche Reize meist nicht kontrollieren können, sind viele stets in Alarmbereitschaft. Sie fühlen sich den Eindrücken ausgeliefert und bedauern gleichzeitig, sie nicht besser aushalten zu können. Viele meiden neue Situationen, da in solchen ja immer unerwartet unangenehme Sinneseindrücke auftauchen könnten.
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Menschen mit Autismus haben häufig Schwierigkeiten, Bedürfnisse aus dem Inneren ihres Körpers (wie Hunger, Durst oder Schmerz) zu erkennen. Dadurch kann es passieren, dass sie wichtige Signale übersehen, was sich negativ auf ihre Gesundheit auswirken kann. Sie vergessen, zu trinken oder zu essen und bemerken vielleicht erst dann, dass sie krank oder verletzt sind, wenn es kritisch wird.
Sensorische Besonderheiten bei ADHS
Menschen mit ADHS haben oft eine recht wechselhafte Reizverarbeitung und sind schnell abgelenkt. Viele haben eine Reizfilterschwäche. Dadurch können sie sich auf bestimmte Aufgaben nur schwer konzentrieren. Bei ADHS sind einige Sinne manchmal viel stärker ausgeprägt als andere, was zu einer Überkompensation führen kann. Beispielsweise reagieren manche Menschen mit ADHS besonders sensibel auf Geräusche. In einer lauten Umgebung sind sie völlig überfordert und versuchen, sich stattdessen auf das zu konzentrieren, was sie sehen. Sie konzentrieren sich also auf viele unwichtige visuelle Details und können so einem Gespräch gar nicht mehr folgen.
Betroffene können sowohl äußerst sensibel (Hypersensibilität) als auch zu wenig sensibel (Hyposensibilität) auf bestimmte Reize reagieren.
Eine Besonderheit bei ADHS ist die Schwierigkeit, wichtige Reize von unwichtigen zu unterscheiden. Diese hohe Sensibilität gegenüber unwichtigen Eindrücken führt zu Reizüberflutung und beeinträchtigt die Fähigkeit, sich auf Wesentliches zu konzentrieren.
Auswirkungen der sensorischen Hypersensibilität
Menschen mit ASS und ADHS erleben durch sensorische Überreizbarkeit häufig Schwierigkeiten im Alltag und bei sozialen Kontakten. In lauten oder überfüllten Umgebungen fühlen sie sich schnell überfordert und benötigen Pausen oder Rückzugsorte, um Reizüberflutung zu vermeiden. Das kann zu sozialer Isolation und Missverständnissen führen.
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Arten von Sinnen, Herausforderungen und Hilfe
Zu den Sinnen gehören nicht nur die klassischen Sinne, sondern auch unsere „Körpersinne“. Diese sind wichtig für unser Wohlbefinden und haben in Bezug auf die sensorischen Unterschiede bei ASS und ADHS eine ganz besondere Bedeutung.
- Sehen: Der Sehsinn versorgt uns mit Informationen über unsere Umgebung.
 - Hören: Auch durch unser Gehör erhalten wir ebenfalls Informationen über unsere Umgebung. Wir erkennen, wie weit weg ein Geräusch ist und erkennen Stimmen.
 - Fühlen: Mit dem Tastsinn begreifen wir unsere Welt.
 - Riechen und schmecken: Geruch und Geschmackssinn hängen eng miteinander zusammen.
 - Propriozeption (Tiefensensibilität): Dieser Sinn besteht aus dem Lagesinn, Kraftsinn und Bewegungssinn. Bei der Tiefensensibilität geht es hauptsächlich darum, wie man die Lage und Position des eigenen Körpers im Raum wahrnimmt.
 - Vestibulärer Sinn (Gleichgewichtssinn): Dieser Sinn steuert unsere Balance und Orientierung im Raum. Durch unseren Gleichgewichtssinn nehmen wir Veränderungen unserer Körperposition wahr. Also alles, was mit drehen, klettern, rollen, krabbeln und Bewegung allgemein zu tun hat.
 - Interozeption: Die Wahrnehmung innerer Körperzustände wie Herzschlag, Atmung, Hunger, Schmerz und Müdigkeit. Unsere Körperwahrnehmung ist entscheidend dafür, ob und wie wir uns selbst spüren und somit auch für unsere emotionale Regulierung.
 
Wie kann angepasster Gehörschutz helfen?
Kinder, die sich leicht ablenken lassen, werden so nicht mehr durch akustische Einflüsse abgelenkt und können sich auf ihre Arbeit konzentrieren. Die Schutzkapseln bedecken die gesamte Ohrmuschel und dämpfen alle störenden Geräusche. Eine Unterhaltung ist trotzdem möglich. Die Gehörschutzkapseln sind gut gepolstert und an Kunststoffstäben stufenlos verstellbar, wodurch sie dem Kinderkopf optimal angepasst werden können. Durch die besondere Konstruktion kann der Gehörschutz sogar kompakt zusammengeklappt werden und ist platzsparend aufzubewahren. Ausserdem wird dadurch die Innenseite der Ohrkapseln vor Verschmutzungen geschützt.
Um die Grösse einzustellen, einfach den Gehör-Schutz aufsetzen und dann die Ohrkapseln auf Ohrhöhe herunterziehen. Sie bieten den Kindern eine ruhige "Auszeit", um sich neu zu orientieren, Verhaltensprobleme zu reduzieren und Stress und Ängste abzubauen.
Weitere Hilfsmittel und Zubehör
Neben angepasstem Gehörschutz gibt es eine Vielzahl weiterer Hilfsmittel und Zubehör, die Menschen mit Autismus und sensorischen Besonderheiten im Alltag unterstützen können:
- Kauketten und -anhänger: Diese helfen beim Stressabbau und sind eine sichere Alternative zum Kauen auf anderen Gegenständen. Beispiele sind der Regentropfen-Kau-Anhänger, Texturis Kaukette und der Kau-Säbelzahn.
 - Knautschbälle: Wunderbar geeignet als Stress-Killer, zur Überbrückung von Wartezeiten oder einfach als taktile Anregung.
 - TimeTimer: Ein visueller Timer, der hilft, Zeit sichtbar zu machen und Aufgaben zu strukturieren.
 - Kopfhörer: Praktisch und robust, um Aufgaben konzentriert zu erledigen, ideal für Schüler.
 - Sitzkissen: Das Kissen ermöglicht Bewegungsfreiheit, fördert die sensorische Erfahrung und Körperwahrnehmung.
 
Diese Hilfsmittel sind wichtig, weil sie den Reizpegel gezielt senken und dadurch verhindern, dass das Nervensystem des Kindes zu stark belastet wird.
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Struktur und Vorhersehbarkeit
Aufgrund der weniger flexiblen Denkweise und der häufigen Unsicherheiten in sozialen Situationen haben klare Strukturen, eindeutige Regeln und vorhersehbare Abläufe für Kinder im Autismus-Spektrum eine besonders grosse Bedeutung. Umgekehrt führt alles, was verändert wird, neu ist oder nicht eindeutig vorhersehbar scheint, schnell zu Unsicherheit und Angstgefühlen. Diese Ängste entstehen vor allem dadurch, dass das Kind nicht abschätzen kann, was genau passieren wird oder wie es sich in der ungewohnten Situation verhalten soll.
Mögliche Massnahmen:
- Möglichst viel Struktur bieten - idealerweise visuell dargestellt.
 - Neue oder besondere Ereignisse frühzeitig ankündigen, detailliert vorbesprechen und genau erklären (Was wird passieren? Wer wird dabei sein? Wie sieht es dort aus?).
 - Übergänge zwischen Situationen, beispielsweise vom Klassenzimmer in ein anderes Zimmer oder in die Pause, bewusst begleiten.
 
Emotionales Verständnis und Stressregulation
Die emotionalen Reaktionen autistischer Kinder können sehr heftig sein und von aussen manchmal unerwartet wirken. Viele autistische Kinder nutzen ausserdem individuelle Strategien zur Stressregulation, das sogenannte „Stimming“. Dabei handelt es sich um Bewegungen des Körpers oder einzelner Gliedmassen - beispielsweise Finger schnipsen, Hände flattern, mit dem Körper wippen, Nägel kauen oder Haare eindrehen. Auch „Fidget Toys“ sind für manche Kinder hilfreiche Mittel, um Stress abzubauen und die eigene Regulation zu unterstützen.
Masking und seine Auswirkungen
Die meisten autistischen Kinder betreiben sogenanntes „Masking“. Darunter versteht man, dass sie das Verhalten ihrer nicht-autistischen Mitschüler imitieren und ihre autistischen Merkmale bewusst unterdrücken oder verbergen. Auf diese Weise versuchen sie, sozialer Ausgrenzung oder Mobbing zu entgehen oder schlicht nicht aufzufallen, und sie erbringen weiterhin die von ihnen erwartete Leistung. Obwohl Masking auf den ersten Blick eine sinnvolle Anpassungsstrategie zu sein scheint, ist es für autistische Kinder sehr belastend. Das ständige Imitieren und Unterdrücken ihrer natürlichen Verhaltensweisen erhöht massiv ihren inneren Stress und Druck. Zu Hause, in der Sicherheit der Familie, entlädt sich dieser Druck oft in emotionalen Zusammenbrüchen, sozialem Rückzug oder heftigen Reaktionen. Gleichzeitig bleibt die Notwendigkeit von schulischer Unterstützung unbemerkt, da das Kind nach aussen vermeintlich gut zurechtkommt.
Nachteilsausgleich in der Schule
Ein Nachteilsausgleich bedeutet, dass Kinder aufgrund einer Behinderung nicht benachteiligt werden dürfen. Es geht dabei nicht um inhaltliche Hilfe oder darum, dem Kind Vorteile zu verschaffen. Vielmehr werden die Bedingungen, unter denen Lernen und Prüfungen stattfinden, so angepasst, dass das Kind seine tatsächlichen Leistungen, sein Wissen und Können optimal zeigen kann. Die fachlichen Anforderungen des Lehrplans bleiben trotz Nachteilsausgleich gleich.
Für Schülerinnen und Schüler im Autismus-Spektrum besteht kein allgemeiner, sondern ein individueller Anspruch auf Nachteilsausgleich. Da es oft schwierig ist, passende Nachteilsausgleiche zu bestimmen, sind in der folgenden Liste einige mögliche Massnahmen speziell für autistische Schülerinnen und Schüler zusammengefasst.
- Vorgaben und Anweisungen konkretisieren und so darlegen, dass das Kind sie verstehen kann, z.B.
 - Erbringung alternativer Leistungen ermöglichen (z.B.
 - Mündliche Leistungskontrollen vorher ankündigen.
 
Zusammenfassung
Angepasster Gehörschutz und andere Hilfsmittel können eine wertvolle Unterstützung für Menschen mit Autismus und sensorischen Besonderheiten sein. Es ist wichtig, die individuellen Bedürfnisse und Vorlieben zu berücksichtigen und eine Umgebung zu schaffen, die Sicherheit und Struktur bietet. Eine empathische und offene Haltung von Lehrpersonen und anderen Bezugspersonen ist entscheidend für den Erfolg.
Tabelle: Übersicht über sensorische Besonderheiten und mögliche Hilfestellungen
| Sensorische Besonderheit | Mögliche Herausforderungen | Mögliche Hilfestellungen | 
|---|---|---|
| Hypersensibilität (Überreizbarkeit) | Stress, Überforderung in lauten oder hellen Umgebungen | Gehörschutz, Sonnenbrille, Rückzugsorte | 
| Hyposensibilität (zu geringe Sensibilität) | Bedürfnis nach intensiven Reizen, Selbstverletzung | Kauketten, Knautschbälle, taktile Anregungen | 
| Schwierigkeiten mit Körperwahrnehmung | Übersehen von Hunger, Durst, Müdigkeit | Regelmässige Erinnerungen, strukturierte Tagesabläufe | 
| Probleme mit Gleichgewicht und Koordination | Schwierigkeiten bei sportlichen Aktivitäten, Feinmotorik | Ergotherapie, angepasste Übungen | 
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