Gehörschutz für Kinder mit Autismus: Erfahrungen und Empfehlungen

Angehörige von Autisten und auch Autisten selbst haben Möglichkeiten, ihr Leben mit Hilfestellungen oder Anpassungen zu verbessern. Äussere Reize können bei Autisten zu ungewöhnlichen, spontanen und vielleicht auch angst machenden Reaktionen führen. Solche Reaktionen erfolgen nicht grundlos. Der Betroffene kann diese Reaktionen auch nicht gross steuern oder verhindern. Besonders bei Kindern ist es manchmal schwierig, die Gründe für die Reaktion herauszufinden. Erwachsene können besser mit äusseren Reizen umgehen als Kinder. Es lohnt sich vor allem mit Kindern über ihre Empfindungen zu sprechen. Sie sollen sagen was sie gern haben und was ihnen Probleme bereitet.

Ruhezonen und Rückzugsorte

Ein Ruheraum ist ein speziell gestalteter Raum der helfen kann, die sensorischen Systeme abzumildern und ins Gleichgewicht zu bringen. Förderschulen, Behindertenwerke, Kindergärten oder Krankenhäuser haben solche Räume. Das Angebot ist aber eher begrenzt. Man kann sich auch Zuhause eine Ruhezone einrichten. Ein kleiner Raum. Ein Rückzugsort kann auch das eigene Zimmer sein. Auch dort könnte ein Ruhebereich eingerichtet werden. Auch ein Zelt draussen auf der Wiese im Garten kann interessant sein. Oder wer einen grossen Baum hat: Baumhütten sind für Kinder ideale Rückzugsorte. Ich persönliche finde Kirchen ideal für einen Rückzug. Entlang von Wänden Regale, Teppiche oder Vorhänge platzieren.

Erfahrungen mit Gehörschutz

Viele Menschen suchen nach Möglichkeiten, sich vor Lärm zu schützen, insbesondere wenn sie oder ihre Kinder von Autismus betroffen sind. Hier sind einige Erfahrungen und Empfehlungen aus der Community:

  • Kapselgehörschutz: Einige Nutzer haben Kapselgehörschütze wie den 3M X4 ausprobiert, fanden diesen aber als zu schwach empfunden. Der X5 wurde in Erwägung gezogen, aber das Ziel ist oft vollständige Stille.
  • In-Ear-Ohrstöpsel: Diese bieten oft die beste Lärmdämmung, sind aber nicht ideal für den dauerhaften Gebrauch, da sie Druck im Ohr verursachen können.
  • Noise-Cancelling-Kopfhörer: Diese sind besonders effektiv bei monotonen Geräuschen, können aber bei Kindergeschrei überfordert sein.
  • Massgeschneiderte Ohrstöpsel: Diese aus Silikon gefertigten Ohrstöpsel können eine gute Option sein, da sie weniger Druck ausüben und einen hohen Tragekomfort bieten.

Noise-Cancelling-Kopfhörer im Test

Seit ein paar Monaten habe ich sogenannte Noise-Cancelling-Kopfhörer für mich entdeckt. Als Test habe ich mir ein günstiges Produkt angeschafft. Das Modell OE 400 ANC von der Firma Xquisit. Die Kosten sind mit rund 80 Franken überschaubar. Die Klangqualität ist überraschend gut. Das Noise-Cancelling funktioniert, könnte aber besser sein. Ich denke das dieser Kopfhörer etwa 30% des Aussenlärms herausfiltert. Störend ist die Passform der Hörmuschel, welche nicht so ganz für meine Ohren gemacht sind. Zudem ensteht eine Art von Druck im Ohr, wenn man das Noise-Cancelling aktiviert. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber an dieses Druckgefühl. Gut an diesem Kopfhörer ist die Möglichkeit ihn sowohl mit Kabel als auch mit Bluetooth zu nutzen. Die Batterielaufzeit ist eher gering. Nach 5 Stunden muss man nachladen.

Da mir das Noise-Cancelling beim Xquisit zu wenig gut ausfällt, habe ich mich entschieden, ein teureres Modell zu kaufen. Die Testberichte welche im netz zu finden sind, liessen meine Wahl auf den Bose Quietcomfort II 35 fallen. Dieser Kopfhörer ist mit 280 Franken einiges teurer als Xquisit. Die Investition hat sich aber dennoch gelohnt. Das Noise-Cancelling ist eine ganze Stufe besser als beim günstigen Modell von Yquisit. Ich schätze das die Noise-Caneccling-Funktion von Bose mindestens 70% des Aussenlärms abschirmt. Das finde ich mehr als in Ordnung. Die Klangqualität ist leicht besser als beim billigeren Modell, welches bereits eine sehr gute Qualität aufweist. Der Akku hält aber sicher mehr als viermal so lang wie beim Xquisit. Der Tragekomfort ist ebenfalls deutlich angenehmer. Auch der unangenehme Druck im Ohr entfällt weitestgehend. Dieser Kopfhörer ist zudem deutlich bedienerfreundlicher, was den Umgang mit Bluethooth betrifft.

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Mit Noise-Cancelling wird eigentlich Antischall gemeint. Unter dem Begriff Antischall versteht man das Auslöschen von vorhandenem Schall durch zusätzlichen, künstlich erzeugten Schall. Dabei muss der zusätzlich generierte Schall genau dem vorhandenen Störschall entsprechen, aber in seiner Phase exakt entgegengesetzt sein. Bei solchen Kopfhörern registrieren Mikrofone die Umgebungsgeräusche, und clevere Elektronik sorgt dafür, dass die eindringenden Schallanteile eliminiert werden, während die Musik davon weitgehend unberührt bleibt. Für diese Aufgabe brauchen die Kopfhörer immer einen Akku. Kopfhörer mit Antischalltechnik entfernen störende Umgebungsgeräusche aber nur, wenn der Akku geladen ist.

Wer zum ersten Mal einen Kopfhörer mit Noise Cancelling ausprobiert, wird staunen. Alltagsgeräusche fallen weg, die man sonst ständig im Ohr hat. Nach dem ersten positiven Erlebnis fällt nach und nach auch auf, was Noise Cancelling nicht herausfiltert: Kurze Geräusche wie Hämmern, Gleisrattern oder das Schreiben auf der Tastatur werden eher nur gedämpft als ganz herausgefiltert. Hohe Frequenzen wie zum Beispiel eine Kreissägen können nur schlecht gefiltert werden. Stimmen kommen unterschiedlich stark durch: Tiefe Männerstimmen werden effektiver herausgefiltert als hoch sprechende Frauen.

Für Autisten können solche Kopfhörer ein Segen sein. Sie filtern recht viele Geräusche heraus und dämpfen die Aufnahme lästiger Lärmquellen. Dennoch ist man von der Aussenwelt nicht ganz abgeschnitten, was zum Beispiel im Strassenverkehr von Vorteil sein kann. Ich kann beide Kopfhörer empfehlen. Allerdings würde ich persönlich dennoch immer auf das teurere Modell von Bose zurückgreifen.

Tabelle: Vergleich von Noise-Cancelling-Kopfhörern

Merkmal Xquisit OE 400 ANC Bose Quietcomfort II 35
Preis (ca.) 80 CHF 280 CHF
Lärmfilterung ca. 30% ca. 70%
Klangqualität Gut Leicht besser
Akkulaufzeit ca. 5 Stunden Deutlich länger
Tragekomfort Weniger angenehm, Druck im Ohr Deutlich angenehmer, kein Druck
Bedienfreundlichkeit OK Deutlich bedienerfreundlicher

Medienkonsum als Hilfsmittel

Die Tochter der Autorin ist «irgendwie anders» - auch ihr Medienkonsum ist jenseits aller Empfehlungen. Doch für die 13-Jährige, die sich derzeit in einer Autismus-Abklärung befindet, sind Tablet und Handy wichtige Werkzeuge, um mit ihrem Leben klarzukommen. «Nehmt ihr Handy und Tablet weg», sagen Leute in meinem Umfeld. Selbsternannte Fachpersonen. «Das Kind ist süchtig und manipuliert euch.

Ich weiss, dass soziale Medien mit dem unrealistischen Abbild, das sie von der Welt zeichnen, Depressionen, Körperbild- oder Essstörungen verschärfen können. Dass es Algorithmen gibt, die psychisch belasteten User*innen mehr und mehr Inhalte vorsetzen, die ihren Blick auf die Welt weiter trüben. Dass sie Cybergrooming erfahren oder Opfer von Internetbetrug werden können, dass sie gemobbt oder radikalisiert werden können. Dass das blaue Bildschirmlicht schlecht ist für den Schlaf, Kopfhörer oft zu laut eingestellt sind, das endlose Daddeln Schmerzen in Rücken und Händen verursachen kann. ICH WEISS DAS. Schliesslich setze ich mich seit Jahren beruflich mit Medienkompetenzen und Jugendmedienschutz auseinander. Und doch wünsche ich mir einen differenzierteren Blick auf das Thema. Dass wir Eltern und Fachpersonen genau hinschauen, gerade wenn die Situation wie bei meiner neurodiversen Tochter so komplex ist. Was macht sie eigentlich mit diesen Medien? Warum macht sie das? Wann macht sie das? Wie viel davon ist passiv, wie viel aktiv?

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Im Fall meiner Tochter zeigte sich: Wenn es ihr nicht gut geht, spielt sie bevorzugt ganz einfache Games, die eher für jüngere Kinder konzipiert sind. In denen es nicht um Wettbewerb geht, keine Ziele erreicht werden müssen, die grafisch sehr simpel gestaltet sind, in denen es kein Richtig oder Falsch gibt. Den Ton schaltet sie aus. Sie tut das, weil sie sich damit regulieren, also Stimmungen und Reize ausgleichen kann, wenn ihr die ganze Welt rundherum zu viel wird. Fünfzehn Minuten Traumhaus einrichten, und sie ist wieder auf Empfang für ihre Mitmenschen. Allemal besser, als das Zimmer zu demolieren, von Heulkrämpfen geschüttelt unter die Decke zu kriechen, die Nachbarschaft zusammenzuschreien oder sich selbst zu verletzen. Geht es ihr besser, zieht meine Tochter auf Roblox gerne kleine Tiere auf und handelt diese mit anderen User*innen. Auch hier, ohne Ton, ohne grossen Wettbewerb, dafür mit etwas sozialer Interaktion.

Als Mama, die in einer Zeit anhaltenden Therapieplatzmangels von Pontius zu Pilatus läuft und kaum was unversucht lässt, um ihrem Kind zu helfen, sehe ich digitale Medien für meine Tochter nicht nur als Mittel zur Weltflucht, sondern auch als Instrumente, die ihr helfen, besser mit dem Alltag klarzukommen. Mit Gleichaltrigen in Kontakt zu treten. Sich Fähigkeiten jenseits von Klassenzimmern und Lerngruppen anzueignen. Und als Möglichkeit, herauszufinden, dass man nicht die*der einzige ist, die*der manchmal Mühe hat, mit dem ganzen wirren, bunten, überraschenden Zeitstrahl namens Leben klarzukommen. Dass da andere sind, die am gleichen Punkt stehen.

Empfehlungen für den Umgang mit Medien

  • Achten Sie darauf, wie Ihr Kind sich im Umgang mit Medien verhält und ob Sie Veränderungen im Verhalten feststellen.
  • Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Kind in die digitale Welt flüchtet, um sich von Problemen und negativen Emotionen abzulenken, sprechen Sie das an. Thematisieren Sie Ihre Sorgen und Ängste. Eine vertrauensvolle Basis ist das A und O.
  • Seien Sie offen für die Medieninteressen Ihres Kindes. Welche Games findet es cool und warum? Gamen Sie auch mal zusammen, schauen Sie eine Folge der Lieblingsserie Ihres Kindes mit und sprechen Sie über Medienerfahrungen. So weiss Ihr Kind, dass Sie auch ein offenes Ohr haben, wenn Unsicherheiten, Probleme oder Ängste auftauchen.
  • Handeln Sie bildschirmfreie Zeiten ab dem Schulalter gemeinsam mit Ihrem Kind aus. Gestehen Sie ihm auch Autonomie zu. Und achten Sie zugleich darauf, dass nicht-mediale Aktivitäten Teil der Freizeit sind.

Autismus-Spektrum und Förderung

«Für viele Kinder mit Autismus sind solche Situationen totaler Stress und mit viel Arbeit verbunden», sagt Britta Schirmer, freischaffende Autismus-Expertin aus Berlin. «Ungefähr so, wie wenn ich gleichzeitig ein Gespräch führe und die Steuererklärung ausfüllen müsste.» Den Grund verortet sie in den Besonderheiten des autistischen Gehirns: Während die grauen Zellen normalerweise Energiespartricks kennen, um schonend durch den Alltag zu kommen, sind Kinder mit Autismus ungeschützt ganz vielen Krafträubern ausgesetzt - wie eben auf dem Pausenplatz. Das Autismus-Spektrum beschreibt eine von vielen Arten, die Welt wahrzunehmen und zu denken. Es ist ein Spektrum, neben Gemeinsamkeiten zeigt sich stets eine hohe Individualität. «Autismus ist bunt», bringt es Eckert auf den Punkt: Die Betroffenen haben unterschiedliche Ausprägungen in ihren Interessen, in der Art, wie sie ihre Emotionen regulieren oder dem Ausmass, wie sie zu repetitiven Verhaltensweisen neigen.

So individuell sich Autismus zeigt, es gibt pädagogisch-therapeutische Massnahmen, die sich allgemein bewährt haben. Dabei gilt: «Je früher eine gezielte Förderung und Unterstützung einsetzt, desto besser für die Entwicklung des Kindes», sagt HfH-Dozent Matthias Lütolf. Unterstützend sind Methoden wie Verhaltenstherapien oder Visualisierungshilfen.

Autismus-freundliche Schule

Es geht nur gemeinsam - das ist auch eine zentrale Botschaft von Andreas Eckert. Der HfH-Professor und Leiter der Fachstelle Autismus propagiert die «autismusfreundliche Schule» und hilft an vorderster Front dabei mit, das immer breiter werdende Grundwissen in den Schulhäusern zu vermitteln. Dazu gehören auch konkrete Tipps für den Unterricht: «Verwenden Sie eine konkrete Sprache, schaffen Sie Vorhersehbarkeit, indem Sie Abläufe visualisieren oder reduzieren Sie sensorische Reize durch Gehörschutz und Rückzugsmöglichkeiten», nennt Eckert einige Beispiele.

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Neurofeedback als Therapieansatz

Der autistischen Störung liegt eine Funktionsstörung des Gehirns zugrunde. Es gibt Hinweis darauf, dass gewisse Umbauprozesse in der Hirnentwicklung, v.a. der Abbau wenig genutzter Vernetzungen, bei den betroffenen Kindern nicht optimal abläuft. Man nimmt an, dass Autisten viel mehr Informationen bewusst verarbeiten müssen und die Filterung der Eindrücke ungenügend funktioniert. Autisten müssen sich schützen. Sie ertragen die Welt nur in Ausschnitten. Für Kinder ist das ein Drama. Wenn nun ein autistisches Kind, um sich zu schützen, den Blick senkt, die Ohren verschliesst, ist das doppelt tragisch. Es wehrt neben Schmerz auch lebenswichtige Reize ab. Es entwickelt sich schlecht. Das Neurofeedback setzt genau da an. Es hilft mit dem Dauerstress der Eindrücke besser umzugehen und das Gehirn wird resilienter (widerstandfähig).

Unter den verschiedenen Formen des Neurofeedbacktrainings ist sicherlich die Othmer-Methode diejenige, die am besten für Menschen im Autismus Spektrum geeignet ist. Um das Warum zu verstehen, muss man die Geschichte hinter der Othmer-Methode kennen: Das Ehepaar Sue und Siegfried Othmer hatte einen Sohn, Brian, der diagnostizierte Epilepsie, das Tourette-Syndrom, das Asperger-Syndrom und explosive Wutausbrüche hatte. Das Ehepaar Othmer studierte Neurowissenschaft und Physik, um einen Weg zu finden, wie sie Brian am besten helfen konnten. Sie fanden im klassischen Neurofeedback einen geeigneten Ansatz.

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