Psychologische Tinnitus-Therapie: Methoden und Ansätze

Tinnitus, das quälende und oft belastende Symptom von Ohrgeräuschen ohne äussere Schallquelle, betrifft Millionen von Menschen weltweit. Die Suche nach wirksamen Behandlungsmöglichkeiten hat viele von ihnen auf eine Reise durch verschiedene Therapieansätze geführt.

Für die Betroffenen ist es die Hölle, dieses ständige Klicken, Klingeln oder Pfeifen im Ohr. Nie ist Ruhe im Kopf. Werden die Geräusche aus der Umgebung leiser, wird es von innen her umso lauter.

Gemäss der European Federation of Tinnitus Associations leiden in Europa ungefähr 25 Millionen Menschen an Tinnitus. Einige können gut damit leben, andere empfinden ihn als Belastung. Bei vielen hält der Dauerton nur einige Sekunden oder Minuten an, bei einigen aber auch Stunden. Oft bleibt das Geräusch für immer.

Was ist Tinnitus?

Ohrensausen oder Tinnitus beschreibt ein subjektiv wahrgenommenes Geräusch im Ohr, welches keiner äusseren Schallquelle zugeordnet werden kann. Ein Ohrgeräusch kann sich verschiedentlich äussern: es kann als Rauschen, Pfeifen, Klingeln aber auch als Piepsen oder als Zirpen wahrgenommen werden.

Tinnitus ist eine häufige Erkrankung. Viele Menschen erfahren im Laufe ihres Lebens Ohrgeräusche. Die meisten Menschen können mit diesen Erscheinungen gut zurechtkommen. Es gibt aber eine nicht unerhebliche Gruppe von Menschen, die unter den Tinnitus-Symptomen leidet.

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Pfeifen, Rauschen, Sausen, Brummen oder Klingeln: Ohrgeräusche können alle möglichen Ausprägungen annehmen. Am häufigsten bei einem bleibenden Tinnitus ist hohes Pfeifen.

Subjektiver vs. Objektiver Tinnitus

Die meisten Menschen leiden an einem subjektiven Tinnitus. Er zeichnet sich dadurch aus, dass nur die Betroffenen die störenden Geräusche wahrnehmen. Die deutlich seltenere Tinnitus-Art ist die objektive. Die Geräusche kommen vom eigenen Körper und können auch von Aussenstehenden wahrgenommen werden.

Fachleute unterscheiden zudem zwischen einem akuten und einem chronischen Tinnitus. In der akuten Phase wird der Tinnitus wie ein Hörsturz behandelt.

  • Akuter Tinnitus: Kann sich von selbst zurückbilden.
  • Chronischer Tinnitus: Nicht heilbar, aber man kann lernen, mit dem Ohrgeräusch umzugehen.

Chronisches Pfeifen oder Rauschen hält länger als 3 Monate an und wird von einem weiteren Phänomen begleitet: Es liegt meist keine körperliche Schädigung vor, denn die Störung bildet sich im Gehirn. Was aber nicht heisst, dass sich Betroffene alles nur einbilden; sie haben vielmehr ein Wahrnehmungsproblem.

Warum das chronische Pfeifen insbesondere bei Stress oder psychischer Belastung als lauter empfunden wird, ist nicht eindeutig geklärt. Es könnte daran liegen, dass der Störungsausgleich im limbischen System passiert.

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Psychologische Therapieansätze

Bei der Behandlung eines chronischen Tinnitus (länger als 3 Monate bestehend) stehen psychotherapeutische Methoden (z.B. Tinnitus-Retraining-Therapie) sowie akustische Verfahren zur Verfügung. Welche Technik angewendet wird, muss auf den jeweiligen Tinnitustyp abgestimmt werden.

Die Mehrheit lernt, den Tinnitus zu überhören oder sich durch ihn nicht mehr aus der Ruhe bringen zu lassen. Bei etlichen Betroffenen klappt dies nicht. Der Tinnitus drängt sich ins Bewusstsein - abends vor dem Schlafengehen, beim Spazieren in der Natur und weckt die Sehnsucht nach Stille. Diesen Menschen gelingt es nicht, sich von ihrem Tinnitus abzugrenzen, ihn zu ignorieren. Er raubt ihnen die Konzentration, den Schlaf und ab und zu sogar die Lebensfreude.

Da psycho-soziale Einflussfaktoren und negative Verarbeitungsmechanismen eine zentrale Rolle bei der Belastung durch den Tinnitus spielen, ist eine psychologische Therapie mit kognitiven und lösungsorientierten und hypnosystemischen Elementen wirksam. Die psychologische Tinnitustherapie umfasst insgesamt 14 Doppelsitzungen, d.h. Durch eine tinnitus-fokussierte Psychotherapie lernen Sie, sich von den Geräuschen zu distanzieren, einen neuen Filter zwischen sich und den Geräuschen einzubauen. So kann der Tinnitus in den Hintergrund rücken und kann sogar die Bewusstseinsschwelle verlassen. Sie können die Ohrgeräusche ignorieren lernen.

Mit dem Ziel einen günstigeren bestenfalls sogar sinnvollen und kreativen Umgang mit den Beschwerden zu finden, wird zunächst ein Krankheitskonzept erarbeitet. Das Konzept ermöglicht, seelische und körperliche Zusammenhänge zu verstehen und das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit gegenüber den Beschwerden zu reduzieren.

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)

Die Tinnitus-Therapie ist in einem interdisziplinären Behandlungskonzept festgelegt. Dieses Behandlungskonzept basiert vor allen Dingen auf kognitiver Verhaltenstherapie. Diese wird durch verschiedene Bausteine ergänzt. Aber auch unterstützende Massnahmen wie Physiotherapie, Ohrakupunktur und Bewegungstherapie spielen eine grosse Rolle.

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Bei der kognitiven Verhaltenstherapie (kurz KVT) handelt es sich um das bei Tinnitus am besten evaluierte Therapieverfahren.

Ein typisches Beispiel für derartige krankheitsverstärkende Muster wäre die Annahme, der Tinnitus werde im Verlauf immer schlimmer und könne zu Taubheit führen (kognitiv).

Die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie ist wissenschaftlich belegt (Evidenzbasierte Medizin, EbM-Level IIa).

Tinnitus-Retraining-Therapie

Dazu zählen vor allem psychologische Massnahmen wie die Tinnitus-Bewältigung, im Fachjargon Tinnitus-Retraining-Therapie genannt. Dabei lernen Betroffene, mit dem Terror im Kopf umzugehen und erkennen, dass das Geräusch organisch ungefährlich ist. Zudem werden Ängste beseitigt, die das Leiden weiter verstärken.

Weitere Therapieansätze

Des Weiteren besteht für die Patienten die Möglichkeit, neuere Therapieansätze (z.B. Musiktherapie, akustische Neuromodulation) kennen zu lernen. Diese neueren Techniken zielen darauf ab, den Tinnituston «zu verlernen».

Chronischer Tinnitus wir heute dem sogenannten bio-psycho-sozialen Modell zugeschrieben. Das bedeutet, dass psychologischen Faktoren eine wichtige Rolle in der Entstehung und/oder Aufrechterhaltung von chronischem Tinnitus zugesprochen werden.

Hilfreich kann eine Psychotherapie sein, um den Tinnitus als Symptom und seine Auslöser zu behandeln. Insbesondere mit der Verhaltenstherapie haben wir gute Erfahrungen gesammelt. Wir bieten sowohl Psychotherapien im Einzelsetting als auch im Rahmen einer Gruppentherapie für Menschen mit chronischen Schmerzen an.

Als Tinnitus-Behandlung bietet sich ein Tinnitus-Noiser an. Dieser verursacht ein stetiges, ruhiges Rauschen, das leiser als der Tinnitus selbst ist. In einem ersten Schritt soll das Gehirn lernen, das Rauschen des Noisers und in einem Zweiten das des Tinnitus als unwichtig einzustufen und zu akzeptieren.

Neurofeedback-Therapie

In den letzten Jahren hat sich die Neurofeedback-Therapie als vielversprechende Option für Tinnitus-Patienten herauskristallisiert. Neurofeedback ist eine nicht-invasive Methode zur Regulation der Gehirnaktivität. Sie beruht auf der Idee, dass das Gehirn lernen kann, seine eigenen Aktivitätsmuster zu verändern, um bestimmte Probleme zu behandeln. Während der Behandlung misst das System die Gehirnaktivitätsdaten in Echtzeit und gibt sie dem Patienten über Monitore oder Audiovisuell zurück.

In der Anwendung von Neurofeedback bei Tinnitus platziert das medizinische Team Elektroden auf der Kopfhaut des Patienten, um die Gehirnaktivität zu überwachen. Anschliessend werden die Patienten aufgefordert, sich zu entspannen und ihre Ohrgeräusche zu ignorieren, während sie die Rückmeldung über ihre Gehirnaktivität erhalten. Neurofeedback-Therapie kann Tinnitus-Patienten helfen, die Lautstärke ihrer Ohrgeräusche zu verringern und ihre Lebensqualität zu steigern.

Weitere unterstützende Massnahmen

Auch die Naturheilkunde bietet Möglichkeiten zur Unterstützung. Ginkgo beispielsweise verbessert die Durchblutung, was bei Tinnitus hilfreich sein kann. Ein besonderes Augenmerk gilt auch der Stressbewältigung. Yoga, Meditation, Bewegung oder pflanzliche Entspannungsmittel können die Behandlung positiv unterstützen.

Bauen Sie Stress ab: Lernen Sie eine Entspannungstechnik. Oft hilft es in hektischen Zeiten auch schon, sich auf den Atem zu konzentrieren. Wenn wir angespannt sind, neigen wir dazu, nur flach in den Brustkorb zu atmen.

Meiden Sie die Stille: Zwar ist es vor allem Lärm, der dem Gehör schadet, doch in absoluter Stille treten Ohrgeräusche noch stärker in den Vordergrund.

Werden Sie aktiv: Wenn Sie sich zurückziehen und der Dauerbeschallung in Ihrem Ohr zu viel Aufmerksamkeit widmen, können Sie das Symptom verstärken.

Nutzen Sie Tinnitus als Frühwarnsystem: Ändern Sie Ihre Haltung gegenüber dem Tinnitus. Sehen Sie ihn als Signal Ihres Körpers, der Sie vor Überlastung warnen will, statt ihn als Beeinträchtigung zu betrachten.

Lernen Sie zu überhören: Lauschen Sie dafür täglich etwa zehn Minuten klassischer Musik oder einem Musikstück mit mehreren Instrumenten. Regeln Sie die Lautstärke so, dass Sie das Stück gerade noch hören.

Vorbeugung von Tinnitus

Das Sprichwort «Vorbeugen ist besser als heilen» gilt besonders für die unliebsamen Ohrgeräusche; denn vor lärmbedingtem Tinnitus kann man sich bis zu einem gewissen Grad schützen. Ab 85 Dezibel sollte man die Ohren vor Lärm bewahren.

Wer sich bei lauter Arbeit und in der Freizeit konsequent schützt, ist auf dem richtigen Weg. «Werden an einem Konzert 93 Dezibel überschritten, ist der Veranstalter verpflichtet, Gehörschutzpfropfen kostenlos abzugeben», sagt Beat Hohmann, Akustikexperte bei der Suva. «Das beeinträchtigt zwar etwas den Musikgenuss; denn die Schaumstoffpfropfen verringern die Lautstärke um etwa 30 Dezibel, und der Klang wird dumpfer.»

Neuerdings verteilen Veranstalter auch vorgeformte Lamellengehörschützer. Diese sehen aus wie Tannenbäumchen und dämpfen um rund 20 Dezibel. Das ist für Konzerte ebenfalls ausreichend. Dank ausgeglichenerem Klangverhalten gehen die Feinheiten der Musik weniger verloren.

Wann sollte man einen Arzt aufsuchen?

Sie leiden an einem akuten oder chronischen Tinnitus, der sich in den Vordergrund drängt? Sie können sich wenig konzentrieren, leiden an Schlafstörungen, erleben Gefühle der Hilflosigkeit, sind herabgestimmt und fühlen sich vom Tinnitus massiv bedrängt, ja gar bedroht?

Eine erste Abklärung erfolgt durch ein Hals-Nasen-Ohren Spezialist, welcher die somatische Seite beurteilt und eine Beratung sowie eine mögliche Therapie anbietet. In den ersten 3 Monaten spricht man von akutem Tinnitus. Dauert er länger als 6 Monate wird er als chronischer Tinnitus bezeichnet.

Im Fall des akuten Tinnitus direkt nach einem Knalltrauma oder extremem Stress, können Sie mit einiger Sicherheit damit rechnen, dass der unerwünschte Schall im Ohr von allein wieder verschwindet.

Zusammenfassung

Bisher existiert keine universelle Therapie für chronische Tinnitus-Erkrankungen. Oftmals bleibt die Ursache unbekannt, was eine präzise Behandlung erschwert. Klar indessen ist: Chronischer Tinnitus kann extrem belastend sein und Patienten in die Verzweiflung treiben.

Rahul Gupta rät dann zu einer Therapie, wenn die Ohrgeräusche die Lebensqualität stark beeinträchtigen, Beruf, Familie und Hobbys darunter leiden. Patienten sollen bei einem mehrwöchigen stationären Aufenthalt lernen, die negative Wahrnehmung umzulenken, sich ans Geräusch zu gewöhnen und so im Alltag wieder besser klarzukommen. «Ein Grossteil der Patienten fühlt sich danach besser», sagt Rahul Gupta.

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