Eine bipolare affektive Störung ist eine schwere psychische Erkrankung. Menschen, die darunter leiden, erleben ein ständiges Auf und Ab der Gefühle. Zeitweise fühlen sich die Betroffenen sehr niedergeschlagen, dann wiederum sind sie euphorisch, aufgedreht, hyperaktiv und überschätzen sich.
Die Bipolare Störung gehört wie die Depression zu den sogenannten affektiven Störungen. Das bedeutet, dass sie sich auf die Gefühle der Betroffenen auswirkt. Die Patienten erleben starke Stimmungsschwankungen, für die es meist keinen äusseren Auslöser gibt. Manische Phasen mit grosser Euphorie, Energie und Selbstüberschätzung oder aber Gereiztheit und Misstrauen wechseln sich mit depressiven Phasen ab, in denen die Betroffenen niedergeschlagen und antriebslos sind. Oft wird die Bipolare Störung daher heute noch umgangssprachlich als Manische Depression bezeichnet.
Bipolare Störungen betreffen schätzungsweise ein bis drei Prozent der Bevölkerung.
Verschiedene Formen der bipolaren Störung
Bei einer Bipolaren Störung wechseln sich in unregelmässigen Abständen Phasen oder Episoden mit gedrückter (depressiver) Stimmung und solche mit auffälligem Stimmungshoch oder gereizter Stimmung (manische Phasen) ab. Nichtsdestotrotz handelt es sich nicht um ein einheitliches Krankheitsbild. Vielmehr gibt es verschiedene Erscheinungsformen einer Bipolaren Störung, darunter vor allem folgende:
- Bipolar-I-Störung: Depression und Manie wechseln einander ab. Eine depressive Episode dauert mindestens zwei Wochen an, eine manische Episode mindestens sieben Tage. Letztere ist stark ausgeprägt (Unterschied zu Bipolar-II-Störung).
 - Bipolar-II-Störung: Hier kommt es zu depressiven Episoden und mindestens einer hypomanischen Epidsode. Letztere unterscheidet sich von manischen Episoden in der Mindestdauer (mindestens vier Tage) und im Vorliegen bestimmter Symptome (z.B. verstärkt Konzentrationsschwierigkeiten statt Gedankenrasen oder Ideenflucht; weniger Selbstüberschätzung und tollkühnes Verhalten etc.).
 - Rapid Cycling: Diese Sonderform ist durch einen besonders schnellen Wechsel zwischen depressiven und manischen Episoden gekennzeichnet (innerhalb von zwölf Monaten mindestens vier voneinander abgrenzbare Episoden). Sie betrifft bis zu 20 Prozent aller Patienten mit Bipolarer Störung, und zwar vor allem Frauen.
 - Zyklothymia: Hier besteht über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren eine instabile Stimmung. Sie ist aber nicht so stark ausgeprägt, dass die Kriterien einer Manie oder einer mindestens mittelgradigen depressiven Episode erfüllt wären. Daher wird die Zyklothymia manchmal zu den anhaltenden affektiven Störungen statt zu den bipolaren affektiven Störungen gezählt.
 
Besonders heimtückisch ist die Bipolar-II-Störung, bei der statt manischer weniger ausgeprägte hypomanische Episoden auftreten. «Von Gleichaltrigen werden sie möglicherweise als besonders mitreissend erlebt, von den Eltern oft nur als anstrengend.
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Bei einer Zyklothymia, auch Zyklothyme Störung genannt, bestehen über Jahre viele Perioden mit leichten hypomanen oder depressiven Symptomen.
Rapid Cycling bezeichnet eine Sonderform der bipolaren affektiven Störung. Man versteht darunter eine Verlaufsform mit raschem Phasenwechsel, die sich spontan, oder im Verlauf einer Behandlung entwickeln kann. Man spricht von „rapid cycling“, wenn innerhalb eines Jahres mindestens 4 depressive, manische oder hypomane Phasen oder mindestens 2 bipolare Krankheitszyklen (Manie und Depression) auftreten.
Symptome der bipolaren Störung
Die bipolare Störung ist durch das phasenhafte Auftreten von extrem gegensätzlichen emotionalen Zuständen gekennzeichnet. Diese reichen von schweren Depressionen auf der einen bis zu manischen Phasen mit gesteigertem Antrieb und Euphorie auf der anderen Seite. Dazwischen gibt es auch Phasen von Normalität sowie verschiedene Zwischenstufen wie Hypomanie, subdepressive Zustände oder Mischformen.
Es gibt bei Bipolarer Störung vier verschiedene Episodenarten. Neben den "klassischen" depressiven und manischen Episoden zählen dazu auch hypomanische und gemischte Episoden. Manchmal folgt auf eine manische Phase eine depressive Episode - entweder direkt als "Nachschwankung" oder später (nach eine Periode mit "normaler" Stimmungslage) als separate Episode. In anderen Fällen läuft es umgekehrt: Es beginnt mit einer depressiven Phase, gefolgt von einer manischen Phase - wiederum entweder als "Nachschwankung" oder isoliert auftretend. Ganz selten leidet ein Patient nur unter manischen Phasen.
Symptome der depressiven Episode
Die depressive Phase einer bipolaren Störung ähnelt einer allein auftretenden Depression. Die betroffenen Personen fühlen sich niedergeschlagen und traurig. Ausserdem verlieren sie häufig das Interesse und die Freude an Aktivitäten, die sie vor Krankheitsbeginn gerne gemacht haben. Das Energieniveau ist deutlich tiefer. Patientinnen und Patienten ermüden schneller und fühlen sich oftmals durchgängig erschöpft.
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In den depressiven Phasen gleicht das Krankheitsbild einer Depression. Zu den Hauptsymptomen gehören dann:
- gedrückte Stimmung
 - Verlust von Interesse und Freude
 - Antriebslosigkeit
 - Schlafstörungen, vor allem Durchschlafstörungen in der zweiten Nachthälfte
 - Konzentrations- und Denkstörungen
 - Schuldgefühle
 - Selbstzweifel
 - Suizidgedanken
 
In der depressiven Phase können auch körperliche Symptome auftreten. Der Appetit nimmt ab, und viele Betroffene verlieren deutlich an Gewicht. Manche empfinden Schmerzen an unterschiedlichen Körperstellen. Häufige Beschwerden sind Atemnot, Herzbeschwerden, Magen- und Darmprobleme sowie Schwindel, Kopfschmerzen und Erektionsstörungen.
Symptome der manischen Episode
Die manische Phase bezeichnet die gegenteilige Stimmungslage. Die Betroffenen fühlen sich hochgestimmt, voller Energie und freudig erregt. Das Aktivitätsniveau unterscheidet sich deutlich von der depressiven Phase: Die Patienten sind zum Teil übermässig aktiv und verfolgen eine Aktivität nach der anderen. Betroffene schlafen weniger und erscheinen deutlich redefreudiger. Die Gedanken rasen beinahe unkontrollierbar.
In Phasen der Manie ist alles übersteigert - emotionale Erregung, Denken, Sprechen, Handeln: Der Patient ist voller Energie (bei gleichzeitig geringem Schlafbedürfnis) und entweder auffällig gehobener Stimmung oder aber sehr gereizt. Er hat einen starken Rededrang, ist sprunghaft und unkonzentriert, ausserdem sehr kontaktbedürftig, überaktiv und impulsiv.
Während einer manischen Episode sind die Patienten auch sehr kreativ. Man geht heute davon aus, dass unter anderem Vincent van Gogh und Georg Friedrich Händel manisch-depressiv waren.
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Symptome der hypomanischen Episode
Die Phase der Hypomanie ist eine abgeschwächte Form der Manie. Auch hier fühlen sich die Betroffenen hochgestimmt, freudig, brauchen weniger Schlaf und sind körperlich aktiv. Für manche Betroffenen ist die hypomanische Phase sehr produktiv. Sie fühlen sich kreativ und als eine Person mit besonderen Fähigkeiten.
In manchen Fällen von Bipolarer Störung sind die manischen Symptome in abgeschwächter Form ausgeprägt. Dann spricht man von Hypomanie. Betroffene leiden beispielsweise eher an Konzentrationsschwierigkeiten als an Ideenflucht und Gedankenrasen. Auch besonders auffällige Manie-Symptome wie Verlust sozialer Hemmungen, starke Selbstüberschätzung und tollkühnes Verhalten sind nicht beziehungsweise kaum vorhanden.
Symptome der gemischten Episode
In der gemischten Phase treten Depression und (Hypo-)Manie gleichzeitig auf. So können Betroffene inmitten eines Hochgefühls weinerlich werden. Das Suizidrisiko in dieser Phase ist besonders hoch.
Abgesehen von rein depressiven oder (hypo-)manischen Episoden treten bei Bipolarer Störung manchmal auch gemischte Phasen auf. Sie zeichnen sich durch eine Mischung oder einen raschen Wechsel (innerhalb weniger Stunden) von depressiven und (hypo-)manischen Symptomen aus. Von einer gemischte Episode spricht man aber erst, wenn depressive und (hypo-)manische Symptome gleichermassen die meiste Zeit über mindestens zwei Wochen auftreten.
Diagnose der bipolaren Störung
Die Bipolare Störung ist nicht leicht zu diagnostizieren, weil sie mit anderen psychischen Störungen wie einer klassischen Depression oder Schizophrenie verwechselt werden kann. Da die manische Phase von den Angehörigen und Betroffenen oft als lediglich aufgedrehte Stimmung interpretiert wird, dauert es oft Jahre, bis eine richtige Diagnose gestellt wird.
Um das 14. Lebensjahr treten bipolare Störungen zunehmend in Erscheinung. Häufig wird die Diagnose erst fünf bis zehn Jahre nach den ersten Symptomen gestellt, weiss auch Psychiaterin Gerstenberg.
Die meisten bipolaren Störungen werden klassifiziert wie folgt:
- Bipolar-I-Störung: Betroffene haben eine oder mehrere ausgeprägte manische und depressive Phasen.
 - Bipolar-II-Störung: Hier haben Betroffene eine oder mehrere schwere depressive zusammen mit einer hypomanischen (nicht manischen) Phase.
 
Besonders die Bipolar-II-Störung ist schwer zu erkennen, da die Symptomatik häufig schwächer ausgeprägt ist. Demnach erfragt die behandelnde Fachkraft detailliert das Erleben, die Stimmungen und Gefühle.
Umfangreiche Befragung
Zur Abklärung einer möglichen Bipolaren Störung wird sich der Arzt zuerst ausführlich mit dem Patienten unterhalten, um die Krankengeschichte zu erheben (Anamnese). Folgende Fragen könnte der Arzt oder Therapeut dabei stellen:
- Haben Sie sich in den letzten Wochen niedergeschlagen oder antriebslos gefühlt?
 - Hatten Sie Schwierigkeiten, morgens aufzustehen?
 - Hatten Sie Schwierigkeiten, nachts durchzuschlafen?
 - Hatten Sie einen guten Appetit?
 - Welche Gedanken haben Sie momentan? Was beschäftigt Sie?
 - Haben Sie manchmal Gedanken an den Tod oder daran, sich das Leben zu nehmen?
 - Waren Sie in den letzten Wochen ungewöhnlich aufgedreht?
 - Hatten Sie das Gefühl, Sie stehen unter Strom?
 - Hatten Sie den Eindruck, dass Sie mehr und schneller geredet haben als sonst?
 - War Ihr Schlafbedürfnis verringert?
 - Waren Sie sehr aktiv und haben viele Dinge innerhalb kürzester Zeit erledigt?
 - War Ihre Stimmung in letzter Zeit wechselhaft?
 - Sind in Ihrer Familie Fälle von manisch-depressiver Erkrankung bekannt?
 
Sehr sinnvoll ist es, wenn neben dem Patient auch Angehörige vom Arzt befragt werden (und später in die Behandlung mit einbezogen werden). Besonders wenn der Betroffene keine Krankheitseinsicht hat, sind die Beobachtungen und Mithilfe von nahestehenden Personen extrem wichtig. Denn Angehörige können die verschiedenen Stimmungsphasen des Betroffenen oft gut einschätzen. Die gleichberechtigte Zusammenarbeit von Betroffenen, Angehörigen und Professionellen (Therapeuten), wie sie die moderne Psychiatrie vorsieht, nennt sich "Trialog".
Differenzialdiagnosen
Bei der Diagnosefindung muss der Arzt vor allem auf die Unterscheidung zwischen Manie und Schizophrenie achten, was nicht immer leicht ist. Auch andere psychische Erkrankungen können anstelle von Bipolarer Störung für die Symptome des Patienten verantwortlich sein. Zu diesen Differenzialdiagnosen zählen etwa die Borderline-Persönlichkeitsstörung und ADHS.
Ebenso muss der Arzt diverse organische Erkrankungen als mögliche Ursachen für manische bzw. depressive Symptome ausschliessen, bevor er die Diagnose Bipolare Störung stellen kann. Zu diesen Erkrankungen gehören zum Beispiel Epilepsie, Hirntumoren, Multiple Sklerose, Schilddrüsenerkrankungen, Alkohol-, Drogen- oder Medikamentensucht, Neurosyphilis (Entzündungen im Nervensystem als Folge von Syphilis), Frontotemporale Demenz, Parkinson, Morbus Cushing und Morbus Addison. Diverse körperliche Untersuchungen helfen dabei, solche organischen Erkrankungen nachzuweisen beziehungsweise auszuschliessen.
Begleiterkrankungen
Diagnostiziert der Arzt eine Bipolare Störung, muss er auch sorgfältig eventuelle Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) erfassen. Solche sind bei Bipolarer Störung nicht selten und können deren Verlauf und Prognose beeinflussen. Das muss der Arzt bei der Therapieplanung berücksichtigen.
Viele Menschen mit Bipolarer Störung leiden etwa noch an anderen psychischen Erkrankungen. Zu den häufigsten zählen Angst- und Zwangsstörungen, Alkohol- oder Drogensucht, ADHS, Essstörungen und Persönlichkeitsstörungen.
Ausserdem haben Bipolare oft noch eine oder mehrere organische Erkrankungen, darunter vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Metabolisches Syndrom, Diabetes mellitus, Migräne sowie Erkrankungen des Bewegungsapparates (Muskulatur und Skelett).
Behandlung der bipolaren Störung
Bipolare Störungen sind nicht heilbar. Trotzdem sind eine frühe Diagnose und Behandlung wichtig.
Die Therapie umfasst in der Regel Medikamente und Psychotherapie. Die Medikamente zielen darauf ab, Stimmungsschwankungen zu minimieren und das Wiederauftreten extremer Phasen zu verhindern. Sie hilft Betroffenen, mit Symptomen umzugehen und Auslöser zu erkennen. Auch andere psychotherapeutische Ansätze wie die familienfokussierte Therapie oder die interpersonelle und soziale Rhythmustherapie können die medikamentöse Behandlung der Bipolaren Störung unterstützen.
Ziel der Behandlung ist, die Symptome der akuten Phase zu reduzieren und möglichst lange stabile Phasen zu erreichen, in denen die Betroffenen ein relativ normales Leben führen können. Dabei kommt eine Kombination aus Psychoedukation, Medikamenten und Psychotherapie zum Einsatz.
Ein gutes Management der Erkrankung ist wichtig, damit Betroffene langfristig stabil bleiben - etwa das Erkennen von Frühsymptomen und eine regelmässige Einnahme der Medikamente.
Die Therapie richtet sich jeweils nach dem jeweiligen Stadium der Erkrankung (1. Akutbehandlung 2. Phasenprophylaktische Behandlung, um eine neue Erkrankung/ein Rückfall zu verhindern).
Bezüglich der depressiven Phasen werden üblicherweise mit dem Betroffenen individuell im Gespräch die möglichen Therapien zusammengestellt. Sie unterscheiden sich nicht wesentlich von der Behandlung der unipolaren Depression (u.a.
Im Jugendalter wird eine bipolare Störung häufig zunächst nicht erkannt. Oft folgt ein langer Leidensweg voller Ungewissheit und wechselnder Therapien.
«Bei der Psychoedukation erhalten Jugendliche und ihre Eltern Informationen dazu, welche Symptome bei einer bipolaren Störung auftreten, was sie auslösen kann, wie man sie behandeln kann und welche Strategien beim Umgang mit der Erkrankung hilfreich sind», sagt Wöckel.
Weitere Ziele sind, einen regelmässigen Lebensrhythmus zu entwickeln sowie Frühwarnzeichen von Krankheitsphasen rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren.
Den Jugendlichen wird im Zuge der Therapie auch vermittelt, dass die bipolare Störung eine lebenslange Erkrankung ist - und dass meist längerfristig Medikamente genommen werden müssen, um erneute Krankheitsphasen zu verhindern.
Die medikamentöse Behandlung gestaltet sich bei Jugendlichen ähnlich wie bei Erwachsenen.
Um bei ersten Symptomen einer Krankheitsphase schnell reagieren zu können und die regelmässige Einnahme der Medikamente sicherzustellen, kann eine langfristige professionelle Begleitung sinnvoll sein.
«Die Unterstützung durch Angehörige ist eine der wirksamsten Massnahmen, um die psychische Stabilität der Jugendlichen zu fördern und sie in Ausbildung und Berufsleben zu unterstützen», sagt Wöckel.
Für Angehörige, insbesondere die Eltern, ist die bipolare Erkrankung ihres Kindes oft eine grosse Belastung. «In manischen beziehungsweise hypomanischen oder depressiven Phasen müssen sie sich viel um ihr Kind kümmern. Oft hätten Eltern auch Schuldgefühle und würden sich fragen, was sie falsch gemacht hätten - dafür gebe es aber bei einer bipolaren Erkrankung keinen Grund.