Vergesslichkeit und Gedächtnisstörungen sind weit verbreitete Phänomene, die viele Ursachen haben können. Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht jede Vergesslichkeit gleich eine Demenz bedeutet.
Ursachen von Vergesslichkeit
Es gibt eine grosse Bandbreite möglicher Ursachen für Vergesslichkeit oder andere Störungen der geistigen Leistungsfähigkeit wie der Aufmerksamkeit. Für den medizinischen Laien seien diese Ursachen häufig nicht offensichtlich, führt Sollberger weiter aus: «Ein Klassiker ist zum Beispiel das Schlafapnoe-Syndrom. Man ist tagsüber müde und unaufmerksam. Die Betroffenen und ihre Umgebung nehmen dies als Vergesslichkeit wahr. Wenn dann allerdings Tests durchgeführt werden, kann keine Gedächtnisstörung festgestellt werden, weil sich die Patienten während der Testung konzentrieren. Im Alltag jedoch haben sie Probleme, sich Dinge zu merken, da sie über den Zeitraum eines ganzen Tages in Zusammenhang mit der Müdigkeit Aufmerksamkeitsschwankungen haben.»
Dieses Problem ist allerdings nicht Ausdruck einer Hirnkrankheit, sondern einer ungenügenden nächtlichen Erholung des Gehirns wegen wiederholter Sauerstoffmangelphasen als Folge der Atempausen im Schlaf. Sollberger führt im Gespräch auch vielfältige organische Ursachen für Vergesslichkeit auf: Für eine alternde Gesellschaft sind beispielsweise neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer-Krankheit eine Herausforderung.
Weiter existiert eine Form der Epilepsie - die Temporallappenepilepsie - welche zu kurzen Blackouts führt, bei denen die Betroffenen für einen Moment abwesend und nicht ansprechbar sind. Dieses Krankheitsbild betrifft ähnliche Regionen wie die Alzheimer-Krankheit im Frühstadium und entsprechend weisen diese Personen oft auch Gedächtnisstörungen auf. Ein Schlaganfall oder ein Schädelhirntrauma kommen ebenfalls in Frage. Die virale Herpesenzephalitis ist eine schwere, aber seltene Erkrankung des Gehirns, auch Tumore können die Gedächtnisleistung stören.
Kognitive Beeinträchtigungen können viele Ursachen haben und sich sehr unterschiedlich äussern. Sie können genetisch bedingt oder angeboren sein wie zum Beispiel beim Down-Syndrom. Es können Stoffwechselstörungen die Ursache sein oder Komplikationen während der Geburt, die zu Sauerstoffmangel führten. Unfälle, die Schädelhirnverletzungen zur Folge haben, können kognitive Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Auch neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson, Demenz, entzündliche Prozesse im Gehirn, Infektionen (z.B. HIV), Mangelernährung, vor allem ein Mangel an Vitaminen (B1, B12, Folsäure usw.), zerebrovaskuläre (Schlaganfall, Hirnblutungen), endokrinologische (Diabetes, Schilddrüsenerkrankungen) oder somatische Erkrankungen (wie z.B. Herz-, Lungen- oder Leber- Erkrankungen), Gehirntumore oder psychiatrische Erkrankungen (Sucht-, psychotische oder affektive Erkrankungen wie Depressionen) können kognitive Beeinträchtigungen verursachen.
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Psychische Ursachen: Depression als Hauptfaktor
Bei den psychischen Ursachen einer Vergesslichkeit führt Depression die Rangliste an. Depressive Menschen wirken häufig abwesend, sind in ihren negativen Gedanken gefangen und können der Aussenwelt nur wenig Aufmerksamkeit geben. Auch in diesen Fällen zeigt die kognitive Testung typischerweise keine Gedächtnisstörung, wobei jedoch auch Personen mit Depression in der Testung Gedächtnisstörungen zeigen können.
Menschen, die in der Mitte ihres Lebens stehen, haben oft sehr hohe Anforderungen im Alltag, weil sie im Beruf und in der Familie stark gefordert sind. Seltener kann es aber auch sein, dass eine Depression verantwortlich ist für die Vergesslichkeit. Das betrifft insbesondere ältere Menschen.
Bei einer Depression ist das Gedächtnis messbar schlechter als bei Menschen ohne Depression. Wir haben immer wieder solche Personen in unserer Gedächtnissprechstunde. Von einem schlechten Gedächtnistest fühlen sie sich bestätigt. Dann meinen sie: O ja, ich habe definitiv eine Demenz. Und darüber geraten sie noch tiefer in die Depression. Die gute Nachricht ist, eine Depression ist weitaus besser behandelbar als eine Demenz.
Ausgelöst wird eine Depression laut dem Psychoanalytiker «meist durch längere Phasen von Überlastung und Überforderung, durch schwierige Konstellationen in der Familie, problematische Beziehungen, anhaltenden Stress am Arbeitsplatz, Enttäuschungen, Verlust und Krisen oder auch Mobbing». Mit Faulheit oder einer falschen Einstellung zu den Dingen haben Depressionen dagegen nichts zu tun. Im Gegenteil sind Betroffene «häufig sehr engagiert, gewissenhaft und auf der Suche nach Lösungen». «Die Depression verändert das Wesen des Betroffenen sehr stark», sagt Brezina. Depressive leiden erheblich, aber auch ihr Umfeld, die Familie, die Kinder werden belastet.
Diagnose von Gedächtnisstörungen
Ein Faktor für die Diagnose einer Gedächtnisstörung ist das Niveau, auf dem ein Mensch im Alltag kognitive Leistungen erbringt. Wenn jemand in seinem Beruf geistig stark gefordert ist, ist dies eine andere Ausgangssituation als der Alltag einer pensionierten Person, die im Allgemeinen geistig weniger beansprucht wird als in ihrem früheren beruflichen Alltag.
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Im zweiten Fall wird eine Gedächtnisstörung später wahrgenommen, weil die Pensionärin oder der Pensionär im Alltag viel stärker Routinen wiederholt, was das Gedächtnis natürlich weniger fordert. «Deshalb kommen berufstätige Patienten meist zu einem früheren Zeitpunkt zu uns als ältere Patienten.» Eine Herausforderung bei der Diagnose einer Gedächtnisstörung sind auch Menschen, die auf einem sehr hohen geistigen Niveau mit hoher Analyse-, Kommunikations- und Entscheidungsfrequenz arbeiten.
Wenn man für die Ursachen der Vergesslichkeit keine offensichtliche Erklärung findet, dann sei ein Gespräch mit einer medizinischen Fachperson für weitere Abklärungen hilfreich, empfiehlt Sollberger. Auch können körperliche Erkrankungen und Depressionen zu Symptomen wie Vergesslichkeit, Erschöpfung, Antriebsmangel, Veränderung der Persönlichkeit und Ängsten führen, wie sie bei Demenzen vorkommen.
Sollberger empfiehlt, die Situationen zu beschreiben, in denen sich die Vergesslichkeit bemerkbar macht, denn diese geben ebenfalls Hinweise auf mögliche Ursachen. Vergesslichkeit habe nämlich mehrere Facetten: Sie kann etwa das sogenannte verbal-episodische Gedächtnis betreffen, was dazu führt, dass man Gesagtes vergisst. Grundsätzlich ist das verbal-episodische Gedächtnis stärker gefordert als das visuelle Gedächtnis, das für die Orientierung verantwortlich ist.
Sollberger kann allerdings nicht empfehlen, im Internet angebotene Selbsttests durchzuführen. Bei den frei verfügbaren kognitiven Onlinetests stelle sich die Frage: Was ist normal? Was sind die Normen, auf deren Basis die Auswertungen stattfinden? Kognitive Leistung sei individuell sehr unterschiedlich. Die Schulbildung respektive die berufliche Tätigkeit mit mehr oder weniger geistig gefordertem Hirn, aber auch das Alter und das Geschlecht, spielen beispielsweise eine wichtige Rolle. Solche Normen werden in neuropsychologischen Testungen berücksichtigt.
Ein bekannter Kurztest, der von medizinischen Fachpersonen für ein Screening nicht selten durchgeführt wird, ist der MoCa-Test (Montreal-Cognitive-Assessment). Es gibt einen Score, der Alter, Ausbildungsjahre und Geschlecht in Relation zum Ergebnis setzt. Sollberger rät jedoch Laien davon ab, diesen Test selbst durchzuführen.
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Unterscheidung zwischen normaler Vergesslichkeit und Demenz
Woran erkenne ich eine Demenz? «Der Klassiker ist: Ein Gerät kommt neu in den Haushalt, und das kann die Person nicht mehr anwenden.» Die Definition der Demenz ist etwas unscharf, aber im Grunde sprechen wir davon, wenn die geistigen Störungen so stark sind, dass die Person im Alltag nicht mehr selbständig ist.
Wer im Anfangsstadium kommt, kann noch selbst davon berichten. Der Klassiker ist: Irgendein technisches Gerät kommt neu in den Haushalt, und das kann die Person nicht mehr anwenden. Bei Menschen, die schon starke Symptome haben, berichten eher die Angehörigen. Sie sagen dann zum Beispiel: Mein Mann hat grosse Probleme mit der Körperpflege und schafft es nicht mehr, den Einkauf zu erledigen. Ich muss zunehmend Aufgaben übernehmen.
Es gibt standardisierte Tests, mit denen das Gedächtnis, die Sprachfähigkeiten, die räumliche Wahrnehmung und so weiter erhoben werden. Sehr gut funktioniert der Uhrentest. Damit können wir besonders gut erkennen, wie sich die räumliche Wahrnehmung verändert hat. Viele Erkrankte haben damit Schwierigkeiten - selbst wenn sie womöglich im Alltag noch ganz gut zurechtkommen. Es gibt bei diesem Test dann Menschen, die die Ziffern von 1 bis 12 in eine Reihe neben die Uhr schreiben. Andere notieren alle 12 Ziffern in die erste Hälfte oder sogar ins erste Viertel der Uhr.
Dabei geht es zum Beispiel darum, ob es eine andere Erklärung für die Beschwerden gibt. Wir überprüfen etwa, ob die Schilddrüsenwerte in Ordnung sind oder ob ein Vitaminmangel vorliegt. In seltenen Fällen kann es auch sein, dass jemand eine Infektionskrankheit hat, die das Gedächtnis beeinträchtigt. Ausserdem bekommen wir mit der Blutuntersuchung Hinweise, ob es sich speziell um eine Alzheimer-Erkrankung handelt. Auch bildgebende Verfahren weisen auf die Demenzform hin. Auf dem Bild des Gehirns sehen wir bei einer Alzheimer-Krankheit ausserdem, ob die Gedächtnisregion kleiner geworden ist.
Behandlung von Gedächtnisstörungen und Depression
Die umfassende Erhebung der Vorgeschichte - oft in Zusammenarbeit mit Angehörigen, Hausarzt oder Spitex - stehen am Anfang. Blutuntersuchungen im Labor, eine neurologische Untersuchung, bildgebende Verfahren wie eine Computertomographie (CT) oder eine Magnetresonanztomographie (MRI) des Gehirns und neuropsychologische Tests führen zu einer Diagnose als Ausgangsbasis für eine weitere Behandlungsplanung. Ein ausführliches Aufklärungsgespräch über die Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten, auf Wunsch auch unter Einbezug der Vertrauensperson und der Angehörigen, ist für uns selbstverständlich.
Um kognitive Beeinträchtigungen gezielt zu behandeln, gehen wir von den Ursachen aus und sorgen dafür, dass daraus entstandene Erkrankungen optimal therapiert werden. Wir beraten und unterstützen bei Themen wie gesunde Ernährung, körperliche Aktivitäten und Normalgewicht. Wir unterstützen bei empfohlenen Massnahmen wie auf das Rauchen zu verzichten, wenig oder keinen Alkohol zu konsumieren. Und wir bieten ambulante Therapien wie zum Beispiel kognitives Training oder Psychotherapie an.
Der Hausarzt oder die Hausärztin behandeln eine depressive Erkrankung oft mit Medikamenten. Reicht dies nicht aus, überweisen sie Betroffene in eine psychiatrische oder psychologische Behandlung, die sie darin unterstützen soll, die entscheidenden Veränderungen einzuleiten. Ist eine Depression erst einmal diagnostiziert, braucht es aber genau dies - und die richtigen Fachleute an der Seite. Eine rasche Unterstützung und psychische wie physische Entlastung sind wichtig. Die oft gehörte Aufforderung, sich einfach zusammenzureissen, ist kontraproduktiv. Vielmehr müssen alle Beteiligten viel Geduld und Wohlwollen aufbringen.
Je nach Situation kommen Medikamente wie Cholinesterasehemmer, Memantine oder Ginkgo sowie Psychotherapie zum Einsatz, auch zur Behandlung von Begleitsymptomen. Dazu gehören etwa Schlafstörungen, Depression oder Verhaltensänderungen. Wo sinnvoll und möglich, ergänzen Gedächtnis- und Alltagstraining, körperorientierte Therapien, Ergotherapie sowie musische und kreative Therapien das Behandlungsangebot.
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