Hypochondrie: Ursachen und Umgang mit eingebildeten psychischen Krankheiten

Der Begriff Hypochondrie bezeichnet die übertriebene Angst, krank zu sein oder zu erkranken. Diese krankhafte Angst schränkt die Lebensqualität der Betroffenen meist stark ein und ähnelt oftmals einer Panik- oder Angst-Störung. Tatsächlich gehört sie aber zu den sogenannten somatoformen Störungen.

Das, was eine Hypochondrie vor allem ausmacht, ist die Angst vor Krankheiten oder dem Kranksein, die sich dadurch verstärkt, dass Betroffene Wahrnehmungen des eigenen Körpers (wie den Herzschlag) missdeuten. Betroffene über- oder fehlinterpretieren körperliche Symptome und haben ständig Angst vor Krankheiten.

Weltweit leiden zwischen zwei und sieben Prozent der Hausarzt-Patienten unter einer Hypochondrie. Männer und Frauen sind gleichermassen betroffen. Die Dunkelziffer der Hypochonder (Menschen mit Hypochondrie) ist aber vermutlich weitaus höher, da es auch Betroffene gibt, die nicht im Gesundheitssystem auffallen.

Prinzipiell ist das Entstehen einer Hypochondrie unabhängig von Alter oder Geschlecht. Statistisch gesehen sind vor allem Menschen der unteren Bildungsschichten betroffen. Eine genetische Veranlagung spielt bei der Hypochondrie aus heutiger Sicht nur eine untergeordnete Rolle.

Manche Menschen entwickeln zeitweise hypochondrische Anfälle, zum Beispiel nach tatsächlichen schweren Erkrankungen oder Erlebnissen oder während der Betreuung lebensbedrohlich erkrankter Personen. Aber auch nach dem Erwerb von neuen Informationen in Bezug auf Gesundheit und Krankheit kommt es unter Umständen zu hypochondrischen Phasen - wie zum Beispiel während des Medizin-Studiums.

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Formen von Hypochondrie

Experten unterscheiden zwischen zwei Subtypen von Hypochondrie: Während eine Gruppe von Hypochondern verstärkt medizinische Versorgung in Anspruch nimmt, versucht die andere Gruppe medizinische Betreuung zu vermeiden.

Eine andere Einteilung sieht das aktuelle amerikanische Klassifikationssystem für psychiatrische Krankheiten vor: Eine Unterform ist bei Hypochondern vornehmlich durch körperliche Symptome gekennzeichnet, während bei der anderen Unterform die Angst eine grössere Rolle spielt.

Primäre und sekundäre Hypochondrie

Von einer sogenannten primären Hypochondrie ist die Rede, wenn diese alleine auftritt. Vor allem im Rahmen von schizophrenen Erkrankungen und Angst-Störungen treten gegebenenfalls zusätzlich auch hypochondrische Symptome auf. In diesem Fall spricht der Arzt von einer sekundären Hypochondrie, die primär (zuerst) aufgrund einer anderen Krankheit entsteht.

Diagnose

Erste Hilfe erhalten Hypochonder bei ihrem Hausarzt. Dieser hat meist die beste Übersicht über reale Krankheits-Sorgen und den Gesundheitszustand des Patienten. So ist er oft am besten in der Lage, beim Patienten zwischen übertriebenen Ängsten und tatsächlich bestehenden Gesundheitsrisiken zu unterscheiden.

Nach einem eingehenden Gespräch überweist der Hausarzt den Patienten bei Bedarf an einen Psychiater oder Psychologen. Hierbei bedarf es der Zustimmung des Patienten, denn seine Bereitschaft ist die Voraussetzung, um eine Hypochondrie-Therapie einzuleiten.

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Vor Beginn einer psychotherapeutischen Behandlung der Hypochondrie ist jedoch sicher auszuschliessen, dass keine organische Krankheit vorliegt, welche die beschriebenen Hypochondrie-Symptome auslöst. Dies sind insbesondere Multiple Sklerose, die schwere krankhafte Muskelschwäche Myasthenia gravis, hormonelle Störungen, Schilddrüsen-Erkrankungen und Tumoren.

Untersuchungen beim Psychiater oder Psychologen

Die Untersuchung durch den Psychiater oder Psychologen besteht aus einem intensiven Gespräch, in dem er mit dem Patienten verschiedene Punkte bespricht. Zur sicheren Diagnose-Stellung benutzt er moderne Fragebögen, um die Verdachtsdiagnose Hypochondrie objektiv zu bestätigen. Gefragt wird speziell nach den Symptomen einer Hypochondrie.

Mit Hilfe solcher Tests hat der Psychiater oder Psychologe die Möglichkeit, allgemein zu untersuchen, ob eine Hypochondrie besteht, welche Elemente einer Hypochondrie vorliegen und wie schwer diese ist.

Diagnose-Kriterien für Hypochondrie

Es ist wichtig, zwischen einer zeitweisen Sorge, erkrankt zu sein, und übertriebenen Krankheitsängsten zu unterscheiden. Um die Diagnose Hypochondrie zu stellen, müssen nach dem amerikanischen Diagnose-Katalog (DSM-V) folgende Kriterien erfüllt sein:

  • Übermässige Beschäftigung mit dem Erkranken oder dem Kranksein
  • Körperliche Symptome liegen nicht oder nur in milder Form vor. Wenn schwere Symptome vorliegen, dann ist die Beschäftigung damit als exzessiv und unangemessen zu beurteilen.
  • Der Betroffene hat ein hohes Angst-Level für Gesundheitssorgen und ist leicht besorgt bei Gesundheitsangelegenheiten.
  • Überzogenes gesundheitsbezogenes Verhalten oder Vermeidung von Gesundheitsthemen
  • Die Angst besteht mindestens sechs Monate lang. Die gefürchtete Krankheit darf jedoch variieren.
  • Medizinische Untersuchungen erbrachten negative Ergebnisse. Es gibt keine bessere Erklärung für die Symptome als eine Hypochondrie, vor allem keine generelle Angst-Störung oder Panik-Störung.

Abgrenzung zu anderen Krankheiten

Möglicherweise fällt es schwer, eine Panikstörung von einer Hypochondrie zu unterscheiden. Während an einer Panikstörung leidende Menschen die akute Folge von Krankheit fürchten, richten Hypochonder ihr Augenmerk vor allem auf die Langzeit-Perspektive und nicht die akute Situation.

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Generelle Angststörungen sind im Gegensatz zur Hypochondrie durch eine Vielzahl von unspezifischen Sorgen gekennzeichnet.

Im Unterschied zu Menschen mit Somatisierungsstörungen machen sich Hypochonder weniger Gedanken um das Symptom an sich als über die Folgen und die Bedeutung.

Auch Zwangs-Störungen kommen als alternative Diagnose zur Hypochondrie in Betracht. Weitere abzugrenzende, psychiatrische Störungen sind Phobien: Phobiker haben Angst vor einer Krankheit, die sie noch nicht haben. Hypochonder hingegen gehen zumeist davon aus, die Krankheit bereits zu haben, auch wenn sie noch nicht zum Vorschein gekommen ist.

Krankheitsverlauf und Prognose

Die Hypochondrie verläuft möglicherweise in Krisen. Situationen, die bestimmte Assoziationen oder Erinnerungen wecken, lösen diese Krisen gegebenenfalls aus. Ziel einer Therapie ist es, den Umgang damit zu verbessern.

Schwere Formen der Hypochondrie führen zu Beeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Neben dem Berufsleben leiden möglicherweise auch Beziehungen zu anderen Menschen darunter.

Auch wenn sich die Hypochondrie nicht gänzlich besiegen lässt, besteht jedoch die Möglichkeit, durch eine erfolgreiche Therapie das Leiden deutlich zu vermindern. Studien ergaben, dass vor allem schwer erkrankte Hypochonder von einer kognitiv-behavioralen Psychotherapie profitieren und Erleichterung erfahren.

Generell gilt: Je länger die Hypochondrie bereits besteht und je schwerer sie ausgeprägt ist, desto schlechter die Prognose. Zusätzlich bestehende Krankheiten (vor allem psychische wie Ängste oder Depressionen) verschlechtern womöglich das Therapieergebnis. Solche Erkrankungen sind daher zeitgleich mit der Hypochondrie intensiv zu behandeln.

Vor allem junge Patienten haben eine grosse Chance, durch die Therapie mit ihrer Hypochondrie besser umzugehen.

Die Rolle der Gesellschaft und Stigmatisierung

Die Gesellschaft ist gegenüber Hypochondern gar nicht tolerant. Menschen mit einer psychischen Erkrankung gehören zu der am stärksten stigmatisierten Personengruppe und haben oft einen schweren Stand. Durch die ständige Angst vor Krankheiten schränken Betroffene ihren Lebensradius massiv ein.

Umgang mit Hypochondrie

In der Therapie geht es vor allem darum, die körperlichen Beschwerden gedanklich neu einzuordnen. Dabei können zum Beispiel Symptom-Tagebücher helfen, die Hinweise auf auslösende Situationen liefern. Es wird empfohlen, sich von den anderen wahrgenommen zu werden. Davor ist aber unbedingt eine medizinische Abklärung nötig, um tatsächliche körperliche Erkrankungen auszuschliessen.

Es gilt auch, einen gesunden Umgang mit Stresssituationen zu entwickeln und so das übertriebene Sicherheitsverhalten zu durchbrechen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man das Leben sicher machen kann - das Leben ist per se gefährlich.

Menschen mit einem hypochondrischen Verhalten sollten die Hände von Überwachungsmechanismen lassen. Zu Trainingszwecken kann eine Überwachung Sinn machen, aber auch da: Ist es nicht besser, auf den Körper zu hören und seine Grenzen zu erkennen?

Cyberchondrie vermeiden

Wenn Menschen mit Hypochondrie ihre selbst diagnostizierte Krankheit und die vorhandenen Beschwerden im Internet recherchieren, so finden sie schnell die Bestätigung, dass mit grösster Wahrscheinlichkeit eine lebensbedrohende Krankheit vorliegt. Deshalb ist von diesem Vorgehen abzuraten. Wenn dennoch ein starker Drang nach Informationen besteht, empfiehlt es sich, alle Fakten zu sammeln, die gegen eine schwere Erkrankung sprechen.

Psychische Erkrankungen und ihre Wahrnehmung in der Gesellschaft

Viele verwechseln psychische Erkrankungen mit Willensschwäche oder Fehlern in der Lebensführung und überschätzen die Beeinflussbarkeit der Psyche. Betroffene überschätzen sich oft selbst und versuchen, ihre Arbeitsleistung so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, wobei sie Privatleben und Freizeit vernachlässigen. Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium dauert der Heilungsprozess aber länger.

Die Schwelle, ab der man sich Hilfe holt, ist immer noch unglaublich hoch. Dazu kommt die Tabuisierung: Wer nach einer psychischen Erkrankung wieder gesund ist, erzählt das den Bürokollegen eher nicht.

Wer nach einer Lungenentzündung zurück an den Arbeitsplatz kommt, von dem erwartet der Chef auch nicht am ersten Tag 120-prozentigen Einsatz. Bei psychischen Belastungen ist es ähnlich, allerdings läuft der Genesungsprozess tatsächlich oft langsamer ab als bei vielen körperlichen Erkrankungen. Depressionen oder Angstzustände haben sich über Monate aufgebaut und sind nicht innert kurzer Zeit einfach wieder weg.

Viele Betroffene machen diesen Schritt sehr spät und versuchen ihre Arbeitsleistung so lange wie möglich aufrechtzuerhalten und vernachlässigen eher Privatleben und Freizeit. Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium dauert aber der Heilungsprozess länger. Wer eine Lungenentzündung drei Monate unbehandelt lässt, muss auch mit Komplikationen und einer längeren Heilungsphase rechnen.

Die durchschnittliche Dauer einer Krankschreibung bei psychischen Leiden ist oft länger, als es im Durchschnitt dauert, die Leiden zu behandeln. Bei vielen sitzt die Angst tief im Nacken: Was denken die Kollegen, was denkt die Chefin?

Dieser Mythos erschwert es vielen, rechtzeitig Hilfe zu suchen. Erzählen Sie mal im Bekanntenkreis, dass Sie Antidepressiva nehmen - Sie werden viele vorgefasste Meinungen zu hören bekommen von Leuten, die selber noch nie betroffen waren. Auch zu psychiatrischen Kliniken gibt es viele vorgefasste Meinungen, obwohl sich in den letzten 50 Jahren enorm viel verändert hat.

Studien zeigen das Gegenteil: Die meisten Leute, die Krankheiten vortäuschen, simulieren körperliche Leiden. Selbst Simulanten wollen nicht die Stigmatisierung durch eine psychische Erkrankung erleben. Es ist wesentlich seltener, dass jemand eine Depression oder gar eine Schizophrenie vorspielt als ein körperliches Leiden.

Wie können Angehörige helfen?

Wichtig für Angehörige und Menschen aus dem Umfeld von Betroffenen ist, dass sie das Problem ansprechen - denn es ist ein Problem - und sich einer möglichen Konfrontation stellen. Wenn Verwandte und Bekannte das nicht machen, werden sie sich früher oder später zurückziehen, und die von Hypochondrie betroffene Person wird vereinsamen.

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