Psychiatrie: Vor- und Nachteile psychischer Behandlung

Die Psychiatrie spielt eine entscheidende Rolle bei der Behandlung psychischer Erkrankungen. Sie bietet vielfältige therapeutische Möglichkeiten, die sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringen. Dieser Artikel beleuchtet verschiedene Aspekte der psychiatrischen Behandlung, einschliesslich der Open-Door-Policy, des Home Treatments und der zunehmenden Pathologisierung der Gesellschaft.

Die Rolle der Psychiatrie und ihre Entwicklung

Die Psychiatrie hat ein Doppelmandat: Sie muss für das Wohlergehen der Patientinnen und Patienten sorgen, aber auch den Schutz von Dritten bieten. Im Laufe der Psychiatriegeschichte hat sich jedoch vieles verändert, klar zum Positiven. Heute verfügen wir über therapeutische Möglichkeiten, so dass wir in Situationen, in denen früher das Sichern und Verwahren im Vordergrund stand, erfolgreich und ohne Zwang behandeln können.

Zwangsmassnahmen in der Psychiatrie

Es gibt verschiedene Zwangsmassnahmen. Zum einen sind das Sicherheitsmassnahmen, die dem Schutz dienen und selbst keinen therapeutischen Charakter haben, in der Regel bei akuter Selbst- und/oder Fremdgefährdung. Dazu gehören die Aufnahme auf eine geschlossene Abteilung, das Festhalten, die mechanische Fixierung oder die Isolation in einem geschützten Raum. Dann gibt es die Behandlung ohne Zustimmung der Patientin oder des Patienten, deren Ziel es ist, zur Gesundung der Patienten beizutragen. Diese Zwangsmassnahme wird durch eine leitende Ärztin oder einen leitenden Arzt schriftlich angeordnet und die Patientin oder der Patient kann sich juristisch zur Wehr setzen. Und schliesslich gibt es den informellen Zwang. Hier wird die Patientin oder der Patient unter Druck gesetzt, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten, nur ist sie schwerer zu fassen.

Heute und in der Schweiz ist das Bewusstsein für Persönlichkeitsrechte und Selbstbestimmung bei Menschen mit psychischen Erkrankungen gross. Die Gesellschaft ist gegenüber Psychiatrie aufgeschlossener, besser informiert - und Menschen, die psychiatrische Hilfe benötigen, werden weniger stigmatisiert.

Open-Door-Policy in der Psychiatrie

Das Konzept der Open Doors zielt darauf ab, ohne dauerhaft geschlossen geführte Abteilungen auszukommen, da diese viele gesundheitliche Nachteile für Patientinnen und Patienten haben - übrigens auch für Mitarbeitende. Beim Open Doors-Konzept handelt sich um ein ganzes Bündel an Massnahmen, um mehr Autonomie für die Patientinnen und Patienten, einen besseren Umgang mit Krisensituationen und ein besseres Therapieangebot zu fördern und so insgesamt mit weniger Zwangsmassnahmen auszukommen.

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Vor- und Nachteile der Open-Door-Policy

Offen geführte Abteilungen und ein Fokus auf Beziehung und Behandlung führen zu besseren Behandlungsergebnissen. Sie vermeiden die negativen Auswirkungen von Zwangsmassnahmen - zum Beispiel die Re-Traumatisierung von vulnerablen Patientinnen und Patienten. Sie führen auch zu einer besseren therapeutischen Atmosphäre, einem besseren Stationsklima. Eine Herausforderung bleibt es, mit Patientinnen und Patienten ohne Krankheitsgefühl, die aber dennoch dringend Behandlung bedürfen, zu einem gemeinsamen Behandlungsplan zu kommen.

Das Einführen dieses Konzepts kann nur in einer gemeinsamen Bemühung aller Berufsgruppen und aller Mitarbeitenden möglich gemacht werden. Es braucht den Aufbau einer entsprechenden therapeutischen Haltung, das Erarbeiten der notwendigen Konzepte, das Erlernen von optimaler Prävention und Krisenintervention. Gleichzeitig braucht es die fortwährende Unterstützung aus der Klinikleitung, um für das Konzept einzustehen und zu verhindern, dass übertriebenes Sicherheitsdenken die Entwicklungen wieder gefährdet.

Home Treatment als Alternative zur stationären Behandlung

Im Home Treatment werden Patientinnen und Patienten statt stationär in der Klinik in ihrem gewohnten Umfeld zu Hause betreut. Sie erhalten täglich Besuch von einem multiprofessionellen Team bestehend aus Ärztinnen, Psychologen, Pflegefachpersonen und einer Sozialarbeiterin. Zudem ist das Personal rund um die Uhr per Telefon erreichbar. Benötigte Medikamente werden jeweils für eine Woche abgegeben und in Eigenverantwortung eingenommen. Das Modell eignet sich besonders für Patientinnen und Patienten mit Familie.

In unseren Studien zur Behandlung im Home Treatment konnte festgestellt werden, dass die Behandlungsqualität gegenüber einer stationären Behandlung gleichwertig ist und dass sogar die Behandlungsdauer kürzer ist. Auch die Rückfallquote ist niedriger, da man nicht, wie nach einer stationären Behandlung, aus einem geschützten Rahmen in den Alltag kommt und da erst lernen muss, das Erlernte umzusetzen. Im Home Treatment passiert dieser Schritt parallel zur Behandlung.

Voraussetzungen für Home Treatment

Zunächst muss eine Behandlungsbedürftigkeit im stationären Sinne vorliegen. Es muss ein fester Wohnsitz vorhanden sein, der vom Hauptstandort unserer Psychiatrischen Dienste innerhalb von 30 Minuten erreichbar ist. Auch die Angehörigen müssen einverstanden sein, das ist sehr wichtig. Und wir behandeln keine Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen, denn diese benötigen eine medizinische Überwachung, welche wir im Home Treatment nicht gewährleisten können. Bei akuter Selbst- oder Fremdgefährdung ist eine Behandlung bei uns ausgeschlossen, da die Patienten zu ihrem eigenen Schutz und dem anderer stationär behandelt werden müssen.

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Vor- und Nachteile des Home Treatments

Der Patient oder die Patientin bleibt im gewohnten Umfeld. Gerade Eltern haben grosse Mühe mit der Vorstellung einer stationären Behandlung, die sie von ihren Kindern trennt. Sie empfinden die Be­handlung zu Hause auch als weniger stigmatisierend als den Aufenthalt in einer Klinik. Ein Nachteil kann sein, dass man weiterhin den Be­lastungsfaktoren zu Hause, zum ­Beispiel bei Beziehungsproblemen oder Überlastung im Alltag, ausgesetzt ist.

Die Pathologisierung der Gesellschaft

Psychische Belastungen nehmen zu. Doch viel zu oft wird eine ernste Diagnose gestellt. Das kann Karrieren zerstören und die Selbstheilungskräfte beschädigen, wie der Psychotherapeut Martin Rufer sagt.

Das Anordnungsmodell hat den positiven Effekt, dass mehr Menschen Zugang zur Therapie haben. Das Problem ist nicht das Anordnungsmodell selbst, sondern dass Menschen, die psychotherapeutische Unterstützung beanspruchen, im Rahmen des Krankenversicherungsgesetzes gewissermassen pathologisiert werden müssen. Denn damit die Krankenkasse in der Grundversicherung die Kosten für Psychotherapie übernimmt, muss eine krankheitswertige Störung vorliegen. Und eine Diagnose lässt sich bei Bedarf quasi für jede psychische Belastung finden. Deshalb werden Menschen unnötigerweise zu psychisch Kranken gestempelt.

Folgen der Pathologisierung

Erstens arbeitet und verrechnet jeder psychologische Psychotherapeut oder Psychiater mit diesem Etikett. Er sieht den Klienten durch die klinische Linse - und nicht so, wie dieser dem Therapeuten tatsächlich in diesem Moment gegenübersitzt. Zweitens kann eine psychiatrische Diagnose zwar Erleichterung und Sicherheit für Betroffene bringen, sie kann aber auch zu einer Selbststigmatisierung führen. Drittens könnten sie später Probleme bekommen, wenn sie eine Krankenzusatzversicherung oder eine Lebensversicherung abschliessen wollen. Im schlimmsten Fall kann ein solches Etikett sogar eine Karriere gefährden, falls der Arbeitgeber davon erfährt.

Alternativen zur Pathologisierung

Denkbar wären Angebote in Zusatzversicherungen, die mehr auf die Prävention von psychischen Belastungen ausgerichtet sind. Auf diese Weise würden psychische Belastungen nicht mehr als krankheitswertig abgestempelt, und die Psychotherapie würde von ihrem medizinischen Etikett befreit.

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Psychotherapie als zentraler Bestandteil der Psychiatrie

Der Stellenwert der Psychotherapie in der Psychiatrie ist von zentraler Bedeutung. Dies bildet sich schon im Namen des schweizerischen Facharzttitels für Psychiatrie und Psychotherapie ab und findet in der Psychiatrie Baselland seine spezifische Umsetzung.

Die psychotherapeutische Arbeit orientiert sich zum einen an einer kategorialen Diagnostik und psychopathologischen Symptomatik, zum anderen an ursächlichen Krankheitsmodellen. Wir legen den Fokus insbesondere auf ein dimensionales, psychodynamisches Verständnis der Probleme der Patientinnen und Patienten. Das Verstehen richtet sich auf die integrale Persönlichkeit mit ihren Schwierigkeiten, ihren besonderen Formen des Austausches und Ausdrucks im Beziehungserleben und Verhalten im sozialen Umfeld.

Auf der Basis einer psychiatrisch-psychodynamischen Diagnostik zeichnen sich unsere psychotherapeutischen Behandlungen durch einen reflektierten Methodensynergismus aus. Unsere ärztlich-psychologischen Therapeutinnen und Therapeuten setzen Psychotherapieverfahren insbesondere aus diesen drei psychotherapeutischen Hauptrichtungen ein:

  • psychoanalytisch fundiert
  • kognitiv-verhaltenstherapeutisch und
  • systemisch.

Sie kommen mit- und nebeneinander zum Einsatz, nach den Prinzipien evidenzbasierter Wissenschaftlichkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit.

Medikamentöse Behandlung in der Psychiatrie

Auch wenn die Psychiatrie Baselland auf einen beziehungsorientierten therapeutischen Ansatz fokussiert, nutzen wir grundsätzlich alle uns zur Verfügung stehenden wissenschaftlich fundierten Methoden, um unseren Patientinnen und Patienten zu helfen. Dazu kann auch der gezielte Einsatz von Psychopharmaka gehören.

Es gibt eine Reihe psychiatrischer Erkrankungen, die ohne medikamentöse Behandlung erfolgreich und in nützlicher Frist therapiert werden können. Beispiele sind leichte bis mittelschwere Formen der depressiven Störung oder bestimmte Angsterkrankungen. In diesem Fällen unterstützen wir unsere Patientinnen und Patienten in ihrem Wunsch, ohne Medikamente auszukommen. Andere Erkrankungen sprechen gut auf den evidenzbasierten Einsatz von Psychopharmaka an; manchmal ermöglichen Letztere überhaupt erst deren Behandlung. Dazu zählen wir z. B. Erkrankungen aus dem schizophrenen Spektrum. Auch schwerere Formen der Depression oder bipolaren affektiven Störung zählen dazu.

Psychische Gesundheit in der Stadt

Wenn Sie in der Stadt leben, hat das Einfluss auf Ihr Gehirn. Das Risiko, an Schizophrenie oder Depression zu erkranken, ist in einer Grossstadt höher als auf dem Land. Das zeigen Forschungen des Psychiaters Mazda Adli.

Bestimmte psychische Erkrankungen kommen bei Stadtbewohnern häufiger vor. So sind Depressionen 1,5 Mal so häufig wie bei Landbewohnern, und das Risiko für Stadtbewohner, an Schizophrenie zu erkranken, ist sogar zwei- bis dreimal so hoch.

Es weist alles darauf hin, dass es mit sozialem Stress zu tun hat. Sozialer Stress entsteht aus dem Zusammenleben von Menschen auf begrenztem Raum und hat verschiedene Teilkomponenten: Einerseits die soziale Dichte im Sinne von Überenge, andererseits soziale Isolation, also Ausschlusserfahrung oder das Gefühl von Einsamkeit. Kommt das zusammen, kann die Mischung problematisch sein. Insbesondere, wenn man das Gefühl hat, dem sozialen Stress ausgeliefert zu sein und nichts an der Situation verbessern zu können.

Je mehr Jahre der Kindheit und Jugend jemand in der Stadt verbracht hat, desto grösser wird das Schizophrenie-Risiko im Erwachsenenalter. Und es gilt auch: Je grösser die Stadt, in der jemand aufgewachsen ist, desto grösser das Schizophrenie-Risiko im Erwachsenenalter.

Städte haben viele Vorteile, derentwegen wir auch gerne in ihnen leben. Immer mehr Menschen zieht es in die Städte wegen ihres Versprechens auf bessere Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten und mehr Chancen auf Wohlstand. Ganz zu schweigen vom kulturellen Reichtum der Städte. Unter dem Strich vereinen Städte mehr Vorteile als Nachteile auf sich. So lange jemand die Möglichkeit hat, an diesen Vorteilen zu partizipieren, so lange ist die Stadt auch gut zu einem. Wenn man zu einer Risikogruppe gehört, die per se schon einem höheren sozialen Isolationsrisiko ausgesetzt ist, beginnt das Problem. So geht es zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund in Städten meist schlechter.

Eine Stadt braucht viel öffentlichen Raum, Plätze und breite Bürgersteige, die die Menschen stimulieren, möglichst viel Zeit auch ausserhalb ihrer eigenen vier Wände zu verbringen. Zeit im öffentlichen Raum schützt vor sozialer Isolation und fördert die Teilhabe am Stadtleben. Öffentliche Plätze haben einen Public-Health-Auftrag. Dazu gehören auch Kultureinrichtungen. Jede Kleinkunstbühne hält uns psychisch gesund. Darüber müssen wir uns im Klaren sein, wenn über Kultursubventionen gestritten wird.

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