Der Zusammenhang zwischen ADHS und frühkindlichem Trauma

Viele Menschen fühlen sich «anders». Sie sind schneller überreizt, benötigen mehr Rückzug und reagieren besonders empfindlich auf Lärm, Erwartungen oder Kritik. Einige haben eine Diagnose wie ADHS oder ADS, andere beschreiben sich selbst als hochsensibel. Und wieder andere spüren, dass frühere Erfahrungen - bewusst oder unbewusst - Spuren in Ihrer Seele hinterlassen haben. Vielleicht kennst du das auch.

Frühkindliche Belastungen, eine dauerhaft angespannte Umgebung, unerkannte Reizoffenheit oder Konzentrationsprobleme: All diese Faktoren wirken auf unser autonomes Nervensystem. Es ist der Teil in uns, der ständig entscheidet, ob wir sicher sind oder nicht. Ob wir entspannen können oder innerlich auf Alarm geschaltet sind.

Fühlst du dich manchmal überreizt, innerlich getrieben oder einfach «anders»? Ob Trauma, ADHS, ADS oder Hochsensibilität - sie alle haben eines gemeinsam: ein Nervensystem, das nicht falsch ist, sondern besonders. Dieser Artikel schenkt dir Verständnis für dein inneres Erleben - und vielleicht einen ersten Schritt in Richtung mehr Selbstmitgefühl.

Trauma und seine Folgen

Ein Trauma ist eine tiefe seelische Verletzung, die durch eine stark belastende oder überwältigende Erfahrung ausgelöst wird. Dabei kann es sich um ein einmaliges, plötzliches Ereignis handeln - etwa ein Unfall, ein Übergriff oder eine Naturkatastrophe (auch als „Schocktrauma“ bezeichnet). Ebenso kann ein Trauma aber auch über einen längeren Zeitraum hinweg entstehen - etwa durch chronischen emotionalen Stress, Vernachlässigung, psychische Gewalt oder destruktive Familiendynamiken.

Wichtig: Es kommt nicht nur darauf an, was passiert, sondern vor allem darauf, wie die betroffene Person das Erlebte verarbeitet und wahrnimmt. Zwei Menschen können dasselbe äußere Ereignis erleben - und dennoch völlig unterschiedlich darauf reagieren. Solche Symptome können Wochen, Monate oder sogar Jahre anhalten.

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Situationen mit Todesgefahr wie Unfälle, Überfälle, Vergewaltigungen, Krieg, Folter oder Naturkatastrophen lösen bei allen Menschen starke Angst, Panik, Ekel oder auch Wut aus. Manchmal klingen diese Gefühle auch lange nach dem traumatischen Ereignis nicht ab, sondern bleiben bestehen. Das zeigt sich in Form von Wiedererleben, anhaltender Nervosität, Schreckhaftigkeit und Vermeidungsverhalten.

Überlebende von Unfällen, Verbrechen, Naturkatastrophen oder andere lebensbedrohliche Situationen können darauf mit anhaltenden Angstgefühlen, Nervosität, Alpträumen, Flashbacks und Vermeidungsverhalten reagieren.

Traumatische Erlebnisse können neben PTBS auch andere psychische Krankheiten wie Depression, Angststörungen, Suchterkrankungen oder Veränderungen der Persönlichkeit hervorrufen. Die posttraumatische Belastungsstörung ist nur eine von verschiedenen möglichen Traumafolgestörungen.

Je nach Umständen des Traumas, Alter, Vorerfahrungen und der Lebenssituation nach dem traumatischen Ereignis, können Menschen ein Trauma ohne krankheitswertige Beschwerden überstehen oder aber Symptome entwickeln. Menschen, die eine traumatische Situation überlebt haben, brauchen Sicherheit, Abstand vom Erlebten und Unterstützung, um ihr normales Leben wiederaufzunehmen.

Anzeichen einer Traumafolgestörung

Zunächst sind Menschen nach einer traumatischen Situation wie betäubt. Sie funktionieren rein mechanisch, wirken starr und abwesend. Später zeigen einige Betroffene anhaltende Angst und Schreckhaftigkeit. Immer wieder erleben sie die traumatischen Momente vor ihrem inneren Auge. Wie ein Film spielt sich das Trauma wiederholt ab, dazu treten erneut sehr intensive Angst- und Ohnmachtsgefühle auf.

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Das Wiedererleben kann durch Bilder, Geräusche, Gerüche oder Gedanken ausgelöst werden. Als Folge davon sind traumatisierte Menschen ständig angespannt und nervös, schlafen schlecht und können sich nicht entspannen. Sie vermeiden jegliche Situationen, die sie an das Trauma erinnern könnten.

  • Wiedererleben: Intrusionen, Flashbacks, Alpträume
  • Übererregung, Nervosität, Schreckhaftigkeit, Schlaflosigkeit
  • Reizbarkeit, Ungeduld, schlechte Laune
  • Vermeidung, emotionale Taubheit, Passivität, Rückzug
  • Misstrauen
  • Scham- und Schuldgefühle, vermindertes Selbstwertgefühl
  • Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, negatives Denken

Diagnose von Traumafolgestörungen

Die Diagnose erfolgt durch einen Psychiater, eine Psychiaterin oder eine Psychologin, einen Psychologen aufgrund einer sorgfältigen Untersuchung. Dabei wird abgeklärt, ob eine typische Symptomkonstellation im Anschluss an ein traumatisches Erlebnis besteht. Da der Begriff «Trauma» manchmal auch falsch verwendet wird, muss die Abklärung durch eine erfahrene Fachperson erfolgen. Bei traumatisierten Menschen können auch zusätzliche Erkrankungen das Krankheitsbild überlagern und die korrekte Diagnosestellung erschweren.

Behandlung von Traumafolgestörungen

Traumafolgestörungen können mittels Psychotherapie wirksam behandelt werden. Je nach Schweregrad, Komplexität und Ausmass der Beeinträchtigung kommen verschiedene Therapiemethoden in Frage. Um die Symptome zu behandeln, haben sich verhaltenstherapeutische Ansätze bewährt. Bei länger anhaltenden Symptomen, die sich auf die Beziehungsfähigkeit auswirken, eignen sich ergänzend auch tiefenpsychologische und systemische Methoden. In der Regel handelt es sich um ambulante Psychotherapien im Einzelsetting.

Für die Beratung und Abklärung von Traumafolgestörungen stehen Ihnen unsere Fachspezialisten an allen Standorten der Psychiatrie St.Gallen gerne zur Verfügung. Traumafolgestörungen behandeln wir ambulant, zum Teil tagesklinisch und in Pfäfers stationär auf der Spezialisierten Psychotherapiestation (zertifizierte DBT-Station).

ADHS und Trauma: Eine schwierige Unterscheidung

Besonders tückisch: Sie ähneln in vielen Punkten den Anzeichen von ADHS - etwa der Reizbarkeit, Impulsivität oder Konzentrationsproblemen. Diese Wechselwirkung macht die Differenzialdiagnose besonders schwierig. ADHS oder Trauma? Einige Merkmale können dabei helfen, zwischen ADHS und einer Traumafolgestörung zu unterscheiden - auch wenn die Grenzen oft verschwimmen. Besonders bei Kindern oder Erwachsenen mit belastender Vorgeschichte ist eine genaue Betrachtung wichtig.

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Wichtig: Diese Kriterien sind nicht trennscharf. In vielen Fällen bestehen ADHS und Trauma nebeneinander - das wird in der Fachsprache als Komorbidität bezeichnet. Besonders sogenannte frühkindliche Traumata können ADHS-ähnliche Symptome verstärken oder überlagern.

Hinweis: Wenn du dir unsicher bist, ob hinter Symptomen wie Impulsivität oder Konzentrationsproblemen ein Trauma steckt, lohnt sich der gezielte Blick auf die Biografie - etwa durch die Frage: «Wann genau haben die Probleme begonnen?

Der Einfluss frühkindlicher Traumata auf ADHS

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass frühkindliche Traumata das Risiko für ADHS signifikant erhöhen können. Kinder, die belastende Erfahrungen wie Missbrauch, Vernachlässigung oder emotionale Instabilität im frühen Alter gemacht haben, zeigen häufig neurologische Veränderungen. Diese betreffen insbesondere den präfrontalen Kortex, der für die Steuerung von Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Handlungsplanung zuständig ist, sowie die Amygdala, die emotionale Reize verarbeitet und auf Bedrohung reagiert.

Gleichzeitig gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass Menschen mit ADHS selbst anfälliger für traumatische Erlebnisse sind. Ihre ausgeprägte Impulsivität, emotionale Reaktivität und Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion führen oft dazu, dass sie häufiger in Konflikte geraten oder stigmatisiert werden.

Diese gegenseitige Beeinflussung bedeutet, dass ADHS sowohl eine mögliche Folge als auch ein Risikofaktor für Traumatisierung sein kann. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen ADHS-Symptomen und Traumafolgestörungen oft.

Traumasensible Diagnostik

Daher ist eine traumasensible Diagnostik besonders wichtig. Sie fragt nicht nur danach, was beobachtbar ist, sondern warum ein bestimmtes Verhalten auftritt. Statt sich allein auf Checklisten zu verlassen, sollte die Lebensgeschichte des Betroffenen einbezogen werden - insbesondere mögliche frühkindliche Belastungen oder familiäre Dynamiken.

Behandlungsmöglichkeiten

Die gute Nachricht: Sowohl ADHS als auch Traumafolgestörungen sind behandelbar - und zwar oft sehr erfolgreich. Entscheidend ist, nicht nur die sichtbaren Symptome zu behandeln, sondern die individuelle Geschichte eines Menschen ernst zu nehmen. Denn hinter ähnlichen Verhaltensweisen können völlig unterschiedliche Ursachen stecken. Eine gute Therapie berücksichtigt deshalb immer die Lebensrealität, Prägungen und Erfahrungen der betroffenen Person.

  • Traumatherapie (z. B. EMDR oder PITT): Diese Verfahren ermöglichen es, unverarbeitete oder überwältigende Erlebnisse schonend zu verarbeiten.
  • Traumasensible ADHS-Therapie: Hierbei werden klassische Elemente der ADHS-Therapie (wie Struktur, Selbstregulation, Zeitmanagement) mit traumatherapeutischen Zugängen kombiniert.
  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): Diese Methode hilft, negative Denkmuster zu hinterfragen und hilfreiche Denk- und Verhaltensstrategien zu entwickeln.
  • Körperorientierte Verfahren: Methoden wie Somatic Experiencing, Yoga, TRE (Tension & Trauma Releasing Exercises) oder achtsamkeitsbasierte Bewegung helfen, das überaktive Nervensystem zu beruhigen.
  • ADHS-Medikation: Medikamente wie Methylphenidat oder Atomoxetin können bei klar diagnostiziertem ADHS unterstützend wirken.

Tipp: Achte bei der Wahl der Therapeutin oder des Therapeuten darauf, dass sowohl ADHS-Kompetenz als auch traumatherapeutisches Wissen vorhanden ist.

Ob ADHS, frühkindliches Trauma oder beides: Es geht nicht darum, Menschen in Diagnosen zu pressen. Wenn du oder dein Kind ADHS-Symptome zeigst, lohnt sich auch der Blick auf vergangene Belastungen. Denn manchmal verbirgt sich hinter der Unruhe ein Schutzmechanismus, der einst notwendig war.

Stress ist mehr als ein Gedanke. Er beginnt nicht im Kopf, sondern tief im Körper. Dein autonomes Nervensystem entscheidet in Bruchteilen von Sekunden, ob du sicher bist oder nicht - ohne dein bewusstes Zutun.

  1. Fight - AngriffDu gehst in Konfrontation.
  2. Flight - FluchtDu willst weg.
  3. Freeze - ErstarrungDu spürst dich kaum. Funktionierst nur noch.

Diese Reaktionen laufen automatisch ab. Für das Nervensystem macht es keinen Unterschied, ob die Bedrohung real (z. B. ein heranfahrendes Auto) oder emotional ist (z. B. Ablehnung, Überforderung, Kritik). Beides kann Alarm auslösen.

Dein Körper tut nie etwas gegen dich. Vielleicht ist dein Nervensystem nicht überfordert, sondern überangepasst. Nicht gestört, sondern erschöpft.

Schneller Wechsel zwischen Aktivierung und Erschöpfung(z. B. Starke Wahrnehmung - aber wenig Selbststeuerung(z. B. Körper als Fremdraum oder Überforderung(z. B. Diese Reaktionen sind keine Schwächen.

Wenn wir verstehen, wie unser Nervensystem funktioniert, warum wir so reagieren, wie wir reagieren, warum Nähe manchmal schwerfällt oder Ruhe sich beunruhigend anfühlt, dann entsteht Raum. Diese Erkenntnis ist keine Lösung, aber oft ein erster heilsamer Schritt. Denn: Nichts an dir ist falsch.

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