Geschlossene Psychiatrie: Informationen und Perspektiven

Die Frage, wie offen die Türen der Psychiatrie sein sollten, ist ein viel diskutiertes Thema. Prof. Undine Lang, Ordinaria für Erwachsenenpsychiatrie an der Universität Basel, betont, dass es in Einzelfällen unumgänglich ist, Türen zu schliessen, beispielsweise bei Patienten, die eine Gefahr für andere darstellen und nicht kooperativ sind.

Das Ziel sollten jedoch fakultativ geschlossene Stationen sein, die den grössten Teil der Zeit geöffnet sind. Eine Untersuchung in Norwegen zeigte, dass viele geschlossene Stationen nur wenige oder gar keine Patienten beherbergen, die gesetzlich untergebracht sind. Es bedarf weiterer Forschung, um hierzu belastbare Aussagen treffen zu können.

Die Rolle der Beziehung in der Psychiatrie

Eine verantwortungsvolle Öffnung von Türen erfordert ein verbessertes therapeutisches Angebot, um Patienten durch Beziehungsangebote und Wertschätzung in der Behandlung zu halten. Dies setzt voraus, dass Teams ihre eigene Haltung zu den Patienten reflektieren und den Alltag auf geschlossenen Stationen verbessern. Offene Türen bedeuten keineswegs ein Laisser-faire. Vielmehr erfordern sie ein genaues Assessment der Patienten, ein intensiviertes Beziehungsangebot, Zuhausebehandlung, eine wertschätzende Haltung, einen verbesserten Beziehungsaufbau und die Implementierung von Sitzwachen anstelle von Isolation.

Viele Patienten haben keinen Grund, die Station oder die Behandlung zu verlassen, wenn sie einbezogen statt bevormundet werden. Tatsächlich verlassen 58 Prozent der Patienten die Station gerade deshalb, weil sie geschlossen ist. Ein Grossteil der Abgänge ereignet sich im geplanten Ausgang, wenn kein Beziehungsangebot und kein Commitment der Patienten erzeugt werden konnte. Weggänge von Patienten und Zwangsmassnahmen sind oft ein Zeichen für Schwächen in der Psychiatrie.

Internationale Perspektiven und Zwangsbehandlung

Es gibt keine Evidenzbasierung für Zwangsbehandlungen und keine randomisierten, kontrollierten Studien zur psychiatrischen Praxis der Zwangsmassnahmen. Der Alltag auf geschlossenen Stationen wird oft von Regeln und Sicherheit dominiert, was jedoch nur eine Pseudosicherheit darstellt. Patienten berichten möglicherweise nicht mehr über ihre Suizidalität, ziehen sich zurück und wollen nie wieder eine Psychiatrie betreten.

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Das Problem ist oft die fehlende Beziehung zum Patienten, die durch geschlossene Türen ersetzt wird. Es ist aufwendiger, mit den wenigen Patienten, die keinen Ausgang haben, in Kontakt zu bleiben, eine Eins-zu-eins-Betreuung zu ermöglichen oder diese zu überwachen. Studien haben Korrelationen zwischen Gewaltereignissen und Suizidversuchen und den Stunden, in denen eine Stationstür geschlossen war, festgestellt.

Eine Eins-zu-eins-Betreuung ist sicherer als das Einsperren, da ein Grossteil der Suizide auf geschlossenen Stationen durch Erhängen erfolgt, was durch Sitzwachen verhindert werden kann. Die Stationsatmosphäre, Patientenzufriedenheit und das Outcome sind auf geschlossenen Stationen oft ungünstiger. Eigene Erhebungen zeigten weniger Entweichungen, Zwangsmedikationen und Gewaltereignisse im offenen Zeitraum. Die Patienten kamen auch nicht so schnell wieder in die Psychiatrie zurück und blieben länger freiwillig in Behandlung.

Zwangsbehandlung: Ein Dilemma

Wenn Patienten aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr autonom leben können, kann eine Behandlung gegen ihren Willen notwendig sein. Es ist jedoch wichtig, Zwangsbehandlungen massiv zu reduzieren und Patienten von einer freiwilligen Medikamenteneinnahme zu überzeugen. Psychotherapieforschung sollte sich stärker auf Akutpatienten konzentrieren. Studien zeigen, dass bereits ein einzelner mehrstündiger Psychotherapieworkshop eines psychiatrischen Teams Zwangsmassnahmen signifikant verringern kann.

Therapieansätze und Patientenautonomie

Die Psychotherapie sollte auf allen Stationen einen spürbaren Anteil haben. Es sollten für alle Diagnosegruppen leitlinienbasierte Psychotherapieverfahren stattfinden, insbesondere gruppentherapeutische Angebote. Es ist sinnvoll, wenn Experten Patienten behandeln und Diagnosegruppen nicht gemischt werden. Experten sollten ihre Patienten in allen Stadien der Erkrankung behandeln und keine Selektion treffen, wer auf ihre Station passt.

Die Patientenautonomie kann nur gefördert werden, wenn die Behandler anfangen, diese vermehrt zu thematisieren. Die qualitative Kluft zwischen der Versorgung schwer und leicht kranker Patienten stellt eine grosse Herausforderung dar. Schwer kranke Patienten müssen oft mit wenig Innovationen auf geschlossenen Stationen auskommen, während leicht kranke Patienten von einem stetig wachsenden und verbesserten psychotherapeutischen Angebot profitieren.

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Kinder- und Jugendpsychiatrie: Krisenintervention und Therapie

Psychische Probleme können bei Kindern und Jugendlichen zu Selbstverletzungen und Suizidgedanken führen. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrie Baselland behandelt Betroffene mit wirksamen Therapien. Anne-Kathrin Ettl, Oberärztin und Psychiaterin, therapiert Kinder und Jugendliche in akuten psychischen Krisen. Viele junge Menschen, die sich selbst verletzen, leiden an Depressionen, sozialen Phobien, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Persönlichkeitsstörungen.

Risikofaktoren für selbstverletzendes Verhalten sind psychischer Stress, depressive Symptome, emotionale oder körperliche Misshandlungen, Mobbing oder Internetkonsum. Mädchen sind häufiger betroffen als Jungen. Suizidal erscheinende Menschen dürfen nie alleine gelassen werden. Kränkungen, Mobbing, Verlustängste, Konflikte und Liebeskummer können Suizidgedanken auslösen. Es sind oft alltägliche Probleme, die ihnen unüberwindlich vorkommen und sie komplett überfordern.

Therapie und Prävention

Die Therapie von suizidalen Patienten mit selbstverletzendem Verhalten dauert oft sehr lange. Kurzfristig gilt es, die seelische Anspannung abzubauen. Nachhaltig ist eine Therapie erst dann, wenn auch die psychosozialen Ursachen der psychischen Erkrankung angegangen werden. Gespräche mit den Eltern, Lehrkräften und Freunden sind wichtig. Die Eltern oder die ganze Familie der Jugendlichen werden in die Behandlung einbezogen.

Methodenelemente aus verschiedenen Psychotherapierichtungen werden eingesetzt, so etwa aus der Dialektisch-Behavioralen Therapie für Adoleszente (DBT-A). Die Wirksamkeit der DBT-A ist wissenschaftlich nachgewiesen und hilft den jungen Patientinnen und Patienten, mit ihren Gefühlen umzugehen und ihre Psyche zu stabilisieren.

EMDR: Eine Therapieform für Traumata und Ängste

EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) ist eine psychotherapeutische Methode mit Augenbewegungen, die seit Ende der 1980er-Jahre zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen eingesetzt wird. Auch bei Angststörungen und Depressionen wird sie angewandt. Die Wirksamkeit von EMDR bei posttraumatischer Belastungsstörung ist gut belegt und von der WHO anerkannt.

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die geschlossene Psychiatrie ein komplexes Feld ist, das sowohl Chancen als auch Herausforderungen birgt. Eine patientenzentrierte Herangehensweise, die auf Beziehung, Wertschätzung und individueller Therapie basiert, ist entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung und die Förderung der Patientenautonomie.

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