Das Gefühl von Schwindel, das heisst der gestörten Wahrnehmung der eigenen Körperposition, kann vielfältige Ursachen haben. Nicht nur Patienten, auch Praktiker haben mit dem Symptom «Schwindel» ihre Not (6). Da der Laie die Symptomatik nur schwer einem bestimmten Fachgebiet zuordnen kann, ist der Hausarzt oft erster Ansprechpartner.
Die Lebenszeitprävalenz von Dreh- oder Schwankschwindel liegt mit zunehmender Altersinzidenz bei etwa 30 Prozent (1-4). Bei über 75-jährigen Patienten zählt Schwindel zu den Hauptgründen einer stationären Notfalleinweisung (5). Vestibuläre Schwindelformen stellen im hausärztlichen Bereich zwar die Minderheit dar, können jedoch den Patienten schwer beeinträchtigen und/oder zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen.
Eine Befragung hat gezeigt, dass Hausärzte bei betroffenen Senioren zwar relativ umfassend kardiologisch und neurologisch untersuchten (7), das otoneurologische Vorgehen aber verbesserungswürdig war (8). Die aufrechte, aber labile Körperhaltung (10) wird durch ein kompliziertes Regel-Kontroll-System gesichert. Wesentliche Anteile dieses Regelkreises kommen zwei Reflexbögen zu: dem vestibulookulären (VOR) und dem vestibulospinalen (VSR) Reflex.
Das Vestibuläre System und seine Funktion
Das periphere Vestibularorgan besteht aus den drei Bogengängen und den Otolithenorganen Utriculus und Sacculus. Es dient der Rezeption komplexer Bewegungen in allen Raumebenen unter dem Einfluss der Erdanziehungskraft. Über den N. vestibularis werden diese Informationen zum zentralen Vestibularsystem (Vestibulariskerne im Hirnstamm, Vestibulozerebellum) geleitet.
Visuelles, exterozeptives und propriozeptives System liefern weitere Fakten zur Sicherstellung unserer Balance. Störungen der Rezeptoren und/oder ihrer Verbindungen erzeugen über einen Datenkonflikt ein subjektives Schwindelgefühl. Bei einer peripher- oder einer zentral-vestibulären Störung führt das zum Nystagmus (Kasten 1).
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Vestibulookulärer Reflex (VOR)
Der VOR, eine Drei-Neurone-Verbindung (11) zwischen Bogengängen und Augenmuskeln, hält die Blickachse mit einer Latenz von 7 bis 10 ms (12) durch Sakkaden (Kasten 1) selbst bei gegenläufigen Kopf-Körper-Bewegungen auf der Retina stabil (13). So bewirkt er während kleinschlägiger horizontaler Drehungen des Kopfes in eine Richtung rasche kontraversive Korrekturbewegungen der Augen (14). Ein Versagen des VOR, objektivierbar durch den Kopf-Impuls-Test (KIT), nimmt der Betroffene als Oszillopsien (Kasten 1) wahr.
Vestibulospinaler Reflex (VSR)
Der VSR steuert mittels vestibulospinaler Bahnen die reflektorische Stand- und Gangregulation (13).
Begriffsbestimmungen
- Sakkaden: Sakkaden sind schnelle, ruckartige Blicksprünge des Augapfels mit grosser Amplitude und dem Ziel, ein Objekt zu erfassen und zentral auf der Netzhaut abzubilden.
 - Nystagmen: Nystagmen sind unwillkürliche, periodische, ruckartige Hin- und Herbewegungen der Augäpfel, die sich aus einer langsamen, gleitenden Bewegung in die eine Richtung und einer raschen, sakkadischen Rückführung der Bulbi in die andere Richtung zusammensetzen. Die langsame Phase eines pathologischen Nystagmus ist Folge einer erzwungenen Augenbewegung aus der Fixationsposition heraus bei peripher-vestibulären Dysbalancen oder zentral-vestibulären Störungen.
 - Oszillopsien: Oszillopsien sind subjektiv empfundene Scheinbewegungen der Umwelt bei einer Störung des vestibulookulären Reflexes (VOR).
 
Klassifikation von Schwindel
Schwindel ist pathophysiologisch eine gestörte Perzeption der eigenen Körperposition (12). Aus Patientensicht wird er als «eine unangenehme und in der Regel beängstigende Unsicherheit im Raum» (15) definiert. Für die Praxis ist es sinnvoll, zwischen dem Schwindel im Alter (peripher- oder zentral-vestibulärer Schwindel) und dem Altersschwindel (nicht vestibulärer Schwindel) zu unterscheiden (3). Schwindel im Alter hat eine konkrete Ätiologie.
Ausgehend vom Gleichgewichtsorgan (Haarzellen und primäre vestibuläre Neurone) wird er als peripher-vestibulär, ausgehend von den zugehörigen zentralen Bahnen und Zentren als zentralvestibulär bezeichnet. Überschneidungen sind möglich, etwa bei einer Hirnstammläsion (12). Die peripher-vestibulären Schwindelformen sind eher akut, im zeitlichen Verlauf limitiert und können in unterschiedlichem Ausmass rezidivieren.
Wenn es sich vorwiegend gerichteten Schwindel handelt, nennt man ihn «systematisch». Entsprechend können die Beschwerden vom Patienten relativ exakt (Dreh-, Schwank-, Liftgefühl, Fallneigung, Oszillopsien) benannt werden (Tabelle 1). Die zentral-vestibulären Schwindelerkrankungen weisen zwar auch einen eher systematischen, subjektiv aber schwächer empfundenen Schwindel auf. Neurologische Begleitsymptome und Verlauf sind variabel und von der auslösenden Ursache abhängig. Altersschwindel ruft ungerichtete, «unsystematische» Schwindelbeschwerden hervor.
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Er ist typischerweise nicht peripher- oder zentral-vestibulär verursacht, sondern überwiegend chronisch oder chronisch-rezidivierend. Die häufigste akute, rein vestibulär verursachte Schwindelform des Älteren (12) ist der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel (kurz: BPLS), gefolgt vom einseitigen Labyrinthausfall (Neuropathia vestibularis, auch: Neuritis vestibularis, Neuronitis vestibularis, kurz: NV).
Benigner Paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS)
Beim BPLS gelangen überwiegend (95%) degenerativ, seltener traumatisch abgelöste Otokonien des Utriculus zu 90 Prozent in den hinteren, vertikal stehenden Bogengang (16, 17). Dort führen sie bei entsprechenden Bewegungen zu einer Bogengangsreizung und lösen so einen stürmisch beginnenden, aber innerhalb von Minuten abklingenden Lagerungsschwindel aus, der nicht selten beim Aufstehen (Morgenschwindel) auftritt (17).
Akuter Einseitiger Labyrinthausfall
Der akute einseitige Labyrinthausfall führt über die Dysbalance der Gleichgewichtsorgane zum Falschalarm. Seine Genese wird kontrovers diskutiert, infektiöse (Borrelia burgdorferi, Herpesviren), aber auch vaskuläre Ursachen werden angeschuldigt (13, 18-21). Normalerweise bessert sich die akute Symptomatik innerhalb der ersten drei Tage grundlegend, die Rekonvaleszenz kann aber Wochen dauern. Diese peripher-vestibulären Schwindelerkrankungen treten häufig als akuter Notfall auf und können wegen ihrer typischen Symptomatik (massiver Drehschwindel, ausgeprägte Übelkeit mit und ohne Erbrechen) gut eingeordnet werden.
Sie haben in der Regel eine günstige Prognose, wenngleich sie auch rezidivieren (BPLS: 50%) oder mit Defektheilung (NV: 40 bis 60%) einhergehen können (16, 17). Auch ein zentral-vestibuläres Geschehen (z.B. transiente ischämische Attacken im posterioren Stromgebiet, zerebellärer Infarkt, Hirnstamminfarkt) kann zunächst unter dem Bild eines peripher-vestibulären Schwindels imponieren.
Wenn dann aber neurologische Symptome (Gang- oder Schluckstörungen, Singultus, Dysarthrie, Dysphonie, Diplopie, Übelkeit, Erbrechen, periorale Parästhesien oder Halbseitensymptome), richtungswechselnde oder vertikale Nystagmen (17) und eine ausgeprägte Imbalance hinzutreten, wird die Erkrankung lebensbedrohlich (20) und muss als abwendbar gefährlicher Verlauf (Tabelle 1) betrachtet werden.
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Diagnostisches Vorgehen
Anamnese:
- Was passiert, wenn es Ihnen schwindlig wird? Was sehen Sie? Was fühlen Sie?
 - Seit wann ist Ihnen schwindlig? Wie häufig tritt der Schwindel auf? Kommt er allmählich oder plötzlich? Nimmt er im Verlauf eher zu oder ab? Das Kriterium des zeitlichen Ablaufs dient vor allem der Unterscheidung einzelner Krankheitsbilder innerhalb der drei ätiologischen Hauptgruppen: 
- häufig bei peripheren Läsionen:
 - kurzer bis wenige Tage andauernder, akut bis subakut eintretender
 - Anfallsschwindel, dessen Intensität eher abnimmt (BPLS: bis 30 Sekunden, allenfalls 1 bis 2 Minuten)
 
 - Haben Sie Tinnitus oder Hörstörungen? Haben Sie Sehstörungen? Ist Ihnen übel? Haben Sie Schluckstörungen? Otologische Begleitsymptome und/oder starke vegetative Reaktionen (Übelkeit, Erbrechen, Schweissausbrüche) weisen eher auf einen peripher-vestibulären Schwindel hin.
 
Es ist wichtig, eine spezifische Nomenklatur zu verwenden (Falsch: «Haben Sie einen Drehschwindel?» Besser: «Dreht es sich wie beim Walzertanzen?»). Zu fragen ist auch nach schwindelrelevanten Vor- und Begleiterkrankungen, psychischen Problemen, einem möglichen Alkohol- oder Drogenkonsum sowie verordneten oder eigenständig eingenommenen OTC-Medikamenten (27).
Koordinationsprüfungen: Mit orientierenden Koordinationsprüfungen werden die Efferenzen des zentral-vestibulären Systems zum Rückenmark und zum Kleinhirn untersucht. Das Ziel vestibulospinaler Testverfahren ist die Prüfung der Balance unter statischen (Romberg-Stehversuch) und dynamischen (Unterberger-Tretversuch) Bedingungen (28). Falls möglich, werden diese Versuche erst mit offenen und dann mit geschlossenen Augen durchgeführt, um den stabilisierenden Effekt des visuellen Systems auf die untersuchte Funktion zu beurteilen.
- Romberg-Stehversuch: Der Patient steht mit geschlossenen Augen und aneinanderliegenden Füssen für etwa 1 Minute frei im Untersuchungsraum. Bewertet wird das Ausmass einer reproduzierbaren Abweichreaktion oder Fallneigung zu einer Seite, nach vorne, hinten oder diagonal.
 - Unterberger-Tretversuch: Der Patient geht mit nach vorne ausgestreckten Armen (Handrücken nach oben) 50 Schritte oder 1 Minute lang auf der Stelle, wobei die Knie deutlich angehoben werden müssen.
 
Um Kleinhirnstörungen auszuschliessen, sollte orientierend nach zielführenden Symptomen (Ataxie, Intentionstremor, Adiadochokinese) gefahndet werden. Mit dem Kopf-Impuls-Test (KIT, Halmagyi-Test) wird nach pathologischen Korrektursakkaden gefahndet, die bei akutem Schwindel die periphere Rezeptorfunktionsstörung mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit belegen (30, 31). Der «Blick in die Augen» (13, 32) stellt die Weichen zwischen einem vestibulären oder einem nicht vestibulären Geschehen.
Mit einer Nystagmusbrille nach Frenzel (40, 41) lässt sich ein Nystagmus beobachten. Durch die von innen beleuchteten Bikonvexlinsen wird eine Blickfixation insbesondere im Dunkelraum nahezu unmöglich, weil der Patient einerseits kurzsichtig gemacht und durch das Licht andererseits verblendet wird.
Therapeutische Massnahmen
Allgemeine Therapieansätze:
- jede Einzelerkrankung möglichst kausal therapieren
 - nicht sedierende Begleittherapie, z.B. mit Arlevert® (18) oder Vertigoheel® (36) rasch einleiten
 - Rahmenbedingungen optimieren
 - Aufklärung, Verhaltens- und Bewegungstherapie
 
Die Repositions- oder Befreiungsmanöver nach Semont und Epley (und zahlreiche Modifikationen) werden beim Lagerungsschwindel des hinteren Bogenganges eingesetzt. Ziel ist das mechanische Herausbefördern versprengter Otolithenteile aus dem posterioren Bogengang zurück in den Utriculus.
- Manöver nach Semont: Der Kopf wird in der Transversalebene um 45 Grad zum gesunden Ohr gedreht und der Rumpf des Patienten dann in einer raschen Bewegung zur Seite des erkrankten Ohrs gekippt, der Kopf liegt mit dem lateralen Okziput auf.
 - Manöver nach Epley: In sitzender Ausgangsposition wird der Kopf des Betroffenen in der Transversalebene um 45 Grad zum kranken Ohr gedreht. In dieser Haltung wird der Patient nach rückwärts in eine leichte Kopfhängeposition gekippt, die für 1 Minute beibehalten werden muss.
 
Psychiatriezentrum für junge Erwachsene (PZJE) in Thun
Im Psychiatriezentrum für junge Erwachsene (PZJE) in Thun werden junge Erwachsene mit Erkrankungen aus dem gesamten Spektrum der Psychiatrie mit einem umfangreichen psychiatrisch-psychotherapeutischen Ansatz behandelt. In den modernen Räumlichkeiten bietet die Privatklinik Meiringen im PZJE in Thun ein integriertes Angebot für Menschen zwischen 18 und 25 Jahren. Personen mit Wohnsitz im Kanton Bern können bereits ab 16 Jahren aufgenommen werden.
Das PZJE verfügt über insgesamt 30 Einzelzimmer, ist an 365 Tagen aufnahmefähig und leistet die Notfallversorgung für diese Altersgruppe. Das Angebot umfasst sowohl einen akutpsychiatrischen Bereich für Kriseninterventionen als auch einen Bereich für elektive Aufnahmen und längere psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlungen.
Im Zentrum für junge Erwachsene setzt man auf lebensnahes und alltagspraktisches Handeln, Aktivität und Optimismus. Zusammen gestalten wir ein Milieu mit so viel Normalität wie möglich, in dem individuelle Entwicklungsschritte ermöglicht werden.
Angebote des PZJE
Das PZJE bietet zur Zeit primär ein stationäres Angebot an und gliedert sich in zwei Behandlungsbereiche:
- Im Kriseninterventionsbereich werden in einer sicheren und vertrauensvollen Umgebung Wege durch Krisen begleitet und Zukunftsperspektiven erarbeitet.
 - Im Psychotherapiebereich wird nach einem Vorgespräch und einer gemeinsamen Zieldefinition intensiv an der Erreichung dieser Ziele gearbeitet. Dabei werden evidenzbasierte Methoden eingesetzt.
 
Es wird eine umfassende und evidenzbasierte Diagnostik und Behandlung mit einem strukturierten Tagesprogramm angeboten. Dieses bietet neben therapeutischer Arbeit auch genügend Raum für Freizeitaktivitäten und Zeit für Gemeinsames.
Anmeldung und Aufnahme
Die Anmeldung zu einem stationären Aufenthalt im Psychotherapiebereich erfolgt über die behandelnde Ärztin/Psychotherapeutin oder den behandelnden Arzt/Psychotherapeuten. Vor Eintritt findet ein Vorgespräch statt, in dem Auftrag und Therapieziele besprochen und die Indikation für die stationäre Behandlung geprüft werden. Nach beidseitigem positivem Entscheid werden Sie auf eine Warteliste aufgenommen und aufgeboten, sobald ein Platz frei wird.
Die Anmeldung für den Kriseninterventionsbereich erfolgt ebenfalls ärztlich/psychotherapeutisch, Sie als Patientin oder Patient und Angehörige dürfen vorab telefonisch kontaktieren, damit wir das weitere Vorgehen besprechen können. Sofern freie Betten im Krisenbereich vorhanden sind, sind Aufnahmen rund um die Uhr möglich. Bitte melden Sie sich jedoch vorab, um die Kapazitäten zu klären.
Voraussetzungen für eine Aufnahme in den Psychotherapiebereich sind:
- Absprachefähigkeit und ausreichende Stabilität hinsichtlich Suizidalität, keine Fremdgefährdung
 - Eine stabile Wohnsituation, in die Patientinnen und Patienten für Wochenend-Urlaube und nach Austritt zurückkehren können.
 - Ein klarer Behandlungsauftrag, richtungsweisende Therapieziele
 - Veränderungsbereitschaft, Engagement, Verbindlichkeit
 - Verzicht auf Konsum von psychoaktiven Substanzen
 
Eintritte in den Kriseninterventionsbereich sind niederschwelliger möglich, sie erfordern kein Vorgespräch, aber gleichwohl eine ärztliche/therapeutische Einweisung. Notfallaufnahmen sind nach telefonischer Anmeldung je nach Kapazität möglich.
Die Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der UPD stellt als eine der führenden Institutionen in der Schweiz die ambulante, teilstationäre und stationäre psychiatrische Versorgung sowie die Notfallversorgung aller Kinder und Jugendlichen im Kanton Bern sowie in Teilen der Kantone Solothurn und Fribourg sicher.
| Schwindelform | Symptomatik | Ursachen | 
|---|---|---|
| Peripher-vestibulärer Schwindel | Akut, limitiert, rezidivierend, gerichteter Schwindel (Dreh-, Schwank-, Liftgefühl) | BPLS, einseitiger Labyrinthausfall | 
| Zentral-vestibulärer Schwindel | Systematisch, aber schwächer empfunden, variable neurologische Begleitsymptome | Transiente ischämische Attacken, zerebellärer Infarkt, Hirnstamminfarkt | 
| Altersschwindel | Ungerichtete, unsystematische Beschwerden, chronisch oder chronisch-rezidivierend | Nicht vestibulär verursacht, Summe altersphysiologischer Veränderungen | 
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