Dieser Artikel beleuchtet die Voraussetzungen für eine Freistellung im Zusammenhang mit Psychotherapie, basierend auf einem realen Fall, der vor dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen verhandelt wurde. Im Zentrum steht die Frage, unter welchen Bedingungen ein Anspruch auf Krankentaggelder besteht und welche Rolle die Arbeitsunfähigkeit sowie die Mitwirkungspflichten des Versicherten dabei spielen.
Der Fall vor dem Versicherungsgericht St. Gallen
Im vorliegenden Fall klagte eine Versicherte Taggelder für die Zeit vom 1. Dezember 2021 bis 31. Oktober 2022 ein, nachdem sie aufgrund einer behaupteten durchgehenden Arbeitsunfähigkeit vom 15. Juli 2021 bis 31. Oktober 2022 freigestellt wurde. Die Versicherte war ab dem 1. Juli 2010 als Stationsleitung in einem Alters- und Pflegeheim tätig und dadurch bei der Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG krankentaggeldversichert. Ab dem 15. Juli 2021 wurde sie von einem praktischen Arzt der Medbase C.___ zu 100 % arbeitsunfähig geschrieben.
Am 29. Juli 2021 schloss die Versicherte einen Arbeitsvertrag mit den Alters- und Pflegeheimen D.___ ab 1. November 2021 als dipl. Pflegefachfrau HF und Stv. Teamleitung ab und war dadurch bei der HOTELA Versicherungen AG krankentaggeldversichert. Am 30. Juli 2021 kündigte die Versicherte ihren Anstellungsvertrag mit dem B.___ per 31. Oktober 2021. Am 23. August 2021 unterzeichneten die Versicherte und das B.___ eine Vereinbarung, laut welcher die Versicherte ab 4. August 2021 von der Arbeit freigestellt wurde und das B.___ sich verpflichtete, bis 31. Oktober 2021 den Verpflichtungen nachzukommen. Ab 4. August 2021 war keine Krankschreibung mehr erfolgt.
Am 30. August 2021 wurde der Arbeitsbeginn bei den Alters- und Pflegeheimen D.___ auf den 1. Oktober 2021 vorverlegt. Ab dem 14. Oktober 2021 wurde die Versicherte erneut zu 100 % krankgeschrieben. Am 17. November 2021 meldete Rechtsanwalt lic. iur. A. Petrik, St. Gallen, als Vertreter der Versicherten der Hotela diese Arbeitsunfähigkeit. Mit Schreiben vom 23. November 2021 kündigten die Alters- und Pflegeheime D.___ das mit der Versicherten bestehende Arbeitsverhältnis während der Probezeit per 30. November 2021. Als Begründung wurde die seit dem 14. Oktober 2021 bestehende vollständige Arbeitsunfähigkeit der Versicherten angeführt. Ebenfalls am 23. November 2021 informierte das B.___ die Allianz über die seit 14. Oktober 2021 bestehende Arbeitsunfähigkeit der Versicherten.
Die Allianz entrichtete der Versicherten nach Ablauf der 60-tägigen Wartefrist vom 13. bis 31. Dezember 2021 ein Taggeld basierend auf einer Arbeitsunfähigkeit von 100 % im Betrag von Fr. 4'720.--. Daraufhin informierte die Versicherte die Allianz wohl über ihr Arbeitsverhältnis mit den Alters- und Pflegeheimen D.___. Mit Schreiben vom 11. März 2022 teilte die Allianz der Versicherten mit, dass sie (die Allianz) von einem Dienstaustritt beim B.___ per 30. September 2021 ausgehe. Folglich sei die Arbeitsunfähigkeit vom 14. Oktober 2021 nach Austritt aus dem versicherten Betrieb erfolgt und es bestehe kein Anspruch auf Krankentaggelder der Kollektiv-Krankenversicherung der Allianz. Sie müsse die erbrachten Taggeldleistungen zurückfordern. Die Versicherte zahlte in der Folge die an sie ausbezahlten Taggelder zurück.
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Am 9. April 2022 trat die Versicherte aus einer stationären psychiatrisch-psychosomatischen Behandlung in der E.___ aus. Dem Austrittsbericht sind die Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Status nach Scheidung und Tod des Ehemannes sowie Erschöpfungssyndrom zu entnehmen. Am 12. Mai 2022 teilte die Hotela der Versicherten mit, dass ihr Versicherungsvertrag eine Wartefrist von 90 Tagen vorsehe und somit die von 14. Oktober bis 30. November 2021 bestehende Arbeitsunfähigkeit kürzer sei als die Wartefrist. Rechtsanwalt Petrik teilte sie mit Schreiben vom selben Tag mit, dass sie jegliche Taggeldleistungen ab dem 1. Dezember 2021 ablehne, da der Arbeitsvertrag (zwischen der Versicherten und den Alters- und Pflegeheimen D.___) während der Probezeit gekündigt worden sei.
Rechtliche Grundlagen und Beweiswürdigung
Das Versicherungsgericht stützt seine Entscheidung auf verschiedene rechtliche Grundlagen, darunter das Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (VVG), das Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) und die Zivilprozessordnung (ZPO). Es betont, dass die Partei, die einen Anspruch geltend macht, die rechtsbegründenden Tatsachen zu beweisen hat. Im Bereich des Versicherungsvertrags bedeutet dies, dass die Versicherte die Arbeitsunfähigkeit und deren Dauer nachweisen muss.
Das Gericht würdigt die vorgelegten Beweismittel, insbesondere die Arztzeugnisse, unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichts. Dabei wird klargestellt, dass Arztzeugnisse zwar eine gewisse Beweiskraft haben, aber nicht unumstösslich sind. Ihr Beweiswert kann durch andere Beweismittel und Umstände erschüttert werden.
Im Zivilprozess gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 157 ZPO). Das Gericht hat bei der Bewertung der erhobenen Beweise unabhängig von abstrakten Regeln nach seiner eigenen Überzeugung darüber zu befinden, ob es eine behauptete Tatsache als wahr oder unwahr einstuft. Dabei bleibt es dem Gericht überlassen, die Kraft eines Beweismittels nach seiner Überzeugung festzulegen.
Nach Art. 8 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB; SR 210) hat, wo es das Gesetz nicht anders bestimmt, derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. Demgemäss hat die Partei, die einen Anspruch geltend macht, die rechtsbegründenden Tatsachen zu beweisen, während die Beweislast für die rechtsaufhebenden bzw. rechtsvernichtenden oder rechtshindernden Tatsachen bei der Partei liegt, die den Untergang des Anspruchs behauptet oder dessen Entstehung oder Durchsetzbarkeit bestreitet.
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Beweismittel
Nach Art. 168 Abs. 1 ZPO sind als Beweismittel zulässig: Zeugnis (lit. a), Urkunde (lit. b), Augenschein (lit. c), Gutachten (lit. d), schriftliche Auskunft (lit. e) sowie Parteibefragung und Beweisaussage (lit. f). Diese Aufzählung ist abschliessend; im Zivilprozessrecht besteht insofern ein numerus clausus der Beweismittel, vorbehalten bleiben nach Art. 168 Abs. 2 ZPO lediglich die Bestimmungen über Kinderbelange in familienrechtlichen Angelegenheiten.
Die Rolle der Mitwirkungspflichten
Ein wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit der Freistellung für Psychotherapie ist die Mitwirkungspflicht des Versicherten. Dieser ist verpflichtet, alles Zumutbare zu unternehmen, um seine Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen und den Schaden für die Versicherung möglichst gering zu halten. Dazu gehört beispielsweise die Teilnahme an Eingliederungsmassnahmen oder die Einholung einer vertrauensärztlichen Beurteilung.
Zusammenfassung der wichtigsten Punkte
- Der Anspruch auf Krankentaggelder setzt eine nachgewiesene Arbeitsunfähigkeit voraus.
 - Arztzeugnisse haben eine gewisse Beweiskraft, können aber durch andere Umstände erschüttert werden.
 - Der Versicherte hat eine Mitwirkungspflicht und muss alles Zumutbare unternehmen, um seine Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen.
 - Bei Streitigkeiten über den Anspruch auf Krankentaggelder entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung der rechtlichen Grundlagen und der Beweislage.
 
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