Selbstschutz bei psychischen Angriffen: Tipps für mehr Sicherheit

Menschen mit Behinderung fühlen sich in kritischen Situationen meist hilflos und ihrem Gegenüber ausgeliefert. Entsprechende Kurse steigern das Selbstbewusstsein.

Prävention als erster Schritt

Im Zentrum steht dabei sicherlich die Prävention. Es gilt, kritische Situationen im vorne herein zu umgehen. Im öffentlichen Raum sollten belebte und gut beleuchtete Orte und Wege gewählt werden.

Eine bekannte Situation: Nach einem Konzert oder Theaterbesuch am Abend begibt man sich auf den Heimweg. Leider führt dieser Weg durch eine dunkle, menschenleere Gegend. Und plötzlich fragt man sich, ob die Person hinter einem nicht schneller wird und beginnt aufzuholen. Ein ungutes Gefühl beschleicht hier wohl jede und jeden, ganz besonders Menschen mit einer Behinderung.

Selbstbewusstsein stärken

Menschen mit Behinderung fällt es häufig schwer, ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Aber gerade das ist nötig, um einer Angreiferin beziehungsweise einem Angreifer entschlossen entgegentreten zu können. Denn die Täterinnen und Täter gehen davon aus, dass sich Opfer mit Behinderungen nicht wehren können. Ein positives Selbstwertgefühl mit entschlossener Gegenwehr verunsichert Täter:innen.

Selbstverteidigungstechniken

Für Frauen und Mädchen gibt es speziell auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Kurse, wie zum Beispiel WenDo-Kurse. In diesen Kursen lernen sie Selbstverteidigung als Ganzes. Diese beginnt mit Übungen zur eigenen Wahrnehmung und verbaler Verteidigung. Ausserdem wird aufgezeigt, wie Frauen es schaffen, nicht in die Rolle des Opfers gedrängt zu werden. Zudem werden Techniken vermittelt, wie in Angstsituationen die Handlungsfähigkeit erhalten bleibt und wie der Körper als Waffe eingesetzt werden kann.

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Eine Form, der vom Geschlecht unabhängigen Selbstverteidigung, ist ESDO. Dieser Selbstverteidigungssport ist besonders gut für Leute mit körperlichem Handicap geeignet. Denn die Ausbildung in dem Sport verläuft nicht nach starren Abläufen, sondern ist individuell gestaltet. Dadurch können aus verschieden Kampfsportarten die Techniken trainiert werden, welche den eigenen körperlichen Fähigkeiten am besten entsprechen. Das eigene Gewicht, die Körperkraft und die Reichweite werden bei der Technik optimal genutzt. Zudem wird auch die Angriffsenergie des Gegners genutzt. Die Selbstverteidigungstechnik ist dadurch für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, genauso geeignet wie für andere körperlich unterlegene Menschen. Zudem kann ESDO auch als Reha-Sport betrieben werden. Ganz allgemein kann gesagt werden, dass sich auch andere Kampfsportarten für Menschen mit Behinderung eignen.

Der Einsatz von Waffen zur Abwehr

Gezielt Waffen zur Abwehr einzusetzen, ist heikel. Leicht kann man sich mit einer Schuss- und Stichwaffe selbst verletzten oder sie kann vom Angreifer entwendet und gegen das Opfer gerichtet werden. Werden solche Waffen «erfolgreich» eingesetzt und der Täter ist verletzt, kann das schwerwiegende rechtliche Folgen für die Benutzer der Waffe haben. Wenn überhaupt, sind Gegenstände wie Kubotan geeigneter. Dies ist ein circa 13 cm langer Metallstift, welcher an Punkten des gegnerischen Körpers Druck erzeugt, ohne ihn zu verletzten. Die Funktionsweise lässt sich am besten veranschaulichen, in dem man sich selbst einen Kugelschreiber gegen den Handrücken drückt. Ähnlich wirkungsvoll können auch andere erreichbare Gegenstände sein wie Löffel, Taschenlampen und so weiter. Es bleibt jedoch dabei - am effizientesten sind Verteidigungstechniken, wenn sie gar nicht erst eingesetzt werden müssen.

Notwehr und ihre Grenzen

Es ist wichtig zu wissen, welche Notwehrmassnahmen erlaubt sind und welche nicht. Auch als Opfer hast du keine unbegrenzten Verteidigungsrechte.

  • Festhalten am Handgelenk: Wenn dich jemand am Handgelenk festhält, darfst du nicht ins Gesicht schlagen. Das Halten am Handgelenk ist weniger gefährlich als ein Schlag ins Gesicht. Stattdessen solltest du laut und deutlich sagen, dass die Person dich loslassen soll.
  • Beleidigungen: Wenn dich jemand täglich beleidigt und du nach einem halben Jahr genug hast und eine Ohrfeige austeilst, ist das nicht erlaubt. Körperliche Angriffe wegen verbaler Beleidigungen sind unzulässig, da das Gesetz Worte als weniger schlimm einstuft als körperliche Gewalt.
  • Ende des Angriffs: Wenn der Angreifer stolpert und zu Boden fällt, bist du nicht mehr in direkter Gefahr und darfst die am Boden liegende Person nicht mehr angreifen.
  • Flucht des Angreifers: Wenn dir jemand eine Ohrfeige gibt und davonrennt, bist du nicht mehr in Gefahr. Du darfst der Person nicht nachlaufen, um eine Ohrfeige zurückzugeben.

Denke daran, dass Notwehrmassnahmen immer angemessen und verhältnismässig sein müssen.

Umgang mit verbaler Gewalt

Grundlose Beschuldigungen, Infragestellen der Kompetenz, persönliche Beleidigungen oder Bedrohungen: Fast jede und jeder hat bereits solche Erfahrungen gemacht. Diese Art von Situationen hinterlassen oft ein ungutes Gefühl, manchmal sogar Angst. Und als wäre dieser Stress nicht schon genug belastend, plagen einen hinterher auch noch die Gedanken, wie man doch hätte reagieren können. In Bedrängnis reagiert jede Person anders.

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Eine Theorie von Walter Bradford Cannon beschreibt die seelische und körperliche Anpassung an eine Gefahrensituation und unterteilt diese in zwei Kategorien: Fight und Flight - also Kampf und Flucht. Stuft ein Mensch eine Situation als Gefahr ein, versetzt sich der Körper reflexartig in einen der drei Modi - auch bei verbalen Angriffen. Die erste Reaktion gilt als Instinkthandlung und kann nicht gesteuert werden. Um das eigene Verhalten im Verlauf der Situation zu steuern und angemessen zu reagieren, ist es hilfreich, seine Reflexreaktion zu kennen.

Die Kantonspolizei Graubünden empfiehlt sechs Punkte, die bei verbaler Gewalt zu einer Deeskalation beitragen können.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist laut Bruno Tscholl, Gewaltberater und Trainer Emotionaler Kompetenzen, dass die angegangene Person sich wehrt und nicht in die Opferrolle fällt. «Verbale Gewalt entsteht immer in Zusammenhang mit einer Beziehung», meint er. Abhängig von der Art der Bekanntschaft gibt es verschiedene Varianten, um zu reagieren. So könne ein «Stopp, das will ich nicht» oder ein «Das verletzt mich jetzt sehr» eine klare Grenze aufzeigen. In Paarbeziehungen biete sich ein Codewort an, welches zuvor in einem ruhigen Moment festgelegt wird. Droht die Situation zu eskalieren, wird das Wort ausgesprochen. Es sollte kein alltäglich gebrauchtes Wort wie «Gabel» oder «Tisch» sein, sondern ein spezielleres. Was nach der Äusserung des Codeworts passiert, wird ebenfalls im Vorhinein abgesprochen.

Auch das Selbstbewusstsein spiele eine grosse Rolle. «Jemand, der ein selbstbewusstes Auftreten hat, wird vermutlich weniger stark angegriffen», erklärt der Gewaltberater. Aber auch die eigene Tagesform ist gemäss Tscholl entscheidend. So gibt es Tage, an welchen man empfindlicher reagiert als sonst, gereizt ist oder wenig Energie hat.

Gemäss der polizeilichen Kriminalstatistik werden im Kanton Graubünden jährlich zwischen 144 und 185 Fälle von Drohungen gemeldet. Eine betroffene Person müsse einen Strafantrag stellen, damit die Strafverfolgungsbehörde aktiv werde. Drohungen würden immer ernst genommen werden, betont die Kantonspolizei Graubünden. Wenn also jemand Angst hat, sollte er sich an die Polizei wenden.

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Grenzen setzen und wahren

Für hochsensible Menschen kann Abgrenzung - aufgrund der schwächer ausgebildeten Wahrnehmungsfilter und der daraus resultierenden Informations- und Reizüberflutung - ein grosses Problem sein: gute Wahrnehmungsfilter wirken wie eine "Grenze", die nicht alles einlässt. Und diese Grenzen sind bei HSP einfach nicht klar und stabil. Hochsensible nehmen natürlicherweise eher das Verbindende wahr als das Trennende. Sie spüren z.B. Dinge in anderen Menschen, welche jene noch gar nicht ausdrücken und leben oft in einer dauernden Vermischung zwischen innen und aussen. Dazu können verstärkende Lebensumstände kommen wie z.B. Unverständnis von aussen oder Übergriffe, welche erst recht dazu führen, dass die "Grenzen" sich vermischen und wir uns dem Leben ausgeliefert fühlen.

Umso mehr müssen wir uns darum kümmern, zu einer gesunden Abgrenzungsfähigkeit zu gelangen, denn trotz der "philosophischen" Erkenntnis der "Grenzenlosigkeit" unserer Welt, müssen wir ja doch im Alltag, welcher konkrete Grenzen von uns verlangt, funktionieren.

Zum klareren Verständnis unterscheide ich in diesem Kapitel zwischen "äusserer" und "innerer" Abgrenzung (wobei die verschiedenen Aspekte natürlich ineinander über fliessen und in der Realität nicht klar zu trennen sind):

  • Unter "äusserer Abgrenzung" verstehe ich Grenzen, die wir unseren Mitmenschen und äusseren 'Immissionen' aktiv setzen müssen, um intakt zu bleiben und uns "im Leben draussen" durchzusetzen und zu schützen.
  • Unter "innerer Abgrenzung" - oft schwieriger zu lernen - verstehe ich den Umgang mit all den vielfältigen Einflüssen des Lebens (z.B. dem Spüren der Befindlichkeit anderer, ohne dass diese darüber sprechen, mit Katastrophen, die in der Welt geschehen, mit Lärm, Geruch, 'Doppelbotschaften', Wetter, Atmosphäre, Hellfühligkeit etc.), denen hochsensible Menschen auch ohne aktiven äusseren Input in viel stärkerem Masse ausgesetzt sind als normalsensible Menschen.

'Äussere' Abgrenzung: Ein Lernprozess

Im Folgenden möchte ich praktisch schildern - und daraus dann ein Fazit ziehen, wie ich aus einem grossen Mangel an 'äusserer' Abgrenzungsfähigkeit mit der Zeit gelernt habe, mich besser gegen aussen abzugrenzen:

Phase 1: Die Unfähigkeit zur Abgrenzung

Wenn ich an frühere Zeiten denke, muss ich mir eingestehen, dass ich mich fast gar nicht auf gesunde Art und Weise abgrenzen konnte. Darum war ich jahrelang in einem chronisch überlasteten, gestressten Zustand. Ich hatte nicht nur das Gefühl, ich müsse jede Anforderung, jeden Wunsch an mich mit "ja" beantworten, sondern ich bot mich sogar aus freien Stücken noch zu Wunscherfüllungen an, die ich beim andern nonverbal zu erraten glaubte. Da musste eine Freundin nur stöhnen: "am nächsten Samstag ist Umzugstag, ich werde es nie schaffen, alles noch in meine Schachteln zu verpacken..." Reflexartig hörte ich mich sofort sagen: "ich helfe dir!" Am bewussten Samstag dann - anstatt mich von der Woche zu erholen - packte ich schwitzend und müde fremde Utensilien in riesige Schachteln, half noch mit, schmutzige Badewannen zu putzen oder kochte Spaghetti für das ganze Umzugsteam. Nicht dass an Hilfsbereitschaft etwas falsch wäre! - aber sie kam gar nicht aus meinem Herzen! Ich erfüllte nur Erwartungen, die ich in andere Menschen hinein projizierte und glaubte, ich würde ihre Liebe verlieren, wenn ich nicht zu Diensten sei.

Phase 2: Die panische Abwehr

Im jahrelangen Lernprozess zu einer besseren Abgrenzungsfähigkeit kam anschliessend eine Phase, in welcher ich mich verteidigen musste wie ein wildes Tier, wenn ich "nein" sagen wollte. Und im Innern herrschte bei meinen Abgrenzungsversuchen eine Mischung aus Verlustangst und Abwehr. Zu meinem Erstaunen musste ich einmal feststellen: "das ist ja eine Art lähmende Panik, die da abläuft!" Oft realisiert man das nämlich gar nicht, weil die Vernunft meint: "wegen so einer Kleinigkeit, kann ich doch nicht in Panik kommen..."

Doch - ich konnte! - und verlor dabei meine gesamte Flexibilität. Ich fiel also ins andere Extrem meines früheren Verhaltens und blockte nun fast alles ab, was an mich heran getragen wurde. Gleichzeitig lieferte ich immer lange Erklärungen dazu: "Weisst du, ich kann nicht, weil... Ich würde ja gerne, aber... Es geht WIRKLICH nicht!!" Anschliessend hasste ich mich, dass ich nicht einfach 'cool' und emotionslos sagen konnte: "Nein du, das geht leider nicht." Sondern dass ich so leiden musste, wenn ich mich doch nur auf das "Recht auf eigene Grenzen" berief...

Phase 3: Akzeptanz und Flexibilität

Heute bin ich mittlerweile ganz zufrieden mit meiner Abgrenzungsfähigkeit. Bei kleineren Sachen kann ich schon ganz schön ruhig bleiben. Fühle ich mich jedoch in irgendeiner Weise bedroht oder überfordert, falle ich schnell mal wieder in die alten, bei "Phase 1" und "Phase 2" beschriebenen Verhaltensmuster zurück - allerdings mit einem grossen Unterschied: die Gemütswellen gehen weniger hoch, und sie manifestieren sich heute viel weniger in meinem Leben, meinen Entscheidungen und meinen Beziehungen. Das heisst, ich komme schneller wieder zurück zu meiner Flexibilität, Kreativität und Entscheidungsfähigkeit.

Konkret sieht das zum Beispiel so aus: Jemand hat einen grossen Wunsch an mich. Ich spüre dabei intuitiv noch andere Gefühlsebenen und Wünsche oder projiziere meine eigenen Erfahrungen mit hinein... Z.B. meine ich vom andern noch zu vernehmen "ich wäre sehr enttäuscht, wenn es nicht klappen würde..." Spontan bin ich nicht begeistert, und bevor ich auf drei zählen kann, beginne ich zu 'rotieren' und merke, wie die alte Tendenz spürbar wird, in einer Art momentaner Überforderung einfach alles abzublocken und in Panik zu geraten. Dieses "Drama" kann ich meistens noch nicht auf Befehl abschalten, - es kann sich immer noch wie ein Wirbelsturm in mir aufbauen.

Aber ich kann mich jetzt mit meinem Wissen und meiner Vernunft einschalten und mir selber helfen: "Achtung, jetzt nicht agieren! - JETZT BRAUCHE ICH ZEIT!" (- indem ich z.B. sage, "ich muss mir das noch überlegen" oder "ich habe meine Agenda nicht dabei und bin momentan in Zeitnot, ich rufe zurück"....) Und damit gebe ich mir die Chance, diese "Welle" abebben zu lassen - bis zu einem Gefühl der Erleichterung: Aha! Ich "muss" ja gar nicht! Niemand kann mich zwingen, ich darf "nein" sagen... Oder "ja", - wenn ich wirklich möchte, was ich oft im anfänglichen "Wirbelsturm" gar nicht spüren kann...

Erst in dieser Phase der Erleichterung spüre ich dann, was ich wirklich will. Meine Differenzierungsfähigkeit kommt wieder zurück, und ich merke, dass es ja auch kreative Lösungen gibt. Einen Teil des Wunsches erfülle ich vielleicht gerne, und nur ein Punkt hat mich gestresst oder gelähmt. Dann kann ich zum Beispiel sagen: "Du, die Idee finde ich super, - aber bei diesem Punkt kann ich nicht mitmachen..."

Eine wichtige Erkenntnis in diesem Lernprozess war: Die Unfähigkeit, mich abzugrenzen, zielt generell eigentlich gar nicht auf den Mitmenschen, der etwas von mir will, sondern auf meine eigenen, uralten Reaktionsweisen. Diese sind es, die mich stressen, nicht der Mensch, der etwas von mir möchte.

Ob es in Zukunft im weiteren Lernprozess, der ja nie zu Ende ist, noch einfacher wird? Ich weiss es nicht. Aber ich bin zufrieden mit dem Niveau, das ich inzwischen erreicht habe. Wenn ich zum Beispiel mit sechzig zu joggen beginne, kann ich auch nicht erwarten, dass ich es irgendwann noch auf das gleiche Niveau bringe wie ein, seit Jugendzeiten geübter junger Langstreckenläufer. Das gehört zu einem Lernprozess, wir müssen uns darüber nicht ärgern.

Oft steht hinter mangelnder Abgrenzung Angst vor Liebesverlust. Machen wir uns klar, was wir tatsächlich verlieren können und ob es sich lohnt, dafür auf Eigenständigkeit zu verzichten. Machen wir uns auch klar, was wir gewinnen können, wenn wir diese Verlustangst überwinden.

HSP, die in Abgrenzungs-Situationen in innere Not (Panik, Lähmung, Abwehr...) geraten, sollten alles daran setzen, sich auf irgendeine Weise Zeit zu verschaffen (sich z.B. einen Spruch zulegen wie "das muss ich zuerst abklären, mir überlegen etc.). Ein psychisch 'gelähmter' Mensch ist nicht in der Lage, für sich einzustehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Also: nicht übereilen und agieren, sondern abwarten, Zeit verstreichen lassen, bis die "Welle" sich wieder legt.

Natürlich gelingt es nicht immer, Fehlentscheidungen aus "Abgrenzungsnot" zu vermeiden. Es ist durchaus erlaubt - auch wenn einem das dann sehr unangenehm und peinlich sein kann, dass man in solchen Fällen zu sich steht und einen Rückzieher macht. Es fällt uns kein "Zacken aus der Krone", wenn wir uns korrigieren und jemandem z.B. ehrlich sagen: Das ging mir jetzt alles zu schnell. Ich habe es mir nochmals richtig überlegt...

Eine wichtige Erkenntnis ist, dass es meistens weniger um das Objekt unserer Abgrenzung geht (also z.B. um den Menschen, von welchem wir uns abgrenzen wollen), sondern viel mehr um unsere eigenen eingeprägten Verhaltensweisen: Ich selber bin mein Drama, in mir selber entstehen diese Stürme und Ängste und diese Mühe, nein zu sagen. Dies ist oft eine schwierige Erkenntnis, denn wir würden gerne den anderen verantwortlich machen, ihn vielleicht doof finden, damit uns das "nein" einfacher fällt. Aber seien wir ehrlich: es geht dabei sehr häufig um unsere Schwierigkeiten, uns abzugrenzen und für uns zu schauen. Sollte es jedoch tatsächlich vorwiegend um die andere Person gehen, ist es wichtig, die Beziehung zu diesem Menschen einmal ehrlich anzuschauen und zu klären, was da schief läuft.

Lernprozesse brauchen Geduld: Häufig können wir alte Ängste, Impulse und Verhaltensmuster nicht völlig aus unserem System löschen, - unsere alten Reaktionsweisen klingen oft noch lange in uns nach. Aber wir können lernen, mit ihnen besser umzugehen und ihnen nicht mehr so ausgeliefert zu sein. Erlauben wir uns kleine Schritte, die dafür dann "sitzen". Schauen wir öfters zurück und und freuen wir uns über Fortschritte, die wir gemacht haben. Erwarten wir ausserdem keine perfekten Ziele wie z.B. "Wenn ich es dann definitiv geschafft habe, dann läuft alles rund."

Nicht vergessen: In der mangelnden Abgrenzungsfähigkeit vieler hochsensibler Menschen liegt auch das Potenzial einer grossen Einfühlungskraft.

Zusammengefasst kann gesagt werden: 'Äussere Abgrenzung' braucht unsere Bereitschaft, mit Ausdauer und Geduld ein "persönliches Abgrenzungstraining" zu beginnen - ohne uns einem hohen Leistungsideal auszusetzen. Abgrenzung hat nichts mit Leistungsstress zu tun, sondern mit persönlicher Wertschätzung, Erkenntnis und Akzeptanz des eigenen Wesens. Es geht um uns als ganzen Menschen, darum sollte dieses "liebevolle Training" auch auf allen Ebenen des Seins stattfinden.

'Innere' Abgrenzung

'Innere' Abgrenzung ist deshalb schwieriger zu lernen, weil wir sie auf Anhieb weniger bewusst wahrnehmen. Wenn etwas von aussen auf uns zu kommt, ein Wunsch, eine Einladung, ein Anspruch, ein Befehl, eine Schwierigkeit, eine Emotion, eine Aggression etc., dann können wir wenigstens "orten", woher dieser 'Input' kommt, auch wenn es schwierig sein kann, sich davon abzugrenzen. Wenn jedoch die Quelle eines 'Inputs' nicht klar zu erkennen ist - wie sollen wir uns dann davor schützen?

Um inneren Abgrenzungsschwierigkeiten (die häufig mit einer gut entwickelten Empathie/Einfühlungskraft zusammenhängen) auf die Schliche zu kommen, kann es auch einmal sein, dass wir uns eine Therapie, Supervision oder Beratung... gönnen sollen. Unterschwellige Abgrenzungsprobleme können so subtil ablaufen, dass es schwierig sein kann, ohne Unterstützung weiter zu kommen.

Beispiele für innere Abgrenzungsschwierigkeiten:

  • In einer Gesprächsgruppe hält sich A. immer auffällig zurück und erzählt kaum etwas von sich. Im Verlauf des Gesprächs beginnt ihre Sitznachbarin L. zu weinen, sie "weiss aber nicht wieso", sie sei "plötzlich grundlos traurig geworden". Die Gesprächsleiterin führt die Gruppe zu einem Punkt, wo klar wird, dass A. eigentlich traurig ist, ihre Traurigkeit jedoch zurückhält. L. hat diese unausgesprochene Trauer quasi "übernommen" und ausgedrückt.
  • Ein Leser schrieb, er sei mit dem Auto in der Schweiz unterwegs gewesen, als zur selben Zeit in Peru ein grosses Erdbeben stattgefunden habe. Ohne dies zu wissen, habe er anhalten müssen, ihm sei schlecht geworden und er habe das Gefühl gehabt, die Häuser des Dorfes, durch welches er gerade fuhr, würden zusammenfallen.
  • Der vierjährige N. rennt auf die Mutter zu, um ihr eine aufregende Geschichte aus dem Kindergarten zu erzählen. Die (zur Zeit depressive) Mutter hört mit abwesendem Blick zu und zwingt sich zu ein paar bestätigenden Worten. Der Sohn fragt verwirrt "Was hast du?" "Gar nichts!" sagt die Mutter und versucht zu lächeln.
  • Eine (hochsensible) junge Ärztin arbeitet in der onkologischen Abteilung einer Kinderklinik. Sie liebt die Arbeit dort, fühlt sich im Team wohl und hat einen guten Draht zu den kranken Kindern, und trotzdem geht es ihr sukzessive schlechter (depressive Verstimmungen, Schlafprobleme, Verdauungsprobleme, grosse Müdigkeit). Ein plötzlicher nervlicher Zusammenbruch bringt ans Licht, dass die junge Frau nicht wahrheben wollte, wie nahe ihr die Schicksale der krebskranken Kinder tatsächlich gingen. Sie konnte sich innerlich nicht abgrenzen vom Leid der Kinder und ihrer Eltern.

Häusliche Gewalt erkennen und handeln

Häusliche Gewalt ist jede Gewalt, die innerhalb einer bestehenden oder aufgelösten, engen Beziehung stattfindet. Sie kann verschiedene Formen annehmen:

  • Psychische Gewalt: Dazu gehören Einschüchterung, Beleidigung, Drohung, Erniedrigung und Demütigung, Anschreien, Kontrolle bis zum Verbot sozialer Kontakte, eifersüchtiges Verhalten, Unterstellungen und das erzeugen von Schuldgefühlen.
  • Sexualisierte Gewalt: Sexualisierte Gewalt beschreibt alle sexuellen Handlungen, die gegen den Willen eines Menschen geschehen.
  • Stalking: Stalking ist das wiederholte Verfolgen, Nachstellen und Belästigen einer Person gegen deren Willen.
  • Wirtschaftliche Gewalt: Wirtschaftliche Gewalt ist der Missbrauch finanzieller Abhängigkeit.

Weil Häusliche Gewalt in engen sozialen Beziehungen stattfindet, ist es besonders schwierig, darüber zu sprechen. Scham, Abhängigkeit, ambivalente Gefühle oder Angst vor noch mehr Gewalt sind nur einige Gründe dafür, Häusliche Gewalt zu verschweigen und in einer gewalttätigen Beziehung auszuharren. Deshalb kann sich Häusliche Gewalt über Jahre, in manchen Familien sogar über Generationen, hinziehen.

Seit dem 1. Juli 2007 sind im Kanton Basel-Stadt zusätzlich zu den zivilrechtlichen Schutzmassnahmen (Art. 28b ZGB) auch polizeiliche Massnahmen in Kraft, die gewaltbetroffenen Personen in Fällen Häuslicher Gewalt Schutz bieten.

Was tun bei Häuslicher Gewalt?

Der Selbstschutz hat oberste Priorität! Dokumentieren und archivieren Sie alle Ereignisse. Informieren Sie Ihr Umfeld.

Sie können beim Ziviligericht beantragen, dass dieser Person verboten wird, Kontakt mit Ihnen aufzunehmen oder sich Ihnen zu nähern. Ausserdem können Sie beantragen, dass die Person einen elektronischen Sender tragen muss, damit kontrolliert werden kann, ob sie sich an das Verbot hält.

Wie kann man helfen, wenn man Häusliche Gewalt in seiner Nähe wahrnimmt?

Es ist nicht einfach, als Aussenstehende/r etwas zu unternehmen, wenn man von häuslicher Gewalt in seinem Umfeld erfährt, sie miterlebt oder vermutet. Falsch wäre, die Vorkommnisse zu ignorieren: Nichts zu tun schützt nämlich die Gewalttätigen! Kleine Gesten reichen oft schon aus.

Wenn Sie Schreie oder weinende Kinder hören, Schläge wahrnehmen oder zerbrochene Gegenstände bemerken, sollten Sie den Polizeinotruf 117 verständigen. Das Klingeln bei den streitenden Nachbarn ist ein wirksames Mittel, um die Situation zu unterbrechen. Wenn Sie wissen, dass jemand bedroht wird, informieren Sie auf jeden Fall die Polizei. Drohungen sind sehr ernst zu nehmen.

Die Abteilung Gewaltschutz und Opferhilfe bietet für Firmen, Institutionen etc. Infomodule und Referate zum Thema Häusliche Gewalt an.

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