Kings Elliot: Musik als Spiegel der Borderline-Persönlichkeitsstörung

Kings Elliot, bürgerlich Anja Gmür, hat mit ihrer Musik eine einzigartige Nische gefunden. Ihre Songs sind nicht nur Ausdruck ihrer künstlerischen Fähigkeiten, sondern auch ein Spiegel ihrer Erfahrungen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Die 29-Jährige macht ihre psychische Erkrankung zum Thema ihrer Musik und will damit Tabus brechen und Berührungsängste abbauen.

Von Schwyz in die Welt: Der musikalische Werdegang von Kings Elliot

Schon als kleines Mädchen sang Anja Gmür im Chor, und als Jugendliche schrieb sie ihre ersten Songs. Die Leidenschaft für die Musik war so gross, dass sie vor bald acht Jahren von Wilen im Kanton Schwyz nach London zog, um dort Musik zu studieren. Anfänglich spielte sie in Pubs und wurde entdeckt. Ihre Songs schickte sie Plattenfirmen, Antwort bekam sie nie, doch seither geht ihre Karriere steil bergauf.

Heute tourt sie mit dem US-Rapper Macklemore und Imagine Dragons durch die Grossstädte der USA. Sie tritt im Berner Stade de Suisse, auf dem Gurten und am Jazz-Festival in Montreux VD auf. Immer wieder vergleicht man sie mit Billie Eilish.

Die Musik als Therapie und Ausdruck der Krankheit

Kings Elliot hat die Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung. Ihre Erfahrungen mit der psychischen Krankheit teilt sie in ihren Songs. Die 29-Jährige filmt sich bei Panikattacken und singt über ihre psychische Erkrankung.

«Es gibt immer noch Personen, die an Zwangsjacken denken, wenn ich sage, dass ich Borderline habe», sagt Kings Elliot. Dagegen wolle sie ankämpfen. So offen wie sie ist im Pop kaum jemand.

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Ihre Musik klingt gross, universell und so gar nicht nach Schweizer Bescheidenheit. Wenn sie sich vor dem Auftritt ihr Bandana um die blauen Haare wickelt und dann die Bühne betritt, sagt sie jeweils zuerst ins Mikrofon, dass es jetzt sehr persönlich werde. Und entblössend. Dann singt Kings Elliot ihre traurig-schönen Balladen, die an Billie Eilish erinnern. Sie singt über das Leben als Aussenseiterin, über Selbstzerstörung und die Schwierigkeit, mit einer Borderline-Störung eine Beziehung einzugehen.

«Für mich ist das eine liebevolle Art, jemanden zu beschreiben, der mit Panikattacken oder anderen psychischen Problemen umgehen muss», sagt Kings Elliot im Videocall in ihrem Hotelzimmer in Denver. Und irgendwann fordert sie die Menschen auf, «sick puppy» zu schreien, was auf Deutsch so etwas wie kranker Welpe heisst.

«Bored of the Circus»: Einblick in die Gefühlswelt von Kings Elliot

Die neuste EP von Kings Elliot heisst «Bored of the Circus». Der Zirkus findet in Kings Elliots Kopf statt. Und häufig hat sie genug davon. Das verarbeitet sie in ihren Balladen, bei denen ihre Stimme auf Klavierklängen und Chören schwebt. «Ich könnte keine Party-Hymnen schreiben», sagt Kings Elliot. Und doch zieht ihre Musik nicht nur hinunter, sondern euphorisiert in ihrer Melancholie, ähnlich, wie wenn man sich einen traurigen Film anschaut.

Als Inspiration nennt Kings Elliot denn auch Lana Del Rey und Billie Eilish und Musik aus den 40er- und 50er-Jahren. Wirklich mutig ist hingegen, wie offen Kings Elliot mit ihren Angstzuständen umgeht.

Vor einem Jahr wollte sie einen Film zu ihrem Song «I’m Getting Tired of Me» produzieren. Es ging ihr damals nicht gut. Bei den Dreharbeiten hatte sie eine Panikattacke. «Mein Körper übernahm die Kontrolle», sagt Kings Elliot. «Ich bekam Herzrasen, kalte Hände, konnte nicht schnaufen und wollte am liebsten, dass alle Türen schliessen und mich niemand sieht.» Die Kamera lief weiter. Und anstatt ein aufwendiges Musikvideo zu drehen, entschied sie sich, diese Bilder zu veröffentlichen. Zur Ballade, bei der Kings Elliot über ihr Gefängnis und den Teufel singt, sieht man sie jetzt am Boden sitzen und leiden. Nur langsam erholt sie sich. Eine Livepanikattacke. Für den Song gäbe es kein passenderes Video. Und es wirkt erstaunlicherweise kein bisschen nicht berechnend.

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Die Botschaft hinter der Musik: Mut zur Ehrlichkeit

Nicht immer konnte Kings Elliot offen über ihre Krankheit sprechen. In der Schule im Kanton Schwyz spielte sie den Clown und litt im Stillen. Ihre Eltern - die Mutter Kindergärtnerin, der Vater Banker - trennten sich. Immer mehr verkroch sie sich. «Ich fühlte mich, als würde ich nirgends dazupassen», sagt Kings Elliot. In ihrem Song «The Outsider» beschreibt sie, wie ihre Freunde «Mr. Brightside» von den Killers hören und tanzen, während sie nur danebensitzt und um Atem ringt.

Nach der KV-Lehre zieht Kings Elliot nach London. Sie wohnt anfangs in schimmligen WG-Zimmern, arbeitet in Pubs und Tierhandlungen und besucht eine Musikschule. Es ist der Moment, in dem aus Anja Gmür Kings Elliot wird: royale Selbstermächtigung plus den Nachnamen ihrer geliebten Grossmutter. In London färbt sie sich die Haare blau. «Das war wie ein Zauberumhang für mich», sagt sie. Damit und mit dem Abstand von zu Hause traut sie sich, die persönlichen Songs zu schreiben, mit denen sie erfolgreich werden sollte.

Kürzlich hat Hollywood-Star Reese Witherspoon ein Lied von Kings Elliott auf ihrem Instagram-Account geteilt. Und auch von weniger bekannten Fans bekommt sie Rückmeldungen. «Du bist so ehrlich. Eine andere Person kommentierte: «Ich gehe gerade durch dieselbe schwierige Zeit.»

Das alles macht Kings Elliot Mut. Sie sagt, es berühre sie, wenn «sick puppies» durch ihre Musik eine Stimme erhielten. Auf ihrer neuen EP ruft sie in «Cry, Baby, Cry» zum schamlosen Weinen auf. Dass dies noch nötig ist und etwas auslöst, sagt viel über die Gesellschaft aus - und über die Wichtigkeit von Kings Elliots Musik. In den sozialen Medien hat sie kürzlich gepostet, dass es okay sei, einen ganzen Tag auf der Couch zu verbringen und «Stranger Things» zu schauen, wenn es einem nicht gut gehe.

Neue Wege: «I’m Not Always Sad, Sometimes I’m Angry»

Die Schweizer Musikerin Kings Elliot (30) hat neue Musik am Start und präsentiert ihre EP «I'm not always sad, sometimes I'm angry». Anja Gmür, wie Kings Elliot mit bürgerlichem Namen heisst, singt nämlich auf ihrem neuen Werk über Trauer und über Wut. In der Vergangenheit verarbeitete die 30-Jährige viele ihrer dunklen Gefühle musikalisch und thematisierte auch ihre psychischen Probleme. Mit dem Gefühl der Wut betritt sie nun ein neues Pflaster und zeigt sich erstarkt und kämpferisch.

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«Ich bin auch eine ‹Bad Bitch› und mache klar, wie man mit mir umzugehen hat», sagt sie im SI.Talk. Sie wolle nicht mehr nur in Trauer versinken, sondern für sich hinstehen, erklärt Kings Elliot ihr neues Ich. Dank der DBT-Therapie (auch dialektische Verhaltenstherapie genannt) ist sie nun immer mehr in der Lage, Dinge zu tun, die ihr zutiefst widerstreben - rauszugehen oder Leute zu treffen zum Beispiel. Ohne Therapie gäbe es heute keine neue Musik von Kings Elliot. «Ich kann keine Musik machen, wenn es mir nicht gut geht», sagt sie.

Auffällig an der Musikerin sind ihre türkisblauen Haare. «Ich hatte schon fast alle Farben. Blau bedeutet eine gewisse Melancholie, was zu meinen Songs passt. Auf Englisch sagt man: ‹I’m feeling blue›, wenn man traurig ist. In ihrer Freizeit kümmert sie sich um ihre vier Hasen und zwei Rennmäuse.

Im kommenden Jahr ist Kings Elliot bei «Sing meinen Song» zu sehen. Sie möchte ihr Debütalbum veröffentlichen und auf Europa-Tournee gehen. Ausserdem träumt sie davon, einen Gnadenhof für Tiere zu eröffnen.

Die Ehrlichkeit als Schlüssel zum Erfolg

Kings Elliot sieht die Gefahr, dass es Trend wird, «kaputt» und «broken» zu sein? Wenn es bedeutet, dass es als cool gilt, offen darüber zu sprechen, wie es einem geht, halte ich das für eine positive Entwicklung. Dann, wenn es einen dazu ermutigt, sich nicht zu schämen.

«Trend» klingt nach Ausbeute. Das Thema ist zu ernst, als dass man willkürlich Probleme konstruieren sollte, nur um dazuzugehören. Es besteht so die Gefahr, dass Mental Health weniger ernst genommen wird - dabei sollte das Gegenteil der Fall sein: Wir müssen die Diskussion darum normalisieren. Ich sehe darin also eher ein Plus.

Anja hat sich in ihrem Leben mehr versteckt, hat oft so getan, als wäre sie jemand, die sie nicht ist.

Abschliessend lässt sich sagen, dass Kings Elliot mit ihrer Musik nicht nur ihre eigene Geschichte erzählt, sondern auch vielen anderen Menschen eine Stimme gibt, die mit psychischen Problemen zu kämpfen haben. Ihre Ehrlichkeit und Offenheit machen sie zu einer wichtigen Stimme in der Musikwelt.

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