Das Delir ist ein akuter Zustand geistiger Verwirrung, der sich vor allem durch Störungen des Bewusstseins und des Denkvermögens auszeichnet und gerade bei älteren Patienten auftritt.
Durch das Zusammenwirken von prädisponierenden und auslösenden Faktoren entwickeln sich verschiedene Unterformen des Delirs.
Die Konsequenzen eines Delirs im Spital sind schwerwiegend für den Patienten, die Angehörigen und das betreuende medizinische Personal sowie für die allgemeine Gesundheitsökonomie.
Massnahmen zur primären Prävention, vor allem bei Risikopatienten, sind deshalb unerlässlich.
Um eine Frühdiagnose auf der Notaufnahme oder auch bei stationären Patienten zu ermöglichen, wurden verschiedene Screeninginstrumente für das Delir entwickelt.
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Grundsätzlich kann zwischen Patienten, die bereits bei der Aufnahme ein Delir aufweisen (Inzidenz bis zu 25%), und Patienten, die erst während der stationären Behandlung ein Delir entwickeln (zusätzliche Inzidenz bis zu 30%), unterschieden werden.
Als Symptomenkomplex zeigt sich das Delir in einem variablen klinischen Erscheinungsbild; dabei kann grob in eine hypoaktive Form in 65 Prozent und in eine hyperaktive Form in 25 Prozent der Fälle unterteilt werden.
10 Prozent der betroffenen Patienten weisen eine Mischform des Delirs auf.
Maldonado empfiehlt die Abgrenzung eines «katatonen» Typs (catatonic type) und eines «erregten» Typs (excited type) als Extremformen des hypo- und hyperaktiven Delirs.
In einer vergleichenden Studie von Patienten mit Delir auf der Intensivstation und allgemeinen Krankenstationen haben Canet et al. gezeigt, dass Patienten, die nicht auf der Intensivstation liegen, eher ein hypoaktives Delir entwickeln.
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Die Ätiologie eines Delirs ist multifaktoriell bedingt, wobei zwischen prädisponierenden und auslösenden Faktoren unterschieden wird.
Prädisponierende Faktoren sind patienteneigene Merkmale, die ein Delir begünstigen, beispielsweise fortgeschrittenes Alter, eine vorbestehende kognitive Leistungseinschränkung oder medizinische Komorbiditäten.
Dabei sind das Alter und die kognitive Leistungseinschränkung die wichtigsten Risikofaktoren für ein Delir.
Auslösende Faktoren können Infektionen, Schmerzen oder medizinische Massnahmen wie chirurgische Operationen sein.
Der Einsatz von Harnblasenkathetern oder die Fixierung von Patienten bei Selbst- und Fremdgefährdung ist ebenfalls mit Delir im Spital vergesellschaftet.
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Unter den operativen Disziplinen ist insbesondere die Herzchirurgie mit dem Auftreten eines Delirs assoziiert.
Darüber hinaus kann jede Änderung des physiologischen Gleichgewichts einen auslösenden Faktor darstellen.
Dazu gehören Elektrolytstörungen, Infektionen, Nieren- oder Leberinsuffizienz, Anämie und metabolische Störungen.
Opioide, Benzodiazepine und anticholinerge Medikamente, die mit einem erhöhten Risiko für das Ausbilden eines Delirs assoziiert sind, sollten bei vulnerablen Patienten nur mit Vorsicht verordnet werden.
Die aktuelle Literatur vermag jedoch nicht, abschliessend über das delirauslösende Potenzial dieser Wirkstoffe zu urteilen.
Risikofaktoren für ein persistierendes Delir nach der Spitalentlassung sind medizinische Komorbiditäten, eine Abnahme des Sehvermögens, funktionelle Einschränkungen, Fixierungsmassnahmen und vorbestehende Demenzerkrankungen.
Phänotypen des Delirs
Man kann zwischen mindestens 5 Formen von Delir unterscheiden.
Die Einteilung erfolgt anhand der klinischen Manifestation: die prodromale Phase, die normalerweise durch Unruhe, Angst, Reizbarkeit und Schlafstörungen gekennzeichnet ist und sich über einen Zeitraum von Stunden bis Tagen entwickelt, die traditionellen hypoaktiven, hyperaktiven und gemischten Typen (mit den Extremformen des «katatonen» bzw. «erregten» Typs) und ein potenziell chronisches oder persistierendes Delir.
Dabei ist die Beziehung zwischen Delir und bleibender kognitiver Leistungsstörung nicht allein assoziativ, sondern anscheinend auch kausal.
Delir auf der Notfallstation
Neben den medizinischen oder chirurgischen Grunderkrankungen des Patienten darf die Häufigkeit des Delirs in der Notaufnahme eines Spitals nicht unterschätzt werden.
Bei Eintritt in die Notfallstation (NFS) zeigen bereits 10 bis 20 Prozent aller behandelten Patienten eine Delirsymptomatik.
werden, steigt diese Inzidenz auf 40 Prozent.
Bei Patienten, die auf der NFS ein Delir aufweisen, ist ein bis zu 70 Prozent erhöhtes Mortalitätsrisiko in den nachfolgenden 6 Monaten zu verzeichnen.
Trotz dieser hohen Fallzahlen gestaltet sich die Diagnose eines Delirs auf der NFS schwierig und wird gelegentlich verpasst.
Aufgrund einer hohen Dunkelziffer wird die tatsächliche Prävalenz des Delirs in der Notaufnahme möglicherweise unterschätzt.
Mögliche Konsequenzen eines Delirs auf der NFS sind, neben dem erhöhten Mortalitätsrisiko, eine verlängerte Hospitalisation und häufigere intensivmedizinische Behandlungen.
In etwa 40 Prozent der Fälle werden Patienten mit Delir auf der NFS letztlich in ein Alters- oder Pflegeheim verlegt.
Klinischer Verlauf eines Delirs auf der Notfallstation
Drei Patienten mit unterschiedlichen prädisponierenden Faktoren für ein Delir (Alter, Demenz, Vorerkrankungen) werden verschiedenen auslösenden Faktoren für ein Delir (Harnwegsinfekt, Harnblasenkatheter) ausgesetzt.
Die «Delirschwelle» wird initial nur von Patient 1 überschritten, der mit Harnwegsinfekt bereits delirant auf die NFS eingeliefert wird.
Patient 2 wird hingegen erst nach Einlage eines Harnblasenkatheters auf der NFS delirant.
Patient 3 wird nie delirant, da er weniger imponierende prädisponierende Faktoren für ein Delir aufweist.
Eine unerkannte Delirsymptomatik kann gelegentlich zu fehlerhaften Diagnosen führen.
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass 13 bis 19 Prozent der älteren Patienten, die direkt von der NFS entlassen werden, Delirsymptome aufweisen.
Kakuma et al. haben in ihrer Arbeit ein bis zu siebenfach erhöhtes Mortalitätsrisiko für diese Patienten beschrieben.
Das grösste Risiko zeigten dabei Patienten, bei denen das Delir fälschlicherweise nicht diagnostiziert wurde.
Studien zur Delirinzidenz beruhen mehrheitlich auf Patienten über 65 Jahre, welche die am häufigsten betroffene Altersgruppe repräsentieren.
Allerdings haben auch Patienten über 40 Jahre bereits ein bis zu vierfach erhöhtes Risiko, ein Delir auf der NFS zu erleiden, wenn man die Zahlen mit einer jüngeren Kontrollgruppe vergleicht.
Die Umsetzung einer effektiven und präzisen Erfassung aller Patienten mit Delir auf der NFS ist zeitintensiv und mit einigem Personalaufwand verbunden.
Eine wichtige Herausforderung ist dabei die Dokumentation des Delirs über die gesamte Aufenthaltsdauer auf der NFS hinsichtlich des fluktuierenden Verlaufs der Symptomatik und nicht nur als Momentaufnahme.
Dazu sind Screeningtests entwickelt worden, die eine schnelle und zuverlässige Diagnose ermöglichen.
Alkoholentzugsdelir
Eine der häufigsten Sonderformen des Delirs ist das Alkoholentzugsdelir, auch Delirium tremens genannt.
Es ist definiert durch das gleichzeitige Vorhandensein von Delir- und Alkoholentzugssymptomen und kann eine lebensbedrohliche Situation darstellen.
Von allen Patienten, die wegen eines Alkoholentzugs in stationärer Behandlung sind, zeigen 5 Prozent das komplette Bild eines Alkoholentzugsdelirs.
Der typische Verlauf beginnt mit Alkoholentzugssymptomen, und nach durchschnittlich 72 Stunden weisen die Patienten dann die ersten Manifestationen eines Delirs auf.
Typischerweise zeigt sich eine hyperaktive Form des Delirs.
Symptome bilden sich meist nach zwei bis drei Tagen zurück.
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