Anzeichen und Umgang mit Narzissmus in Beziehungen

Der Begriff Narzissmus geht auf den wunderschönen Jüngling Narziss, eine Figur aus der griechischen Mythologie, zurück. Narziss verliebte sich leidenschaftlich in sein eigenes Spiegelbild im Wasser und ging an der Unfähigkeit, den Blick von sich selbst abzuwenden, zugrunde. Heutzutage wird der Begriff Narzissmus verwendet, um einen Persönlichkeitsstil zu bezeichnen.

Narzisstische Personen fühlen sich anderen gegenüber überlegen. Sie fantasieren über ihren eigenen Erfolg und sie denken, sie hätten Anspruch auf Privilegien, die andere nicht haben. Wenn sie sich gedemütigt fühlen, können sie häufig aggressiv oder gewalttätig reagieren.

Trump, Berlusconi, Ronaldo - schillernde und erfolgreiche Persönlichkeiten bekommen schnell die Ferndiagnose «Narzisst» verpasst. Bloss: Narzisstische Züge hat fast jeder. Heute schon ein Selfie verschickt? Oder jemandem stolz erzählt, dass die eigenen Entscheidungen der Firma viel Geld gebracht haben? Keine Sorge: Das ist noch keine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Und auch wer sich gut und gerne auf Social Media präsentiert, ist nicht automatisch ein Narzisst oder eine Narzisstin.

Wann kippt «normaler» Narzissmus in eine narzisstische Persönlichkeitsstörung?

Der Begriff «Narzisst» ist zwar breit gefächert und beinhaltet auch leichte narzisstische Züge. Die können aber auch positiv bewertet werden. Ideenreichtum zum Beispiel, Leistungsstärke oder ein gutes Selbstbewusstsein. «Die Diagnosestellung ist eigentlich einfach», erklärt Marc Walter, Chefarzt Psychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Dienste Aargau PDAG. «Es ist wie ein standardisiertes Interview.» Wenn fünf der neun Fragen (siehe Box) bejaht werden, liegt eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vor. Zusätzlich müssen auch eine Funktionsbeeinträchtigung und ein Leidensdruck vorliegen.

Neun Fragen, die Anzeichen für eine narzisstische Persönlichkeitsstörung entlarven:

  • Bist du grandios und so wichtig, dass deine überragenden Leistungen auf jeden Fall anerkannt werden sollten?
  • Denkst du oft an grenzenlose Macht, Erfolg und Schönheit?
  • Bist du so einzigartig, dass nur Menschen, die genauso besonders sind, dich verstehen können?
  • Sollten die anderen dich masslos bewundern?
  • Sollten dich andere bevorzugt behandeln?
  • Nutzt du andere aus, um deine eigenen Ziele zu erreichen?
  • Erkennst du nicht, was andere denken und fühlen? Oder interessiert es dich vielleicht gar nicht?
  • Bist du neidisch auf andere und denkst du, andere sind neidisch auf dich?

Wer fünfmal genickt hat, sollte vielleicht einmal mit einem Psychologen sprechen.

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Ein weiteres Merkmal, um schweren pathologischen Narzissmus von leichterem zu unterscheiden: die Beziehungsfähigkeit. Personen mit leichten narzisstischen Zügen sind laut Walter durchaus beziehungsfähig.

Nicht immer erscheinen Personen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung gleich. Bekannt ist vor allem der grossartig-maligne Typus, der Donald Trump oder Silvio Berlusconi nachgesagt wird. Er verhält sich asozial, kann aggressiv und paranoid sein. Er ist von seiner eigenen Grossartigkeit überzeugt, schreckt vor Rache nicht zurück, fühlt sich aber gleichzeitig wenig wertgeschätzt.

Typische Verhaltensweisen in Beziehungen mit Narzissten

Häufig fangen Beziehungen mit narzisstischen Persönlichkeiten mit einem Paukenschlag an: Schockverliebtheit, Traummann-Alarm, pinke Einhörner und Glitzer überall. Am Anfang steht das sogenannte «Love Bombing». Dabei wird der andere mit Aufmerksamkeit, Geschenken und Komplimenten regelrecht überschüttet. Das Gegenüber denkt oft, die grosse Liebe gefunden zu haben. Doch sobald die Partnerschaft gefestigt ist, ändert sich das Verhalten.

Durch Manipulationen will er oder sie das Selbstbewusstsein des Gegenübers schwächen. Eine Form von Manipulation nennt sich «Gaslighting». Beim Gaslighting nutzen Narzissten Lügen und Unterstellungen, um die andere Person zu verunsichern. Narzisstinnen verhalten sich teilweise unmöglich, sind aber nie schuld an einer Situation.

Beim «Silent Treatment» bestrafen Narzissten ihr Gegenüber damit, dass sie gar nicht mehr sprechen. Sie möchten so Kontrolle über den anderen erlangen und dessen Selbstwert schwächen. Narzisstinnen sind süchtig nach Bestätigung und Anerkennung, können nie genug Lob bekommen - vertragen aber selbst keine Kritik.

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Narzissten sind so auf sich fixiert, dass sie Bedürfnisse anderer nicht sehen. Sie haben kein Mitgefühl für andere, hören nicht zu und sprechen nur von sich selbst.

Weitere Warnsignale für eine narzisstische Beziehung:

  1. Mangelnde Empathie: Dein Partner zeigt wenig Verständnis für deine Gefühle.
  2. Ständige Kritik: Du fühlst dich ständig bewertet und nie gut genug.
  3. Gaslighting: Deine Wahrnehmung wird in Frage gestellt oder verleugnet.
  4. Grandiosität: Dein Partner hält sich für etwas Besseres und erwartet besondere Behandlung.
  5. Kontrollverhalten: Deine Freiheiten werden eingeschränkt.
  6. Manipulation: Du wirst durch Schuldgefühle oder Drohungen beeinflusst.
  7. Fehlendes Interesse: Dein Partner zeigt kein echtes Interesse an deinem Leben.
  8. Eifersucht und Besitzdenken: Deine anderen Beziehungen werden als Bedrohung gesehen.
  9. Emotionale Achterbahn: Extreme Stimmungsschwankungen in der Beziehung.

Verschiedene Typen von Narzissmus

Der vulnerable Typus ist geprägt von depressiven Stimmungen, Scham und Anspannung. Mit Kritik und Misserfolgen kann er nur schwer umgehen. Dieser Typus wird auch als «verdeckter Narzissmus» bezeichnet und betrifft mehr Frauen.

Nach einer Studie von Russ und Kollegen (2008) kann man die Narzisstische Persönlichkeitsstörung in drei Typen einteilen:

  • grandios-maligner Narzissmus
  • vulnerabel-fragiler Narzissmus
  • exhibitionistischer Narzissmus mit hohem Funktionsniveau

Der grandios-maligne Narzissmus

Menschen mit dem grandios-malignen oder bösartigen Typus von Narzisstischer Persönlichkeitsstörung können zu einer Gefahr für die Gesellschaft werden. Der maligne Narzissmus ist nämlich eine Kombination aus Narzissmus, Aggression, Paranoia und antisozialem Verhalten - eine teuflische Mischung, die Betroffene zu extrem grausamen Taten bewegen kann. Maligne Narzissten sind von ihrer Grossartigkeit überzeugt. Fühlen sie sich von anderen nicht angemessen wertgeschätzt, rächen sie sich ohne Reue. Die Ablehnung oder mangelnde Wertschätzung durch Andere muss dabei gar nicht real sein. Durch ihre paranoide Tendenz sehen maligne Narzissten in ihren Mitmenschen schnell Feinde.

Stalin und Hitler sind Beispiele für maligne Narzissten.

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Der vulnerabel-fragile Narzissmus

Der vulnerabel-fragile Narzissmus wirkt zunächst untypisch, da er durch depressive Stimmung, Ängstlichkeit und Scham geprägt ist. Man bezeichnet diese Form daher auch als „verdeckten Narzissmus“. Menschen mit diesem Typus von narzisstischer Persönlichkeitsstörung reagieren sehr sensibel auf Kritik und Misserfolge. Im Vergleich zu anderen Typen suchen sie aufgrund von Depressionen und anderen psychischen Symptomen häufiger therapeutische Hilfe.

Der exhibitionistische Narzissmus

Menschen mit dem exhibitionistischen Typus einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung - auch "offener Narzissmus" genannt - stellen ihre Grossartigkeit öffentlich heraus. Dadurch ziehen sie die Aufmerksamkeit auf sich, die sie brauchen.

Dieser Typus kann sich in unserer wettbewerbsorientierten Welt gut anpassen und sehr erfolgreich sein. Sein Auftreten wirkt sehr selbstbewusst. Anderen gegenüber verhalten sich diese Personen arrogant und kühl.

Wie entsteht Narzissmus?

Bisher gab es dazu nur wenig empirische Forschung. Sowohl im Alltagsverständnis als auch im wissenschaftlichen Diskurs stehen sich dabei zwei komplett gegensätzlich argumentierende Ansätze gegenüber: Die Soziale Lerntheorie und die Psychoanalytische Theorie.

Die Soziale Lerntheorie nimmt an, dass Kinder dann narzisstische Züge entwickeln, wenn sie von Ihren Eltern vergöttert werden, das heisst, wenn die Eltern ihr Kind für etwas Besonderes halten, das Anspruch auf eine besondere Behandlung hat.

Die Psychoanalytische Theorie wiederum nimmt an, dass jene Kinder zu Narzissten heranwachsen, die von ihren Eltern zu wenig Wärme und Wertschätzung erfahren haben.

In einer gross angelegten Längsschnittstudie haben Forscher in den Niederlanden diese beiden Annahmen gegeneinander getestet. Sie haben 565 Kinder und deren Eltern viermal in Abständen von 6 Monaten befragt. Die Kinder füllten dabei etablierte Fragebögen zu Narzissmus aus, bei denen sie Fragen beantworteten wie „Kinder wie ich verdienen eine besondere Behandlung“. Zudem beantworteten sie Fragen zu ihrem Selbstwert (z. B. „Kinder wie ich sind zufrieden mit sich selbst“) und dazu wie viel Wärme sie von ihren Vätern und Müttern erleben (z. B. „Mein Vater/meine Mutter zeigt mir, dass er/sie mich liebt“). Die Eltern wiederum füllten einen Fragbogen aus, der Auskunft darüber gab, wie sehr sie ihr Kind überbewerten.

Die Ergebnisse stützen die Soziale Lerntheorie. Überbewertung durch die Eltern sagt spezifisch eine Zunahme an Narzissmus bei den Kindern vorher. Die von den Kindern wahrgenommene oder von den Eltern berichtete Wärme hat aber keinen Einfluss auf Veränderungen im Narzissmus. Genau umgekehrt ist es beim Selbstwert der Kinder. Hier hat es keinen Einfluss, ob die Eltern ihr Kind auf ein Podest stellen oder nicht. Veränderungen im Selbstwert werden einzig davon bestimmt, wie viel Wärme die Kinder bei ihren Eltern wahrnehmen. Was die Eltern in Bezug auf gezeigte Zuneigung berichten spielt dabei keine Rolle.

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass nicht ein Mangel an elterlicher Zuneigung die Ursache von Narzissmus darstellt. Kinder können dann narzisstisch werden, wenn sie von ihren Eltern auf ein Podest gestellt und vergöttert werden.

Wie viele Menschen sind betroffen?

Man geht davon aus, dass im deutschsprachigen Raum ein Prozent der Bevölkerung eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat. Zwei Drittel davon sind Männer, ein Drittel Frauen. Allerdings ist von einer grossen Dunkelziffer auszugehen.

Etwa 0,4 Prozent der Bevölkerung leiden an einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Männer erhalten die Diagnose häufiger als Frauen. Die meisten Betroffenen begeben sich aufgrund anderer psychischer Erkrankungen in Behandlung. Viele leiden nämlich an Depressionen, weiteren Persönlichkeitsstörungen, somatoformen Störungen (körperliche Beschwerden ohne organische Ursache), Ängsten, Essstörungen oder Suchtproblemen.

Etwa 5 Prozent der Bevölkerung sind Narzissten.

Umgang mit einer narzisstischen Persönlichkeit

«Es gibt keinen Narzissten, der sagt ‹ich bin narzisstisch und komme in Therapie›. Keinen einzigen», sagt Marc Walter. Menschen, die es mit einer Person zu tun haben, die eine ausgeprägte narzisstische Persönlichkeitsstörung haben, können ernsthaften psychischen Schaden erleben. Die ständigen Manipulationen der narzisstischen Person schwächen das Selbstbewusstsein des Gegenübers bis ins Bodenlose. Nicht selten müssen sie sich in Behandlung begeben.

Wer befürchtet, einer Person mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung ausgesetzt zu sein, sollte sich als Erstes über deren typisches Verhalten informieren und sich fragen, welches Verhalten des Gegenübers man selbst akzeptieren kann und welches nicht. Wird diese Grenze zu oft überschritten, kann es sich lohnen, Hilfe zu suchen - zum Beispiel bei einer Selbsthilfegruppe.

Wichtig ist, dass man dem narzisstischen Partner oder der narzisstischen Partnerin Grenzen setzt: Teilt ihm oder ihr mit, was ihr nicht akzeptiert. Der Experte warnt: «Problemzonen sollten sehr vernünftig angegangen werden. Wählt man die oftmals emotionale Konfrontation, ruft das beim Narzissten Abwehr und Aggressivität hervor.»

Was tun, wenn der Narzisst es bereits in das eigene Leben geschafft hat?

Katharina Eder sagt dazu: «Egal, ob narzisstisch oder nicht - es geht immer darum, wie du dich dabei fühlst! Wenn du dich unwohl fühlst, abgewertet oder du verletzt wirst, ist das Grund genug zu gehen. Dazu benötigt es keine Konfrontation, aber ehrliche Worte. Etwas wie: ‹Ich entwickle keine tieferen Gefühle für dich und fühle mich bei dir nicht so wohl, wie ich es mir wünschen würde.

Tipps zur Selbsthilfe und zum Schutz

Hier sind einige Tipps, wie du dich schützen kannst:

  1. Bildung: Informiere dich über narzisstisches Verhalten und seine Auswirkungen.
  2. Selbstreflexion: Hinterfrage deine eigenen Verhaltensweisen und Grenzen.
  3. Unterstützung suchen: Sprich mit Freunden, Familie oder einem Therapeuten über deine Erfahrungen.
  4. Grenzen setzen: Lerne, "Nein" zu sagen und deine Bedürfnisse zu kommunizieren.
  5. Selbstfürsorge: Priorisiere dein eigenes Wohlbefinden und deine emotionale Gesundheit.

Trennung von einem Narzissten

Sich von einer narzisstischen Person zu trennen, sei aber häufig nicht leicht. Eine Trennung stellt nämlich eine Kränkung und Niederlage für ihn dar. Wichtig ist aber, dass du in einer Trennungssituation konsequent bleibst, wie Lammers erläutert: «Es kann sein, dass er mit Aggressivität reagiert oder versucht, den anderen wieder ins Boot zu holen.» Meistens versuche der Narzisst dann, die Partnerin oder den Partner mit Manipulation zurückzugewinnen.

Kann Narzissmus geheilt werden?

Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung kann therapiert werden. Durch die fehlende Einsicht der Betroffenen kommt es jedoch nur selten vor, dass sie sich behandeln lassen. «Wenn ein narzisstischer Mensch sehr leidet, kann es aber sein, dass er eine psychotherapeutische Behandlung zulässt. Falls die Motivation genug hoch ist, hält er eine dauerhafte Therapie möglicherweise durch», führt Lammers an. In so einem Fall sei eine Abmilderung der gravierendsten narzisstischen Züge durchaus vorstellbar. Die Persönlichkeit lässt sich laut dem Experten jedoch nicht von Grund auf ändern.

Statistiken zu Narzissmus

Die folgende Tabelle fasst einige wichtige statistische Daten zum Thema Narzissmus zusammen:

Aspekt Statistik
Prävalenz der narzisstischen Persönlichkeitsstörung ca. 0,4% der Bevölkerung
Geschlechterverteilung Männer häufiger betroffen als Frauen (2:1)
Therapiebereitschaft gering, meist aufgrund anderer psychischer Probleme
Suizidrisiko erhöht bei Kränkungen und Erschütterung des Selbstbildes (ca. 14%)

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