Das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) wird häufig bereits im Kindesalter diagnostiziert, doch in vielen Fällen bestehen die Symptome auch im Erwachsenenalter weiter. Lange Zeit ging man davon aus, dass die ADHS nur bei Kindern auftritt und es sich im Erwachsenenalter «auswächst». dass sie im Erwachsenenalter bei ca. drei bis fünf Prozent der Bevölkerung weiterhin vorhanden ist.
Die Psychiatrie Baselland bietet im Zentrum für Psychische Gesundheit in Binningen spezialisierte diagnostische Abklärungen und eine Psychoedukative AD(H)S-Gruppe an. In der Spezialsprechstunde AD(H)S im Erwachsenenalter der Psychiatrie Baselland finden Betroffene umfassende Diagnostik und Beratung. Zudem gibt es eine Psychoedukative AD(H)S-Gruppe für Betroffene.
Symptome von ADHS bei Erwachsenen
Die Symptome von ADHS unterliegen einer Entwicklung parallel zum Alter der Betroffenen. So sind Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität auch bei Erwachsenen mit ADHS die Hauptsymptome, jedoch kommt es zu gewissen Änderungen ihrer Ausprägung. ADHS typisch sind.
Eines der auffälligsten Symptome ist die eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit. Erwachsene mit ADHS haben oft Schwierigkeiten, sich über längere Zeit auf eine Aufgabe zu fokussieren, da sie leicht durch Umweltreize oder eigene Gedanken abgelenkt werden. Auch die Organisation des Alltags stellt für viele Betroffene eine Herausforderung dar. Die Betroffenen halten oft andere psychischen Beschwerden für die Ursache ihres Leidens.
Die motorische Unruhe der Kinder und Jugendlichen wird in den meisten Fällen ersetzt durch eine «innere Unruhe» bei der erwachsenen Person (manchmal auch in die Unfähigkeit zu Entspannen). Ebenfalls hat die Impulsivität eine eigene Ausdrucksform, die sich von derjenigen im Kinder- und Jugendalter unterscheidet. Hier stehen Ungeduld und das Vermeiden von langen Veranstaltungen im Vordergrund. Ein weiteres charakteristisches Merkmal ist Impulsivität, die sich in spontanen Entscheidungen, unüberlegten Ausgaben oder plötzlichen Planänderungen äussern kann. Auch eine innere Unruhe ist bei vielen Erwachsenen mit ADHS zu beobachten.
Lesen Sie auch: Kleinkind-ADHS: Worauf achten?
Zusätzlich zu den Hauptsymptomen der ADHS kommen im Erwachsenenalter weitere hinzu wie beispielsweise Desorganisation im Lebensalltag, schnelle Stimmungswechsel, Stressüberempfindlichkeit und Schwierigkeit bei der Temperamentskontrolle. Die Symptome der ADHS zeigen sich stets in mehreren Bereichen, z.B. Es müssen sowohl die Kriterien im Erwachsenenalter als auch retrospektiv, im Kindesalter (bis zum zwölften Lebensjahr), erfüllt sein.
Bei Mädchen ist der unaufmerksame Typ, also die ADS, häufiger. Menschen mit einer ADS sind verträumt, abgelenkt und hypoaktiv. Zudem besteht häufig eine ausgeprägte Prokrastination, eine Entscheidungs- und Priorisierungsschwäche sowie Ängstlichkeit. Impulsives Verhalten sowie Emotionsausbrüche sind ebenso eher nach innen gerichtet.
Ursachen von ADHS
Die Ursachen des Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sind nicht restlos geklärt. ADHS geht von einer Fehlfunktion zentraler Neurotransmittersysteme aus. Das bedeutet, dass im Zwischenraum zweier Nervenzellen nicht ausreichend Botenstoffe zur Verfügung stehen. Diese Unterversorgung führt zu einer Dysfunktion des Gehirns. Diese Fehlfunktion betrifft jene Bereiche des Gehirns, wo sich das Aufmerksamkeitssystem befindet.
Einig ist sich die Wissenschaft aber darin, dass es sich um eine angeborene, neurobiologische Funktionsstörung handelt, an der genetische und umweltbedingte Faktoren beteiligt sind. Ungünstige psychosoziale Faktoren wirken hingegen nicht als primäre Ursachen der ADHS. Hierzu gehören perinatale Komplikationen, niedriges Geburtsgewicht, instabile Familienverhältnisse ohne Struktur, eine Belastung mit Suchtkrankheiten und weitere Faktoren.
- Meist sind mehrere Familienmitglieder betroffen (hohe genetische Komponente).
 - Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum oder Infektionskrankheiten während der Schwangerschaft, Frühgeburt.
 - Gestörtes Gleichgewicht der Botenstoffe (Neurotransmitter) Dopamin, Noradrenalin und Serotonin.
 
Diagnose von ADHS im Erwachsenenalter
Die Diagnose der ADHS im Erwachsenenalter beruht auf einer klinischen Untersuchung. Damit die Diagnose ADS oder ADHS gestellt werden kann, muss eine bestimmte Anzahl von Kriterien der Unaufmerksamkeit und der Hyperaktivität/Impulsivität erfüllt sein. Zentral hierfür ist nach DSM-5 (die fünfte Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders), dem amerikanischen Diagnoseinstrument, der Nachweis von 18 diagnostischen Kriterien (Tabelle 1).
Lesen Sie auch: Unterstützung für ADHS Betroffene in Freiburg
Zusätzlich muss nachgewiesen werden, dass einzelne Symptome von ADHS bereits vor dem 12. Lebensjahr bei der betreffenden Person vorhanden waren. Weiter sollen in mehr als einem Lebensbereich die mit ADHS verbundene Auffälligkeiten erkennbar sein. In mindestens zwei Lebensbereichen (z.B. Arbeit, soziale Beziehungen) müssen Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt werden können.
Oft wird AD(H)S nicht erkannt, weil es von Kompensationsstrategien der Betroffenen überdeckt wird. Es wird beispielsweise versucht, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme mit aufwändigen Lernstrategien zu begegnen. Betroffene meiden nicht selten Aufgaben und Aktivitäten, bei welchen die Probleme offensichtlich würden. Eine AD(H)S-Abklärung erfolgt nicht selten erst nach Jahren.
Online-Screening-Tests können dabei erste Hinweise liefern, ersetzen aber keine professionelle Abklärung. Ein entscheidender Faktor ist die fachärztliche Beratung durch einen Psychiater oder Psychologen, der durch gezielte Gespräche und standardisierte Tests eine fundierte Einschätzung vornimmt. Auch die Einschätzungen nahestehender Personen, die das Verhalten des Betroffenen über längere Zeit beobachtet haben, können wertvolle Hinweise liefern.
Komorbiditäten
Bei bis zu 75 Prozent der Menschen mit ADHS finden sich mindestens eine weitere psychische Beeinträchtigung (sogenannte Komorbidität). Erwachsene mit ADHS erleben nicht nur die typischen Kernsymptome wie Unaufmerksamkeit, Impulsivität und innere Unruhe, sondern leiden oft zusätzlich unter psychischen Begleiterkrankungen. Zu den häufigsten Begleiterkrankungen zählt die Depression. Eine weitere häufige Komorbidität sind Angststörungen. Auch Schlafstörungen treten bei Erwachsenen mit ADHS regelmässig auf. Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist das erhöhte Risiko für Abhängigkeitserkrankungen.
Therapie von ADHS bei Erwachsenen
Nicht jede AD(H)S ist behandlungsbedürftig. Wenn Leidensdruck, Beeinträchtigungen sowie Begleiterkrankungen bestehen, ist eine Behandlung jedoch indiziert. Primäres Ziel der Behandlung von ADHS ist die Verminderung des subjektiven Leidensdrucks sowie die Erhöhung der Lebensqualität.
Lesen Sie auch: Lernerfolg steigern
In der Therapie von AD(H)S geht es vor allem um das Erlernen von Strategien und Hilfen für die Alltagsbewältigung. AD(H)S kann in dem Sinne nicht «geheilt» werden, aber es kann ein Umgang mit den Kernsymptomen wie Unaufmerksamkeit, motorische Hyperaktivität und Impulsivität sowie mit den Nebensymptomen wie Affektlabilität, Reizbarkeit/Explosivität, Stressempfindlichkeit und Desorganisation erlernt werden.
Es gibt verschiedene Therapiemöglichkeiten, die einzeln oder kombiniert angewandt werden können. Die Psychoedukation teilt sich auf in Aufklärung, Beratung und Führung. Es werden verschiedene Konzepte mit unterschiedlichen Schwerpunkten angeboten. Inhaltlich sind aber einige Gemeinsamkeiten wie der Umgang mit Desorganisiertheit, Verbesserung der Aufmerksamkeit oder auch Impulskontrolle vorhanden. Es geht in erster Linie darum, den Umgang mit der Symptomatik zu erlernen und zu festigen.
Betroffene werden in erster Linie ambulant behandelt, idealerweise in einem längerfristigen, vertrauensvollen psychiatrisch-psychotherapeutischen Rahmen. Aufgrund der bei AD(H)S Betroffenen häufig vorliegenden psychischen Begleiterkrankungen kann in Einzelfällen eine stationäre Behandlung sinnvoll sein.
Psychotherapie
In der Psychotherapie lernen Betroffene, die Emotionen zu regulieren, sich zu organisieren (Zeitmanagement), das Selbstwertgefühl zu stabilisieren und mit der Ablenkbarkeit umzugehen. Zentral sind verhaltenstherapeutische Programme, bei denen die Problematik der Selbstorganisation und der Selbstkontrolle im Zentrum stehen.
Pharmakotherapie
Medikamente, insbesondere die sogenannten Stimulanzien, können hilfreich für Menschen sein, die in ihrem privaten und beruflichen Alltag stark unter den Symptomen einer AD(H)S leiden. Sie sollen dabei helfen, die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit für die Dauer der Einnahme zu verbessern. Bei stark ausgeprägten Symptomen und erheblichen Beeinträchtigungen in mehreren Lebensbereichen, kann eine medikamentöse Behandlung (Pharmakotherapie) hilfreich sein.
Zur Behandlung von ADHS bei Erwachsenen sind in der Schweiz Medikamente mit den Wirkstoffen Methylphenidat, Dexmethylphenidat, Lisdexamfetamin und Atomoxetin zugelassen. Bei einer medikamentösen Therapie ist Methylphenidat 1.
Ob Medikamente eingesetzt werden, sollte idealerweise im Rahmen einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung abgewogen werden. Es handelt sich bei den Stimulanzien um potente Wirkstoffe, die natürlich neben den erwünschten Wirkungen auch unerwünschte Nebenwirkungen haben können.
Coaching
Innerhalb eines spezifischen ADHS Coachings werden konkrete Planungs- und Problemlösestrategien vermittelt. Auf ADHS spezialisierte Coaches bieten konkrete Tipps für den Alltag an.
Ambulante Stellen
Das Zentrum für psychische Gesundheit Binningen bietet eine ambulante Sprechstunde zur Abklärung an. Diese schliesst ein Rückmeldegespräch mit Behandlungsempfehlungen ein.
In unserer Klinik bieten wir eine individuell abgestimmte ambulante Beratung und Behandlung für Patientinnen und Patienten mit ADHS an. Diese entspricht den neuesten internationalen Leitlinien. Die Anmeldung zur Aufnahme erfolgt über die vorbehandelnden Ärztinnen und Ärzte oder andere Fachpersonen.
Selbsthilfe und Informationen
Die Organisation adhs20+ fördert und unterstützt die Verbreitung von Informationen zum Thema ADHS im Erwachsenenalter. Die Informationsgruppe Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung bei Erwachsenen ist eine Gruppe von Betroffenen die ihre Erfahrungen und ihr Wissen weitergeben möchten. Auf ADHSpedia finden Sie viele Informationen, Strategien und Tipps, von Betroffene für Betroffene und ihr Umfeld. ADxS.org zielt auf eine systematische Darstellung der für das Verständnis von ADHS relevanten medizinischen und neurobiologischen Zusammenhänge ab.
tags: #ADHS #Impulsivität #Erwachsene #Ursachen #Therapie