Wir alle haben das Bedürfnis, uns als gut, bedeutsam, interessant und vielleicht mächtig zu erfahren. Wie extrem wir dieses Bedürfnis stillen müssen und wie flexibel wir darauf reagieren können, ist entscheidend.
Was ist Narzissmus?
Umgangssprachlich hat sich der Begriff für Menschen durchgesetzt, die egoistisch, selbstsüchtig und rücksichtslos sind. Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung aber, ist eine Erkrankung, bei der das mangelnde Selbstwertgefühl mit einer selbstbewussten Fassade kompensiert wird. Auf Kritik reagieren Betroffene mit heftigem Angriff.
Die drei Stufen von Narzissmus
Marc Walter erklärt, dass es grundsätzlich drei Abstufungen bei Narzissten gibt:
- Normale Narzissmus: Die am meisten verbreitete Ausprägung. Sie gilt nicht als Persönlichkeitsstörung, sondern als Persönlichkeitseigenschaft. «Die Menschen haben in der Regel ein gutes Selbstwertgefühl und sind mit sich zufrieden, was positiv ist», erklärt Walter.
 - Akzentuierte narzisstische Persönlichkeit: «Die Personen drängen sich häufig in den Vordergrund und fühlen sich anderen überlegen», so Walter. Gleichzeitig merke man mit der Zeit, dass sie innerlich sehr verunsichert sind. «Diese Menschen sind stark angewiesen auf positive Rückmeldung und Bewunderung von anderen.» Die Person müsse immer das Gefühl haben, überlegen zu sein, um sich sicher zu fühlen. «Solange die psychosoziale Funktionsfähigkeit noch vorhanden ist, ist der Narzissmus nicht so schwer ausgeprägt, dass eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vorliegt», sagt der Chefarzt. Die meisten Menschen, die in die zweite Stufe eingeordnet werden, sind noch berufstätig und in partnerschaftlichen Beziehungen.
 - Narzisstische Persönlichkeitsstörung: Sei - anders als die anderen beiden Abstufungen - klar definiert. «Für diesen Fall gibt es Klassifikationen und ein Interview, das wir Psychiater durchführen.» Die Persönlichkeitsstörung kann also nach klar vorgegebenem Schema diagnostiziert werden. Die drei Hauptmerkmale sind hier Selbstüberschätzung, ein extremes Bedürfnis nach Bewunderung sowie Empathielosigkeit. Das Letztere sei dabei das wichtigste Kriterium, um einen pathologischen Narzissten zu erkennen. «Die Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung manipulieren andere und interessieren sich nur für sich selbst», erklärt Walter. Ein bis fünf Prozent der Bevölkerung ist von dieser Störung betroffen. Männer doppelt so häufig wie Frauen.
 
Ursachen und Risikofaktoren
Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung entsteht aus einer Wechselwirkung verschiedener Faktoren. Nach neuesten Zwillingsstudien haben die Gene bei der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung einen grösseren Einfluss als bei anderen Persönlichkeitsstörungen. Es spielen aber auch Umwelteinflüsse eine wichtige Rolle.
Viele Experten sehen die Wurzeln des Narzissmus in der Kindheit. Die Theorien über die Entstehung variieren jedoch stark, und derzeit gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse. Einigkeit besteht nur darüber, dass die narzisstische Störung auf ungünstige Interaktionen mit Bezugspersonen zurückzuführen ist.
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Elementare Bedürfnisse des Kindes nach Nähe, Verständnis und dem Kennenlernen der eigenen Gefühle wurden nicht gestillt. Zum Beispiel: Ein kleiner Junge fällt hin und weint. Die Bezugsperson reagiert mit: «Hör doch auf zu weinen!», statt das Kind zu trösten. Die Emotion wird für invalide, unpassend erklärt. Das Kind versteht sich selbst nicht, weil es nicht lernt, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu benennen. Das bleibt im Erwachsenenalter und führt zu Entfremdung.
Teils hatten meine Patientinnen und Patienten instabile Eltern und mussten sich früh sehr erwachsen verhalten. Sie umsorgten beispielsweise jüngere Geschwister. Sie waren für die Familie wichtig, aber nicht wegen ihrer Person, sondern wegen dem, was sie leisteten.
Ist ein Elternteil narzisstisch, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass zumindest ein Kind eine narzisstische Persönlichkeitsstörung entwickelt. Dabei wirkt die Kombination von Genetik und Prägung.
Symptome bei Kindern
Spürbar wird es bei einem Kind ab 9 Monaten, nach der sogenannten “Fremdelphase”. Da erkennen gesunde Kinder, dass es ein Ich, ein Du und ein Wir gibt. Jeder Mensch hat narzisstische Züge. Diese können durch Erziehungsfehler gefördert oder minimiert werden.
Narzisstische Züge bei Kindern sind nicht nur auf Erziehungsfehler zurückzuführen. Dennoch kann die Art und Weise, wie Kinder erzogen werden, Einfluss auf ihre Persönlichkeitsentwicklung haben. Es ist wichtig, dass Eltern und Erziehungsberechtigte ein Gleichgewicht zwischen der Förderung des Selbstbewusstseins und der Selbstachtung ihres Kindes und dem Aufbau gesunder sozialer Fähigkeiten finden.
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Insgesamt sollte die Frage nach Narzissmus bei Kindern in einem breiteren Kontext betrachtet werden, der sowohl genetische Anlagen als auch Umweltfaktoren berücksichtigt.
Hinweise auf Narzissmus bei Kindern:
- Mangelnde Empathie. Dies führt zu einer eingeschränkten Fähigkeit, angemessen auf emotionale Signale oder Anliegen anderer zu reagieren. Es weist auf die Unfähigkeit hin, sich in soziale Interaktionen einzufügen, was zu Missverständnissen oder zwischenmenschlichen Problemen führen kann.
 - Übermäßiger Stolz auf eigene Fähigkeiten. Diese Eigenart zeigt sich durch eine auffällige Tendenz bei Kindern, übermäßig stolz auf ihre Fähigkeiten zu sein und sich selbst als außergewöhnlich oder überlegen zu betrachten. Es kann auf ein gesundes Maß an Selbstbewusstsein hindeuten, jedoch auch auf eine mögliche Selbstüberschätzung. Eine solche Haltung kann zur Förderung von Selbstvertrauen beitragen, sollte jedoch im Auge behalten werden, um Arroganz oder soziale Isolation zu vermeiden.
 - Geringe Frustrationstoleranz. Diese Auffälligkeit zeigt sich durch eine rasche Zunahme von Frustration oder Wut bei Kindern, wenn Situationen nicht gemäß ihren Erwartungen verlaufen. Solche Reaktionen weisen auf eine geringe Frustrationstoleranz hin, wodurch Kinder Schwierigkeiten haben, mit Enttäuschungen oder Hindernissen umzugehen. Dies beeinflusst ihre emotionale Regulation beeinflussen und führt zu Konflikten.
 - Strategische Kommunikation. Narzisstische Kinder setzen ihre natürliche Neugierde und anpassungsfähige Art ein, um ihre Bedürfnisse zu kommunizieren. Dies kann von süßem Verhalten bis hin zu strategischem Verhandeln reichen.
 - Defensive Reaktion auf Kritik. Kritik ruft bei ihnen defensive oder wütende Reaktionen hervor, da sie sich möglicherweise bedroht fühlen. Das Zugeben von Fehlern ist mit Scham verbunden, wodurch sie sich in ihrer Identität herausgefordert fühlen.
 
Umgang mit narzisstischen Kindern
Der Umgang mit narzisstischen Kindern ist eine herausfordernde Aufgabe, er erfordert Geduld, Empathie und kluge Strategien.
Tipps für den Umgang:
- Helfen Sie dem Kind dabei, Empathie zu entwickeln, indem Sie über Gefühle sprechen und die Perspektive anderer betonen.
 - Stellen Sie klare Regeln und Erwartungen auf, die für alle gelten.
 - Ermutigen Sie dazu, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und kritisches Denken zu entwickeln.
 - Zeigen Sie selbst positives Verhalten, Empathie und angemessene Selbstachtung.
 
Therapie und Unterstützung
Bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung handelt es sich um eine mentale Störung, die als unheilbar gilt. Diese Kinder kann man unterstützen, indem man den oben erwähnten Umgang stetig anwendet. Damit kann man dem Kind Werkzeuge mitgeben, die dem Kind später helfen, sich sozialverträglich zu verhalten.
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Kinder brauchen Unterstützung und Liebe.
Auswirkungen narzisstischer Eltern auf ihre Kinder
Kinder von Eltern, die psychische Erkrankungen haben, ein sehr hohes Risiko haben, selbst psychische Auffälligkeiten zu entwickeln. Bei Persönlichkeitsstörungen, zu denen auch der Narzissmus zählt, ist das Risiko viermal höher.
Wie sich der Narzissmus eines Elternteils auf die Entwicklung der Kinder auswirkt, wurde bisher nur in wenigen Studien festgehalten. Die norwegische Psychologin Silje Steinsbekk und ihr Team untersuchten das in einer 2019 publizierten Studie. Das Team befragte knapp 600 Mütter, Väter und ihre Kinder im Alter von vier bis acht Jahren. Bei Eltern, die Merkmale einer Persönlichkeitsstörung des Clusters B zeigten, (zu denen neben der narzisstischen Persönlichkeitsstörung auch die Borderline-, die histrionische und die antisoziale Persönlichkeitsstörung gehört), berichteten die Kinder zwei Jahre später von depressiven Symptomen.
Was kann man tun?
- Sich in Situationen, in denen Abwertungen passieren, ganz plastisch als Schutzschild vor die Kinder stellen. So bekommt die erwachsene Person die verletzenden Worte ab, nicht das Kind.
 - Man sollte die Kinder auch unbedingt in den Dingen unterstützen, in denen sie gut sind.
 - Dem Kind eine Therapiemöglichkeit verschaffen.
 
Hilfsangebote
Menschen können in der Paarbeziehung, in Freundschaften, in der Familie oder im Arbeitsumfeld unter Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung leiden. Der Verein für Betroffene von Narzissmus und Mobbing ist eine Anlaufstelle für Opfer.
Neben Selbsthilfegruppen bietet der Verein auch Bildungsveranstaltungen an. Am 25. Oktober 2025 findet in Muhen AG ein Narzissmuskongress statt, an dem auch Privatpersonen teilnehmen können. Weitere Informationen unter: «Man sieht nur, was man weiss - Betroffenen von narzisstischem Missbrauch wirksam helfen». Auch Akutberatung und kurzfristige Erste Hilfe bietet der Verein an. Ein massgeschneidertes Coaching kann gebucht werden. Mitgründerin Esther Balthasar empfiehlt Opfern, bei häuslicher Gewalt mit lokalen Opferberatungsstellen in Kontakt zu treten.
Weitere Hilfsangebote:
- Beratung in belastenden Situationen bietet auch die Dargebotene Hand unter der Telefonnummer 143 oder via Chat.
 - Selbsthilfe Schweiz: Hier finden Angehörigen von Narzissten verschiedene Möglichkeiten des Austauschs - filterbar nach Thema, Region und Sprache. Infos: selbsthilfeschweiz.ch
 - Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen können sich an die Fachstelle der Psychiatrischen Dienste Aargau PDAG wenden, unabhängig davon, ob die betroffene Person dort in Behandlung ist. Infos: pdag.ch
 
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