Das Historische Museum Basel präsentiert mit der neuen Ausstellung «verrückt normal» die 150-jährige Geschichte der Psychiatrie in Basel. Die Ausstellung ist vom Donnerstag bis zum 29. Juni 2025 in der Barfüsserkirche zu sehen.
Was erscheint uns «normal», «nicht normal» oder «verrückt»? Wo verläuft die Grenze zwischen psychisch gesund und psychisch krank und wie hat sie sich im Laufe der Zeit verändert? Diesen Fragen geht die neue Ausstellung «verrückt normal» des Historischen Museums Basel nach. Sie wird vom 19. September 2024 bis 29. Juni 2025 in der Barfüsserkirche zu sehen sein.
Einblick in die Geschichte
Erst 1529, nach der Aufhebung des Barfüsserklosters, gingen einige Räumlichkeiten an das städtische Spital über, wo auf Almosenbasis eine Abteilung für Geisteskranke eingerichtet wurde. Im Laufe der Zeit wurden hier auf der Suche nach Heilmethoden viele Wege erprobt, auch solche, die uns heute unverständlich sind.
Die Ausstellung zeigt den Wandel von Untersuchungsmethoden, Diagnosen und Therapien und beleuchtet die Überlegungen hinter Verfahren wie Schlafkur, Malariatherapie oder Elektroschockbehandlung, während Krankengeschichten aus der Basler Klinik Einblicke in Therapieverläufe, Klinikalltag und menschliche Schicksale geben.
Die Geschichte der Psychiatrie ist ambivalent: Auf der Suche nach Heilmethoden wurden viele Wege erprobt, darunter auch solche, die uns heute unverständlich sind. Die Ausstellung zeigt den Wandel von Testmethoden, Diagnosen und Therapien.
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Hier sind einige Beispiele aus dem Klinikalltag:
- Patient:innen beim Rosshaarzupfen, um 1930.
 - Eine Turnstunde, um 1930.
 - Patient:innen bei Papiertütenkleben, um 1930.
 - Die Ausbildung von Pfleger:innen in den 1960-er Jahren.
 - Das Dauerbad um 1930.
 - Malen im Rahmen der Beschäftigungstherapie, um 1960.
 - Ein Behandlungsraum, um die 1930.
 
Blick in die Gegenwart
Der Ausstellungsrundgang führt bis in die Gegenwart. In einem Film äussern sich zwölf Personen - Betroffene, Angehörige und Fachleute aus verschiedenen Bereichen der Psychiatrie - zu Fragen, die uns heute bewegen: Macht uns unsere Zeit krank? Sind psychische Erkrankungen ein Tabu? Was bewirken Psychopharmaka? Ist Zwang notwendig? Und: Welche Psychiatrie wollen wir?
Denn auch heute stellen psychische Erkrankungen eine grosse Herausforderung dar. «Das Thema psychische Erkrankung geht uns alle an», sagt Kuratorin Gudrun Piller. «Wir wollen somit einen Beitrag zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen leisten.»
Auch heute noch stellen psychische Erkrankungen eine grosse Herausforderung dar. Macht unsere Zeit uns krank? Was bewirken Medikamente? Braucht es Zwang? Und: Welche Psychiatrie würden wir uns wünschen? Zu diesen und anderen Fragen kommen in der Ausstellung Betroffene und Fachleute zu Wort.
Verschiedene Betroffene berichten über ihre Erfahrungen. Ein Ort, an dem man sich mit verschiedenen Krankheiten auseinandersetzen und mehr darüber lernen kann. In der Ausstellung werden auch Zwangsmassnahmen ohne Tabu behandelt; vor Ort kann man sich informieren und die Geschichte dahinter anhören. In der Ausstellung kann man verschiedenen Stimmen hören, die ihre Erfahrungen teilen. Die Ausstellung hat einen futuristischen Twist, der sich vom Layout her von traditionellen Ausstellungen abhebt.
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Begleitprogramm
Ein neunteiliger Podcast mit dem Titel «verrückt normal» startet zusätzlich am 19. September 2024 und erscheint monatlich auf allen Podcast-Plattformen. Ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Abendtalks, Podiumsdiskussionen, Führungen, Stadtrundgängen, Vorträgen und einem Aktionstag begleitet ebenfalls die neunmonatige Laufzeit.
Im neunteiligen Podcast zur Ausstellung erzählen Katja Rehmann und Micha Gasser die Geschichten von neun Menschen, die zwischen 1879 und 1984 in der Basler Psychiatrie waren.
Das reich illustrierte Buch erzählt die Geschichte der Basler Psychiatrie der letzten 150 Jahre. Ein kompakter Überblick führt in die allgemeine und lokale Psychiatriegeschichte ein. Ausgewählte Fallgeschichten aus historischen Krankenakten gewähren Einblick in die dahinterstehenden menschlichen Schicksale und in den Basler Klinikalltag.
Die Ausstellung «Verrückt normal»
Die Ausstellung «Verrückt normal» im Historischen Museum Basel in der Innenstadt ist noch bis im Sommer 2025 offen.
«Verrückt» - diesen Schriftzug sieht, wer am Basler Barfüsserplatz durch die Glastüre das Historische Museum betritt. Wenige Schritte weiter kippen die Buchstaben im Blickfeld, und an derselben Wand steht «normal». Alles ist eine Frage der Perspektive, erst recht in Sachen Psychiatrie. In 150 Jahren Basler Psychiatriegeschichte hat sich die Wahrnehmung verändert. «Die Grenze zwischen ‹verrückt› und ‹normal› hat sich im Lauf der Zeit verschoben; die war nicht immer gleich», sagt Gudrun Piller, Kuratorin der Ausstellung.
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Trotz allen wissenschaftlichen Fortschritten ist schon die Diagnose schwierig. Schliesslich kann man die Psyche nicht unters Mikroskop legen oder röntgen. Man muss sich mit Abklärungen und Tests zu Indizien behelfen. Früher sah man das anders. Man nahm an, dass einer psychischen Erkrankung ein körperliches Problem zugrunde liegt. Entsprechend suchte man danach. Die Patientinnen und Patienten mussten teilweise auch zum Turnen antraben.
Zusammenhänge zwischen körperlichen und psychischen Krankheiten wurden zu Beginn der Psychiatriegeschichte zwar überschätzt. Dennoch gibt es sie tatsächlich. Zum Beispiel zerstört die Geschlechtskrankheit Syphilis in einem späten Stadium das Zentralnervensystem. «Sehr viele Patientinnen und Patienten in der Psychiatrie waren eigentlich syphilis-krank», sagt Kuratorin Gudrun Piller. «Sie wurden dort betreut in ihren letzten Jahren, weil ihr Gehirn sich quasi auflöste.» Heute ist ein Bakterium als Syphilis-Auslöser bekannt und die Krankheit mit Antibiotika heilbar. Schwere Verläufe sind entsprechend selten.
Manche früheren Diagnosen muten heute seltsam an, etwa Hysterie. Umgekehrt werden heute neue Krankheitsbilder beschrieben - Flugangst, Messie-Syndrom, Kaufsucht oder ADHS. Für 30 Diagnosen hat das Museum je eine Schublade eingerichtet, mit Texten, Bildern oder passenden Gegenständen.
Behandlungsmethoden - denen die Ausstellung viel Platz gibt - waren zu Beginn der Psychiatriegeschichte oft behelfsmässig. Nur wenige Medikamente waren greifbar, neben Schlafmitteln zum Beispiel Opium gegen Depressionen. Die Freud'sche Psychotherapie gelangte kaum in eine «Anstalt». Der therapeutischen Ohnmacht war sich die Psychiatrie bewusst. Zwangsmittel waren deshalb über viele Jahre nicht selten. Stark erregte Kranke wurden ab 1902 zur Beruhigung teils für längere Zeit in Badewannen gelegt. Dekaden später kamen Schlafkuren dazu sowie Fieberkuren mittels Malaria-Erregern. Man begann mit körperlichen Schockzuständen zu arbeiten. Dafür kamen Insulin, Epilepsieauslöser oder Strom zum Einsatz. Vereinzelt kam es ab 1946 zu chirurgischen Eingriffen am Gehirn.
Symptomatisch für den Umgang mit psychisch Kranken war die Trillerpfeife am Schlüsselbund des Anstaltspersonals. Ab den 1950er-Jahren arbeitete man vermehrt mit verschiedenen Psychotherapien. Zudem brachten neue Medikamente Fortschritte und auch mehr Ruhe in die Klinik. Auch mit Rauschmitteln wurde ab den 1960er-Jahren experimentiert. Körperliche Methoden verschwanden indes nicht ganz, sondern werden teils verfeinert bis heute angewendet. Dazu gehören beispielsweise Elektro-Impulse bei schweren Depressionen.
Stark verwandelt hat sich vor allem der Blick auf psychisch kranke Menschen. Neben den veränderten Therapien kann man ihn an baulichen Veränderungen ablesen. 1960 wurde die Basler «Heil- und Pflegeanstalt Friedmatt» in «Psychiatrische Universitätsklinik (PUK)» umbenannt. Die früheren «Irrenanstalten» war draussen, weg von städtischen Ablenkungen. Inzwischen sind psychiatrische Kliniken oft mitten in der Stadt. Das passt dazu, wie man psychisch Kranke heutzutage sieht: Sie gehören zur Gesellschaft, genauso wie das Bewusstsein, dass psychische Krankheiten verbreitet sind.
Die Geschichte der Psychiatrie sei keine Entwicklung vom Neandertal zum Paradies, sagt die Kuratorin Gudrun Piller: «Es gab zu jeder Zeit die Frage, wie wir mit dem Zwang umgehen. Das war von den Anfängen bis heute eine der grossen Herausforderungen der Psychiatrie.» Ihr sei sehr wichtig, dies in der Ausstellung differenziert zu betrachten.
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