Der Begriff Narzissmus geht auf den wunderschönen Jüngling Narziss, eine Figur aus der griechischen Mythologie, zurück. Narziss verliebte sich leidenschaftlich in sein eigenes Spiegelbild im Wasser und ging an der Unfähigkeit, den Blick von sich selbst abzuwenden, zu Grunde. Heutzutage wird der Begriff Narzissmus verwendet, um einen Persönlichkeitsstil zu bezeichnen.
Narzisstische Personen fühlen sich anderen gegenüber überlegen. Sie fantasieren über ihren eigenen Erfolg und sie denken, sie hätten Anspruch auf Privilegien, die andere nicht haben. Wenn sie sich gedemütigt fühlen, können sie häufig aggressiv oder gewalttätig reagieren.
Wie entsteht Narzissmus?
Bisher gab es dazu nur wenig empirische Forschung. Sowohl im Alltagsverständnis als auch im wissenschaftlichen Diskurs stehen sich dabei zwei komplett gegensätzlich argumentierende Ansätze gegenüber: Die Soziale Lerntheorie und die Psychoanalytische Theorie.
Die Soziale Lerntheorie nimmt an, dass Kinder dann narzisstische Züge entwickeln, wenn sie von Ihren Eltern vergöttert werden, das heisst, wenn die Eltern ihr Kind für etwas Besonderes halten, das Anspruch auf eine besondere Behandlung hat. Die Psychoanalytische Theorie wiederum nimmt an, dass jene Kinder zu Narzissten heranwachsen, die von ihren Eltern zu wenig Wärme und Wertschätzung erfahren haben.
Studie zu den Ursachen von Narzissmus
In einer gross angelegten Längsschnittstudie haben Forscher in den Niederlanden diese beiden Annahmen gegeneinander getestet. Sie haben 565 Kinder und deren Eltern viermal in Abständen von 6 Monaten befragt. Die Kinder füllten dabei etablierte Fragebögen zu Narzissmus aus, bei denen sie Fragen beantworteten wie „Kinder wie ich verdienen eine besondere Behandlung“.
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Zudem beantworteten sie Fragen zu ihrem Selbstwert (z. B. „Kinder wie ich sind zufrieden mit sich selbst“) und dazu wie viel Wärme sie von ihren Vätern und Müttern erleben (z. B. „Mein Vater/meine Mutter zeigt mir, dass er/sie mich liebt“). Die Eltern wiederum füllten einen Fragbogen aus, der Auskunft darüber gab, wie sehr sie ihr Kind überbewerten.
Die Ergebnisse stützen die Soziale Lerntheorie. Überbewertung durch die Eltern sagt spezifisch eine Zunahme an Narzissmus bei den Kindern vorher. Die von den Kindern wahrgenommene oder von den Eltern berichtete Wärme hat aber keinen Einfluss auf Veränderungen im Narzissmus. Genau umgekehrt ist es beim Selbstwert der Kinder. Hier hat es keinen Einfluss, ob die Eltern ihr Kind auf ein Podest stellen oder nicht.
Veränderungen im Selbstwert werden einzig davon bestimmt, wie viel Wärme die Kinder bei ihren Eltern wahrnehmen. Was die Eltern in Bezug auf gezeigte Zuneigung berichten spielt dabei keine Rolle. Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass nicht ein Mangel an elterlicher Zuneigung die Ursache von Narzissmus darstellt.
Kinder können dann narzisstisch werden, wenn sie von ihren Eltern auf ein Podest gestellt und vergöttert werden.
Narzissmus im Erwachsenenalter
Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeit haben ein extremes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Anerkennung und Bewunderung. Oft stechen sie durch Arroganz und Selbstidealisierung heraus. Kritik ertragen sie nicht, und Misserfolg kann sie in schwere Krisen stürzen. Narzisstische Personen haben jedoch Schwierigkeiten, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, und verhalten sich anderen gegenüber oft herablassend. Der Umgang mit Narzissten ist daher sehr herausfordernd.
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Wichtig ist es, zwischen Narzissmus und einer echten narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu unterscheiden. Narzissten sind oft sehr ehrgeizig. Sie sind daher auch in Führungspositionen wiederzufinden und können ein sehr erfolgreiches Leben führen. Wenn der Narzissmus jedoch stark ausgeprägt ist und für den Betroffenen und seine Umwelt zu Leid führt, wird der Narzissmus krankhaft (pathologischer Narzissmus). Der Übergang von der Persönlichkeitseigenschaft zur Störung ist fliessend.
Typen von Narzisstischer Persönlichkeitsstörung
Nach einer Studie von Russ und Kollegen (2008) kann man die Narzisstische Persönlichkeitsstörung in drei Typen einteilen:
- grandios-maligner Narzissmus
 - vulnerabel-fragiler Narzissmus
 - exhibitionistischer Narzissmus mit hohem Funktionsniveau
 
Der grandios-maligne Narzissmus kann zu einer Gefahr für die Gesellschaft werden. Der maligne Narzissmus ist nämlich eine Kombination aus Narzissmus, Aggression, Paranoia und antisozialem Verhalten - eine teuflische Mischung, die Betroffene zu extrem grausamen Taten bewegen kann.
Der vulnerabel-fragile Narzissmus wirkt zunächst untypisch, da er durch depressive Stimmung, Ängstlichkeit und Scham geprägt ist. Man bezeichnet diese Form daher auch als „verdeckten Narzissmus“. Menschen mit diesem Typus von narzisstischer Persönlichkeitsstörung reagieren sehr sensibel auf Kritik und Misserfolge.
Der exhibitionistische Narzissmus stellt seine Grossartigkeit öffentlich heraus. Dadurch ziehen sie die Aufmerksamkeit auf sich, die sie brauchen. Dieser Typus kann sich in unserer wettbewerbsorientierten Welt gut anpassen und sehr erfolgreich sein. Sein Auftreten wirkt sehr selbstbewusst. Anderen gegenüber verhalten sich diese Personen arrogant und kühl.
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Symptome der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung
Von einer Persönlichkeitsstörung spricht man, wenn Menschen ein bestimmtes Muster im Verhalten, Denken und in den Gefühlen zeigen, das stark von den Erwartungen der soziokulturellen Umgebung abweicht.
Nach dem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-IV) müssen mindestens fünf der folgenden Symptome für die Diagnose der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung vorliegen:
- Die Betroffenen haben ein übertriebenes Gefühl ihrer eigenen Wichtigkeit.
 - Sie haben Phantasien von grenzenlosem Erfolg, Macht, Schönheit oder idealer Liebe.
 - Sie glauben, besonders und einzigartig zu sein und nur von besonderen oder angesehenen Personen verstanden zu werden.
 - Sie erwarten von anderen übermässige Bewunderung.
 - Sie erwarten, dass andere sie besonders bevorzugt behandeln und automatisch auf ihre Erwartungen eingehen.
 - Sie nutzen andere aus, um ihre eigenen Ziele zu erreichen.
 - Sie haben wenig Empathie; wollen sich nicht in andere hineinversetzen.
 - Sie empfinden oft Neid für andere oder glauben, andere sind neidisch auf sie.
 - Sie verhalten sich arrogant und überheblich.
 
Neuere Studien zeigen jedoch, dass der Selbstwert der Betroffenen niedrig ist. Die Betroffenen verschleiern ihre Selbstwertzweifel durch ihre selbstherrliche Selbstdarstellung. Menschen mit einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden vielmehr unter innerer Leere und sind sehr auf die Anerkennung durch andere Menschen angewiesen.
Ursachen und Risikofaktoren
Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung entsteht aus einer Wechselwirkung verschiedener Faktoren. Nach neuesten Zwillingsstudien haben die Gene bei der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung einen grösseren Einfluss als bei anderen Persönlichkeitsstörungen. Es spielen aber auch Umwelteinflüsse eine wichtige Rolle.
Viele Experten sehen die Wurzeln des Narzissmus in der Kindheit. Die Theorien über die Entstehung variieren jedoch stark, und derzeit gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse. Einigkeit besteht nur darüber, dass die narzisstische Störung auf ungünstige Interaktionen mit Bezugspersonen zurückzuführen ist.
Otto Kernberg geht davon aus, dass emotional kalte oder latent aggressive Eltern eine übersteigerte Selbstdarstellung fördern. Kinder, die wenig Anerkennung erhalten, bewältigen diese Verletzung des Selbstwerts durch den Fokus auf Leistungen, für die sie gelobt werden (zum Beispiel Schulleistungen).
Andere Forscher vermuten, dass Kinder, die von den Eltern keine Grenzen erhalten, ein unrealistisches und perfektionistisches Selbstbild entwickeln können.
Untersuchungen und Diagnose
Zur Diagnose der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung sollte ein Psychiater oder Psychotherapeut aufgesucht werden. Er kann anhand von spezifischen Fragen, die sich an den diagnostischen Kriterien orientieren, eine Diagnose stellen. Dazu zählen etwa:
- Haben Sie das Gefühl, Grossartiges in Ihrem Leben zu leisten?
 - Haben Sie oft den Eindruck, dass andere Ihre Grossartigkeit nicht erkennen?
 - Empfinden Sie es als anstrengend, sich mit den Gefühlen und Interessen anderer Menschen auseinanderzusetzen?
 
Die Diagnose soll den Betroffenen nicht verurteilen, sondern ihm helfen, sich und seine Umwelt besser zu verstehen. Dieses Verständnis ist sowohl für die Betroffenen als auch die Angehörigen oft sehr entlastend.
Therapie
Narzisstische Menschen haben keine Einsicht darin, dass ihr eigenes Verhalten Probleme erzeugt. Sie sind - zumindest oberflächlich - überzeugt von der Grossartigkeit ihres Selbst und suchen den Fehler bei anderen Menschen. Wenn sich Narzissten also in Behandlung begeben, dann meistens aufgrund einer zusätzlichen psychischen Störung, beispielsweise Depressionen, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit.
Zur Behandlung der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung werden psychotherapeutische Verfahren eingesetzt. Der Therapeut hilft dem Betroffenen, seine Verhaltensweisen und Gefühle besser zu verstehen. Narzisstische Verhaltensweisen sind oft der Versuch, negative Gefühle zu kompensieren.
Um die Beziehung zu anderen Menschen zu verbessern, muss der Betroffene daher an seiner Empathiefähigkeit arbeiten und gemeinsam mit dem Therapeuten neue Verhaltensstrategien entwickeln, welche die Interaktion mit anderen Menschen verbessert.
Ein wesentlicher Baustein für eine erfolgreiche Narzissmus-Therapie ist eine vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Betroffenen und dem Therapeuten. Narzisstischen Personen fällt es oft sehr schwer, sich auf den Therapeuten einzulassen.
Eine wichtige Massnahme in der Therapie ist es daher, die Ansprüche zu hinterfragen und Ziele zu setzen, die tatsächlich erreichbar sind.
Partnerschaft mit einem Narzissten
Mit jemandem eine Partnerschaft zu führen, der eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat, ist eine grosse Herausforderung. Für Narzissten dreht sich die Welt praktisch nur um sie selbst. Sich in den Partner (oder andere Menschen) hineinzuversetzen, gehört nicht zu ihren Stärken.
Für eine funktionierende Partnerschaft ist es nicht nur wichtig, dass sich der Narzisst von einem Therapeuten behandeln lässt. Auch der Partner sollte professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, um mehr über den richtigen Umgang mit einem Narzissten zu lernen.
Verlauf und Prognose
Bei etwa der Hälfte der Betroffenen reduzieren sich die Symptome aber - dank einer Therapie - innerhalb von zwei Jahren.
Eine günstige Prognose haben dabei Betroffene, die Erfolgserlebnisse haben und gute Beziehungserfahrungen machen. Je besser die Selbstwahrnehmung wird, desto leichter wird es auch, die narzisstischen Züge selbst zu erkennen und zu bearbeiten.
Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung bringt ein erhöhtes Suizidrisiko mit sich. Wenn die eigene Grossartigkeit erschüttert wird, setzt eine tiefe Kränkung ein. In der Folge nehmen sich manche Betroffene das Leben - die Suizidrate liegt bei 14 Prozent.
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