Kinder und Depressionen: Wie man als Familie damit umgeht

Wenn Eltern mit einer Depression kämpfen, leiden häufig auch die Kinder. Eine offene Kommunikation ist hierbei sehr wichtig.

Die Auswirkungen von elterlichen Depressionen auf Kinder

Es ist nicht ratsam, eine Depression vor den Kindern zu verheimlichen, denn sie haben ein feines Sensorium für die Gemütslage ihrer Eltern. Kinder merken erstaunlich viel und können meist genau beschreiben, wie sich der Blick der Mutter verändert, wenn sie depressiv ist. Sie merken, dass sie rascher gereizt reagiert oder sich der Postberg auf dem Tisch in der Woche nicht bewegt hat.

Kinder von depressiven Eltern tragen ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Das Risiko, an Depressionen zu erkranken, ist bei Kindern von Eltern mit einer depressiven Erkrankung um das 2- bis 6-Fache erhöht. Bis zu 60% der Kinder von Eltern mit einer Depression entwickeln im Verlauf der Kindheit und Jugend selbst eine psychische Störung. Insbesondere Kinder von Müttern mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden unter den Auswirkungen. Sie zeigen besonders häufig Verhaltensauffälligkeiten und -störungen im sozialen und emotionalen Bereich.

Psychische Probleme eines Elternteils wirken sich unmittelbar auf alle anderen Familienmitglieder aus. Da jede Familiensituation einzigartig ist, wirken sich psychische Erkrankungen auch ganz unterschiedlich auf die Kinder aus. Die Mehrheit der Kinder fühlt sich allerdings vom Erlebten belastet und ihr Risiko ist deutlich erhöht, dass sie im Verlauf ihres Lebens selber psychisch erkranken.

Offene Kommunikation als Schlüssel zur Bewältigung

Eine Depression vor den Kindern zu verheimlichen ist nicht ratsam, denn sie haben ein feines Sensorium für die Gemütslage ihrer Eltern. Allerdings: Kinder merken erstaunlich viel. Sie können meist genau beschreiben, wie sich der Blick der Mutter verändert, wenn sie depressiv ist. Sie merken, dass sie rascher gereizt reagiert oder sich der Postberg auf dem Tisch in der Woche nicht bewegt hat.

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Damit dürfen wir die Kinder nicht allein lassen, denn ohne unsere Erklärungen können sie ihre Eindrücke nicht einordnen. Leider tun sie das aber trotzdem - nur eben falsch. Kinder gehen davon aus, dass die Veränderungen durch sie verursacht sind. «Mami reagiert gereizt, weil ich so tollpatschig bin», denkt die Sechsjährige. Sie sollten deshalb mit den Kindern über Ihre Depression sprechen. «Seit dem Sommer bin ich immer so traurig, obwohl es keinen Grund dafür gibt. Ich habe deshalb mit der Hausärztin gesprochen und sehe nun eine Psychologin. Sie ist sehr nett, sie heisst Frau Müller. Sie hat mir erklärt, dass ich eine Depression habe. Das ist eine Krankheit wie die Lungenentzündung, die Grossmutter gehabt hat. Auch die Depression dauert eine Weile, dann wird es aber hoffentlich wieder besser.» Das ist ein möglicher Einstieg in ein solches Gespräch.

Fragen Sie dann die beiden, welche Veränderungen sie wahrgenommen haben. Helfen Sie ihnen, das Ganze einzuordnen. Es kann nicht genug betont werden, dass Kinder in der Regel davon ausgehen, dass sie schuld sind an den Veränderungen.

Ebenfalls wichtig sind gemeinsame Worte, um über das Erlebte zu sprechen. Bei älteren Kindern kann man den Krankheitsbegriff verwenden: «Die Depression ist heute sehr stark, wir müssen leider unseren Einkauf auf Samstag verschieben.» Bei kleineren Kindern hilft eine bildhafte Sprache: «Heute muss ich wieder den Depressionsrucksack tragen, den mit den schweren Steinen. Deshalb können wir nur kurz spielen. Dann muss ich im Bett wieder zur Ruhe kommen. Du kannst aber bei mir im Zimmer spielen.»

Schuldgefühle und falsche Annahmen

Fatal ist, dass Kinder sich gerne die Schuld für die Probleme ihrer Eltern geben. Sie glauben, dass Mami weinen muss, weil sie das Zimmer nicht aufgeräumt oder das Gemüse nicht aufgegessen oder mit dem Geschwisterkind gestritten haben. Es ist daher entscheidend, dass Betroffene ihre Kleinen von der Schuld freisprechen und sie altersentsprechend über ihre Erkrankung informieren.

Doch Albermann warnt: «Nur zu sagen ‹Mami muss einfach weinen, Ihr seid nicht schuld daran› hilft nur zum Teil. Viele Kinder können das nicht einordnen, fühlen sich hilflos und machen sich Sorgen. Und die Mutter ist dann je nachdem auch nur eingeschränkt in der Lage, auf deren Bedürfnisse einzugehen und Hilfe für sich selbst oder die Kinder zu holen, sollte das länger gehen oder häufiger passieren», sagt Albermann.

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Unterstützung und Entlastung

Kinder möchten helfen. Geben Sie ihnen ein paar Anregungen, was helfen könnte. Etwa dass sie Ihnen ein warmes Kirschkernkissen bringen, wenn Sie sich hinlegen. Die Kinder brauchen jedoch auch Schoninseln, wo sie wirklich Kind sein dürfen. Der Zoobesuch mit einer nahestehenden Person am Samstag ist jetzt das Richtige.

Entlastung ist aber auch für Sie als Mutter sehr wichtig. Depressive Mütter verbringen trotz der Krankheit gern Zeit mit den Kindern, haben aber Mühe, die Verantwortung allein zu tragen. Deshalb ist die regelmässige Unterstützung durch Grossmutter, Kindersitter oder Entlastungsdienst so wichtig.

Schützen Sie sich selbst vor schlechtem Gewissen. Sie haben sich ja die Depression nicht ausgesucht. Unsere Hauptaufgabe als Eltern ist es, Kinder zu befähigen - befähigen, mit den Schwierigkeiten des Lebens umzugehen.

Was können Aussenstehende tun?

Als Nachbarin, Götti oder Jugileiter haben Sie möglicherweise einen guten Zugang zu betroffenen Kindern. Nur schon Ihr wachsames Wahrnehmen ihrer Befindlichkeit und Ihr Interesse an ihnen, können bewirken, dass sie sich nicht mehr so alleine fühlen in ihrer Situation. Bieten Sie den Kindern das Gespräch an, sprechen Sie sie auf die beobachteten Verhaltensweisen an, fragen Sie nach ihren Gefühlen.

Wieviel Sie bereits wissen, ist entscheidend für die Möglichkeiten, die Sie haben, den Kindern zu helfen. Geben Sie dem Kind zu erkennen, dass Sie wahrnehmen, wie es ihm geht, indem Sie es auf beobachtete Verhaltensweisen und Gefühle ansprechen (Bist du traurig? Ermuttern Sie das Kind dazu, seine Gefühle zu zeigen und sagen Sie ihm, dass es okay ist, wütend, traurig, etc. Wenn das Kind Ihnen Fragen zur Krankheit seiner Mutter oder seines Vaters stellt, beantworten Sie ihm diese so gut Sie können - es gibt verschiedene altersgerechte Möglichkeiten, einem Kind psychische Erkrankungen zu erklären, so können zum Beispiel Bücher hilfreich sein. Für ältere Kinder und Jugendliche sind unsere edukativen Kurzfilme eine gute Erklärungshilfe.

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Behandlung von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen

Die Behandlung einer Depression im Kindes- und Jugendalter erfolgt unter Einbezug von Familie und Umfeld (Eltern, Geschwister, Schul- oder Kindergartenlehrperson). Entsprechend gilt, dass Depressionsbehandlungen, wenn immer möglich, ambulant und im Umfeld erfolgen. Ist das Umfeld nicht genügend stabil, gefährdet das Kind oder der Jugendliche sich selbst oder andere oder stellen sich trotz ambulanter Behandlung keine Therapieerfolge ein, wird ein (teil-)stationärer Aufenthalt erwogen.

Besonders bei Kindern und Jugendlichen liegt der starke Fokus auf altersgerechten Therapieformen. Bei Kindern steht beispielsweise Spieltherapie im Vordergrund, die es erlaubt, Emotionen und Konflikte spielerisch darzustellen und zu verarbeiten. Je älter die Jugendlichen werden, desto wichtiger wird es, ihnen schrittweise Eigenverantwortung zu übertragen und sie in die Therapiegestaltung mit einzubeziehen. Therapie mit Kindern und Jugendlichen fokussiert hauptsächlich auf das Stärken von Ressourcen. Auch eine medikamentöse Behandlung kann indiziert sein.

Bei Depressionsbehandlungen im Kindes- und Jugendalter ist die Psychotherapie die erste Wahl und verfügt über die beste wissenschaftliche Evidenz. Bevor allfällige Medikamente eingesetzt werden, sollte immer ein Versuch mit Psychotherapie erfolgen. Besonders bewährt hat sich die interpersonelle Therapie, welche auf die zwischenmenschliche Beziehung, soziale Rollen und Konflikte fokussiert. Auch kognitive Verhaltenstherapie, Spieltherapie bei Jüngeren sowie Familientherapie zeigen gute Behandlungserfolge. Der Einbezug der Eltern ist ein wichtiges Therapieelement.

Eine Behandlung durch Antidepressiva sollte bei Kindern und Jugendlichen nur bei schwerer Depression oder bei Nichtansprechen auf Psychotherapie erfolgen. Eine Ausnahme ist z.B. eine Depression bei Patienten mit begleitender Angststörung. Hier kann eine frühe Behandlung mit einem Antidepressivum sehr sinnvoll sein, um den Schulbesuch, Sport sowie den Austausch mit Gleichaltrigen wieder zu ermöglichen und vermeidendes Verhalten zu durchbrechen.

Vor Beginn einer medikamentösen Therapie sollte eine Blutentnahme mit Laboruntersuchung sowie ein EKG erfolgen. Das Eindosieren des Medikaments startet mit einer tiefen Dosis, nach dem Motto «start low, go slow». Nach Erreichen einer individuell wirksamen Therapiedosis, sollte ausreichend lange therapiert werden. Absicht dahinter ist das Ziel, eine weitere depressive Episode in der Zukunft möglichst zu vermeiden.

Nach einer ersten depressiven Episode sollte nach dem Verschwinden der Symptome für wenigstens mehrere Monate weiter behandelt werden. Bei Depressionserkrankungen in der Familie oder begleitender ADHS-Erkrankung wird eher länger behandelt, da das Risiko für Rückfälle erhöht ist.

Die Wahl eines geeigneten Zeitpunkts für das Absetzen ist ebenso wichtig. Antidepressiva sollten beispielsweise nicht vor einer grossen Abschlussprüfung oder vor dem Übertritt in ein neues soziales Umfeld abgesetzt werden, sondern in einer möglichst stabilen Lebensphase. Das Absetzen erfolgt durch schrittweise Dosisreduktion, bei Wiederauftreten der Symptome kehrt man zur vorangegangenen Dosis zurück. Die Zeit während und nach dem Absetzen sollte durch eine Therapeutin oder einen Therapeuten betreut werden.

Statistiken und Fakten

Albermann geht von schweizweit 300'000 betroffenen Kindern und Jugendlichen aus.

Die Behandlungsdauer einer ersten depressiven Episode ist individuell, häufig sind bis zu 8-9 Monate bis zur Genesung nötig. Ungefähr die Hälfte der Behandelten erreicht Symptomfreiheit ohne weitere Episoden, bei 35% treten die depressiven Episoden wiederkehrend auf und 15% zeigen chronische Symptome, welche persistieren.

Denn die Wahrscheinlichkeit nach einer erstmaligen Episode eine weitere depressive Episode zu erleben, liegt bei 50%. Nach der zweiten Episode steigt diese Wahrscheinlichkeit auf 80%, nach der dritten auf 90%. Ab der dritten depressiven Episode wird in der Regel eine längerfristige medikamentöse antidepressive Therapie als Rückfallprophylaxe empfohlen.

Hier ist eine Tabelle, die einige wichtige Fakten zusammenfasst:

Faktor Details
Betroffene Kinder in der Schweiz Ca. 300'000
Erhöhtes Erkrankungsrisiko bei Kindern depressiver Eltern 2- bis 6-fach
Kinder depressiver Eltern, die selbst eine psychische Störung entwickeln Bis zu 60%
Durchschnittliche Behandlungsdauer einer ersten depressiven Episode 8-9 Monate
Wahrscheinlichkeit einer weiteren depressiven Episode nach der ersten 50%
Wahrscheinlichkeit einer weiteren depressiven Episode nach der zweiten 80%
Wahrscheinlichkeit einer weiteren depressiven Episode nach der dritten 90%

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