Die Zahl von Erwachsenen mit einer Diagnose der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) steigt. Einerseits weiss die Forschung heute mehr zu ADHS bei Erwachsenen. Andererseits litt zwar während Corona die psychische Gesundheit, ist dadurch aber vielerorts - vor allem durch die sozialen Medien - überhaupt erst zum Thema geworden und hat mehr Menschen für die Störung sensibilisiert.
Definition und Ursachen
Die Hyperaktivität und die fehlende Aufmerksamkeit kann man nicht auf eine Ursache festlegen, es handelt sich um ein komplexes Zusammenwirken von verschiedenen Faktoren. Dabei spielen neurobiologische - und Stoffwechsel- sowie Funktions-Störungen eine Rolle. Psychosoziale Einflüsse können als alleinige Ursache bei einem ADHS ausgeschlossen werden. Negative Erfahrungen (eine schwere Kindheit, Traumen etc.) können allerdings den Schweregrad und den Verlauf der Erkrankung beeinflussen.
Körperliche Ursachen
Man nimmt fehlerhafte Informationsverarbeitung zwischen bestimmten Hirnabschnitten, welche für die Wahrnehmung und die Impulskontrolle zuständig sind, als eine der Hauptursachen an. Dabei kommt es zu Störungen bei der Signalübertragung zwischen den Nervenzellen. Diese Störung wird verursacht durch ein Ungleichgewicht der Botenstoffe (Neurotransmitter) in diesen Hirnbereichen.
Auch andere Krankheiten können sich durch ADHS-ähnliche Symptome bemerkbar machen (z.B. Asperger Autismus, Schizophrenie, Epilepsie, Schilddrüsenerkrankungen etc.).
Risikofaktoren
- Erbliche Vorbelastung: nächste Familienmitglieder von betroffenen Kindern tragen ein 10 bis 15%-iges Risiko, ebenfalls an ADHS zu erkranken. Bei eineiigen Zwillingen liegt die Wahrscheinlichkeit bei 80%, bei zweieiigen bei ca. 30%, dass beide Geschwister Anzeichen eines ADHS aufweisen.
 - Verminderte Intelligenz oder Hochbegabung
 - Andere Krankheiten und deren medikamentöse Behandlungen
 
Psychosoziale Einflüsse, die ein ADHS verschlimmern können:
- Schwierige Familienverhältnisse (Streit der Eltern, Trennung, Todesfälle)
 - Psychische Krankheiten in der Familie
 - Erziehungsmängel: Inkonsequenz, fehlende Struktur, häufige Kritiken, unverhältnismässige Bestrafungen
 
Risikofaktoren während der Schwangerschaft oder Geburt:
- Nikotin-, Alkohol-, Drogenmissbrauch der Mutter
 - Sauerstoffmangel bei der Geburt
 
Symptome bei Erwachsenen
Häufig landen Erwachsene mit einer ADHS zunächst aus anderen Gründen beim Therapeuten: mit einer Depression, einer Angststörung, einem Burnout, diesem Gefühl, dass das Kartenhaus über einem zusammenbricht und man das nicht länger aushält. Oft vermögen nur Fachleute zu erkennen, dass das die Folgen einer undiagnostizierten ADHS sind.
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Der Erwachsene hat schon gelernt, mit seinen Symptomen umzugehen, er überspielt sie, hat sich dafür Strategien zurechtgelegt. Man nennt das «Masking». Das kann hilfreich, aber auch problematisch sein, vielleicht gewöhnt man sich einen Tick an oder entwickelt eine Zwangsstörung, um etwa impulsiv-hyperaktive ADHS-Symptome zu unterdrücken, die man noch bei Kindern sofort als solche identifizieren würde.
Gerade bei Frauen und Mädchen gilt ADHS als unterdiagnostiziert. In der frühen Forschung ging man davon aus, dass vorwiegend Jungs eine ADHS haben können. Die sichtbaren Symptome, das Vorlaute, Hibbelige tritt bei ihnen mehr auf. Bei Mädchen äussert sich die Störung anders, die Hyperaktivität ist häufig internalisiert, gegen aussen bleiben sie eher ruhig und zurückhaltend. Und sie ist schwieriger zu erkennen, weil wir durch unsere Sozialisation ein solches Verhalten bei Mädchen nicht als auffällig taxieren.
Natürlich sind Symptome wie Stress, Verträumtheit, Hyperaktivität und -sensibilität zunächst einmal einfach nur menschlich. Aber normalerweise treten sie in gewissen Phasen auf, vor der Prüfung in der Schule, in den ersten Tagen im neuen Job, bei einem persönlichen Verlust. Bei ADHS-Patienten ist es keine Phase. Bei ihnen zieht sich das durch ihr ganzes Leben.
Viele Symptome erscheinen sehr allgemein: tiefe Frustrationstoleranz, Prokrastination, Konzentrationsstörungen. Die Symptome treten intensiver, regelmässiger auf. Das hat Einfluss auf den Selbstwert, das Selbstbewusstsein. Darunter leiden Menschen mit ADHS wahrscheinlich am meisten: Das Gefühl zu haben, nicht mithalten zu können, egal, wie sehr man sich verbiegt. Jemand ohne ADHS bekommt keine Panikattacke und keinen Nervenzusammenbruch, wenn er nur ab und zu mal vergisst, den Herd abzuschalten, wichtige Termine verpasst oder sich aussperrt.
Diagnose
ADHS lässt sich nicht einfach über einen Gehirnscan oder einen Bluttest diagnostizieren. Die Diagnose ist aufwendig. Es gibt mittlerweile die Möglichkeit, gewisse Eigenheiten der Gehirnstruktur zu erkennen. Aber für eine Diagnose braucht es vor allem geschultes Personal: Viele Therapeuten sind nicht auf ADHS bei Erwachsenen spezialisiert. Es kommt zu Fehldiagnosen, Leute werden mit einer Depression oder einer Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, obwohl dies nur die Folge einer übersehenen ADHS sein kann.
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Bei Verdachtsdiagnosen kommt es tatsächlich vor, dass Therapeuten dem Patienten ein niedrig dosiertes ADHS-Medikament verschreiben, um zu beobachten, welchen Effekt es hat. Zum Beispiel Methylphenidat: Auf ADHS-Patienten wirkt es ausgleichend. Wenn das nun jemand nimmt und denkt, hui, ich könnte jetzt drei Tage durcharbeiten, dann hat er wohl keine ADHS.
Der kanadische Psychiater Anthony Yeung machte die Beobachtung, dass tatsächliche Patientinnen und Patienten oft dazu neigen, ihre Symptome herunterzuspielen, während Menschen, die keine ADHS haben, diese überbetonen.
Behandlung
Durch die Diagnose bekommt man den Zugang zu einem Hilfesystem mit verschiedenen Bausteinen wie Psychoedukation, Psychotherapie, medikamentöser Therapie, Selbsthilfegruppen, Beratung. So können Betroffene ihr Leben nach ihren Bedürfnissen anpassen. Für mich steht am Ende der Diagnose eine tiefe Selbstakzeptanz.
Viele Bewältigungsstrategien entwickelt man unbewusst und behält man bei. Wobei es auch ungesunde Strategien gibt, die man ersetzen muss - manche Betroffene kompensieren etwa mit Suchtmitteln (Nikotin, Alkohol, Cannabis, Medikamente), Binge-Eating, exzessivem Medienkonsum oder anderem selbstschädigendem Verhalten.
Zunächst ist es sehr wichtig, zu erwähnen, dass ADHS keine Erkrankung ist wie etwa eine Depression, sondern eine Störung, die nicht geheilt werden kann. Je früher man sie erkennt, desto geringer die Behandlungskosten. Komorbiditäten führen ebenso zu mehr Kosten - wenn man sie frühzeitig erkennen würde, fielen diese weg. Wir hätten eine andere Gesellschaft, wenn wir mehr Wissen, Akzeptanz und Behandlungsmöglichkeiten für ADHS hätten.
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