Ursachen von Zwangsstörungen

Die Zwangsstörung ist eine schwere psychische Erkrankung. Die Betroffenen führen zwanghaft immer wieder die gleichen Rituale aus oder werden von beunruhigenden Gedanken geplagt. Obwohl sie erkennen, dass ihre Handlungen und Ängste irrational sind, bekommen sie ihr Denken und Handeln nicht in den Griff.

Symptome und Diagnose

Zwangserkrankungen bleiben oftmals lange unerkannt, weil sich die Betroffenen schämen für ihre Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen. Gerade wenn der Inhalt der Gedanken sexueller oder aggressiver Natur ist, braucht es viel Vertrauen, um sich mitzuteilen. Es wird davon ausgegangen, dass Jungen früher an Zwangsstörungen erkranken als Mädchen.

Ein Grossteil der Betroffenen erkrankt vor dem 25. Lebensjahr. Der durchschnittliche Krankheitsbeginn liegt bei 10 Jahren. Eine Erkrankung vor dem sechsten Lebensjahr ist sehr selten, aber dennoch möglich.

Verlauf von Zwangserkrankungen

Zwangsgedanken und Zwangshandlungen verschwinden meist nicht von alleine. Die Erkrankung verschlimmert sich mit ihrem Fortschreiten. So müssen die Zwangshandlungen mit der Zeit öfters und stärker durchgeführt werden, um eine Entlastung der negativen Gedanken zu erleben. Die Zwangsstörung kann sich im Verlauf ändern. So können sich Gedanken und Handlungen verändern oder ersetzt werden.

Der Verlauf über das Leben kann bei Zwangsstörungen nicht verallgemeinert werden. Gewisse Personen erleben mithilfe der Therapie eine vollständige Rückbildung der Zwänge und die Erkrankung kehrt nicht mehr zurück. Bei anderen kommen die Zwänge zu einem späteren Zeitpunkt wieder. Es ist aber auch möglich, dass trotz einer wirksamen Therapie keine oder nur eine leichte Verbesserung erreicht werden kann. Dann handelt es sich um einen chronischen Verlauf der Erkrankung. Eine chronische Entwicklung hängt oft mit einer schweren Erkrankung zusammen.

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Häufig schämen sich die Betroffenen für ihre Zwänge, weil sie diese als unsinnig erkennen. Es fällt ihnen schwer, sich einem Psychologen oder Arzt anzuvertrauen. Die Betroffenen sollten sich jedoch bewusstmachen, dass die merkwürdigen Gedanken und Handlungen Teil einer Zwangsstörung sind und viele Menschen mit denselben oder ähnlichen Zwängen ringen. Vor allem verschwinden Zwänge in der Regel nicht wieder von allein.

Es ist daher wichtig, dem Arzt oder Psychologen offen und ehrlich zu antworten, damit sich die Zwangsstörung erkennen und behandeln lässt.

Diagnosekriterien

Für die Diagnose der Zwangsstörung orientiert sich der Therapeut an der ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen. Folgende Kriterien müssen zutreffen:

  • Die Betroffenen haben Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen an den meisten Tagen über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen.
  • Die Zwangsgedanken und -handlungen zeigen die folgenden Merkmale:
    • Die Betroffenen wissen, dass die Gedanken/Handlungen ihre eigenen sind und nicht von äusseren Einflüssen erzeugt werden.
    • Die Gedanken/Handlungen wiederholen sich dauernd, werden als unangenehm empfunden und als übertrieben oder unsinnig erkannt.
    • Die Betroffenen versuchen, gegen die Zwangsgedanken oder -handlungen Widerstand zu leisten.
    • Die Ausführung der Zwangsgedanken oder -handlungen empfinden die Betroffenen als unangenehm.
  • Die Betroffenen leiden unter der Zwangsstörung, und der damit verbundene enorme Zeitaufwand schränkt sie in ihrem beruflichen und sozialen Leben ein.

Ursachen für die Entstehung von Zwangserkrankungen

Die Entstehung einer Zwangserkrankung ist Folge vieler verschiedener Faktoren. Es gibt sowohl körperliche als auch soziale Faktoren sowie Persönlichkeitsfaktoren und Lernerfahrungen die zur Erkrankung führen können.

Körperliche Faktoren: Genetik und Neurobiologie

Zu den körperlichen Faktoren gehört die genetische Vererbung. Zwangserkrankungen treten in Familien gehäuft auf. Dabei ist eine Veränderung des Gehirnstoffwechsels erkennbar, insbesondere beim Botenstoff Serotonin. Einer solchen Veränderung kann auch eine bakterielle Infektion zugrunde liegen. Dies ist jedoch eher selten die Ursache. Insbesondere bei frühem Beginn der Erkrankung geht man von dem Einfluss erblicher Faktoren aus. Diese betreffen u. a. den Transport und die Wirkung von Serotonin im Gehirn wie auch von Dopamin.

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Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), welche auch zur Behandlung von Depression eingesetzt werden, blockieren den Serotonin-Transporter und verlängern so die Wirkung des Serotonins. Die Medikamente können auch bei Zwangsstörungen eingesetzt werden, um das serotonerge System zu regulieren.

Persönlichkeitsfaktoren

Zu den Persönlichkeitsfaktoren zählen Eigenschaften einer bestimmten Person, die vererbt oder durch das Erziehungsverhalten gelernt wurden. Zu diesen Eigenschaften gehören ängstlich, gewissenhaft oder vorsichtig zu sein und sich schnell Sorgen zu machen.

Soziale Faktoren

Die sozialen Faktoren lassen sich im Umfeld und in der Familie finden. So kann es sein, dass Betroffene vermehrt Stress oder Streit mit Freunden oder Familie erleben. Andere fühlen sich sozial ausgeschlossen, haben zum Beispiel nur wenige Freunde. Eine elterliche Erwartungshaltung bezüglich Sauberkeit oder Perfektion können ebenfalls einen Einfluss auf die Entstehung einer Zwangsstörung haben. Eine Vorbelastung der Eltern zeigt sich oftmals im Erziehungsverhalten oder dem Familienklima.

Auch besondere Erlebnisse können die Entwicklung einer Zwangsstörung begünstigen. Dabei sind vor allem Ereignisse, die eine Veränderung bedeuten, wie beispielsweise ein Umzug, relevant. Aber auch eine besonders schlechter Erfahrung kann die Entstehung einer Zwangsstörung begünstigen.

Soziale Faktoren spielen vor allem bei der Aufrechterhaltung von Zwängen eine Rolle. So können im zwischenmenschlichen Bereich gewisse Konflikte durch die Zwänge reguliert werden. Durch die Einbindung von Bezugspersonen in Zwangsrituale verschaffen Zwänge Nähe zu anderen. Gleichzeitig halten die Zwänge andere Personen auf Abstand, durch die Erschwerung von gemeinsamem Erleben. Soziale Herausforderungen wie die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit werden vermieden, wenn die Wohnung nicht verlassen werden kann. Manchmal kann der Zwang bis zu einem gewissen Grad durch Modell-Lernen von den Eltern übernommen werden. Die Einbindung des Umfelds in die Therapie kann daher sinnvoll sein.

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Lernerfahrungen

Weiter spielen auch Lernerfahrung eine Rolle bei der Entwicklung von Zwangserkrankungen. So macht eine betroffene Person zum Beispiel eine schlimme Erfahrung wie eine Erkrankung einer nahen Person und denkt zum Beispiel beim Anfassen einer Türklinke daran. Durch diese Verbindung entwickelt sich durch einen Lernprozess die Angst, sich mit gefährlichen Krankheitserregern anzustecken. Deshalb beginnt die betroffene Person, den Kontakt mit Türklinken zu vermeiden. Falls dies nicht möglich sein sollte, wäscht sich die betroffene Person nach dem Anfassen der Türklinke die Hände.

Durch die erlebte Entlastung weitet sich dies auf einen Waschzwang aus. Zuletzt spielt auch der Umgang mit Gedanken eine Rolle. Es ist völlig normal, immer wieder unangenehme Gedanken zu haben. Wenn man diesen Gedanken jedoch eine grosse Bedeutung beimisst und sich noch lange damit beschäftigt, weshalb man so etwas denkt, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Gedanke in einen Zwangsgedanken verwandelt.

Psychische Prozesse

Viele Personen erleben im Alltag unangenehme, aufdringliche Gedanken. Dass ein solcher Gedanke hin und wieder auftaucht, ist völlig normal. Entscheidend ist, wie mit ihm umgegangen wird. Wird dem Gedanken Bedeutung geschenkt, so löst er negative Gefühle aus. Negative Gefühle, insbesondere auch Angst, sorgen dafür, dass sich Gedankeninhalte stärker einprägen. Dies wiederum verstärkt die Bedeutung des Gedankens und die Anspannung. Es entsteht der Wunsch, den quälenden Zustand schnellstmöglich zu beenden.

Durch neutralisierende Handlungen versuchen Betroffene, die negativen Gefühle zu reduzieren. Sie gehen zurück und überprüfen, ob die Haustür tatsächlich abgeschlossen ist. Die Handlung selbst wird zwar meist nicht als angenehm empfunden, sie verschafft jedoch kurzfristig Erleichterung. Dies wird vom Gehirn registriert, in künftigen Situationen wieder abgerufen und als dysfunktionale Strategie zur Spannungsreduktion weiter aufrechterhalten.

Solche Bewertungsmuster finden sich oft im Zusammenhang mit übermässigem Perfektionismus, einem übermässigen Verantwortungsgefühl und der Vorstellung, die eigenen Gedanken kontrollieren zu können.

Vermeidung und Funktionalität

Häufig versuchen zwangserkrankte Personen die Situationen, in denen sie Zwangsgedanken oder -handlungen erwarten, zu vermeiden. So fehlt die Möglichkeit, in Kontakt mit der auslösenden Situation alternative Strategien zu entwickeln. Zwänge können innerpsychisch gewisse Funktionen übernehmen wie beispielsweise die Regulation unangenehmer Emotionen oder den Schutz vor Verantwortungsübernahme für anstehende Entwicklungsschritte.

Ursachen für die Aufrechterhaltung von Zwängen

Zwänge können auch auf ungelöste Probleme im Leben der Betroffenen hinweisen. Dies rührt daher, dass sie zur Entlastung oder zum Schutz dienen können. Diese Entlastung kann letztendlich zur Aufrechterhaltung der Zwänge beitragen. So erfüllen die Zwänge eine bestimmte Funktion, zum Beispiel als Vermeidungsverhalten bestimmter Situationen. Solche Funktionen sind den Betroffenen zumeist nicht bewusst und können in der Therapie erarbeitet werden.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass jeder und jede eine Zwangserkrankung entwickeln kann. Letztendlich spielen nicht bei allen Betroffenen die gleichen Faktoren mit der gleichen Stärke eine Rolle. Es ist ein Zusammenspiel, welches die Erkrankung begünstigt und aufrechterhält.

Die Diagnose und Behandlung von Zwangsstörungen sollten durch erfahrene Psychiater erfolgen.

Bei der Behandlung von Zwangserkrankungen wirken psychotherapeutische Methoden am besten. Dies ist insbesondere für die kognitive Verhaltenstherapie durch viele Untersuchungen gut belegt.

Die Kinder- und Jugendpsychiatrie Baselland therapiert in einer Spezialsprechstunde junge Patientinnen und Patienten mit einer Zwangserkrankung. Die ambulante Behandlung verbessert die Lebensqualität der Betroffenen oft deutlich.

Therapien

Zwangsstörung werden mit Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie behandelt. Zu Beginn erfolgt eine ausführliche und der individuellen Situation angepasste Aufklärung und Motivation. Anschliessend wird der oder die Betroffene nach seinem ausdrücklichen Einverständnis seinen auslösenden Zwängen exponiert (Exposition). Dabei werden die beruhigenden Zwänge verhindert (Reaktionsverhinderung).

Im Bereich der Psychotherapie sind sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich verhaltenstherapeutische Methoden entwickelt worden.

Seit einigen Jahren wird bei Zwangsstörungen auch ein Hirnschrittmacher zur Linderung des Problems eingesetzt. Bei der Methode implantieren Chirurginnen und Chirurgen Elektroden in das Gehirn, die bestimmte Hirnbereiche elektrisch reizen sollen. Ziel der Therapie ist es, einen aus dem Tritt geratenen Regelkreislauf im Gehirn zu normalisieren und damit die kognitiven, emotionalen und motorischen Prozesse zu stabilisieren. Hirnschrittmacher kommen häufig erst zum Einsatz, wenn die Möglichkeiten der therapeutischen und medikamentösen Behandlung ausgeschöpft sind. Sie sollen Patient:innen helfen, den Alltag wieder besser zu meistern.

Wichtig in der Therapie ist die Konfrontation mit den Ängsten, ohne dass die Patientin oder der Patient Zwangshandlungen ausführt. Mit sogenannten Expositionen wird erreicht, dass der Patient es unterlässt, die Zwangshandlung auszuführen, um dabei die Erfahrung zu machen, dass nichts Schlimmes passiert. Expositionen können, wenn angezeigt, auch zuhause durchgeführt werden. Den Eltern, die ja meist in die Zwangsrituale einbezogen sind, wird dabei die Anleitung vermittelt, wie sie ihren Kindern zunehmend wieder Verantwortung abgeben.

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