Berühmte Persönlichkeiten und Depressionen: Ein offenes Gespräch

Wenn Spitzensportler*innen öffentlich über psychische Probleme sprechen, sorgt das für Aufmerksamkeit. In den letzten Monaten nahmen diese Bekenntnisse rapide zu. Vielleicht werden die Olympischen Spiele von Tokio als Wendepunkt in die Geschichte eingehen. Als der Moment, wo das Schweigen im Umgang mit psychischen Belastungen gebrochen und eine neue Zeit eingeläutet wurde.

Der Wandel im Spitzensport

Es war lange so, dass psychische Belastungen im Spitzensport verschwiegen wurden. Es gab zwar immer wieder prominente Sportler*innen (Fabian Cancellara, Mike Phelps, Lindsey Vonn, Ariella Käslin), die über ihre mentalen Probleme sprachen. Aber in der Regel war dies nach ihrer sportlichen Karriere - wohl aus der begründeten Angst heraus, dass dies in ihrer Aktivzeit negative Auswirkungen auf Sponsoren und Fans haben und ihre Vermarktung gefährden würde.

Wie es scheint, wandelt sich gerade die Vorstellung von dem, was einen Star auszeichnet. Nicht mehr Unbesiegbarkeit und das Streben nach immer neuen Erfolgen werden wertgeschätzt, sondern die neue Stärke ist das Eingeständnis von Schwäche.

Beispiele prominenter Sportler

  • Simone Biles: Die amerikanische Turnerin offenbarte unter Tränen, dass ihre Dämonen der Angst und des verlorenen Selbstbewusstseins sie schon sehr lange belasteten.
  • Naomi Osaka: Der Tennisstar sprach offen über ihre mentalen Probleme, den steten Druck und Zwang zur Selbsterklärung in der Öffentlichkeit, ihre Depressionen.

Die Rolle der Öffentlichkeit und der Medien

Bekannte Sportler*innen können den gesellschaftlichen Diskurs über psychische Probleme und persönliche Krisen befördern. Ihr Beispiel kann helfen, Tabus zu entkräften und ein Problembewusstsein zu schaffen. Doch wann helfen solche Bekenntnisse weiter? Und unter welchen Umständen schaden sie? Der Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Robert Willi, der in seiner Praxis viele Prominente berät, sagt: «Für bekannte Persönlichkeiten ist das ein Dauerthema: Was kommuniziere ich nach aussen? Was halte ich besser geheim»?

Er sei mit Ratschlägen in Richtung Offenheit immer vorsichtiger geworden: «Die Erfahrung zeigt, dass es zwar vordergründig Verständnis gibt und gelobt wird, dass Betroffene zu ihren Problemen stehen. Aber später ist man für viele doch nur der mit der Erkrankung.» Vor allem im deutschsprachigen Raum gebe es noch zu viele Ressentiments.

Lesen Sie auch: Schön gestört: Artikel lesen

Umgang mit der Information

Bis zu einem gewissen Grad geht es öffentlichen Personen wie allen anderen Menschen in der gleichen Situation. Sie müssen einen für sich passenden Umgang mit dieser Information finden. Erzähle ich Bekannten, Freunden von meiner Belastung? Wie gehe ich am Arbeitsplatz damit um? Wie geht es mir damit, wenn andere von meinen Problemen wissen und mich möglicherweise darauf ansprechen? Das sind Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind und individuell beurteilt werden müssen.

Positive Beispiele und Initiativen

Als gutes Beispiel dient der Spitzenfussball in England: In der Premier League ist das Thema seit vielen Jahren auf der offiziellen Agenda der führenden Clubs wie Liverpool, Arsenal oder Chelsea. Dort gibt es in den Vereinen Ansprechpersonen, die sich als Hüter der psychischen Gesundheit sehen.

Die Stiftung Pro Mente Sana ist seit 2019 mit dem mehrfachen Fussball-Schweizermeister BSC Young Boys daran, sich in einer Partnerschaft gemeinsam für die Enttabuisierung von psychischen Erkrankungen zu engagieren. Ende November organisieren sie mit der Privatklinik Wyss und in Kooperation mit der Schweizerischen Gesellschaft für Sportpsychiatrie und Psychotherapie SGSPP das erste Sportsymposium «Bereit darüber zu reden? - Psychische Belastungen im Leistungssport».

Der Schritt in die Klinik: Ein Tabubruch?

Heute reden viele Menschen offen über ihre Panikattacken oder Depressionen - sowohl im Privaten als auch in der Öffentlichkeit. Ein stationärer Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik ist hingegen noch immer ein grosses Tabu. Das stört Thomas Ihde, Facharzt für Psychotherapie und Psychiatrie.

Noch immer sei unser Bild von der Psychiatrie von Filmen wie «Einer flog über das Kuckucksnest» geprägt. «Von einer Psychiatrie, in der schwerkranke Menschen sind und das selbst nicht erkennen wollen.

Lesen Sie auch: Tipps für den Umgang mit Depressionen

Thomas Ihde sieht auch den erfreulichen Trend in eine andere Richtung: Immer mehr prominente Leute sprechen in den Medien über ihren stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. Neben dem Podcaster Felix Lobrecht etwa auch der Comedian Luke Mockridge oder Ronja von Rönne. Auch Schweizer Promis sprechen über ihren Klinikaufenthalt: Die Sängerin Stefanie Heinzmann und der Rapper Gimma waren in ihren Jugendjahren dort. Die Bloggerin Pony M. auch - wegen einer postnatalen Depression.

Zudem merkt Thomas Ihde auch schon Folgen des Trends, öffentlich über die mentale Gesundheit zu sprechen: «Menschen suchen sich generell früher Hilfe und sind in Krisen offener, über verschiedene Varianten nachzudenken.» Der Facharzt denkt dabei an Teams, die in den Krisen daheim begleiten, an ambulante Krisengespräche, Kriseninterventionsstationen oder eben Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken.

Die persönlichen Erfahrungen: Laura's Geschichte

«In mir wecken solche Berichte positive Gefühle,» sagt die 32-jährige Laura. «Sie helfen mir dabei, meine Scham abzubauen.» Laura war vor zwei Jahren selbst in einer psychiatrischen Klinik und fügt an: «Noch mehr aber helfen mir Erfahrungsberichte von Personen, die nicht im öffentlichen Leben stehen.

Während die Erzählungen der Promis oft vage bleiben und keine tiefen Einblicke in den Klinikalltag liefern, ist Laura bereit, detailliert über ihre Erfahrungen zu berichten. Sie könne zwar nur für sich sprechen und kenne auch Menschen, die negative Erfahrungen gemacht hätten in Psychiatrien, ihr Aufenthalt aber sei ein Wendepunkt für sie gewesen.

Im Dezember 2021 läuft die damals 30-Jährige durch die Eingangstür einer psychiatrischen Klinik. Nichts von kaltem Betonbau mitten in einem städtischen Unispital-Komplex oder abgeschieden am Ende der Welt. Die Klinik liegt in einer idyllischen Kleinstadt in der nördlichen Deutschschweiz: ein paar kleine Läden, ein paar Restaurants, ein Fluss und viel Grün. Die Klinik selbst wirkt eher wie ein Hotel, Lauras Einzelzimmer wie ein Hotelzimmer.

Lesen Sie auch: Hilfsangebote im Detail

In den Einzel- und Gruppentherapien - je zwei Stunden pro Woche - realisierte Laura zum ersten Mal, warum Panikattacken und depressive Episoden, Alkohol und Schlafmittel seit vielen Jahren zu ihrem Alltag gehörten: Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), ausgelöst durch eine schwierige Kindheit und mehrere Erlebnisse sexueller Gewalt.

Seit dem Klinikaufenthalt spürt Laura ihren Körper wieder, kann wieder weinen und sich selbst annehmen: «Ich habe sehr viel Energie gebraucht, um meinen Zustand vor mir selbst und anderen zu vertuschen. Durch die radikale Selbstakzeptanz, die ich in der Klinik gelernt habe, kann ich diese Energie nun für meine Gesundung einsetzen.»

Weitere Beispiele von Prominenten

Einige wenige Leistungssportler sprechen so offen über ihre psychischen Probleme wie Nikita Ducarroz. Doch ganz allein ist sie nicht. Auch diese Ausnahme-Athleten und -Athletinnen stehen zu ihren mentalen Problemen.

  • Ciriaco Sforza: Der Fussballer kämpfte immer wieder mit psychischen Problemen und holte sich professionelle Hilfe.
  • Ariella Kaeslin: Die Turnerin machte erst vier Jahre nach ihrem Rücktritt öffentlich, wie sehr sie während ihrer Karriere leiden musste.
  • Michael Phelps: Der Schwimmstar holte unglaubliche 23 olympische Goldmedaillen, stand aber 2012 kurz davor, Selbstmord zu begehen.
  • Dwayne «The Rock» Johnson: Der Schauspieler spricht offen über seinen Kampf mit Depressionen.
  • Robbie Williams: Der Musiker sprach öffentlich über seinen Kampf gegen die Krankheit. Er leide an ADHS, Angstzuständen, Depressionen und nicht darüber zu sprechen sei seiner Meinung nach falsch.

Prominenter Name Beruf Psychische Probleme
Simone Biles Turnerin Angst, verlorenes Selbstbewusstsein
Naomi Osaka Tennisspielerin Depressionen, Druck zur Selbsterklärung
Felix Lobrecht Comedian Panikattacken, Depressionen
Stefanie Heinzmann Sängerin Klinikaufenthalt in der Jugend
Michael Phelps Schwimmer Depressionen, Suizidgedanken
Dwayne «The Rock» Johnson Schauspieler Depressionen
Robbie Williams Musiker ADHS, Angstzustände, Depressionen
Ariella Kaeslin Turnerin Erschöpfungsdepression
Ciriaco Sforza Fussballer Psychische Probleme

Der Einfluss von Geschlechterstereotypen

Ein Mann muss «tough» sein, darf keine Schwäche zeigen, Gefühle sind Weibersache - eine Ansicht, die vor fünfzig Jahren durchaus geläufig war. Auch heute gilt in so manchem Kulturkreis die Devise: Männer weinen nicht, Männer sind immer stark. Doch in unseren sozialen Gefilden ist inzwischen klar: Das sind Gender-spezifische Stereotypen, gegen die wir angehen müssen.

Psychotherapeutin Dania Schiftan beobachtet, dass Männer aus diesem Grund viel grössere Probleme damit hätten, zuzugeben, dass sie Depressionen haben. Dass inzwischen so viele prominente Männer zu ihren Depressionen stehen und darüber öffentlich sprechen, hält Dania Schiftan für richtig und wichtig.

Der Fall Robin Williams

Robin Williams neigte wie viele andere depressive Männer zu Alkoholsucht. Seit seinem Ableben trauern Angehörige und Fans auf der ganzen Welt um Robin Williams. Der berühmte Komiker und Schauspieler führte ein aussergewöhnliches Leben, doch vereinte er vier Eigenschaften, die ihn letztlich zu einem typischen Suizidopfer machten: Er war ein Mann, mit 63 Jahren nicht mehr der Jüngste, Alkoholiker und litt an einer schweren Depression.

«Bei der männlichen Depression ist die Gefahr, an Suizid zu sterben, wesentlich erhöht», sagt Heinz Böker, Chefarzt des Zentrums für Depressionen, Angsterkrankungen und Psychotherapie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK). Er sieht einen wesentlichen Grund darin, dass Frauen häufiger über ihre Erkrankung sprechen. «Männer versuchen ihre Depression eher zu verbergen und werden dadurch schneller verzweifelt, weil sie sich nicht artikulieren können.»

Die Rolle von Diagnosen und Therapie

Bei einer akuten Depression behandeln Ärzte mit Antidepressiva sowie Sozial- und Psychotherapie. «Langfristig versucht man mit der Behandlung prophylaktisch schwere depressive Phasen zu verhindern», sagt Modestin. Dabei hat sich insbesondere die Verwendung von Lithium in Ergänzung zu Antidepressiva bewährt.

Florian Schneider: Ein aktiver Spitzensportler spricht offen

Florian Schneider, einst Juniorenweltmeister, macht einen grossen Schritt und spricht während der Karriere über Depressionen. Der 27-jährige Berner sagt, es gebe viel zu wenige Spitzensportler, die schon als Aktive sagten, was ihnen zu schaffen mache.

Wir reden von einer Erschöpfungsdepression. Diese Diagnose bekam ich, nachdem ich länger quasi eine verschwiegene Depression durchlebt hatte. Ich hatte lange Zeit niemandem sagen wollen, wie es mir wirklich geht - bis zu dem Moment, als ich es einfach zeigen musste. Es war ein Abend im April 2019, ich stand in der Küche und hatte ein Messer in der Hand und wusste nicht, ob ich wegrennen soll oder mir etwas antun. Diese Situation änderte schlagartig alles, sie deckte alles auf.

Schweizer Prominente und ihre Erfahrungen

Immer mehr Prominente stehen dazu, dass sie sich Hilfe holen, wenn sie mit dem inneren Schmerz nicht mehr selber weiterkommen.

  • Sylwina: Die Influencerin liess sich in eine psychiatrische Klinik einweisen und teilt ihre Gedanken auf Instagram.
  • Stress: Der Rapper geht seit zwei Jahren wöchentlich in Therapie und appelliert: «Belaste nicht deine Freunde oder Familie mit deinen Problemen, das ist egoistisch.»
  • Michel Péclard: Der Gastro-Unternehmer nahm psychologische Hilfe in Anspruch und empfiehlt das jedem.
  • Tamy Glauser: Die Nationalrats-Kandidatin erlebte durch ihre Ex-Freundin häusliche Gewalt und verarbeitete dieses traumatische Erlebnis mit Hilfe einer Therapie.
  • Tanja Gutmann: Die Ex-Miss-Schweiz nahm nach ihrer Hirntumoroperation eine Psychotherapie in Anspruch.
  • Christina Surer: Die Rennfahrerin nahm Hilfe in Anspruch nach einem Flugzeugunfall.

Die Initiative von Prinz William

Einen wichtigen Beitrag, offen und öffentlich über die eigenen Abgründe zu sprechen, machten Prinz William, Gattin Kate und sein Bruder Harry. Sie gründeten die Stiftung «Heads Together», die sich für Menschen mit psychischen Problemen einsetzt.

Die Zunahme von Depressionen: Eine gesellschaftliche Herausforderung

Laut dem Bundesamt für Statistik haben 9 Prozent der Schweizer mit einer Depression zu kämpfen. Besonders häufig betroffen sind Frauen zwischen 15 und 24 Jahren, rund 14 Prozent von ihnen leiden an Depressionen, bei den Männern unter 25 Jahren sind es rund 12 Prozent.

Niklas Baer, Leiter der Fachstelle für Psychiatrische Rehabilitation an der Psychiatrie Baselland, sagt, es sei gut, dass Prominente zu ihrer Depression stünden. Das könne anderen dazu verhelfen, es ihnen gleichzutun. Das sei wichtig, denn: «Psychische Probleme gehören zum Leben und darüber sprechen hilft.»

tags: #berühmte #persönlichkeiten #depressionen