Einrichtungen für Menschen mit geistiger und psychischer Behinderung: Eine Übersicht

Allgemein sind Menschen mit Beeinträchtigungen - sei dies körperlicher, geistiger, psychischer Natur, aufgrund einer Suchterkrankung oder fortgeschrittenem Alters - in ihrem Alltag vielfach auf zusätzliche Hilfe angewiesen. Im Zentrum der Hilfs- und Unterstützungsleistungen steht oft die persönliche Wohnsituation.

Vielfalt der Wohnformen in der Schweiz

Die Vielfältigkeit der Wohnformen mit Unterstützungsleistungen in der Schweiz widerspiegelt den unterschiedlichen Bedarf der Betroffenen hinsichtlich der Intensität der Betreuungsmassnahmen sowie der geeigneten Wohnform. Ob Wohnangebote für alt oder jung oder für Menschen mit physischen, psychischen oder geistigen Beeinträchtigungen, die Wohnmöglichkeiten in der Schweiz sind innovativ, divers und entwickeln sich fortlaufend weiter.

Das Wohnangebot für Menschen mit Beeinträchtigungen, die in ihrem Wohnalltag auf Unterstützung angewiesen sind, hat sich in den letzten Jahren in der Schweiz stark weiterentwickelt. Die Angebote wurden flexibler, vielfältiger und bedürfnisorientierter. Obwohl klassische Heimstrukturen wichtig bleiben, lässt sich eine Tendenz hin zu mehr dezentralen Wohnformen feststellen.

Dieser Trend deckt sich auch mit dem Übereinkommen der UNO über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN BRK), das 2014 von der Schweiz ratifiziert wurde. Der Grundgedanke dahinter ist die Inklusionsförderung: Menschen mit Beeinträchtigungen sollen nicht am Rande, sondern gleichberechtigt in der Mitte der Gesellschaft ihren Platz finden und im gleichen Umfang am sozialen Leben teilhaben können.

Dezentrale Wohnformen

Beim dezentralen Wohnen leben Betroffene vermehrt in Wohnstrukturen, die dem privaten Wohnen ähnlich sind, sich aber meist dahingehend unterscheiden, dass sie für Menschen ausgerichtet sind, die auf regelmässige Alltagshilfen angewiesen sind. Die Betroffenen leben bei dezentralen Wohnformen als Einzelperson oder Wohngemeinschaften in bereitgestellten Wohnungen sozialer Institutionen; können aber auch eigenständig oder in Gruppen Mietobjekte des freien Wohnungsmarkts beziehen. Für Menschen mit physischen Einschränkungen wird ein Hauptaugenmerk auf barrierefreie Wohnstrukturen gelegt.

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Die Betreuung und Begleitung erfolgt durch professionelles Fachpersonen meist ambulant vor Ort. Die Intensität und Form der Unterstützung wird jeweils individuell den Bedürfnissen der betreuten Person angepasst. Der Grad der Betreuung orientiert sich ganz nach dem Motto: «so viel wie nötig, so wenig wie möglich». Die Eigenverantwortung und Selbstständigkeit soll in allen Lebensbereichen ressourcenorientiert bewahrt und gefördert werden, um den Betroffenen ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Stationäre Wohnangebote

Je nach Betreuungsbedarf, bleiben stationäre Wohnangebote wichtig. Diese Wohnform nehmen Menschen in Anspruch, die dem höchsten Grad an Betreuung bedürfen. Neben einer Tagesbetreuung stellt zusätzlich ein Nachtdienst eine Versorgung rund um die Uhr sicher. Das Wohnen erfolgt in einem stationären Rahmen.

Intermediäre Wohnformen

Hier leben Menschen in zunehmend kleineren Kollektivhaushalten in vermehrt dezentralen Wohnformen. Dies können beispielsweise Aussenwohngruppen oder Übergangswohnungen sein. Zudem möglich sind Einzelwohnungen, die von einer Institution zur Verfügung gestellt werden. Der Bedarf an benötigten Hilfeleistungen ist niedriger und eine erhöhte Selbstständigkeit wird vorausgesetzt. Zudem haben die Betroffenen die Möglichkeit, den Grad der Betreuungs- und Begleitleistungen mitzubestimmen.

Private Wohnformen mit Begleitung

Eine Person mit Beeinträchtigungen kann im eigenen Wohnumfeld eine Assistenzperson privat bei sich beschäftigen. Die Kosten für das Wohnen mit Assistenz werden mit Beiträgen von der Invalidenversicherung unterstützt. Zu dieser Wohnform gehört andererseits auch die Möglichkeit, Hilflosenentschädigung in Anspruch zu nehmen. Eine ausgebildete Fachkraft unterstützt hierbei die betreute Person bei alltäglichen hauswirtschaftlichen Pflichten sowie ambulanten Pflegeleistungen (Spitex).

Unter privaten Wohnformen mit Begleitung wird gemäss Art. 74 IVG in erster Linie eine Unterstützung in Form von Beratungs-Dienstleistungen verstanden. Unter dieser Wohnform werden aber auch zum Gesetzesartikel abweichende Angebote zusammengefasst, wie beispielsweise das Wohncoaching. Ausgeschlossen hierbei sind Dienstleistungen im Bereich Hauswirtschaft und Pflege. Begleitetes Wohnen ist grundsätzlich auch in einem institutionellen Rahmen möglich.

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*Die allgemeine Verwendung der Begriffe «Wohnen mit Betreuung/betreutes Wohnen» sowie «Wohnen mit Begleitung/Wohnbegleitung» werden im Bereich der Wohnhilfe in der Praxis oftmals nicht klar unterschieden oder synonym bis widersprüchlich verwendet.

Wohnformen für Kinder und Jugendliche

Die Unterbringung und sozialpädagogische Betreuung von Kindern und Jugendlichen in einem institutionellen Rahmen ist eine besondere Herausforderung und bedingt von allen beteiligten Stellen viel Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl. Minderjährige können aus unterschiedlichsten Gründen auf ausserfamiliäres Wohnen angewiesen sein. Während früher meist Waisenkinder die Plätze der sozialpädagogischen Wohneinrichtungen bezogen, ist dies heutzutage eher ein Ausnahmefall.

Die Dauer der institutionellen Fremdbetreuung variiert stark. Sie reicht von einem kurzen Aufenthalt von wenigen Tagen oder Wochen bis hin zu einem langfristigen Verbleib von mehreren Jahren. Obschon Minderjährige aus verschiedensten Gründen vorübergehend oder gänzlich nicht mehr in ihrem familiären und häuslichen Umfeld wohnen können, bleibt die Familie der wichtigste soziale Bezugsrahmen.

Menschen im Jugendalter und junge Erwachsene können auch in dezentralen Wohnformen mit erhöhter Selbständigkeit leben, die sie auf ein eigenständiges und selbsbestimmtes Leben sowie den Start ins Berufsleben vorbereiten sollen. Nach dem Verlassen des institutionellen Rahmens kann oftmals eine Nachbetreuung veranlasst werden. So soll durch regelmässige, ambulante sozialpädagogische Begleitung sichergestellt werden, dass der finale Übergang des Jugendlichen in die vollumfängliche Eigenständigkeit gelingt.

Wohnform-Typen nach CURAVIVA

CURAVIVA hat fünf Wohnformen im Sozialraum identifiziert:

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  • Klassisch häusliche Wohnformen: Wohnungen, Häuser (inkl. Spitex und andere Dienste zur Unterstützung zu Hause). Ziel: Erhaltung und Förderung der Selbstständigkeit des Patienten zu Hause.
  • Gemeinschaftliches Wohnen: Wohnungen oder Zimmer in Mehrgenerationen-Projekten, Gemeinschaftshäusern oder -wohnungen oder Wohngruppen. Ziel: Leben in einer sozialen Gemeinschaft mit unterstützenden Dienstleistungen.
  • Wohnen mit Dienstleistungen / Unterstützung: Wohnungen mit verschiedenen Leistungspaketen (Grund- und Zusatzleistungen), Wohnungen mit Kontaktperson, Wohnungen mit Anbindung an eine Einrichtung. Ziel: Zugang zu Hilfsleistungen.
  • Wohngruppe mit Pflege und Betreuung: Zimmer (in Häusern, Grosssiedlungen, Wohnanlagen, generationenübergreifenden Projekten). Die Wohngruppen können eine Mischform (z. B. Demenz und Behinderung) oder ein spezifisches Angebot (Alter, Behinderung, geistige Behinderung) aufweisen. Ziel: Zugang zu Pflege- und Betreuungsleistungen.
  • Klassisch stationäre Wohnformen: Pflegeheime/Institutionen für ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit geistiger Behinderung in verschiedenen Wohnformen. Ziel: Sicherstellung der Unterbringung sowie der sozialen und pflegerischen Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner.

Unterstützungsleistungen und Bedarfskategorien

In einer sogenannten «intermediären» Wohnform - zwischen den klassischen privaten Wohnformen (Haus oder Wohnung) und den klassischen stationären Wohnformen (Pflegeheim) - variiert der Bedarf an spezifischen Pflege- und Betreuungsleistungen. Das Modell Mahrer Imhof 2018 ermöglicht es, den Bedarf an einem Angebot mit einer Kategorisierung (D / C / B / A) zu differenzieren. Die Kategorien reichen vom niedrigsten Leistungsbedarf (D) bis zum höchsten Leistungsbedarf (A).

Kategorien nach Mahrer Imhof 2018:

  • D: Die Wohnung bietet einen geschützten Rahmen, um den Bedürfnissen von Senioren nur in Bezug auf die Versicherung gerecht zu werden. Betroffene Wohnformen: Gemeinschaftliches Wohnen, Wohnen mit Dienstleistungen / Unterstützung.
  • C: Die Wohnung bietet einen geschützten Rahmen, um den Bedürfnissen von Senioren nach Betreuung und Pflege sowie nach Sicherheit durch eine externe Fachkraft gerecht zu werden. Betroffene Wohnformen: Gemeinschaftliches Wohnen, Wohnen mit Dienstleistungen / Unterstützung.
  • B: Die Wohnung bietet einen geschützten Rahmen, um den Bedürfnissen von Senioren nach Betreuung und Pflege sowie nach Sicherheit durch eine professionelle Hausbetreuung rund um die Uhr gerecht zu werden. Betroffene Wohnformen: Betreutes Wohnen, dezentrale Wohneinheiten.
  • A: Die Wohnung bietet einen geschützten Rahmen wie in Kategorie B und umfasst eine spezialisierte Pflege in Verbindung mit palliativen Situationen und Demenz. Betroffene Wohnformen: Wohnen mit Dienstleistungen / Unterstützung, Wohngruppe mit Pflege und Betreuung.

CURAVIVA fördert die Entwicklung von ergänzenden Angeboten für Pflegeheime, die darauf ausgerichtet sind, Pflegebedürfnisse im Umfang von 30 bis 60 Minuten pro Tag zu decken (Stufen C & B nach dem Modell Imhof und Mahrer Imhof 2018).

Herausforderungen und Perspektiven

Die Menschen wollen auch im hohen Alter ein möglichst selbstbestimmtes Leben in einem wohnungsähnlichen Umfeld führen und weiterhin am sozialen Leben teilhaben können.

Am Anfang ist es ganz normal, dass nicht alles problemlos läuft. Mit diesem Bewusstsein kann es für Angehörige leichter sein loszulassen und die Erfahrungen passieren zu lassen. Es empfiehlt sich, von Anfang an einige Schwierigkeiten, die allenfalls auftreten könnten, in die Planung mit einzubeziehen. Gut ist auch, frühzeitig einen Plan B bereit zu halten, sollte sich das Leben in der privaten Wohnung als nicht umsetzbar herausstellen.

In der Schweiz leben laut Bundesamt für Statistik rund 1,7 Millionen Menschen (rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung) mit einer Beeinträchtigung. Von dieser Personengruppe sind rund 29% von einer starken Behinderung betroffen.

Inclusion Handicap vertritt die Interessen von rund 1,9 Millionen Menschen mit Behinderungen in der Schweiz. Als Fachorganisation für Menschen mit Behinderungen setzen wir uns für Selbstbestimmung und Inklusion ein. Pro Infirmis berät, begleitet und unterstützt schweizweit Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen.

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