Hochsensibilität ist keine Krankheit oder Störung, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal. Genauer gesagt handelt es sich um eine höhere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsmerkmals Sensitivität, also die Empfindsamkeit gegenüber inneren und äusseren Reizen.
Merkmale der Hochsensibilität
Konkret zeichnen sich hochsensible Menschen durch Eigenschaften folgender Art aus:
- Umweltbezogene Details werden bewusst stärker wahrgenommen, also zum Beispiel Geräusche und Lichter.
 - Sinnesreize werden intensiver verarbeitet.
 - Gefühlsreaktionen wie Trauer, Freude oder Mitgefühl sind stärker ausgeprägt.
 - Äussere Reize (z.B. die Enge in einem vollen Bus, Lichtorgel auf Partys, Geräusche im Grossraumbüro) können Hochsensible schneller überfordern.
 
Nicht jeder Sinn muss gleichermassen stark ausgeprägt sein bei Hochsensibilität! Auf Lärm beispielsweise reagieren manche Hochsensible empfindlicher als andere.
Aufgrund ihrer Überempfindlichkeit brauchen hochsensible Menschen meist mehr Rückzugsräume und -phasen, um Eindrücke verarbeiten und sich von der Vielzahl an Reizen erholen zu können.
Häufigkeit
Aktuellen Forschungen zufolge sind 20 bis 30 Prozent aller Menschen hochsensibel.
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Ursachen
Forscher vermuten, dass bei den Betroffenen eine genetische Veranlagung die reizverarbeitenden neuronalen Systeme so verändert, dass die Sensibilität erhöht ist. Darauf deuten Zwillingsstudien hin, die eine signifikante Häufung von Hochsensibilität in Familien aufzeigten.
Ausserdem könnten Hirnstrukturen und Nervenzellverbände, die für die Dämpfung von Erregungspotenzialen im Gehirn zuständig sind, bei Hochsensiblen weniger stark ausgeprägt sein. Das könnte dazu führen, dass der Neokortex - jener Teil der Grosshirnrinde, der an der Steuerung der Aufmerksamkeit und der Sinnesverarbeitung beteiligt ist - deutlich stärker erregt wird.
Eine Rolle bei Hochsensibilität scheint auch der Thalamus zu spielen. Dieser Teil des Zwischenhirns wird "Tor zum Bewusstsein" genannt. Als Filter einlangender Informationen entscheidet er nämlich darüber, welche äusseren und inneren Reize ins Bewusstsein dringen und welche nicht. Bei Hypersensibilität könnte er deutlich mehr Informationen als relevant einstufen und ins Bewusstsein vorlassen, als das bei Menschen mit niedriger oder mittlerer Sensitivität passiert.
Einige Forscher, die sich mit dem Thema Hochsensibilität befassen, haben zudem den Hypothalamus im Blick - einen anderen Teil des Zwischenhirns, der gewissermassen als "Gefühlsregler" fungiert. Er könnte bei hochsensiblen Menschen in veränderter Weise arbeiten.
Darüber hinaus gehen Forscher davon aus, dass an der Entstehung von Hochsensibilität auch Umwelteinflüsse (auch kulturelle Einflüsse) beteiligt sind. Bislang ist aber nicht genau bekannt, welche Einflüsse die Sensitivität prägen.
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Wie wird Hochsensibilität "diagnostiziert"?
Um Hochsensibilität psychologisch zu testen, verwenden Experten meist die HSPS-G-Skala, die "Highly Sensitivity Person-Scale for German-speaking populations". Das ist eine übersetzte und modifizierte Skala der HSP-Scale von Aron und Aron (1997). Sie umfasst 26 Aussagen, mit der die Sensitivität für sensorische Verarbeitungsprozesse erfasst werden soll. Dazu kann jede Aussage auf einer Skala von 0 (= trifft gar nicht zu) bis 4 (= trifft völlig zu) bewertet werden.
Hochsensibilität: Keine Krankheit, aber eine Herausforderung
Hochsensibilität selbst ist, wie erwähnt, keine Krankheit, kann aber eine solche nach sich ziehen. So gibt es Hinweise, dass hochsensible Menschen anfälliger für Depressionen und Angststörungen sind. Ausserdem können sie aufgrund der ständigen Über-Reiztheit somatoforme Störungen entwickeln, also körperliche Beschwerden ohne organische Ursache.
Es handelt sich vielmehr um eines von vielen Persönlichkeitsmerkmalen, die Menschen aufweisen können. Dieses Merkmal zeichnet sich dadurch aus, dass bei den Betroffenen infolge neurologischer Besonderheiten viel mehr Informationen ungefiltert ins Gehirn gelangen als bei "normal" sensiblen Menschen. Hochsensiblen kann es deshalb schnell "zu viel" werden - zu viel Geräusche, zu viele Menschen, zu grelles Licht, zu kratziger Pulli, zu stark gewürztes Essen.
Weder Schwäche noch Auszeichnung: Wer inmitten "normal" sensibler Menschen selber immer wieder durch Übersensibilität auffällt, empfindet sich schnell als "anders" - und vielleicht sogar als lästiges Sensibelchen oder Sonderling. Das eigene Selbstwertgefühl kann sehr darunter leiden.
Andererseits nehmen Hochsensible oft ungewöhnlich schnell und gut Sorgen und Ängste bei Mitmenschen oder verborgene Konflikte in einer Gruppe wahr. Sie besitzen also eine ausgeprägte Empathie und ein gutes Gespür für Schwingungen und Dinge unter der Oberfläche - viel mehr als "normale" Menschen.
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Dabei darf man nicht vergessen: Hochsensibilität ist weder eine Schwäche oder ein Zeichen für mangelnde Robustheit noch eine aussergewöhnliche Begabung oder Auszeichnung, die Betroffenen einen besonderen Status zwischen all den "normalen", dickhäutigeren Menschen verleiht. Stattdessen ist sie einfach ein Persönlichkeitsmerkmal, genau gesagt eine höhere Ausprägung der allgemeinen Persönlichkeitseigenschaft Sensitivität. Und wie jede andere Ausprägung von Persönlichkeitseigenschaften kann auch die Hypersensibilität je nach Sichtweise und Situation einen Vor- oder Nachteil darstellen.
Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten Aspekte der Hochsensibilität zusammen:
| Aspekt | Beschreibung | 
|---|---|
| Definition | Höhere Ausprägung der Sensitivität gegenüber inneren und äusseren Reizen | 
| Merkmale | Stärkere Wahrnehmung, intensivere Verarbeitung, ausgeprägte Gefühlsreaktionen, schnelle Überforderung | 
| Häufigkeit | 20-30% der Bevölkerung | 
| Ursachen | Genetische Veranlagung, veränderte Hirnaktivität, Umwelteinflüsse | 
| Risiken | Anfälligkeit für Depressionen, Angststörungen, somatoforme Störungen | 
Was wird hochsensiblen Menschen geraten?
Manchmal genügen folgende Tipps, um Menschen mit Hochsensibilität den Umgang mit anderen Menschen sowie mit sich selbst zu erleichtern:
- Wenn Sie hochsensibel sind, sollten Sie die Bedingungen Ihrer Umgebung (Zuhause, Arbeitsplatz etc.) nach Möglichkeit optimieren, damit weniger Reize auf Sie "einprasseln". Ungünstig können etwa psychedelische Bilder an den Wänden, das gleichzeitige Laufen von Radio und TV, der Duft von Räucherstäbchen und die Geräuschkulisse im Grossraumbüro sein.
 - Sorgen Sie für Rückzugs- und Ruhephasen, um Eindrücke verarbeiten und sich von der Vielzahl an Reizen erholen zu können. Beispielsweise können Sie sich dafür zuhause und vielleicht auch an Ihrem Arbeitsplatz einen ruhigen Raum oder eine ruhige Ecke suchen, wo Sie der Reizüberflutung vorübergehend entfliehen können.
 - Zum Thema Rückzug und Ruhe gehört auch: Packen Sie nicht zu viele Aufgaben und Termine in Ihren Tagesablauf. Sagen Sie gegebenenfalls auch mal "Nein" - etwa zur Übernahme eines zusätzlichen Arbeitsprojekts, zu einer Party mit 50 Leuten oder einer Shoppingtour am letzten Samstag vor Weihnachten.
 - Regelmässiger Rückzug ist essenziell bei Hochsensibilität, sollte aber nicht in Isolation und Einsamkeit münden. Sagen Sie zum Beispiel nicht jeden Kneipenabend mit Freunden ab, sondern geniessen Sie die Geselligkeit zumindest für eine oder zwei Stunden.
 - Wenn Sie etwas sehr stört oder "überwältigt", dann stehen Sie dazu. Sprechen Sie es offen an.
 - Arbeiten Sie daran, Kritik nicht zu persönlich zu nehmen.
 - Ihre ausgeprägte Empathie kann dann fatal sein, wenn Sie in den Gefühlen und Stimmungen Ihres Umfelds "versinken". Zu viel Mitgefühl ("Mitleiden") mit anderen hilft weder den Betreffenden noch Ihnen selbst. Achten Sie lieber auf eine gesunde emotionale Distanz. Mit der bewahrten emotionalen Kraft können Sie anderen dann eine hilfreiche Hand reichen.
 - Bauen Sie Stress gezielt ab, zum Beispiel mit Bewegung, Sport oder Entspannungsverfahren (wie Yoga, Autogenem Training, Progressiver Muskelentspannung).
 
Als Eltern eines hochsensiblen Kindes sollten Sie sich bei Bedarf professionellen Rat holen, zum Beispiel bei einem Erziehungsberater. Er kann Ihnen mehr über die Hintergründe und Auswirkungen von Hochsensibilität erzählen und Tipps für den Umgang mit Ihrem Kind geben.
Es kann etwa hilfreich sein, zu wissen, dass hochsensible Kinder unter negativen Umweltbedingungen stärker leiden als andere Sprösslinge - zum Beispiel unter Streitigkeiten in der Familie oder Hintergrundgeräuschen während der Hausaufgaben. Andererseits sind hochsensible Kinder auch für positive Reize besonders empfänglich, etwa kleine Geschenke oder liebevolle Umarmungen.
Begleiten psychische oder somatoforme Störungen die Hochsensibilität, kann eine Therapie bei einem Psychotherapeuten oder Psychiater notwendig sein!
Hochsensibilität und Trauma
In Alltagssituationen kann das Verhalten einer hochsensiblen Person sehr ähnlich eines Menschen sein, der infolge einer traumatischen Erfahrung eine Hypervigilanz erworben hat. Wegen der vielen Reize, welche aufgenommen und sehr differenziert verarbeitet werden, sind hochsensible Menschen oft dauerhaft an oder über der Grenze zur emotionalen Überforderung und Stress, was zu einer traumatischen Erfahrungen werden kann. So können Hochsensible zusätzlich eine Hypervigilanz entwickeln, was die Grenze unklarer werden lässt.
Sowohl bei Personen mit Hochsensibilität, wie auch mit einer Hypervigilanz, ist durch eine höhere Empfindlichkeit auf äussere Einflüsse die Schwelle der Überreizung früher erreicht als bei anderen Menschen. Hochsensible, die keine zusätzliche Traumatisierung erfahren haben, treten in vielerlei Hinsicht anders in Erscheinung als traumatisierte Individuen.
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