Gedichte über Depressionen: Themen und Verarbeitung

Depression ist längst zu einer Volkskrankheit geworden. Da die Störung auch noch heutzutage oft nicht erkannt wird oder Unklarheit zum therapeutischen Vorgehen herrscht, bleibt sie immer noch häufig unbehandelt. Doch Lyrik kann das, weil sie nicht über den Verstand funktioniert - die scheinbar unlogischen Zusammenstellungen von Worten enthalten eine in sich völlig logische Ordnung, die Heilung zum Ziel hat.

Verlust und Trauer in der Lyrik

Einen geliebten Menschen durch Suizid zu verlieren, ist eine schreckliche Erfahrung, die Angehörige nach dem Schock in tiefste Verzweiflung stürzt und zu Schuldgefühlen und Isolation führt. Für Menschen, die einen Verlust erleben, steht die Welt still. Nichts ist mehr so, wie es vorher war, alles steht Kopf, während draussen das normale Leben weiterwimmelt, so als wäre nichts gewesen. Selbsttötung löst einen langen und komplizierten Trauerprozess voller Zweifel und Fragen aus, auf die es keine Antwort gibt.

Die Beiträge in diesem Buch verfasst von Betroffenen, um das Unfassbare in Worte zu fassen geben dem tabuisierten Thema eine konkrete, lebensnahe Sprache. Wenn sich Kinder und Jugendliche im eigenen Leben mit Tod und Verlust aueinandersetzen müssen, werden unterschiedliche Gefühle ausgelöst. Das Trauerlans-Spiel möchte Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen im Rahmen von Einzel- und Gruppenangeboten helfen, einen altersgemässen Zugang zum Thema Tod und Trauer zu finden.

Das Wimmelbuch vom Abschiednehmen thematisiert die Gleichzeitigkeit von Leben und Leid und begleitet ganz unterschiedliche Menschen, die einen Abschied verkraften müssen, über ein Jahr hinweg: In den sechs grossformatigen Wimmelbildern durchleben sie inmitten des wuseligen Alltags Phasen und Rituale der Trauer, erfahren dabei auch immer wieder schöne Begegnungen mit ihren Mitmenschen und Momente von Freude, Hoffnung und Trost.

Die Rolle der Poesie in der Schattenarbeit

In diesem Artikel geht es um poetische Schattenarbeit, eine Art und Weise, poetische Texte zu verfassen, die für den Schreibenden heilende Wirkung haben kann. Ulrike Melzer stellt vor, wie das praktisch funktioniert, und bespricht, nach einem kleinen Ausflug zu Carl Gustav Jung, verschiedene PoetInnen, die auf diese Art geschrieben haben (Rumi, Rilke, Plath, Dickinson). Die Begriffe „Wunde“ und „Licht“ werden verstanden, weil sie mit uralten Bildern arbeiten, die direkt aus dem kollektiven Unterbewusstsein der Menschen stammen.

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Doch so richtig verstanden, was es bedeutet dieses Licht wirklich zu erleben, habe ich erst, als ich anfing selbst zu schreiben. Denn die Wunde, der Ort, an dem die Heilung passiert, erreichen wir beim Schreiben von Lyrik oft ganz unabsichtlich. Nicht das Vermeiden, nicht das Unterdrücken der dunklen Gefühle heilt, sondern das Durchfühlen. Wenn statt eines Verlustgefühls Gelassenheit, Ruhe und Liebe bleiben - dann fühlen wir uns geheilt.

Die Heilkraft der Lyrik

Die emotionalen Prozesse beim Verfassen eines Gedichtes bringen diese verdrängten Emotionen an die Oberfläche, um in unser Bewusstsein zu gelangen und integriert zu werden. Seitdem mir das bewusst ist, nutze ich Gedichte um mich zu heilen und erlebe, wie sie heilend auf andere wirken.

Wie eine poetische Formel beschreibt dieses Mantra die Heilkraft der Lyrik: Da wo deine größte Wunde ist, der Bereich, der dir am meisten Angst macht, die Anteile in dir, für die du dich schämst und bei denen du Schwäche vermutest - dort liegt deine größte Stärke.

Beispiele und Inspirationen

Wenn du die noch nicht hast - in diesem Artikel gibt es ein paar erste Inspirationen. Dann versuche im ersten Schritt, das Gefühl zu definieren, das dir am meisten Angst macht, triggert, nervt oder verletzt. Ein Gedicht arbeitet mit Bildsprache, Rhythmus, doch auch das muss nicht unbedingt sein. Es ist einfach ein kurzer Text, der Gefühle beschreibt.

Oft unterteilt in mehrere Strophen. Doch auch mit einem ganz kurzen, knackigen Text kannst du schon deinen Schatten auf die Spur kommen. Wenn du auch so einen Anteil in dir findest, gib ihm Gestalt, Form. Wo fühlst du die Wut? Und dann führe ein Zwiegespräch mit diesem Anteil. Biete der Wut eine Lösung an, frag sie, was sie dir Gutes tun möchte, warum sie da ist.

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Dichter und ihre Auseinandersetzung mit Depressionen

Rumi: Aus dem Schatten ins Licht

Er erfuhr diese heilsame Kraft der Gedichte selbst, bevor er sie mit anderen teilte. Der Tod seines Geliebten, des Derwischs Schams-i-Tabrisi, stürzte ihn in tiefen Schmerz. Die Musik, die ebendiese unbewussten Bereiche der Seele anspricht, bewahrte ihn davor sich im Schmerz zu verlieren. Er erkannte, dass der Schmerz, den er empfand, nur aus der Illusion des Getrenntseins entstanden war und es diese Trennung vom Geliebten im Inneren nicht gab.

Es ist interessant, dass Rumi ausgerechnet dann seine Stimme als Dichter fand, als er sich in einer Lebenssituation befand, die Menschen als Endpunkt ihrer Schöpferkraft erleben: Wenn wir von Katastrophen, Krankheiten, dem Tod eines geliebten Menschen daran erinnert werden, dass wir nicht alles kontrollieren können.

Seine Gedichte haben bis heute Relevanz, der Weg aus seinem persönlichen Schmerz führte ihn zur Musik und die Musik zu einem ekstatischen Reigentanz, der ihn mit Gott verband: Eine Hand in den Himmel, eine andere zur Erde gerichtet, um die eigene Achse drehend, wie sich Planeten und Sterne drehen: Von Gott nehmen, der Erde geben, das Ego aufgelöst in Trance.

Carl Gustav Jung: Schattenarbeit

Der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung (1875-1961) ging eher wie ein Schamane vor als ein Psychoanalytiker und brachte die Wichtigkeit der Seele in eine vollkommen rational orientierte Welt. Mit „Schatten“ bezeichnete er alles, was im Dunkel liegt und trotzdem da ist: Unterdrückte Gefühle, Eigenschaften, kurz gesagt alles, was das eigene Selbstbild stört und deshalb versteckt wird. Schattenarbeit richtet das Licht auf diese Schatten, versucht die Angst und Scham zu vertreiben.

Sylvia Plath: Ein Leben im Schatten

Sylvia Plath schuf mit ihren Gedichten ein paralleles Universum, eine eigenständige Welt, in der sie eine laute, klare Stimme hatte. In ihrem persönlichen Leben war sie Überlebende von narzisstischem Missbrauch: Zuerst im Elternhaus, dann in ihrer Ehe.

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Ernst Jandl: Dichten als Leben

Niemand war in seinem Zorn witziger als der im Jahr 2000 verstorbene Ernst Jandl. In seinen Gedichten ging der Wiener Dichter der Sprache, dem engstirnigen Denken und der eigenen Not an den Kragen. Seine seelischen Abgründe verwandelte er in grandiose Dichtung. In einem Epigramm fordert er Humor mit finster rollendem R hintendran, knatternd wie ein Maschinengewehr.

Für Jandl, der bis zu seinem Lebensende von Depressionen und Schreibkrisen geplagt war, war das am Ende eine Zumutung. Schreibend hat er den Kampf mit den Autoritäten aufgenommen, die lange Schatten auf seine Biografie warfen: Formen des Militarismus, kirchlicher Dogmatismus, überkommene Familienbilder.

Weitere Werke und Perspektiven

Gomringers Zyklus umfasst 25 Gedichte, die je ein Krankheitsbild variieren. In der Summe ist dies weniger düster als man denken könnte. Die Variationsbreite dieser Dichterin ist eindrücklich und bietet manche Überraschung. Der Zyklus «Morbus» ist wie eine Reise in 25 Krankheiten um die Welt. Mal beschwerlicher, mal gedankenschwer, mal luftiger. Aber immer auf der Höhe der Zeit.

Autor/in Werk/Thema Beschreibung
Bronnie Ware Sterbebegleitung Begleitete Sterbende und hörte ihnen zu, was am Ende des Lebens wirklich zählt.
Josef Aldenhoff Psychische Störungen Bietet Orientierung und Information zu verbreiteten psychischen Störungen.
Nora Gomringer Morbus Zyklus von 25 Gedichten, die Krankheitsbilder variieren.
Ernst Jandl Lautgedichte Verwandelt seelische Abgründe in grandiose Dichtung.

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