Rund um Alkohol gibt es viele Meinungen. Ist ein Glas Wein am Tag nun gesund - oder jedes Glas für uns gefährlich? Es kommt darauf an, was man unter gefährlich versteht. Gefährlich wird es spätestens dann, wenn der Konsum zu körperlichen, psychischen oder sozialen Problemen führt. Allerdings werden diese - mit Ausnahme der akuten Schäden bei einer Alkoholvergiftung - erst nach einer längeren Zeit des Konsums sichtbar. Das macht es für die Betroffenen schwierig, die Zusammenhänge zu erkennen - und zu reagieren.
Man sollte sich aber immer bewusst sein, dass Alkohol ein Zellgift ist und nahezu jede Zelle im Organismus schädigt. Bislang wird zwischen risikoarmem und risikoreichem Konsum unterschieden. Wie verlaufen hier die Grenzen? Als risikoarm für gesunde erwachsene Männer gelten höchstens zwei Standardgetränke Alkohol pro Tag, wobei ein Standardgetränk zehn Gramm reinem Alkohol entspricht. Und dies an maximal fünf Tagen die Woche. Und wenn ein Mann einmal mehr trinkt, dann höchstens fünf Standardgetränke. Für gesunde erwachsene Frauen gilt das gleiche, aber nur ein Standardgetränk pro Tag und maximal vier, wenn es ausnahmsweise einmal mehr sein sollte.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht in ihren aktuellsten Empfehlungen noch einen Schritt weiter und hält fest, dass es keinen gesundheitlich unbedenklichen Alkoholkonsum gibt. Dies mag zunächst irritieren, zumal es ja auch Studien gibt, in denen es heisst, dass kleinere Mengen an Alkohol sogar gesund wären und etwa zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos oder der Entstehung von Diabetes beitragen könnten. Solche Ergebnisse werden zwischenzeitlich jedoch zunehmend kritisch gesehen.
Alkohol als Krebsrisiko
Wie stark krebserregend ist Alkohol? Alkohol wird heute mit mindestens sieben Krebsarten in Verbindung gebracht, etwa mit Krebserkrankungen des Verdauungstraktes, der Harnblase oder Brustkrebs bei Frauen. Gemäss neusten Untersuchungen und gemäss der WHO wird die Hälfte der dem Alkohol zurechenbaren Krebsfälle in der Europäischen Region durch «leichten bis «moderaten» Alkoholkonsum - das heisst weniger als 1,5 Liter Wein oder weniger als 3,5 Liter Bier sowie weniger als 450 Milliliter Spirituosen pro Woche - verursacht. Dieses Trinkverhalten ist für einen Grossteil aller alkoholbedingten Fälle von Brustkrebs bei Frauen verantwortlich. Die höchste Prävalenz sehen wir hier in den Ländern der Europäischen Union. In den EU-Staaten ist Krebs die führende Todesursache mit einer ständig steigenden Inzidenzrate.
Heute muss sich jede und jeder bewusst sein, dass es keine sogenannt sichere Alkoholmenge gibt. Man kann lediglich sagen: Je mehr jemand trinkt, desto schädlicher ist der Konsum. Der Alkoholkonsum ist in unserer westlichen Welt jedoch tief verwurzelt. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Alkohol in unserer Gesellschaft irgendwann keine Rolle mehr spielen wird.
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Ursachen und Risikogruppen der Alkoholsucht
Gibt es auch Menschen, die auf Grund ihrer Geschichte und ihrer Genetik einfach in eine Alkoholabhängigkeit geraten müssen? Nein, das verneine ich klar. Es wird aber immer vulnerable Gruppen geben, welche ein erhöhtes Risiko für schädlichen und abhängigen Konsum haben werden, sei es Alkohol oder seien es andere Drogen. Und es sind genau jene vulnerablen Gruppen, um die wir uns weiterhin und vermehrt kümmern müssen. Viele unserer Patientinnen und Patienten, die ich zu diesen vulnerablen Gruppen zähle, bringen sehr traurige und schwere Lebensgeschichten oder komorbide psychische Erkrankungen mit.
Gesundheitliche Folgen von Alkoholkonsum
Alkohol ist nicht nur kanzerogen, sondern versursacht auch andere Schäden. Welche? Es wird unterschieden zwischen akuten sowie den Langzeit- oder Spätfolgen. Zu den Akutfolgen zählen Stürze, Knochenbrüche, Schädel-Hirn-Traumen, Bewusstseinstrübung mit der Gefahr von Aspiration Beeinträchtigungen im Strassenverkehr mit Eigen- und Fremdgefährdung, Zunahme von impulsivem Verhalten und vieles mehr. Auch häusliche Gewalt passiert oft unter Alkoholeinfluss.
Zu den Spätfolgen zählen körperliche Beeinträchtigungen wie zum Beispiel Leberschäden, kognitiven Funktionen (demenzielle Entwicklung), Blutbildveränderungen, Krebserkrankungen und psychische Erkrankungen, etwa Depressionen oder Suizidalität. Alkoholkonsum führt bei steigenden Promillewerten zu einer Enthemmung und damit zu einer Abnahme der Impulskontrolle sowie der Frustrations- und Stresstoleranz. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung haben Menschen mit einem schädlichen/abhängigen Alkoholkonsum ein fünf- bis zehnfach erhöhtes Risiko, an Suizid zu versterben. Alkoholkonsum kann aber auch zu einer Zunahme von fremdaggressivem Verhalten führen. Zudem fühlt sich ein Grossteil der Bevölkerung im öffentlichen Raum durch alkoholisierte Fremde belästigt oder hat Angst vor ihnen.
Faktoren, die das Risiko einer Alkoholsucht beeinflussen
Kann eine Alkoholsucht jede und jeden treffen? Prinzipiell ja, jedoch wird das Risiko für die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit massgeblich durch verschiedene bio-psycho-soziale Faktoren beeinflusst. Mindestens die Hälfte des Risikos beruht auf genetischen Faktoren, wobei die einzelnen Gene bislang nicht umfassend geklärt sind. Eine wichtige, genetisch bedingte Rolle spielt die Verträglichkeit. Wer die jeweilige Substanz besser verträgt, eine bessere Wirkung davon verspürt, hat ein grösseres Risiko, von der jeweiligen Substanz abhängig zu werden.
Auswirkungen auf die psychische Gesundheit
Wie wirkt sich Alkohol auf die psychische Gesundheit aus? Alkohol ist eine sedierende und insbesondere deprimierende Substanz und beeinflusst die psychische Gesundheit in vielerlei Hinsicht. Besonders typisch ist die Entwicklung von depressiven Zuständen, aber auch von Angststörungen, Panikattacken und Schlafstörungen.
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Wann verliert man die Kontrolle über den Alkoholkonsum?
Und ab wann hat jemand den Alkohol nicht mehr im Griff? Es gibt verschiedene Screening-Instrumente, mit welchen man das Risiko des eigenen Trinkverhaltens einschätzen kann. Hellhörig sollte man werden, wenn einem das Umfeld eine hohe Trinkfestigkeit attestiert oder wenn man gesagt bekommt, dass man doch ein bisschen zu viel trinkt. Leider tut sich das Umfeld häufig schwer, offensichtliche Alkoholprobleme direkt anzusprechen.
Definitiv nicht mehr im Griff hat man den Alkoholkonsum, wenn man den Trinkbeginn und die Trinkmenge nicht mehr frei bestimmen kann (Kontrollverlust), immer grössere Mengen benötigt, um noch eine Wirkung zu verspüren (Toleranz), Entzugserscheinungen entwickelt (Entzug), trotz dem tiefen Wunsch, den Konsum zu sistieren, immer wieder einen hohen Druck verspürt, Alkohol zu konsumieren («Craving»), den Konsum trotz gravierender körperlicher, psychischer oder sozialer Schäden nicht mehr einstellen kann und der gesamte Alltag vom Konsum bestimmt wird. Das sind übrigens die Abhängigkeitskriterien.
Herausforderungen und Lösungsansätze in der Behandlung
Dass wir noch keine Medikamente haben, die «Craving» noch effektiver als bisher reduzieren beziehungsweise den Kontrollverlust reduzieren können, macht Sorgen. Mehr als 20 Prozent der über 15-Jährigen in der Schweizer Bevölkerung haben einen risikoreichen Alkoholkonsum. Und die Gesamtzahl der alkoholabhängigen Personen wird auf 250 000 geschätzt. Bei rund einem Fünftel aller Menschen schliesslich, die 2022 in einer psychiatrischen Klinik behandelt wurden, war problematischer Substanzkonsum das Hauptproblem.
Grosse Sorgen bereiten die Patientinnen und Patienten mit schwerster Alkoholabhängigkeit und bereits eingetretenen schweren körperlichen Folgeschäden. Besonders beelendend ist es, wenn es sich dabei um junge Erwachsene handelt. Sie haben schon einen langen und schweren Leidensweg hinter sich - und auf Grund der Schwere ihrer körperlichen Erkrankungen eine bereits deutlich reduzierte Lebenserwartung vor sich. Grosse Sorgen machen auch die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, welche exzessiv Alkohol konsumieren, oft auch in Kombination mit anderen Substanzen. Sie sind sich der Gefahren häufig gar nicht bewusst. Dieser Mischkonsum ist brandgefährlich! Immer wieder berichten Patientinnen und Patienten, dass «erst kürzlich jemand aus dem Bekanntenkreis an einer Überdosis verstorben sei».
Was bräuchte es ganz dringend? Einen ganzen Fächer: Innovative Medikamente, die Verlangen und Kontrollverlust noch besser reduzieren, mehr ambulante Behandlungsplätze sowie weitere Massnahmen, um Problembewusstsein und Behandlungsbereitschaft in der Allgemeinbevölkerung zu stärken und die Stigmatisierung von Abhängigkeitserkrankungen zu reduzieren.
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Besonders traurig und besorgniserregend ist, dass viele der betroffenen jungen Menschen bereits schwer abhängig und vor allem auch psychisch und sozial sehr desintegriert wirken. Zudem birgt der chronisch risikoreiche Konsum ein erhebliches Risiko für die Entwicklung einer späteren Abhängigkeit. Die Zukunft für diese jungen Menschen ist also schwer. Das macht grosse Sorgen.
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