Die eigene Realität in der Psychologie: Eine Definition

Haben Sie gewusst, dass der Mensch die Realität gar nicht erfassen kann? Unsere Sinne wären überfordert. Deshalb nehmen wir oft Abkürzungen.

Sinnestäuschungen und Fehlwahrnehmungen

Von derartigen Phänomenen sind all unsere Sinne betroffen. Hält man beispielsweise eine grosse Muschel ans Ohr, glaubt man, eine Meeresbrandung zu hören. Dabei nimmt man bloss das Rauschen des eigenen Blutes wahr. Oder wenn einem beim Essen ein winziges Stück Zahn abbricht, ertastet die Zunge ein riesiges Loch - als ob der halbe Zahn weggebrochen wäre.

«Bei all diesen Fehlwahrnehmungen interpretieren wir die Reize, die wir mit unseren Sinnen aufnehmen, schlicht falsch», erklärt Georg Felser. Er ist Professor für Wirtschaftspsychologie der Hochschule Harz in Wernigerode (D) und Spezialist für Werbe- und Konsumpsychologie. Es komme deshalb immer wieder zu trügerischen Farb- und Formeindrücken, zu Fehlschlüssen bei Grössenverhältnissen oder verwirrenden räumlichen Zuordnungen.

So stimmt die Aussage «Schwarz macht schlank» nur deshalb, weil Schwarz Licht weniger reflektiert als helle Farben. Bereits der griechische Philosoph Aristoteles hat sich mit der Wahrnehmung beschäftigt und hat beschrieben, wie einen der Tastsinn täuschen kann: Tippt man sich mit überkreuzten Fingern an die Nasenspitze, fühlt man zwei Nasen - dies, weil bei den überkreuzten Fingern die einander abgewandten Seiten plötzlich nebeneinander liegen.

Die Haut lässt sich auch, was Temperaturen anbelangt, gern täuschen. Geradezu prädestiniert für Fehlwahrnehmungen ist das Gehör. Denn Lebewesen «besitzen» keine Geräusche. Ein Beispiel für Hörtäuschung ist der sogenannte McGurk-Effekt: Zeigt man Menschen ein Video mit einer Person, die ursprünglich die Laute «ga ga» ausspricht, und ersetzt diese auf der Tonspur durch die Laute «ba ba», geben Versuchspersonen an, die Laute «da da» zu hören.

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Manche Menschen nehmen üble Gerüche wahr, die gar nicht existieren, sogenannte Phantomgerüche. Oder aber Düfte lösen Rückschlüsse aus, die nicht stimmen müssen: Den Geruch eines frisch gebohnerten Parkettbodens etwa assoziiert das Hirn - aufgrund zahlreicher Erfahrungen - zwingend mit Sauberkeit, auch wenn dem nicht so ist.

Unsere Sinne beeinflussen sich auch gegenseitig. So spielt der Geruch beim Essen eine zentrale Rolle. «Selbst die Umgebung beeinflusst die Wahrnehmung. Wenn man in den Ferien einen wunderbaren Wein trinkt und davon ein paar Flaschen nach Hause nimmt, stellt man meist fest, dass der Wein nicht mehr gleich gut schmeckt», sagt Georg Felser.

Subjektivität der Wahrnehmung

Es gibt nicht "die" Realität. Jeder hat seine eigene Realität. Das macht die Führungsarbeit so anspruchsvoll. Raphael Ledergerber, Betriebsökonom FH.

Wie kommt es, dass jeder einen anderen Blick auf die (gleichen) Dinge hat? Wie kann es sein, dass jeder in seiner eigenen Realität lebt? Das haben Sie sich bestimmt auch schon zigmal gefragt. Jeder hat seine eigene Sicht, weil jeder es mit seinen Augen sieht, wie man sagt. Unser Gehirn interpretiert alles, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, also sehen, hören, tasten, riechen oder schmecken können.

Tun wir nichts gezielt dagegen, sind wir in unserer Realität gefangen. Sie ist dann eben, wie sie ist. Das heisst, wir machen uns unsere Gedanken, die sich immer in etwa gleichen, treffen immer wieder ähnliche Entscheidungen, verhalten uns entsprechend gleich, sehen immer wieder gleiche Ergebnisse, haben die gleiche Wahrnehmung - unsere eigene Realität, die immer gleiche Realität.

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Dann schliesst sich der Kreis: Die immer gleiche Realität beeinflusst uns so, dass wir auch die immer gleichen Gedanken haben werden. Fragen Sie sich, wie man seine immer gleiche Realität verändern kann. Was alles möglich ist, sehe ich in meinen Führungscoachings tagtäglich. Alles beginnt wiederum bei Ihren Gedanken. Sie müssen die bisherigen, immer gleichen Gedanken beiseitelassen.

Die neue Realität beeinflusst Ihre Gedanken, sodass Sie immer noch mehr neue Gedanken haben werden, daraus neue Entscheidungen, neues Verhalten, neue Erlebnisse und eine neue Wahrnehmung erleben werden. Entscheidend ist, dass Sie sich bewusst für neue Gedanken entscheiden. Lassen Sie neue Gedanken zu. Lassen Sie alle möglichen neuen Gedanken zu. Seien es noch so verrückte oder noch nicht ganz greifbare Gedanken. In den Führungscoachings sehe ich, wie neue Gedanken ganz Neues ermöglichen. Scheinbar klare Grenzen können plötzlich verschoben werden!

Welche Realität erleben Sie? Wie verändert sich diese bei Ihnen? Wie erleben Sie dies mit Ihren Führungskräften? Was sind Ihre Herausforderungen?

Ich habe mit der Gerechtigkeit angefangen, dann bin ich von der Freiheit gekommen. Jetzt bin ich bei der Realität. Ich frage mich, ob ich mit der Realität hätte anfangen sollen. Ich weiss es nicht; was ich weiss, ist, dass sie in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren und das Ganze ist: das Dasein. Nun zurück zur (Begriff) Realität ... ganz genau! Wie oft haben wir gesagt oder wurde uns gesagt: Du bist keine realistische Person! Ja, aber was heisst das: «Du bist keine realistische Person» und vor allem - worauf haben wir uns gestützt?

Es ist also gleichgültig, welchem «Gegenstand» wir unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Aber wir fällen fast immer subjektive Urteile, selbst wenn es einen breiten Konsens in einer Gruppe oder Gesellschaft gibt, bleiben sie immer subjektiv, aber wir stützen uns auf objektive Fakten, das Begehen des Fehlers, uns in Bezug auf unsere Objektivität zu täuschen. Nimmst du diese Aussage als wahr: «Alles, was für mich wahr ist, ist auch real» oder erahnst du eine Gefahr?

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Zur Frage, was ist für dich die Realität? Man antwortet fast automatisch/offensichtlich: Alles, was ich berühre und sehe/höre, ist Realität! Ja, es stimmt; aber es ist nicht zu wenig, es scheint wie eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung, oder nicht? Kleines Beispiel: Wenn ich einen schwarzen Tisch sehe - ist es ein schwarzer Tisch für alle! Aber wenn ich einen graublauen Tisch sehe - ist es ein graublauer Tisch für alle?

Es gibt einen Satz von Nietzsche, der lautet: [...] «Es gibt keine Fakten, nur Interpretationen» [...]. Nicht alles ist, wie es scheint und nicht alles scheint, wie es ist! Was bedeutet das also für dich? - «Der Realität ins Auge sehen.» Ich glaube, wir sind uns in einem Punkt einig - es gibt einfache und komplexe Realitäten.

Wie ich schon erwähnt habe, ist/wäre der Humor die Darstellung oder Anprangerung einer Realität. Ja, aber welche Realität? Das ist die Basis guten Humors, sich vom Klischee zu inspirieren. An einem Klischee haftet immer auch ein kleines bisschen Wahrheit. Das können wir als wahr annehmen - aber was nicht bekannt ist - wie viel dieses «ein kleines bisschen» sein soll.

Die innere und äußere Wirklichkeit

Wirklichkeit - oder Realität - ist, was da ist. Dabei sind eine innere und eine äußere Wirklichkeit zu unterscheiden. Innere Wirklichkeit ist das subjektive Erleben. Dieses umfasst die Wahrnehmungen, Vorstellungen, Emotionen und Gedanken eines bewusstseinsfähigen Individuums.

Äußere Wirklichkeit ist das, was objektiv da ist, unabhängig davon, ob jemand es subjektiv erlebt. Immanuel Kant hat dies als „Ding an sich“ bezeichnet. Innere Wirklichkeit kann ein Abbild sein von äußerer Wirklichkeit. Wenn die innere Wirklichkeit für jemanden zum Problem wird, ist wichtig zu klären, wie es sich mit der äußeren Wirklichkeit verhält.

Möglichkeit 1: Die innere Wirklichkeit ist ein treffendes Abbild der äußeren Wirklichkeit. Das Problem bezieht sich auf die tatsächliche äußere Wirklichkeit. Die Lösung muss entweder auf eine Veränderung der äußeren Wirklichkeit zielen oder darauf, mit dieser äußeren Wirklichkeit zu leben.

Möglichkeit 2: Die innere Wirklichkeit ist kein treffendes Abbild der äußeren Wirklichkeit. Das Problem bezieht sich auf ein Geschehen innerhalb der Person. Die Lösung muss auf eine Veränderung dieses inneren Geschehens zielen.

Menschen, die miteinander leben, teilen oft innere Wirklichkeiten. Auch intersubjektiv geteilte innere Wirklichkeiten sind nicht immer ein treffendes Abbild äußerer Wirklichkeit.

Realness und Authentizität

Meine Definition hat nichts mit einem bestimmten Genre, einem bestimmten Kleidungsstil, einer bestimmten BPM-Zahl zu tun. Real zu sein bedeutet für mich, die Realität so authentisch wie möglich wiederzugeben. Doch was genau ist die Realität?

Im Endeffekt bestimmt das jeder für sich. Realität wird im Plural, nicht im Singular geschrieben. Don’t get me wrong: Es gibt eine einzige Wirklichkeit, in der wir alle gemeinsam leben und miteinander kommunizieren. Doch in dieser Wirklichkeit hat jeder Mensch seine eigene Realität - und die kann sich jederzeit ändern.

Authentisch zu sein, bedeutet, den eigenen Mindstate nach aussen zu kehren, das Herz auf der Zunge zu tragen. Ein Beispiel: Als ich fünf Jahre alt war, spielte sich mein ganzes Leben im Dreieck zwischen Kindergarten, Migros und meinem Zuhause ab. Das war meine ganze Welt und die Realität, in der ich mich Tag für Tag bewegte.

Zwanzig Jahre sieht meine Realität - wen wundert’s¬- anders aus. Sie ist um einiges komplexer geworden. Auch die Realität meiner Mitmenschen ist komplex, aber oft völlig anders als meine eigene: Wer eine Schreinerlehre macht, muss sich keine Sorgen machen, wie er Ende Monat die Miete bezahlen soll. Wer in einer Zahnbürsten-Fabrik arbeitet, beschäftigt sich überdurchschnittlich intensiv mit Zahnbürsten. Wer Philosophie studiert, hinterfragt die Existenz einer Zahnbürste.

Realness ist einer der inflationär benutzten Begriffe, wenn es darum geht, Musik, die einem persönlich gefällt, von «schlechter» Musik zu unterscheiden. In solchen Diskussionen ist real oftmals gleichbedeutend mit «traditionell» oder «den kulturellen Wurzeln treu» - man könnte auch sagen: konservativ.

Wenn ein Künstler wie COBEE also auf einem punkig angehauchten und atmosphärischen Newschool-Beat in einer Vortragsweise, die zwischen Rap und Gesang hin- und herpendelt, seinen Hörern mitteilt, dass er ein «Chaos in seinem Kopf» habe, wird das generell nicht als real betrachtet. Meiner Meinung nach ist das jedoch extrem real, weil COBEE mit solchen Texten und mit dieser Musik seine eigene Realität widergibt. Ein junger Mann Mitte 20 hat nunmal oft ein «Chaos in seinem Kopf». Dieses «Chaos» ist verdammt real, weil es COBEE jeden Tag verfolgt.

Sehr gut denkbar ist auch, dass COBEE in zwanzig Jahren kein «Chaos» mehr «in seinem Kopf» hat. Vielleicht packt ihn dann die Lust, Mani-Matter-Songs zu loopen und Songs über seine Kinder im Sandkasten zu schreiben. Man stelle sich den Aufschrei vor. COBEE wäre plötzlich für seine Fans nicht mehr real. Das ist so absurd wie dieser Oldschool-Realness-Begriff: Genauso wie sich für Künstler die eigene Realität ändert, ändert sich auch ihr Zugang zur Musik.

Authentisch zu sein, bedeutet, den eigenen Mindstate nach aussen zu kehren, das Herz auf der Zunge zu tragen. Radikal zu sein, bedeutet, keine vorgetretenen Pfade zu verfolgen, sondern mit jedem Song etwas Neues und Authentisches kreieren zu wollen.

Real zu sein, kann neben Veränderung natürlich auch Konstanz bedeuten. Wenn jemand sich wie beispielsweise die Fratelli B oder Brandhärd dazu entscheidet, seinen Trademark-Sound aus den jungen Jahren auch später weiterzuverfolgen und weiterzuentwickeln, ist das natürlich auch extrem real. Much love.

Die virtuelle Realität

Virtualität ist eines der zentralen Stichworte unserer Zeit. Man sagt, dass wir uns immer mehr von der Realität entfernen und dass sich das Leben nur noch im Imaginären, im Virtuellen, abspiele. Es herrscht eine eigentliche Verwirrung. Um ihr abzuhelfen, sollte man zwischen Realität und Wirklichkeit unterscheiden. Der Ausdruck Realität leitet sich von lateinisch «res» ab, bezieht sich also auf die Seinsweise der Dinge. Der Ausdruck Wirklichkeit hängt im Deutschen mit dem Verb «wirken» zusammen und wird in der Tradition des Aristoteles der Möglichkeit entgegengesetzt. Diese beiden Ausdrücke eignen sich deshalb sehr gut, um die unterschiedliche Seinsweise von Dingen und Bildern (im Sinne von «les images») festzuhalten.

Gerade dass das Wirkliche dem Möglichen entgegengesetzt ist, ist für diese Beziehung charakteristisch. Denn Seiendes von der Art von Dingen ist wesentlich durch Möglichkeit bestimmt. Fast alles, was zu einem Ding gehört, ist nicht aktualisiert, ist nicht wirklich, sondern verharrt in der Latenz und zeigt sich erst in bestimmten Interaktionen mit dem Ding. Dagegen die Bilder (im Sinne von «image»): Sie sind reine Wirklichkeit, sie enthalten weder Hintergrund noch Tiefe. Bilder sind flach, d. h. nicht nur, dass sie zweidimensional sind - auch dreidimensionale Bilder wären flach -, sondern, dass sie nur sind, was sie wirklich sind.

Aber welche Beziehung hat dann die sogenannte virtuelle Realität zur eigentlichen Realität? Wird sie nicht häufig als deren Simulation verwendet bzw. als deren Entwurf? In der Pragmatik der virtuellen Realität ergeben sich in der Tat diese Beziehungen. Sie gründen darauf, dass auch die Realität im strengen Sinne, also das dingliche Sein, Wirklichkeit hat. Die Realität erscheint uns jeweils mit einem bestimmten Gesicht. Dass die dingliche Realität im Wesentlichen ein Potenzial von Möglichkeiten ist, bedeutet auf der andern Seite, dass sie uns in einer Mannigfaltigkeit von Wirklichkeiten erscheinen kann.

Wir haben natürlich aktuell mit den Dingen jeweils im Sinne einer ihrer Wirklichkeiten zu tun, obgleich wir mit dem unbestimmten Potenzial von Möglichkeiten rechnen müssen, das sich dahinter verbirgt. Die Technik der virtuellen Realität macht hiervon Gebrauch. Sie simuliert Realität, indem sie uns ausgewählte Gesichter der Realität präsentiert. Ausgewählte, denn sie präsentiert die Realität nur entlang ausgewählter Parameter. Die Realität dagegen enthält im Prinzip unendlich viel mehr und ist deshalb immer für Überraschungen gut.

Der eigentliche Grund der praktischen Bedeutung virtueller Realität liegt also nicht in der Möglichkeit, Realität zu simulieren, sondern vielmehr darin, dass unsere Einwirkung auf die Realität technisch vermittelt ist, und zwar in einem Masse, dass wir in sie nicht mehr leiblich involviert sind. So weit gibt es keinen Unterschied zwischen dem Fliegen eines Flugzeuges und dem Arbeiten im Flugsimulator. Gleichwohl bleibt dieser Unterschied bestehen, insofern das reale Fliegen immer den Ernstfall impliziert, nämlich dass der Pilot gegebenenfalls vom Geschehen in Mitleidenschaft gezogen werden kann, d. h. wieder zum Körper unter Körpern werden kann. Solange alles gut geht, ist er auch im Realfall nichts anderes als Wahrnehmungs- und Kontrollinstanz oder, abstrakt gesprochen: Informationsempfänger, -verarbeiter und Informationssender.

Die Neufassung dessen, was man traditionell virtuelle Realität nennt, nämlich als Wirklichkeit der Bilder, zeigt, dass sowohl die kulturkritische als auch die utopistische Beurteilung der Bilderwelt ihrer Bedeutung nicht gerecht wird. Es stimmt zwar, dass wir eine Verselbständigung der Bilderwelt erleben und eine Entkoppelung von Realität und Wirklichkeit, das heisst aber nicht, dass man die Bilderwelten als Nichtrealität, als blossen Schein, als das Fiktive abqualifizieren darf. Im Zustand der technischen Zivilisation, in dem die menschliche Beziehung zur Realität weitgehend - vor allem im Bereich von Arbeit und Verkehr - durch Servomechanismen vermittelt ist, wird die menschliche Tätigkeit selbst zu einem Agieren in Bilderwelten. Die Beziehung zur Realität ist hier vermittelt, aber wird gerade als solche gewahrt.

Das charakteristischste Beispiel dafür dürfte das chirurgische Operieren am Monitor sein. Das Agieren im Raum der Bilder muss also in der technischen Zivilisation als eine genuine menschliche Lebensform angesehen werden. Das heisst nun auch, dass man das Agieren in Bildräumen, die von der Realität abgekoppelt sind, neu bewerten muss. Ich denke hier vor allem an den spielerischen Gebrauch der Bilderwelten, dem ja quantitativ sogar das grössere Gewicht zukommt. Der eher rezeptive Konsum, wie ihn Film und Fernseher ermöglichten, ist durch die Multi-User- Dungeons (MUD) zu einem interaktiven Spiel geworden. Was man traditionell eher als ein Leben in der Phantasie bezeichnet hätte, kann sich heute als ein wirkliches Leben in Bilderwelten vollziehen, im sogenannten Cyberspace.

Unsere emotionale Beteiligung an der Welt ist weitgehend bildvermittelt. Es sind die Erscheinungswesen, die uns emotional anmuten, uns schrecken oder auch mit Begeisterung erfüllen. Natürlich sind wir auch qua Realität, d. h. über unseren Körper, treffbar, doch unsere Teilnahme an der Welt, d. h. auch an der Realität, ist weitgehend durch deren Erscheinung bestimmt. Umgekehrt erfahren wir uns selbst als wirklich gerade in dem Masse, in dem wir in Erscheinung treten können. Von daher erklärt sich das ausserordentliche Bedürfnis nach einer Verbildlichung des Lebens. Das reale Leben ist zwar reicher an Möglichkeiten als die Welt der Bilder, aber es bleibt weitgehend latent, ist stets unentschieden und wesentlich unbestimmt. Bilder dagegen sind prägnant, entschieden und bleibend, und sei es durch ihre Reproduzierbarkeit.

Da ist es kein Wunder, dass viele Menschen ihr Leben erst als wirklich erfahren, wenn es photographisch festgehalten oder im Video reproduzierbar geworden ist. Schon die barocken Fürsten haben durch Spiegel und Porträtmalerei versucht, ihre Existenz zu steigern. Da ist es nur konsequent, wenn Walter Benjamin für eine durch Medien bestimmte Welt ein Menschenrecht, gefilmt zu werden, forderte.

Unser gesellschaftliches Leben spielt sich zu einem grossen Teil in der Wirklichkeit der Bilder ab. Um das angemessen zu würdigen, muss man zunächst ins Auge fassen, dass wir in einem Stadium der technischen Zivilisation leben, in dem Kommunikation bereits durch technische Medien vermittelt ist. Dass Kommunikation überhaupt medienvermittelt ist, ist nichts Neues, vielmehr bedarf natürlich schon das Sprechen der Luft, die den Schall übermittelt. Gerade dieses Beispiel zeigt auch, dass selbst die Ablösung von der Quelle quasi naturgegeben ist. Was an der Edamer Katze in «Alice in Wonderland» paradox wirkt, nämlich ein Grinsen ohne Katze, ist im Akustischen ohne weiteres möglich: Die Stimme kann noch im Raum sein, wenn der Sprecher schon schweigt.

Bei der technisch vermittelten Massenkommunikation ist dieses Phänomen zentral, nämlich dass sich der Empfänger nicht auf einen möglichen Sender, sondern auf das Bild im Medienraum bezieht. Im Fernsehen sehen wir Bilder, aber nicht in die Ferne, wie etwa mit dem Teleskop. Das bedeutet für die Politik, dass ihre Darstellung im Fernsehen unzureichend beschrieben wäre, wenn man sie als Bericht über die Politik bezeichnete, denn diese findet zu einem grossen Teil im Fernsehen selbst statt. Der Ort der politischen Öffentlichkeit ist in fortgeschrittenen Demokratien gerade das Fernsehen, so dass die Herstellung dieser Öffentlichkeit ein wesentlicher Teil der Politik ist und die Inszenierung von Politik im Fernsehen ein wichtiges Stück der Politik selbst.

Die praktische Verwendung der sogenannten virtuellen Realität im Bereich der Flugsimulation, der Chirurgie, der Visualisierung in der Sonographie und in verschiedenen Bereichen der Forschung, der Computeranimation in der Architektur stellt ja eine Technisierung der Wahrnehmung dar. In den die jeweiligen Bilder produzierenden Geräten ist eine Parametrisierung und Modellbindung des menschlichen Wahrnehmungsvorganges impliziert. Hier ist natürlich immer eine Kritik unter der Perspektive anderer Modelle und anderer Selektion von Wahrnehmungsparametern möglich und nötig. Ferner fordert die Technisierung der Wahrnehmung als ihren Gegenpol eine Theorie leiblicher Anwesenheit heraus.

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