Psychische Probleme gehören zum Leben, und darüber zu sprechen hilft. Prominente Persönlichkeiten, die offen über ihre psychischen Erkrankungen sprechen, tragen dazu bei, das Thema zu enttabuisieren und anderen Betroffenen Mut zu machen.
Depressionen im Fokus
Immer mehr Prominente machen ihre psychischen Probleme öffentlich. Die Schweizer Sängerin Tina Umbricht und Rapper Stress sprachen offen über ihre Depressionen und trugen so zur Enttabuisierung bei. Laut dem Bundesamt für Statistik haben 9 Prozent der Schweizer mit einer Depression zu kämpfen. Besonders häufig betroffen sind Frauen zwischen 15 und 24 Jahren (rund 14 Prozent) und Männer unter 25 Jahren (rund 12 Prozent).
Niklas Baer, Leiter der Fachstelle für Psychiatrische Rehabilitation an der Psychiatrie Baselland, betont die Vorbildfunktion von Prominenten, die zu ihrer Depression stehen. Es sei wichtig, dass über psychische Leiden gesprochen werde, sagt der Psychotherapeut Roland Weber. «Wir haben es mit der bald zweithäufigsten Volkskrankheit zu tun. Viele berichten von Erschöpfungssymptomen. Das ist der Spiegel unserer übertriebenen Leistungsgesellschaft.»
Ein Grund dafür, dass Depression im Gegensatz zu Persönlichkeitsstörungen enttabuisiert sei, seien die Symptome. «Bei akuter Schizophrenie hingegen verhält man sich komisch, sagt unrealistische Dinge. Das kann anderen Angst einjagen. Bei einer Persönlichkeitsstörung hat man Schwierigkeiten mit Beziehungen, was für Mitmenschen anstrengend ist», so Baer.
Die dunkle Seite des Genies: Psychische Leiden und Kreativität
Kein grosser Denker ohne einen Schuss Wahnsinn, sagte schon Aristoteles. Wer über diesen Sinnspruch nachdenkt, stösst unweigerlich auf Paradebeispiele kreativer Genies, die psychisch angeschlagen oder krank waren. Der exzentrische Vincent van Gogh, der an Depressionen und psychotischen Episoden litt. Die manisch-depressive Virginia Woolf, die Stimmen hörte. Der berühmte Mathematiker und Nobelpreisträger John Nash, der mit dreissig Jahren an Schizophrenie erkrankte und dessen Geschichte durch den Hollywoodfilm «A Beautiful Mind» einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde.
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Die Wissenschaft ist sich uneins, ob es einen Zusammenhang zwischen Kreativität und psychischen Leiden gibt. Auf der einen Seite sprechen manche Studien dafür: Zum Beispiel zeigte eine solche, dass in Familien, die in klassisch kreativen Berufen wie der darstellenden Kunst arbeiten, häufiger psychische Erkrankungen auftreten. Es gibt sogar Hinweise, dass Schizophrenie, bipolare Störungen und Kreativität zumindest zum Teil auf die gleichen Gene zurückgehen.
Manche psychischen Erkrankungen gingen mit einer veränderten Informationsverarbeitung im Gehirn einher, erklärt die Psychologin Anna Abraham von der Leeds Beckett University in England. «Das gibt mehr Spielraum für ungewöhnliche Assoziationen und Kombinationen, also die Grundzutaten für kreative Ideen», sagt Abraham. Allerdings muss ein Einfall nicht nur ungewöhnlich sein, um als kreativ zu gelten, sondern auch nützlich. Um sinnvolle von absurden Ideen zu unterscheiden, braucht es wiederum eine funktionierende Kontrolle.
«Praktisch niemand hat je etwas Hochkreatives produziert mitten in einer Psychose», sagt auch der Neuropsychologe Rex Jung von der University of New Mexico. Die genialsten Ideen entstanden zwischen solchen Episoden. Es sei aber durchaus vorstellbar, dass eine spezielle Struktur des Vernunftzentrums des Hirns sowohl bei bestimmten Formen von Kreativität als auch bei gewissen psychischen Krankheiten vorkomme.
Es bleibt jedoch Fakt, dass die Mehrheit der Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht überdurchschnittlich kreativ sind, sondern einfach unter ihrer Krankheit und der Stigmatisierung durch die Gesellschaft leiden.
Einige Beispiele für Genies und ihre psychischen Probleme:
- Vincent van Gogh: Depressionen und psychotische Episoden
 - Virginia Woolf: Manisch-depressiv, hörte Stimmen
 - John Nash: Schizophrenie
 - Albert Einstein: Vermutliches Asperger-Syndrom
 
Die Rolle der sozialen Medien und einer neuen Generation
«Indem Spitzensportlerinnen oder Meghan Markle über psychische Probleme sprechen, wird das nun sexy», sagt die Historikerin Lisa Malich. Eine junge Generation geht viel offener mit psychischen Krankheiten um - allen voran die Stars. Diese trügen viel zur Enttabuisierung bei.
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Mein Eindruck ist, dass wir gerade einen Kippmoment erleben. Da kommt eine jüngere Generation, für die es selbstverständlich ist, die Psyche und psychische Gesundheit stärker zu thematisieren. Dabei spielen soziale Netzwerke eine wichtige Rolle. Früher hätte man mit seinem Presseberater besprochen, ob man verkünden soll, dass man an psychischen Problemen leide. Die neuen Medien funktionieren unmittelbarer und affektiver. Ihr Erfolg basiert darauf, dass man Gefühle und Befindlichkeiten in der Öffentlichkeit zeigt.
Lisa Malich, Psychologin und Historikerin Universität Lübeck, erklärt: Da gibt es einen Clash verschiedener Subjektkulturen. Die Norm einer älteren Generation lautet: «Reiss dich zusammen!» Das erfolgreiche Subjekt hält alles aus, diszipliniert sich und funktioniert. Das begann sich Anfang der 2000er Jahre in der Mainstream- und Jugendkultur zu verändern. Das Zeigen von Schwäche gilt nun als Stärke. Da spielt auch mit, dass sich die Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre immer mehr auflöst. Während man Gefühle und Schwäche früher nicht in der Öffentlichkeit zeigen durfte, darf man das heute.
Wie bei #MeToo gehen Prominente voran, um ein Tabu zu brechen. Welche Rolle spielen die Stars? Ich würde nicht sagen, dass Stars vorangehen, sondern dass sie etwas sichtbar machen. Dadurch, dass Spitzensportlerinnen oder Leute wie Prinz Harry und Meghan Markle über psychische Probleme sprechen, wird das nun sexy. Es hilft zu hören, dass auch erfolgreiche Menschen Krisen haben. Dass Simone Biles und Naomi Osaka mitten in der Krise über ihre Probleme sprechen, zeigt, dass sich da etwas verschoben hat. Da ist man viel verletzlicher, als wenn man im Nachhinein über Probleme spricht.
Psychiatrie: Vom Tabu zur Normalität?
Ein stationärer Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik ist hingegen noch immer ein grosses Tabu. Das stört Thomas Ihde, Facharzt für Psychotherapie und Psychiatrie. Immer mehr prominente Leute sprechen in den Medien über ihren stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. Neben dem Podcaster Felix Lobrecht etwa auch der Comedian Luke Mockridge oder Ronja von Rönne.
Zudem merkt Thomas Ihde auch schon Folgen des Trends, öffentlich über die mentale Gesundheit zu sprechen: «Menschen suchen sich generell früher Hilfe und sind in Krisen offener, über verschiedene Varianten nachzudenken.»
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Was bedeutet eine Psychose?
Was ist real, was nicht? Kann ich meiner Wahrnehmung noch trauen? Für Menschen, die unter einer Psychose leiden, gehören diese Fragen zur alltäglichen Herausforderung. Etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung erleben im Laufe ihres Lebens eine Psychose.
Der Begriff «Psychose» fasst eine Vielzahl an psychischen Störungen zusammen, bei denen Betroffene die Realität verändert wahrnehmen oder verarbeiten. Ihr Bezug zur Realität ist verzerrt. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied zur VR-Metapher: Personen mit einer Psychose wissen nicht, dass sie diese VR-Brille tragen und darum Dinge sehen und hören, die andere Menschen nicht wahrnehmen.
Die Symptome einer Psychose können sehr unterschiedlich sein, sowohl in ihrer Ausprägung als auch in ihrer Kombination. Betroffene leiden unter Wahnvorstellungen, Halluzinationen und erleben ihren eigenen Körper, ihre Gedanken und Gefühle als fremd.
Formen und Unterarten von Psychosen:
- Primäre Psychose: Entsteht aus einer psychischen Erkrankung selbst.
 - Sekundäre Psychose: Tritt als Folge einer anderen Erkrankung oder durch Substanzeinnahme auf.
 - Schizophrenie: Störungen in der Wahrnehmung und im Denken.
 - Schizoaffektive Störung: Psychotische und stimmungsbezogene Symptome.
 - Kurze psychotische Störung: Plötzliche psychotische Symptome, die nach kurzer Zeit verschwinden.
 - Wahnhafte Störung: Langanhaltende Wahnvorstellungen ohne andere Psychose-Symptome.
 - Wochenbettpsychose: Schwere psychische Erkrankung nach der Geburt eines Kindes.
 
Die Behandlung einer Psychose ist vielschichtig und sollte individuell angepasst werden. Sie umfasst medikamentöse Behandlung, Psychotherapie und zusätzliche Massnahmen wie Kriseninterventionen und Rehabilitation.
Bipolare Störung im Rampenlicht
Kanye West und andere Prominente sollen an einer bipolaren Störung leiden. Der Psychiater Michael Bauer erklärt, dass Menschen mit dieser Störung zwischen euphorisch-manischen und depressiven Episoden hin und her schwingen. Er betont, dass es sich um eine schwere Erkrankung handelt, die unbehandelt oft mit Suizid endet.
Mit Lithium kann ein Drittel der Patienten quasi geheilt werden, bei einem weiteren Drittel wird die Krankheit deutlich abgemildert, aber bei manchen wirkt es auch nicht. Die Behandlung wird normalerweise gut vertragen, aber es kann vorübergehend zu Nebenwirkungen wie Händezittern oder Durchfall kommen. Aber viele Patienten setzen ihre Tabletten zwischenzeitlich wieder ab, wenn es ihnen gerade gut geht. Andere verweigern die Behandlung, weil sie den einen Teil, die manischen Phasen, durchaus geniessen. Eine ganz leichte Manie ist so ähnlich wie Verliebtsein.
Diese Störung kommt häufig bei Künstlern vor. Vincent van Gogh hat in seinen guten Zeiten in wunderbaren Farben gemalt, aber es gibt auch sehr düstere, graue Zeichnungen von ihm, und am Ende hat er sich das Leben genommen.
Die Gene spielen eine grosse Rolle, aber es kommen auch Umweltfaktoren hinzu. Das können belastende Erlebnisse in früher Kindheit sein, eine frühe Traumatisierung durch schwere Vernachlässigung, Missbrauch oder auch, die Mutter früh zu verlieren. Die Kinder sind dann vulnerabel, und wenn noch Stressfaktoren dazukommen, bricht die Krankheit aus. Das ist meist im Alter zwischen 15 und 25 Jahren der Fall.
Kay Voser und sein Outing als schizophrener Mensch
Der ehemalige Fussballer und SRF-Experte Kay Voser hat sich als schizophren bezeichnet. Schizophrenie kann sehr unterschiedliche Ausprägungen und Ursachen haben. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass schizophrene Erkrankungen dadurch gekennzeichnet sind, dass - wie Herr Voser es ja auch andeutet - ein Realitätsverlust stattfindet und Wahnsymptome auftreten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass man in seinem Leben an einer Schizophrenie erkrankt, liegt bei ungefähr einem Prozent. Sicher sagen lässt sich, dass es eine erbliche Komponente gibt, dass also häufig bereits die Eltern an einer schizophrenen oder auch einer manisch-depressiven Erkrankung litten. Insbesondere der Cannabiskonsum kann bei einer entsprechenden Veranlagung begünstigen, dass es zur Erkrankung an einer Schizophrenie kommt.
Herr Voser sagt, seine Probleme habe er, seit er denken könne. Dass eine Schizophrenie schon in der frühen Kindheit auftritt, ist eher untypisch. Typischerweise tritt die Erkrankung in der späten Jugend oder im frühen Erwachsenenalter auf, also zwischen 18 und 25 Jahren. Der Verlauf ist aber sehr unterschiedlich.
Schizophrenie ist also nicht mit einer schweren kognitiven Einschränkung gleichzusetzen. Schizophrene Erkrankungen kommen auch bei Menschen mit hohem Leistungsniveau vor, wobei diese Erkrankungen mit einer Stigmatisierung einhergehen und deswegen häufig verschwiegen werden.
Das Wichtigste ist, Verständnis und Unterstützung zu signalisieren. Das hilft den Betroffenen, sich nicht noch stärker in ihre paranoiden Ideen zu versteigern und sich nicht zurückzuziehen, was den Krankheitsprozess aufrechterhält.
Es gibt Medikamente, die Halluzinationen und Wahnvorstellungen eindämmen und einen Austausch mit anderen erleichtern können. Aber eine medikamentöse Therapie bleibt erfolglos, wenn sie nicht auch soziale Aspekte umfasst und in eine psychologische Behandlung eingebettet ist.
Für eine erfolgreiche Therapie ist es wichtig, für eine Behandlung offen zu sein. Allerdings teile ich die Aussage von Herrn Voser, dass es nicht nur Schwarz und Weiss gibt. Daher kann ich mit Herrn Voser mitgehen, wenn er sagt, dass die Schizophrenie eine Facette seiner Persönlichkeit ist, mit der man auch arbeiten, auf die man eingehen und sie in die Lebensgestaltung mit einbeziehen kann.
Die Diagnose einer Schizophrenie bedeutet keineswegs, dass die Urteilsfähigkeit in allen Lebensbereichen eingeschränkt ist. Wie man über seine eigene Erkrankung kommuniziert, ist für viele sicher kein einfaches Thema. Beratung kann daher sinnvoll sein, aber ich finde nicht, dass man Betroffenen grundsätzlich die Fähigkeit absprechen sollte, Entscheidungen über ihre Auftritte in sozialen Medien selbst zu treffen.
Avicii: Ruhm und Untergang eines DJs
Als sich Tim Bergling alias Avicii mit nur 26 Jahren vom DJ-Pult verabschiedet, ist er körperlich und seelisch am Ende. Ein Jahr nach seinem Tod erörtert «Bluewin» mit einem Psychiater mögliche Auswirkungen von Terminstress und Erfolgsdruck.
Oliver Hartmann, Psychiater und Psychotherapeut aus Zürich, erklärt: Es spricht aber aus meiner Sicht vieles dafür, dass in der Generation von Avicii und anderen jüngeren Künstlern die Hoffnung auf und der Wunsch nach Ruhm durch die sozialen Medien besonders verstärkt wird.
Die Welt der DJs und Musikproduzenten, insbesondere auf diesem Niveau, ist sehr anstrengend. Das ist keine Kunstrichtung, der eine klassische Ausbildung zugrunde liegt und bei der man eher langsam und schrittweise an eine grössere Öffentlichkeit und an den Erfolg herangeführt wird.
Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur suchen oft das Rampenlicht und die öffentliche Aufmerksamkeit, gleichzeitig sind sie aber auch stärker gefährdet, psychisch zu erkranken.
Avicii betäubte seine Ängste mit Rauschmitteln. Dass bei solchen Menschen eine sekundäre Problematik mit Substanzkonsum hinzukommt, ist relativ häufig. Dabei geht es um den Konsum von Alkohol, Medikamenten wie Tranquilizern oder Opiaten, die sich dazu eignen, kurzfristig Ängste zu vermindern.
Ich kenne das auch von Menschen, die in Altersrente gehen: Vorher denkt man vielleicht, man lässt auf einen Schlag das anstrengende Berufsleben hinter sich, geniesst die freie Zeit. Stattdessen entsteht mitunter eine grosse Leere. Um zu spüren, dass man Anerkennung, Verantwortung, Bewunderung und Erfolg vermisst, muss man nicht besonders narzisstisch gestrickt sein.
Früher standen die klassischen psychiatrischen Krankheiten wie Schizophrenie, bipolare Störung, Angst- und Zwangserkrankungen im Vordergrund. Heute nehmen sogenannte Stressfolgeerkrankungen einen grossen Raum ein.
Oft steckt eine existenzielle Angst dahinter und die finanzielle Verantwortung für die Familie, die Kinder. Das sind natürlich sehr reale Faktoren, die häufig dazu führen, dass man Warnsignale eher ignoriert und vielleicht nicht rechtzeitig die Notbremse ziehen kann.
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