ADHS ist in den letzten Jahren zur Generaldiagnose und ebenso beliebten Ausrede wie Beschuldigung geworden. Doch ADHS kann auch ein Potenzial sein.
Umfokussierung auf die positiven Seiten von ADHS
Edward Hallowell und John Ratey drehen in ihrem Buch den Fokus um: Sie konzentrieren sich auf die positiven Seiten von ADHS. So sind ADHS-Betroffene in der Lage, viele Dinge in kürzester Zeit zu erledigen oder echt kreative Problemlösungen aus dem Hut zu zaubern.
Strategien zur Freilegung des Potenzials
Diese Frage steht im Zentrum des Buchs von Hallowell und Ratey: Sie stellen Strategien vor, wie ADHS-Betroffene ihre Stärken nutzen und die negativen Begleiterscheinungen kanalisieren können.
Deshalb erklären sie ADHS nicht als Behinderung: «Eine Person mit ADHS hat die Kraft eines Ferrari-Motors, aber die Bremsen eines Fahrrads. Dieses Missverhältnis zwischen Antriebsstärke und Bremsvermögen ist der Ursprung der Probleme. Die Devise lautet: Bremskraft verstärken!» ADHS könne deshalb «eine grosse Bereicherung» sein, wenn man «mit Sachverstand damit umzugehen» wisse.
Schon sprachlich ist das Buch ungewöhnlich: Es spricht von ADHS-Betroffenen in der «wir»-Form: Die beiden Autoren zählen sich nämlich dazu. Die Folge davon ist, dass sich der Leser nicht diagnostiziert, sondern einbezogen fühlt.
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Fundierte Grundlagen von Psychiatrie und Neurologie
Zunächst führen die beiden aber ein in die Grundlagen von ADHS aus Sicht von Psychiatrie und Neurologie. Das machen sie fundiert: Edward M. Hallowell ist Psychiater und hat zwanzig Jahre an der Harvard Medical School unterrichtet.
Er leitet heute die Hallowell Centers for Cognitive and Emotional Health in Sudbury, Massachusetts, und New York City. Seit 2015 hat er zudem einen wöchentlichen ADHS-Podcast. Er ist selbst von ADHS betroffen.
John J. Ratey ist Professor für Psychiatrie an der Harvard Medical School. Mit anderen Worten: Die beiden sind vom Fach.
Vor allem aber fallen Sie durch ihr Verständnis auf, das sie ADHS-Betroffenen entgegen bringen: «Die meisten Menschen mit ADHS sind von Natur aus kreativ und originell», schreiben sie. «Ihre Denkwege sind ungewöhnlich, und sie verspüren ständig den Wunsch, etwas aufzubauen, zu entwickeln oder zu kreieren, ob Business, Boot, Buch oder Brotrezept. Immer ist da der Drang, etwas zu machen.»
Herausforderungen und Chancen im Alltag
Schwierig wird es, wenn das nicht möglich ist: «Wenn wir diesem nicht nachgeben, fühlen wir uns schnell lustlos oder niedergeschlagen, unmotiviert und ratlos. Wenn wir unsere Energie in etwas stecken, das uns kreativ unterfordert, verlieren wir oft das Interesse.» Denn Langeweile sei für ADHS-Betroffene das reine Gift.
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«Wenn unsere Arbeit nicht unsere kreative Stärke fordert, sondern Fertigkeiten, die wir einfach nicht haben, geraten wir ins Straucheln - und empfinden das heftiger als andere.
Gegensätzliche Merkmale von ADHS
ADHS ist geprägt von Merkmalen, die Gegensatzpaare bilden: Jedem Nachteil steht auch ein Vorteil gegenüber.
- ADHS-Betroffene können in kurzer Zeit viel erledigen, haben aber ein grundlegend anderes Zeitgefühl und schaffen es selten, etwas termingerecht zu erledigen.
- Sie haben eine Vorliebe für das Unkonventionelle, Ungewöhnliche, sind aber unfähig, sich anzupassen, auch wenn dies offensichtlich das Beste für ihn oder sie wäre.
- Sie haben den intensiven Wunsch nach Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, haben aber Schwierigkeiten, im Team zu arbeiten oder Anweisungen anzunehmen.
Die Beispiele zeigen: Jede Mangel entspricht eine Fähigkeit. Das macht ADHS in den Verhaltenswissenschaften zu etwas wirklich Besonderem.
«Weil diese Tatsache lange nicht erkannt wurde, hat man auch die mit ADHS einhergehenden Stärken so lange übersehen», schreiben die beiden Autoren. Mediziner neigen nun einmal dazu, nach Krankhaftem zu suchen und sich auf Problemverhalten zu fokussieren. ADHS-Betroffene haben Schwächen, aber sie haben eben auch Stärken.
Stärken in den Mittelpunkt der Behandlung stellen
«Deshalb stellen wir in unserer Praxis die Stärken der Menschen in den Mittelpunkt der Behandlung», schreiben die beiden Autoren. Das machen die beiden Autoren ganz konkret mit Fragelisten und Hilfen.
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Sie zeigen, wie ADHS-Betroffene die eigenen Superkräfte finden und einschätzen können. Auch darüber hinaus geben sie viele konkrete Tipps und Hinweise. Etwa, wie ADHS-Betroffene ihre Umgebung hau Hause, beim Lernen und bei der Arbeit am besten organisieren.
Welche Ernährung zuträglich ist und welche Nahrungsmittel den Dämon eher fördern. Ebenso wichtig: Die richtige Schlafhygiene, ein positives Umfeld und viel Lachen. Ja. Auch die Medikamente kommen nicht zu kurz.
Weitere Perspektiven und Ansätze
Andere Autoren wie Heiner Lachenmeier beleuchten, wie sich ADHS auf das Arbeitsleben auswirkt und welche Chancen sich mit einem besseren Verständnis dieser neurologischen Variante auftun können. Denn unter bestimmten Bedingungen kann ADHS in einigen Arbeitsbereichen klare Vorteile bieten!
Selbstverständlich werden aber auch mögliche Schwierigkeiten im Berufsleben beleuchtet und dafür konkret umsetzbare Lösungswege aufgezeigt. Leser mit und ohne ADHS werden die spezielle Aufarbeitung dieses wichtigen Themas ebenso schätzen wie die leichte Umsetzbarkeit der vielen praktischen Tipps&Tricks, die aus zahlreichen Studien und der langjährigen intensiven Arbeit des Autors mit Betroffenen - und dem eigenen ADHS - resultieren.
Jugendliche und junge Erwachsene sowie deren Eltern finden hier hilfreiche Unterstützung, um möglichst erfolgreich in der Arbeitswelt durchzustarten - mit, trotz oder gerade wegen ADHS!
Katharina Schön zeigt mit einer einfühlsamen und persönlichen Note, dass ADHS kein Hindernis ist, sondern ein Potenzial, das die Welt bereichern kann.
Sie veranschaulicht ADHS durch Metaphern und beleuchtet die oft verbreiteten Mythen und Kritikpunkte, die das Verständnis trüben können. Entdecke, wie das ADHS-Gehirn funktioniert und welche unglaublichen Vorteile es birgt.
Vorteile von ADHS
- Kreativität: Menschen mit ADHS zeichnen sich oft durch ihre hohe Kreativität aus.
- Schnelle Auffassungsgabe: Menschen mit ADHS können in der Lage sein, Informationen schneller aufzunehmen und Verbindungen zwischen verschiedenen Gedanken herzustellen.
- Energie und Begeisterung: Die überschüssige Energie und Begeisterungsfähigkeit von Menschen mit ADHS kann sie zu äußerst engagierten und motivierten Individuen machen.
- Vielseitige Interessen: ADHS kann dazu führen, dass Menschen eine breite Palette von Interessen und Hobbys haben.
- Schnelle Denkweise: Menschen mit ADHS haben oft eine schnelle Denkweise, die es ihnen ermöglicht, rasch zwischen verschiedenen Gedanken und Ideen zu wechseln.
Christoph Schnitter: Vom Schulversager zum Unternehmer
Christoph Schnitter aus Muri weiss, wovon er spricht; er hat selbst seit seiner Geburt ADHS. «Ich galt als unerzogen oder störend», erinnert er sich.
Heute ist Schnitter selbstbewusst und beherrscht. Es sei aber ein steiniger Weg gewesen.
«Da ein ADHS-Kind reizüberflutet ist, kann es sein Wissen schlecht abrufen. Das führt zu schlechten Schulnoten. Ich habe es jedoch vom Schulversager zum Unternehmer geschafft», sagt er.
Schnitter führt Vorträge und Einzelcoachings durch. Zielgruppen sind Eltern, Schüler und Lehrpersonen. In seinen Seminaren diskutieren diese, wie man mit ADHS leben kann.
«Um mehr Menschen zu helfen, entschloss ich mich Anfang Jahr dazu, ein Buch mit Ratschlägen und Strategien zu schreiben», erklärt Schnitter gegenüber der «Aargauer Zeitung».
Strategien für den Umgang mit ADHS
Schnitter berichtet davon, dass er in seinem Leben immer positiv geblieben sei. Er sagt: «Wird ein Betroffener nicht diagnostiziert und behandelt, können gefährliche Begleiterkrankungen entstehen wie eine Sucht, Zwangsstörung oder Depression. Ein ADHSler steht sich oft selbst im Weg oder fühlt sich überfordert.»
Es sei daher von grosser Bedeutung, so Schnitter, dass ein Betroffener seine Leidenschaften entdecke und einen Beruf ergreifen kann, welcher ihm entspricht.
«Mein grosses Anliegen ist, die Vorteile von ADHS hervorzuheben. Zum Beispiel: Kreativität, Einfühlsamkeit, Hilfsbereitschaft, Wissbegierde oder Begeisterungsfähigkeit», sagt Schnitter.
«Um ihr Potenzial auszuschöpfen, sind ADHSler auf die Unterstützung durch ihre Lehrpersonen und Eltern angewiesen. Auch wenn das manchmal schwierig ist. ADHS verstehen heißt Chancen ergreifen!