Der 18-jährige Theo W. stirbt im Januar 2021 an den Folgen seiner Selbstverletzungen, die er sich in der Psychiatrie zugefügt hat. Theo hatte die Diagnose «Asperger». Wie konnte es soweit kommen? Wie gehen wir in der Schweiz mit sogenannt neurodivergenten Menschen um, die mit den Anforderungen des Alltags nicht mehr zurechtkommen?
Seit Februar 2021 unterstützt humanrights.ch die Eltern von Theo W. im Rahmen eines strategischen Prozesses bei der Aufarbeitung dieser tragischen Geschichte. Es wird schnell klar: Theo ist kein Einzelfall. Seine Eltern haben sich mit anderen Betroffenen vernetzt , deren Kinder sich mit derselben Diagnose in einer psychiatrischen Klinik befinden oder befunden haben.
Weitere Recherchen weisen auf ein grundsätzliches Problem in der Betreuung von Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) hin: 2018 gerät die Institution Cité du Genévrier oberhalb von Vevey im Kanton Waadt in die Schlagzeilen , weil die Eltern von fünf jungen Erwachsenen mit ASS eine Beschwerde wegen physischen und psychischen Misshandlungen wie medikamentöses Ruhigstellen oder Isolieren insbesondere gegen zwei Mitarbeitende einreichen. Im Februar 2022 werden gravierende Missstände im Sonderschulheim Mancy in Genf bekannt, Kinder sollen am Boden entlang geschleift worden sein, seien in ihren Exkrementen gelegen und es sei ihnen das Essen vorenthalten worden. Kurz darauf im August 2022 kommt ein weiterer Skandal in der Chasa Flurina in Graubünden ans Tageslicht: Die Eltern eines dort betreuten schwer autistischen Jugendlichen haben diesen im Herbst 2021 in einer Klinik im Kanton Zürich untersuchen lassen, weil sie ihn in einer «unzumutbaren Verfassung» aufgefunden haben. Er hatte massiv an Gewicht verloren und wirkte leer und traurig.
Die Aufarbeitung der Ereignisse läuft isoliert und auf die Institution bzw. deren Leitung oder die zuständigen Kontrollorgane der Kantone bezogen. Im Kanton Genf wirft der Skandal hohe Wellen bis in die Politik mit dem Ergebnis gegenseitiger Schuldzuweisungen. Die Chasa Flurina wird Ende 2022 wegen fehlender Nachfolgelösung in der Heimleitung geschlossen. In keinem der Fälle wird von einem strukturellen Problem im institutionellen Umgang mit Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) gesprochen. Hingegen kommt in allen Fällen zur Sprache, dass das Personal oder im Fall Mancy auch der Institutionsleiter nicht adäquat ausgebildet bzw. auf ASS spezialisiert waren.
Im Fall Mancy unterstützt die Subkommission der Genfer GPK, die den Skandal untersucht hat, den Staatsrat in der Bestrebung, Jugendliche mit ASS in Zukunft in subventionierten privaten Institutionen zu betreuen. Ist dies die Lösung des Problems? Im Folgenden wird der institutionelle Umgang mit Menschen mit ASS in der Schweiz systematisch untersucht.
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Die Geschichte des Autismus
Der Begriff «Autismus» geht auf den Schweizer Psychiater Eugen Bleuler zurück, der 1911 im Rahmen seiner Forschungen zur Schizophrenie eines der Grundsymptome beschrieb: die Zurückgezogenheit in eine innere Gedankenwelt. Hans Asperger und Leo Kanner nahmen den Autismus-Begriff unabhängig voneinander auf und beschrieben nicht mehr nur ein einzelnes Symptom, sondern ein ganzes Syndrom.
Das bis im Jahr 2022 im deutschsprachigen Raum gültige Klassifikationssystem ICD-10-GM (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) der WHO unterschied drei Ausprägungen, die als tiefgreifende Entwicklungsstörungen eingeordnet waren: frühkindlicher Autismus, atypischer Autismus und Asperger-Syndrom, auch bezeichnet als hochfunktionaler Autismus, weil es bei dieser Ausprägung keine kognitive oder sprachliche Entwicklungsverzögerung gibt.
Das 2013 veröffentlichte Handbuch DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (APA) und das seit 2022 international gültige ICD-11 definieren jedoch nur noch eine allgemeine, übergreifende Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Grund für diese Änderung war die zunehmende Erkenntnis der Wissenschaft, dass eine klare Abgrenzung der genannten unterschiedenen Subtypen nicht möglich ist - und man stattdessen von einem fliessenden Übergang zwischen verschiedenen individuellen Ausprägungen des Autismus ausgehen sollte.
Merkmale und Symptome der Autismus-Spektrum-Störung
Menschen mit ASS verfügen über eine andere Informationsverarbeitung, sie sehen, hören und fühlen die Welt anders als sogenannt neurotypische Menschen. Sie haben Schwierigkeiten mit der Perspektivenübernahme, sich also in andere Menschen hineinzufühlen und adäquat mit ihnen zu kommunizieren. Zudem können sie die Stimmung ihres Gegenübers aus dessen Gesicht schlecht erkennen und haben deswegen Mühe, soziale Situationen oder Ironie zu verstehen. Sie vermeiden deshalb oft Kontakte zu ihren Mitmenschen.
Für Menschen mit ASS ist es eine Herausforderung, sich auf Neues einzustellen und entsprechend ist es für sie am einfachsten, Alltagsabläufe immer gleich zu gestalten (Rituale) und sich im gewohnten Lebensumfeld zu bewegen. Menschen mit ASS orientieren sich an Details und haben Mühe, eine Situation ganzheitlich zu erfassen. Gerne befassen sie sich mit einem Spezialgebiet.
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Menschen mit ASS sind in ihren Bewegungen und motorischen Fähigkeiten eher ungeschickt. Oft zeigen sie Über- oder Unterempfindlichkeiten auf Licht, Gerüche, Geräusche oder Berührungen, was sich als Faszination für Licht oder glänzende Oberflächen, als Angstreaktionen bei speziellen Geräuschen, als Vorliebe für intensive Körperkontakte oder als auffälliges Beriechen oder Ertasten von Oberflächen und Gegenständen äussern kann.
Diese Über- oder Unterempfindlichkeiten und Detail-Orientierung führen dazu, dass Kinder oder Erwachsene mit ASS grosse Probleme haben, ihre Umwelt als sinnvolles Ganzes zu verstehen. Das Erreichen von Lernerfolgen wird dadurch massgeblich erschwert. Aufgrund dieser anderen Wahrnehmung kann es zu einem sogenannten «Overload» kommen, einer Überlastung aufgrund von Reizüberflutung, bei der unwichtige Reize nicht mehr gefiltert werden können.
Die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) beruht einerseits auf der genauen Befragung von Eltern und anderen wichtigen Bezugspersonen zur Entwicklung und dem aktuellen Verhalten des Kindes. Andererseits machen wir uns als Fachpersonen mittels standardisierten und freien Spielbeobachtungen, im Gespräch sowie mit Hilfe von Tests ein eigenes Bild vom Verhalten des Kindes. Manchmal erfassen wir zudem kognitive (geistige) Fähigkeiten, die Selbstständigkeit im Alltag und emotionale Befindlichkeit. Ein Kind mit einer schweren autistischen Störung sollte auch neuropädiatrisch und genetisch untersucht werden.
Auch wenn zum Beispiel der Begriff Asperger-Syndrom im DSM-5 nicht mehr explizit erwähnt ist, wird er trotzdem noch häufig verwendet. Wir lassen ihn deshalb auf unserer Webseite noch stehen, damit Personen, die sich mit dem Thema Autismus nicht auskennen, den Zusammenhang verstehen. Auch in einigen unserer Broschüren taucht der Begriff noch auf - weil wir mit unseren finanziellen Ressourcen sparsam umgehen müssen, ersetzen wir die Texte in Flyern und Broschüren fortlaufend.
Ursachen und Häufigkeit
Die Autismus-Spektrum-Störung (ASS) ist eine angeborene Entwicklungsstörung, die nicht «geheilt» werden kann. Die Ursachen sind bis heute nicht vollständig geklärt. Es wird davon ausgegangen, dass mehrere Faktoren eine Rolle spielen: So können genetische Prädispositionen, aber auch biologische Abläufe vor, während und nach der Geburt die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigen und eine Autismus-Spektrum-Störung begünstigen bzw. verursachen.
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Eine Metastudie über den Zeitraum zwischen 2012 und 2021 zeigt eine durchschnittliche weltweite Prävalenz der Autismus-Spektrum-Störung (ASS) von 1%, mit zunehmender Tendenz und der Vermutung, dass die Rate aufgrund mangelnder Datenlage in gewissen Ländern unterschätzt wird. Werden die Daten zurück bis 1980 betrachtet, dann zeigt sich eine dramatische Zunahme in den letzten 40 Jahren. Es ist unklar, in welchem Ausmass dieser Anstieg auf zunehmende Prävalenz zurückzuführen ist. Vielmehr hat sich die diagnostische Praxis aufgrund der zunehmenden Aufmerksamkeit und Wissen hinsichtlich ASS geändert.
Es wird davon ausgegangen, dass ca. 25-30% aller Betroffenen eine schwere Form der ASS im Sinne des «frühkindlichen Autismus» aufweisen. Dabei wird geschätzt , dass bis über die Hälfte von einer leichten und rund ein Drittel von einer schweren intellektuellen Entwicklungsstörung (früher «geistige Behinderung») betroffen sind.
Auch psychische Komorbiditäten gelten bei ASS als verbreitet: 28% für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), 20% für Angststörungen, 13% für Schlafstörungen, 12% für disruptive, Impulskontroll- und Sozialverhaltensstörungen, 11% für depressive Störungen, 9% für Zwangsstörungen, 5% für bipolare Störungen und 4% für Psychose-Erkrankungen. Es wird keine Zunahme der Diagnosen der schweren Form der ASS beobachtet, anders als im Bereich des hochfunktionalen ASS. Die Betroffenen fallen oft erst während der Pubertät oder im Erwachsenenalter auf.
Unterstützung und Behandlung
Anders als beispielsweise bei einer Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gibt es keine medikamentöse Behandlung für die Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Es geht darum, die Begleiterscheinungen wie Depressionen, Angstzustände, Zwangsstörungen und/oder gegen sich selber oder andere gerichtete Aggressionen zu behandeln. Diese Begleiterscheinungen können und werden medikamentös behandelt.
Hingegen geht es bei der Frage, wie eine Person mit ASS am besten unterstützt werden kann, in erster Linie um Unterstützungs- und Fördermassnahmen wie Logopädie, Psychomotorik-, Ergo- und Verhaltenstherapie.
Wenn bei einem Kind eine autistische Störung diagnostiziert wird, stellen sich die Eltern viele Fragen nach Ursachen, Behandlungsmöglichkeiten und Prognose. Wir informieren die Eltern umfassend und arbeiten dabei eng mit dem Elternverein Autismus Deutsche Schweiz zusammen. Je nach Diagnose und Alter kommen unterschiedliche Methoden zum Einsatz. Wir beteiligen uns in vielfältiger Weise an der Aus- und Weiterbildung von Studierenden der Medizin oder Psychologie oder von therapeutischen oder pädagogischen Fachpersonen. Auch bieten wir Supervisionen an.
Auch an humanrights.ch wenden sich immer wieder Betroffene, die Hilfe suchen. Die eingangs beschriebenen Missstände in der institutionellen Betreuung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit ASS untermauern die These, dass es mit der Umsetzung der Massnahmen hapert.
Internationale und Nationale Bemühungen
Auf internationaler Ebene manifestiert sich das Bewusstsein für Autismus bereits 1998, als auf Initiative von «Autism Europe» die «World Autism Organisation (WAO)» gegründet wird. Grund dafür war, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) damals das Thema nicht bearbeitete und die UNESCO kein Programm dazu anbot. Auch auf wissenschaftlicher Ebene erfolgte im Jahr 2001 der Zusammenschluss in der «International Society for Autism Research (INSAR)».
Als Schlüsselmoment hinsichtlich des öffentlichen Bewusstseins auf internationaler Ebene gilt der 17. Dezember 2007, als die UNO Generalversammlung einen weltweiten Autismus-Tag (World Autism Awareness Day - A/RES/62/39) ausrief, der jeweils am 2. April stattfindet und das Ziel verfolgt, die Umsetzung der Rechte von Kindern und Erwachsenen mit Behinderungen zu fördern, die in der 1990 in Kraft getretenen Kinderrechtskonvention (Art.
In der Schweiz kommt auf politischer Ebene mit dem Postulat Hêche (12.3672) «Autismus und andere schwere Entwicklungsstörungen. Übersicht, Bilanz und Aussicht» vom 10. September 2012 Bewegung in die Sache. Zur Beantwortung des Postulats gibt der Bundesrat ein Forschungsprojekt in Auftrag, auf dessen Basis er im Juni 2015 einen ersten Bericht publiziert mit einer Bestandesaufnahme in Bezug auf Erkennung, Betreuung sowie Elternunterstützung und Empfehlungen zur Verbesserung der Situation formuliert.
Konkret wird eine Arbeitsgruppe aus Vertreter*innen von Kantonen, Bund und anderen betroffenen Akteur*innen (Elternvereinigungen, Fachgesellschaften) beauftragt, die im Bericht formulierten Empfehlungen zu überprüfen, um eine gemeinsame Vision zu entwickeln, Handlungsfelder festzulegen und die Ergebnisse dem Bundesrat bis Ende 2016 vorzulegen. Im Oktober 2018 verabschiedet der Bundesrat einen zweiten Bericht, indem die Massnahmen konkretisiert werden. Drei Schwerpunkte werden festgelegt: Früherkennung und Diagnostik, Beratung und Koordination sowie Frühintervention.
Seither hat es keine offizielle und umfassende Evaluation der Umsetzung dieser Massnahmen und Empfehlungen gegeben. Die Antwort des Bundesrats vom 17.2.2021 auf eine Interpellation von Nationalrätin Franziska Roth (SP) hingegen ist ernüchternd und deutet darauf hin, dass wenig Fortschritte erzielt wurden bzw. in gewissen Bereichen sich gar nichts bewegt hat
Auch in der Schweizer Öffentlichkeit hat in letzten Jahren das Thema Autismus, Asperger bzw. Autismus-Spektrum-Störung (ASS) stark an Aufmerksamkeit gewonnen. Dafür sprechen die vielen DOK-Filme und TV-Sendungen, Podcasts, Blogs und Zeitungsberichte, die vor allem auch darauf abzielen, Menschen mit ASS, insbesondere auch Erwachsene, sichtbar zu machen und das Umfeld für diese Krankheit zu sensibilisieren. Auch gibt es diverse Foren zum Fachaustausch, Vereine für Angehörige, Betroffene und Fachpersonen, die u.a. auch Hilfsangebote vermitteln.
Auf der Webseite von Autismus Deutschschweiz, auf der Unterstützungsangebote pro Kanton aufgelistet sind, steht der Hinweis, dass aktuell viele der Fach- und Diagnosestellen stark überlastet seien und es deswegen zu längeren Wartezeiten und Aufnahmestopps komme. Die Wartezeit für eine diagnostische Abklärung beispielsweise kann bis zu 18 Monate dauern.
Rechtliche Aspekte
Rechtlich ist die Autismus-Spektrum-Störung (ASS) als Behinderung klassifiziert, da das Syndrom in den gängigen Klassifikationssystemen ICD-11 und DSM-5 beschrieben wird und entsprechende Diagnosen von qualifizierten Fachpersonen gestellt werden. Die Betroffenen wehren sich gegen diese konsequente Kategorisierung, denn es gibt viele, die über keine Diagnose verfügen und die die Anforderungen des Alltags bewältigen können. Da es sich um ein Spektrum handelt, ist der Übergang zur «Behinderung» fliessend, weswegen sich die Betroffenen selber bevorzugt als «besonders» oder als «neurodivergent» (vs. neurotypisch) bezeichnen.
Hieraus ergibt sich eine besondere Herausforderung, um die Rechte der Betroffenen geltend zu machen, da es dafür eine Diagnose braucht. Auf internationaler Ebene sind die Rechte von Menschen mit Behinderungen in der Behindertenrechtskonvention BRK der UNO festgehalten. Dieses Übereinkommen trat 2008 in Kraft, wurde von der Schweiz aber erst 2014 ratifiziert. Hingegen verzichtet die Schweiz bis heute darauf, das Fakultativprotokoll zu unterzeichnen, das den Betroffenen ermöglichen würde, individuelle Beschwerden einzureichen.
Insbesondere relevant sind Art. 23 KRK über die Rechte von Kindern mit Behinderungen, aber auch Art. 2 KRK, der vorschreibt, dass Kinder vor jeglicher Form der Diskriminierung, insbesondere auch aufgrund von «Behinderung» zu schützen sind. Es ist denn auch der UNO-Kinderrechtsausschuss, der in den letzten beiden periodischen Überprüfungen der Schweiz (2009-2015 / 2019-2021) im Rahmen der Staatenberichtsverfahren wiederholt erhebliche Missstände hinsichtlich des Umgangs mit Kindern mit ASS feststellte und spezifische Empfehlungen formuliert hat.
Herausforderungen im Alltag
Für Betroffene mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) sind diese scheinbar leichten Aktionen fast ein Ding der Unmöglichkeit. Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung leiden an einer ausgeprägten Kontakt- und Kommunikationsstörung. Diese beeinträchtigt häufig das Sozialverhalten der Betroffenen. Sie können sich nicht in andere Menschen hineinversetzen und nonverbale Signale nicht richtig deuten.
Autistische Menschen erleben alltägliche Anforderungen wie den Aufenthalt in einem überfüllten Raum oder den Lärm eines Haushaltsgeräts als bedrohlich, fliehen vor diesen Reizen oder reagieren aggressiv. Die Kommunikation autistischer Menschen ist häufig in der Weise beeinträchtigt, dass sie die Körpersprache ihres Gegenübers unzureichend wahrnehmen oder falsch interpretieren. Auch Ironie wird oft nicht verstanden. Die Betroffenen selbst setzen in ihrer Kommunikation weniger Blickkontakt, Mimik und Gestik ein als andere Menschen.
Stärken von Menschen mit Autismus
Häufig ist mehrheitlich die Rede von Schwierigkeiten und Problemen, mit denen Menschen mit Autismus im Alltag zu kämpfen haben. Sie haben aber auch viele Stärken.
- Ehrlich und direkt: Menschen aus dem autistischen Spektrum sind in der Regel ehrlich und in ihrer Kommunikation offen und direkt. Hintergedanken und Lügen sind ihnen fremd.
 - Interessiert an Details: Menschen mit Autismus nehmen Details überdurchschnittlich ausgeprägt wahr. Anders als ihre Mitmenschen sehen sie Dinge und Situationen erst in ihren Einzelmerkmalen, bevor sie diese als Ganzes erfassen. Durch das können sie Unterschiede besser erkennen als Gemeinsamkeiten. Sie finden sehr schnell Fehler und können Arbeiten genau und perfektionistisch ausführen.
 - Spezialinteressen: Menschen mit Autismus entwickeln oft spezielle Interessen und vertiefen diese mit einer aussergewöhnlichen Begeisterung und Ausdauer. Damit verbundene Tätigkeiten führen sie gewissenhaft und konzentriert durch. Daraus entsteht ein sehr grosses Wissen über diese Themengebiete (z.B. Flugzeuge, Verkehrsnetze, etc.) und es können auch hervorragende Leistungen resultieren.
 - Kreativität: Menschen mit Autismus sind oft sehr kreativ.
 
Besonderheiten bei Mädchen und Frauen mit Autismus
Bei Mädchen und Frauen zeigt sich Autismus etwas anders, nämlich versteckter. Bei Mädchen, bei denen sich die Diagnosekriterien nicht so auffällig zeigen, werden deshalb weniger häufig mit Autismus diagnostiziert.
Betroffenen Mädchen gelingt es besser, ihre Schwierigkeiten zu verstecken. Sie beobachten aufmerksam andere Mädchen und versuchen deren Verhalten nachzuahmen oder zu kopieren. Sie versuchen nicht aufzufallen oder „unsichtbar“ in der Gruppe mitlaufen zu können. Oder sie versuchen, Verhaltensweisen auswendig zu lernen, die ihnen im sozialen Kontakt schwerfallen.
Anders als die meisten männlichen Betroffenen sind die Mädchen oder Frauen eher sozial veranlagt und können durchaus auch eine beste Freundin haben. Wie die männlichen Betroffenen verfolgen häufig auch die Mädchen und Frauen mit Autismus ein Spezialinteresse. Anders als Kinder ohne Autismus, welche schnell das Interesse an einem Themengebiet verlieren, verfolgen sie ihr Spezialinteresse mit einer hohen Intensität und Qualität.
Komorbide Erkrankungen
Bei Menschen mit Autismus werden oft noch zusätzliche Diagnosen gestellt. Um Betroffene zu unterstützen ist es wichtig, ihre besonderen Bedürfnisse zu verstehen.
ADHS
Überschneidungen, Kombinationen und Mischformen von ADHS und einer Autismus-Spektrum- Störung sind sehr häufig. Der Begriff ADHS wird im DSM-5 durch drei Symptomgruppen charakterisiert: Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivität und Impulsivität. Weiter wird zwischen drei Subtypen unterschieden: 1. Kombiniert - Symptome aus allen drei Gruppen vorhanden, 2. vorwiegend unaufmerksam - ohne Hyperaktivität, 3.
Epilepsie
Menschen mit Autismus haben ein erhöhtes Risiko, zwischen 20% und 40%, um an Epilepsie zu erkranken. Gewisse Verhaltensweisen von Menschen mit Autismus, wie beispielsweise repetitive Verhaltensmuster oder das Anstarren von Dingen und Personen, können wie epileptische Anfälle wirken.
Down-Syndrom
Es gibt Menschen, bei denen eine Doppeldiagnose vorliegt. Sie haben Autismus und das Down- Syndrom. Das Down-Syndrom ist eine lebenslange Behinderung, bei der die Entwicklung der Betroffenen verzögert ist. Obwohl das Down-Syndrom nicht geheilt werden kann, ist es möglich, den Alltag der Betroffenen durch gezielte Unterstützung zu erleichtern und ihnen ein glückliches und eigenständiges Leben zu ermöglichen. Das Down-Syndrom wird spätestens nach der Geburt diagnostiziert.
Angebote der Kinder- und Jugendpsychiatrie Baselland
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie Baselland bietet an den Standorten Binningen, Laufen und Liestal standardisierte, dem Stand der aktuellen Forschung entsprechende Abklärungen bei Verdacht auf eine Autismusspektrumstörung an. Die Angebote richten sich an Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Die Betroffenen und ihre Familien erhalten Unterstützung in Form von Beratung und Therapie. Regelmässig finden Gruppentherapien für Kinder ab dem Primarschulalter und für Jugendliche statt.
Für Kinder im Alter von zwei bis vier Jahren bietet die Kinder- und Jugendpsychiatrie gemeinsam mit der Abteilung Neuro- und Entwicklungspädiatrie des Universitäts-Kinderspitals beider Basel (UKBB) eine Autismussprechstunde an.
Das Autismusteam der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist mit Kindergärten und Schulen, Institutionen der beruflichen Eingliederung und den therapeutischen Zentren in der Region eng vernetzt. Diese intensive Kooperation trägt wesentlich zu einer Verbesserung der Lebenssituation der Betroffenen und ihrer Familien bei.
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