Autismus: Ursachen und Wahrnehmung der Welt

Menschen aus dem Autismus-Spektrum verarbeiten Sinneseindrücke anders als neurotypische Menschen. Sie können über- oder unterempfindlich auf Lärm, Licht oder Gerüche reagieren. Dies löst Angst, Schmerz und weitere unangenehme Gefühle aus.

Sensorische Wahrnehmung

Lärm ist eine chaotische Anordnung von Schallwellen, und genau das ist das Problem für Autisten, weil ihnen der Filter für diesen chaotischen Lärm fehlt. Autisten nehmen alle Wellen auf einmal wahr und können nicht wie Neurotypische Dinge herausfiltern. Autisten bekommen immer das volle Programm.

Natürlich ertragen auch Neurotypische auf Dauer Lärm nicht, und Lärm macht krank. Bei Autisten kann diese Lärmüberlastung zu unkontrollierten Ausbrüchen führen. Die Umgebung reagiert dann meistens sehr irritiert, weil sie nicht wissen, warum plötzlich jemand anfängt zu schreien oder sich beginnt, komisch zu bewegen oder sich komisch verhält.

Viele Autisten hören deswegen auch keine oder nur sehr wenig Musik. Ich hingegen, und da bin ich wohl eine Ausnahme, kann nicht genug Musik hören, am liebsten etwas lauter als üblich. Das ist das Einzige, was ich in Sachen „Lärm“ ertrage: Laute Musik, Techno. Dann kann ich so richtig abschalten. Ich denke es hat damit zu tun, dass für mich diese Musik kontrolliert stattfindet. Der Takt ist in der Regel immer derselbe. 4/4. Etwas langsamer oder schneller. Aber immer identisch.

Aber in einer Stadt oder in einem Restaurant, da wird es für mich bereits schwierig. Die Muskeln meines Körpers beginnen sich anzuspannen. In meinem Hirn regt sich grosser Widerstand. Ich bekomme ein unangenehmes, lähmendes Gefühl.

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Im Restaurant, wenn es viele Gäste hat, lärmt es ja meistens enorm. Man hat den Eindruck, dass jeder mit jedem spricht. Für mich ist das dann ein Dröhnen. Ich weiss nicht mehr, woran ich mich festhalten kann. Dutzende Gespräche prasseln miteinander auf mich ein. Mir wird dann richtig übel. Meine Ohren schmerzen.

Und auf den Strassen ist es ebenfalls schlimm. Vor allem verkehrsreiche Strassen. Lastwagen, Baufahrzeuge, Motorräder, Autos. Und alles auch noch in unregelmässigen Abständen. Völlig unkontrollierbar.

Grundsätzlich meide ich öffentliche Orte, Restaurants und Strassen, Kinos und Clubs, Partys und Dorffeste. Und so geht es vermutlich vielen anderen Autisten. Das ist einer der Gründe, wieso Autisten sozial isoliert sind. Sie ertragen die Aussenwelt nicht, weil sie zu laut und hektisch ist. Die Welt ist ein Ort des Lärms.

Lärm muss nicht immer laut sein. Er kann auch sehr leise sein, und auch das kann stressen. Denn, sobald ein Geräusch vorhanden ist, richtet sich der Fokus auf dieses Geräusch. Neurotypische können so etwas leicht mal ausblenden. Das gelingt mir nicht. Es ist wieder einmal der fehlende Filter.

Gerüche können für Betroffene intensiv und überwältigend sein, und gewisse Geschmäcker als zu intensiv. Bestimmte Texturen finden sie unangenehm. Einige Menschen mit Autismus nehmen nur mild gewürzte Speisen ein und meiden stark riechendem Essen.

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Berührungen können für die Betroffenen schmerzhaft und unangenehm sein. Sie tragen nicht gerne Kleidungsstücke an den Händen oder Füssen, z.B. Entfernen Sie alle Zettel und Etiketten.

Kommunikation und soziale Interaktion

Eine auffällige Sprache und Kommunikation gehört zur typischen Kernsymptomatik bei Menschen mit Autismus (Sprachmelodie). Die Probleme in der Kommunikation gehen mit Schwierigkeiten im sozialen Bereich einher.

Die soziale Interaktion und Kommunikation übermittelt mehr Informationen als die verbale Kommunikation. Mimik und Gestik lassen nicht-Autist*innen Situationen wie Zufriedenheit, Ärger oder Angst detailliert erkennen. Die meisten Menschen im Autismus-Spektrum erkennen ein Lachen. Viele haben aber Mühe zu bestimmen, ob der Mensch fröhlich, gezwungen oder hämisch lacht.

Viele Autist*innen schauen ihr Gegenüber eher wenig an. Der Blick in die Augen wird oft gemieden. Andere haben allerdings gelernt Blickkontakt zu halten oder versuchen es immer wieder.

Autistische Menschen können ihre Probleme im sozialen Verständnis zu einem gewissen Grad durch ihren Verstand kompensieren. Autistische Menschen welche im Erkennen der sozialen Interaktion- und Kommunikation gut sind, haben dennoch Schwierigkeiten, die Feinheiten von Gruppendynamiken zu bestimmen, wie sie zum Beispiel hinter einer sozialen Hackordnung, Mobbing und Intrigen stecken.

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Das ständige Analysieren ist für Autistinnen ermüdend und fühlt sich ungefähr so an, als müsste man auf einer Party oder einem geschäftlichen Apéro nebenher komplexe Mathematik-Aufgaben lösen. Sie halten vielleicht zu viel oder zu wenig Abstand zum Gegenüber. Manche reden sehr wenig, manche sehr viel. Manchmal wählen sie unpassende Gesprächsthemen oder unpassende Bemerkungen. Sie scheinen oft unsensibel, weil sie nicht erkennen, wie jemand anderes sich fühlt.

Wichtig zu verstehen ist, dass den autistischen Menschen die Gefühle anderer nicht gleichgültig sind.

Reizüberflutung und Shutdown

In Fall der Überdeckung der Reize, die sie nicht beeinflussen können, kann es zu totalen Ausrastern kommen, in denen sie hysterisch herumschreien oder sich selber schlagen. Es kann sich dieser auch zu einem «Shutdown» (= Abschalten) entwickeln.

Ein Shutdown ist ein völliger Rückzug, bei dem die Person nicht mehr ansprechbar ist. Ein Anfassen bzw. der autistischen Person sollte unbedingt vermieden werden.

Im Fall der Überforderung durch Reize, die sie nicht beeinflussen können, können Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) mit totalen Ausrastern, hysterischem Schreien oder Selbstverletzungen reagieren, da sie es einfach nicht anders können. In manchen Fällen kann sich dies auch zu einem «Shutdown» entwickeln, einem Zustand völligen Rückzugs, in dem die Person nicht mehr ansprechbar ist. In solchen Situationen sollte man die autistische Person nicht berühren.

Die Prävention besteht darin, Reize nicht zu unterbrechen, sondern evtl. möglichst vermeiden, denn die sozialen Anforderungen stressen zusätzlich (Fenster bei Strassenlärm schliessen). Es ist wichtig, die Möglichkeit, einen möglichst reizarmen Sitzplatz, evtl. sie rechtzeitig die Möglichkeit zum Rückzug haben, einzuplanen.

Unterstützung und Hilfestellungen

Wichtig ist, dass weder sich selbst noch fremde Personen verletzt werden. Bieten Sie, wenn eine Person überlastet ist, Ihre Hilfe an. Schon kleine Veränderungen können hilfreich sein.

Durch visuelle Unterstützung können Sie den Betroffenen helfen, sensorischen Reize sie an verschiedenen Orten erwarten (z.B. Bahnhof). Dämpfen Sie das grelles Licht. Sonnenbrillen können sinnvoll sein. Helfen Sie den Betroffenen, indem Sie das Gesagte visuell unterstützen. Geben Sie ihnen Ohrstöpsel und Kopfhörer zur Verfügung.

Führen Sie Aktivitäten aus, welche den Gleichgewichtssinn fördern. sich Schaukelstühle/pferde, Karussells, Wippen oder Hängematten an. Trainieren Sie mit der betroffenen Person die Feinmotorik.

Positionieren Sie die betroffene Person so, damit sie sich besser zurecht finden oder geben Sie ihr eine Kugelweste, um einen angenehmen Druck zu erzeugen. Klebeband am Boden kann helfen, Grenzen sichtbar zu machen.

Historischer Kontext

Der Begriff «Autismus» (von griechisch autos = selbst) hat im Verlauf der Geschichte eine vielfältige Entwicklung erlebt. Der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler führte 1911 den Begriff «Autismus» als ein Grundsymptom der Schizophrenie ein. Der aus Österreich stammende Kinderpsychiater Leo Kanner wendete im Jahre 1943 erstmals den Begriff «Autismus» für Kinder an, die sich nicht aktiv in ihre Fantasiewelt zurückziehen, sondern von Geburt an Defizite im Aufbau sozialer Interaktionen haben. Der Wiener Kinderarzt Hans Asperger beschrieb zeitgleich 1944, ohne die Schriften von Leo Kanner zu kennen, vier Patienten zwischen 6 und 11 Jahren. Diese Patienten zeigten ebenfalls Defizite in sozialen Interaktionen, jedoch keine Sprachentwicklungsstörungen oder qualitative intellektuelle Auffälligkeiten.

Autismus ist ein Spektrum

Autismus ist eine neurologisch-genetisch bedingte Wesensart - keine Krankheit. 1-2 Prozent der Menschen sind autistisch - viel mehr, als man früher dachte. Autismus ist ein Spektrum. Das bedeutet, dass autistische Menschen sich voneinander unterscheiden.

Tabelle: Unterschiede in der Wahrnehmung und Kommunikation bei Autismus

Aspekt Beschreibung
Sensorische Wahrnehmung Über- oder Unterempfindlichkeit gegenüber Reizen wie Lärm, Licht, Gerüchen und Berührungen.
Kommunikation Schwierigkeiten im sozialen Bereich, auffällige Sprache und Kommunikation, Probleme mit Mimik und Gestik.
Soziale Interaktion Schwierigkeiten, soziale Regeln zu verstehen, Probleme mit Blickkontakt und Interpretation von Emotionen.
Reizüberflutung Kann zu unkontrollierten Ausbrüchen oder Shutdowns führen.

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