Altruismus, ein Begriff, der aus dem Lateinischen "alter" stammt und "der Andere" bedeutet, hat in der Gesellschaft, Philosophie und Psychologie eine tiefe Bedeutung. Es bezieht sich auf selbstloses Verhalten oder Handlungen, die zum Wohl anderer ausgeführt werden, oft auf Kosten des eigenen Wohlbefindens oder Interesses.
Historische und philosophische Wurzeln
Die Wurzeln des Altruismus können bis zu den griechischen Philosophen wie Sokrates zurückverfolgt werden, die das Phänomen der Menschenliebe erforschten und ihm den Namen Philanthropos gaben. Diese uneigennützige Haltung gegenüber anderen wurde später durch den französischen Philosophen und Mathematiker Auguste Comte weiter definiert. Er führte den Begriff Altruismus im Jahr 1851 ein und prägte ihn in seinem Werk "Systeme de politique postive".
Manifestationen und Formen des Altruismus
Altruistisches Verhalten manifestiert sich auf verschiedene Weisen und kann sowohl bei Menschen als auch bei Tieren beobachtet werden. Es kann sich in Form von Gerechtigkeit, Moral, Selbstverwirklichung, Wohlwollen, Mitleid, Zuneigung oder Dankbarkeit zeigen. In einigen Fällen kann altruistisches Verhalten als eine Form der Selbstlosigkeit angesehen werden, in der die eigenen Interessen bis hin zur Selbstaufopferung zurückgestellt werden.
Es gibt verschiedene Formen und Grade des Altruismus, je nach Kontext und Grad der Selbstlosigkeit. Dienste, die man zum Nutzen anderer auf eigene Kosten leistet, bezeichnen wir als altruistisch.
Altruismus und Psychologie
Aus psychologischer Sicht ist Altruismus eng mit Emotionen verbunden. Wenn wir anderen helfen, fühlen wir uns oft selbst gut. Dieses Phänomen wird oft als "Helferglück" bezeichnet und wurde bereits vom griechischen Philosophen Aristoteles bemerkt, der sagte: "Der ideale Mensch verspürt Freude, wenn er anderen einen Dienst erweisen kann". Es gibt auch Forschungen, die eine genetische Verbindung zum Altruismus nahelegen.
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Altruismus in der Tierwelt
Altruismus ist nicht nur auf Menschen beschränkt; es gibt viele Beispiele dafür in der Tierwelt. Im Tierreich findet man die erstaunlichsten Formen solcher Selbstlosigkeit bei der Aufzucht von Nachkommen. Elefanten tragen beispielsweise verletzte Mitglieder ihrer Herde mit ihren Stosszähnen, und Arbeiterbienen in einem Bienenstock haben keinen Nachwuchs, weil sie sich um die Brut der Königin kümmern und Eindringlinge bekämpfen.
Zum Beispiel bei sogenannten kooperativ brütenden Tiergesellschaften wie bei Buntbarschen aus dem Tanganjikasee, einigen Säugetieren, zahlreichen Vogelarten und vielen Insekten. In diesen Gesellschaften zeugt nur ein einzelnes, dominantes Brutpaar Nachwuchs und die anderen Gruppenmitglieder helfen bei der Aufzucht.
Diese «Fremdbrutpflege» lässt sich aus evolutionärer Sicht einfach erklären, wenn es sich bei den Pfleglingen um Geschwister der Pflegehelfer handelt: Die Helfer vererben die Gene, die die Brutpflege steuern, über Geschwister ebenso erfolgreich weiter, wie über ihre eigenen Nachkommen.
Wenn Vampirfledermäuse anderen einen Teil einer reichlichen Mahlzeit abgeben, tun sie das öfter gegenüber Artgenossen, mit denen sie nicht verwandt sind, aber stattdessen gegenseitigen 'Blutspendehandel' betreiben. Miteinander nicht-verwandte Feldwespen gründen gemeinsam ein Nest, in dem nur das dominante Weibchen Junge produziert, die von subdominanten Nestgenossinnen aufgezogen werden. Bei vielen Vogelarten ziehen Gruppenmitglieder Junge auf, mit denen sie nicht verwandt sind. Ostafrikanische Buntbarsche helfen einander in höherem Mass, wenn sie nicht miteinander verwandt sind. Unverwandte Paviane unterstützen sich in Rangstreitigkeiten, wenn sie als Gegenleistung vom Sozialpartner gelaust werden. Vampirfledermäuse spenden Blut, das sie auf nächtlichen Streifzügen sammeln, bevorzugt bedürftigen Sozialpartnern, die ihnen selbst bereits Blut gespendet bzw. ihr Fell gepflegt haben.
Verwandtschaft zwischen Geber und Empfänger ist hingegen von untergeordneter Bedeutung.
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Evolutionäre Perspektiven
Bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen setzten sich in der Evolution dann durch, wenn sie die sogenannte genetische «Fitness» von Individuen verbessern. Wenn in einer Population bestimmte Individuen aufgrund solcher Merkmale eine höhere Überlebenschance haben, dann ist ihr Fortpflanzungserfolg grösser und sie vermehren sich stärker. Man spricht in diesem Fall von natürlicher Selektion.
«Die Mitgliedschaft in der sozialen Gruppe ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass das kooperative Brüten für ein Individuum einen Überlebensvorteil bringen kann. Das zeigen wir in unserer Studie anhand von Computersimulationen», so die Erstautorin Irene Garcia Ruiz.
Gibt es einen Überlebensvorteil aus dem Gruppenleben, dann zeigen sich gemäss der Studie zwei Möglichkeiten, wie die natürliche Selektion dazu führt, dass nicht-dominante Gruppenmitglieder bei der Pflege der Jungtiere des dominanten Paares helfen. Einerseits gibt es den bereits erwähnten Fall, dass die Pfleglinge Geschwister der Pflegehelfer sind. Im zweiten Fall kommt sie sogenannte «Individualselektion» zum Tragen. Hierbei sind die Pflegehelfer mit der Brut nicht verwandt. Weil aufgrund der Pflegehilfe aber mehr Jungtiere überleben, vergrössert sich die soziale Gruppe. Dadurch steigen wiederum die Überlebenschancen der Pflegehelfer, weil beispielweise ihr eigenes Risiko, Fressfeinden zum Opfer zu fallen, abnimmt. Damit erhöht sich zugleich die Wahrscheinlickeit, sich später selbst erfolgreich fortpflanzen zu können.
«Ein zentrales Ergebnis unserer Studie ist, dass die Umweltqualität darüber entscheidet, welcher dieser beiden Selektionsmechanismen wirkt, beziehungsweise die grössere Bedeutung für die Evolution von kooperativer Brutpflege hat», sagt Irene Garcia Ruiz.
Bei günstigen Umweltbedingungen (zum Beispiel mit wenigen Fressfeinden) ist die Verwandtenselektion von grosser Bedeutung für die Entstehung der Fremdbrutpflege. Unter ungünstigen Umweltbedingungen jedoch (zum Beispiel mit hohem Raubdruck) ist die Steigerung der eigenen Überlebenschancen durch den Zuwachs an Gruppenmitgliedern wichtiger für die Entwicklung nicht-elterlicher Brutpflege.
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«Ob ein Tier im Heimterritorium bleiben und sich der altruistischen Jungaufzucht annehmen soll, oder ob es sich besser andernorts auf die Suche nach eigenen Fortpflanzungsmöglichkeiten begibt, verändert sich dabei mit dem Alter», erklärt Michael Taborsky.
Altruismus, Spenden und Wohltätigkeit
Altruismus spielt eine wesentliche Rolle in Bezug auf Spenden und Wohltätigkeit. Menschen spenden oft Geld, Zeit oder Ressourcen an Menschen, die sie nicht persönlich kennen oder an gemeinnützige Organisationen, die die Welt positiv verändern wollen. Studien haben gezeigt, dass Menschen eher spenden, wenn sie ein Bild oder einen Namen der bedürftigen Person haben.
Ein interessanter Aspekt des Altruismus ist der sogenannte "Watching-Eye-Effekt". Studien haben gezeigt, dass Menschen eher bereit sind, zu helfen oder zu spenden, wenn sie das Gefühl haben, beobachtet zu werden.
Das Gefangenendilemma
Die Wissenschafter hatten mit Hilfe der evolutionären Spieltheorie untersucht, welche Verhaltensstrategien die natürliche Selektion überleben und welche untergehen - und warum. Als Massstab diente das sogenannte Gefangenendilemma, ein mathematisches Modell, das in den 1940er Jahren von John von Neumann und Oskar Morgenstern erdacht worden war.
Bei diesem Spiel stehen sich zwei Kontrahenten gegenüber. Ohne Kenntnis der Strategie des Gegners muss jeder Spieler entscheiden, ob er bloss auf den eigenen Vorteil bedacht sein oder mit dem Gegenspieler kooperieren will. Die Preise, die ihm winken, hängen dabei sowohl von der eigenen Entscheidung als auch von der des Gegenspielers ab.
Den höchsten Preis erhält ein Spieler, wenn der Gegner altruistisch, er selbst aber egoistisch ist. Wenn beide Spieler kooperieren, erhalten sie jeweils den zweiten Preis, handeln beide egoistisch, so bekommen sie den dritten. Ist schliesslich der Gegner egoistisch, man selbst aber nicht, so hat man das Nachsehen und erhält den letzten Preis.
Da ein Spieler nicht weiss, wie sein Gegner agieren wird, befindet er sich in einem Dilemma: Handelten beide altruistisch, so bekäme zwar jeder den zweithöchsten Preis. Aber unter der Annahme, dass der Gegenspieler altruistisch ist, liegt es im eigenen Interesse, egoistisch zu sein, denn dann winkt der erste Preis. Da also jeder Spieler annehmen muss, dass sein Kontrahent abtrünnig wird, wird auch er egoistisch handeln.
Altruismus und soziale Interaktion
Im Allgemeinen geht man davon aus, dass enge Gemeinschaft altruistisches Verhalten fördert - schliesslich kann man hier auf Belohnung hoffen. Doch laut neuen Computersimulationen kann feste Nachbarschaft die Verbreitung von Altruismus unter gewissen Bedingungen sogar verhindern. Eine zweite Arbeit zeigt, dass ein einzelner Altruist eine beschränkte Population von Egoisten zu Altruisten umkrempeln kann.
In der Natur sieht man allenorts altruistisches Verhalten: Hungrige Tiere teilen ihre Beute, Affen pflegen sich gegenseitig, Wächter warnen lautstark vor Räubern und bezahlen dies oft mit dem Leben. Dabei sollte die von Darwin postulierte Triebkraft der Evolution, das «survival of the fittest», zumindest auf den ersten Blick den Eigennutz fördern, schliesslich werden Altruisten unweigerlich von Egoisten ausgenutzt und geraten so selbst ins Hintertreffen. Wieso also sind Lebewesen altruistisch?
Eine Erklärung ist, dass viele Lebewesen ein gutes Gedächtnis haben. Altruisten können deshalb darauf hoffen, zu einem späteren Zeitpunkt von ihren einstigen Nutzniessern belohnt zu werden. Sie verzichten also nicht völlig auf eine Gegenleistung, sondern «stunden» sie nur. Eine andere Begründung, etwa für das altruistische Verhalten von sozialen Insekten, ist die Verwandtschaft.
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