Viele Kinder reagieren auf Stress und schulische Konflikte oft mit Bauchschmerzen. Mit etwas Geduld lassen sich die Symptome jedoch meist gut behandeln.
Krämpfe schon am Morgen
Fadri Gätzi verzieht das Gesicht, als er von den bitteren Tropfen erzählt, die er gegen sein Bauchweh schlucken musste. «Ich hatte starke Krämpfe, schon morgens beim Aufstehen», erinnert sich der lebhafte Zweitklässler aus Waldkirch SG. Die Schmerzen begannen letzten Dezember - ganz plötzlich. Auch tagsüber krampfte der Magen wiederholt. Manchmal stiess es ihm auf, als ob er erbrechen müsste. Während des Unterrichts musste er sich immer wieder hinlegen, um die Schmerzen auszuhalten.
Als die Beschwerden nicht verschwanden, gingen seine Eltern mit ihm zur Kinderärztin. Doch weder eine Stuhluntersuchung noch ein Magen-Ultraschall noch eine Darmspiegelung förderten etwas zutage. Auch eine Lebensmittelunverträglichkeit oder -allergie konnte ausgeschlossen werden. Weil keine körperliche Ursache gefunden wurde, lautet die Diagnose psychosomatisches Bauchweh, in der Fachsprache «funktionelle Bauchschmerzen» genannt.
Überreizung der Nerven
Funktionelle Bauchschmerzen sind weit verbreitet. Fast jedes fünfte Kind leidet darunter und suchte deswegen schon einen Arzt auf. Davon betroffen sind vor allem Kinder im Kindergarten- und frühen Schulalter. Typischerweise treten die Schmerzen um den Bauchnabel herum auf. Jugendliche dagegen klagen eher über Übelkeit, ohne erbrechen zu müssen.
«Wichtig ist der Ausschluss von organischen Ursachen», sagt George Marx, Kinder-Magen-Darm-Spezialist am Ostschweizer Kinderspital in St. Gallen. Sind die Schmerzen nicht «ablenkbar», also durch andere Gedanken oder Beschäftigungen zu verdrängen, wecken sie das Kind nachts auf und leidet es zudem unter Gewichtsverlust oder Gelenkschmerzen - dann könnte eine organische Erkrankung vorliegen.
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«Man weiss heute, dass es angeborene oder persönliche Voraussetzungen gibt, die jemanden bei Stress prinzipiell mit Bauchschmerzen reagieren lassen», erklärt der Facharzt. Diese Überempfindlichkeit des Magen-Darm-Traktes spiele bei den funktionellen Bauchschmerzen eine grosse Rolle. Es handelt sich um eine Überreizung der Nerven, des vegetativen Nervensystems. So reagieren die einen Kinder auf eine Überlastung mit Bauch-, andere eher mit Kopfschmerzen. Oftmals haben die Betroffenen bereits eine Grossmutter oder einen Grossvater mit einem solchen Muster.
Stress und Druck nehmen zu
Die Zunahme der funktionellen Bauchschmerzen hat verschiedene Gründe: wachsende Leistungserwartungen an die Kinder, soziale Belastungen und die «Digitalisierung» mit den allgegenwärtigen elektronischen Medien. Anders ausgedrückt: Stress und Druck nehmen zu. Hinzu kommt, dass Fachleute und Eltern heute sensibilisierter sind als früher und man deshalb auch schneller zum Arzt geht.
Interessant sei, stellt Gastroenterologe Marx fest, dass während des Lockdown die Symptome seiner jungen Patienten zurückgegangen seien. Mehr Aufmerksamkeit von den Eltern und allgemein weniger Belastungen hätten vermutlich dazu geführt. Dies bestätige die Annahme, dass Stress eine zentrale Ursache sei für die funktionellen Bauchschmerzen.
Die wenig greifbaren Beschwerden werden allerdings nicht immer ernst genommen. Zu Unrecht, wie George Marx betont: «Der Leidensdruck ist gross, ebenso jener der Eltern.» Die Kinder seien keine Simulanten und die Schmerzen medizinisch messbar.
Behandlung von funktionellen Bauchschmerzen
Die Behandlung von funktionellen Bauchschmerzen erfolgt meist zweigleisig: medikamentös und verhaltenstherapeutisch. Mithilfe einer Therapie lernen die Kinder, besser mit Stressfaktoren umzugehen. Der oftmals dafür eingesetzte Schulpsychologe bezieht das schulische und familiäre Umfeld in die Behandlung mit ein. Die Medikamente gehören in die Kompetenz der Ärztin.
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Sehr wirksam und deshalb an erster Stelle zum Einsatz kommen Probiotika in Tropfenform. «Dass diese Bakterien so gut wirken, beweist, dass die Krankheit nicht eingebildet sein kann», sagt George Marx. Mit den Probiotikatropfen erhalten die Kinder auch eine Kräuteressenz, bestehend aus beruhigender Kamille und schmerzlindernder Pfefferminze. Die Kombination von beidem ist sehr wirksam und auch gut verträglich. Unterstützend wirken kann zudem Akupunktur. Klassische Schmerzmittel wie Paracetamol dagegen helfen in der Regel nicht und sind auch bezüglich Nebenwirkungen nicht zu empfehlen. Eine gute Therapie dauert mindestens sechs Wochen. «Wichtig ist auch, dass man die Kinder aktiv hält», erklärt Marx. «Nur mit der Bettflasche aufs Sofa oder ein Schuldispens helfen dem Kind wenig.»
Medikamente sind keine Lösung
Bei Fadri griff diese Therapie bisher nur begrenzt. Probiotika und Kräuteressenz brachten wenig Linderung. Da die Beschwerden mit Aufstossen von Magensäure verbunden sind, setzte der inzwischen konsultierte Magen-Darm-Arzt auch Säureblocker ein. Mit Erfolg. Allerdings muss das starke Medikament bald wieder abgesetzt werden. Bis dahin, so die Hoffnung, lässt sich das Gehirn so umprogrammieren, dass es auf Stress nicht mehr mit einer Überproduktion von Magensäure reagiert.
Funktionelle Bauchschmerzen können auf Dauer nicht einfach mit einem Medikament weggezaubert werden. Deshalb müssen sich Patient und Arzt etwas gedulden. «Wichtig ist, dass man auch die Eltern mit ins Boot holt», sagt George Marx. Nur so könnten das Vertrauen des Kindes gewonnen und seine persönliche Situation erfasst werden - dabei kann es sich etwa um schulischen Druck handeln, mögliches Mobbing oder die Verhältnisse zu Hause.
Fadris Eltern erklärten sich unterdessen bereit, einen zusätzlichen Weg zu versuchen. Seit einiger Zeit geht ihr Kind zu einer Naturärztin, die Craniosacral-Therapie praktiziert und Naturheilmittel verschreibt. «Die Schule, der Schulweg mit den Gspäändli und verschiedene Ängste beschäftigen Fadri zweifellos», erklärt die Mutter. Sie ist zuversichtlich, dass ihr Bub auf diese Weise gesundheitlich bald ins Lot kommt und er sich wieder mehr seiner Leidenschaft widmen kann: Fadri spielt fürs Leben gern Unihockey.
Funktionelle Defäkationsstörungen
Funktionelle Defäkationsstörungen sind in der kinderärztlichen Praxis ein häufiger Vorstellungsgrund. Unter diesem Sammelbegriff versteht man Beeinträchtigungen bei der Ausscheidung der Nahrung, welche nicht allein durch organische oder biochemische Ursachen erklärt werden können.
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Typische Beschwerden in diesem Spektrum sind chronische Obstipation, Defäkationsschmerzen, Perianalläsionen oder großkalibrige Stühle. Weiterhin kann es zu Appetitlosigkeit, rezidivierenden Bauchschmerzen, Stuhlschmieren, Einkoten oder zu Einnässen kommen.
Eine funktionelle Obstipation liegt dann vor, wenn mindestens zwei der folgenden Symptome mindestens einmal pro Woche, seit mindestens einem Monat erfüllt sind:
- zwei oder weniger Stuhlenterleerungen pro Woche,
 - mindestens eine Episode mit Stuhlinkontinenz pro Woche nach dem Erreichen eines Entwicklungsalters von vier Jahren,
 - Rückhaltemanöver bzw. Retention,
 - schmerzhafte Entleerungen oder harte Stuhlkonsistenz,
 - Stuhlmassen im Rektum, Sigma oder Abdomen,
 - gelegentliche Entleerung großer Stuhlmassen.
 
Als funktionelle Stuhlinkontinenz wird bei einem Kind mit einem Entwicklungsalter von vier oder mehr Jahren das willkürliche oder unwillkürliche Absetzen von Faeces an Stellen, die im sozio-kulturellen Umfeld des Kindes dafür nicht vorgesehen sind, bezeichnet. Es dürfen keine erkennbaren entzündlichen, anatomischen, metabolischen oder neoplastischen Prozesse, welche die Symptome des Kindes erklären könnten, vorliegen. Die Beschwerden müssen mindestens zwei Monate lang vorgelegen haben.
Ursachen und Auswirkungen
Die Datenlage zur Entstehung der funktionalen Defäkationsstörungen im Kindesalter ist bisher noch unbefriedigend. Aus psychosozialer Sicht ist der Stuhlgang mit Ruhe und Gefahrlosigkeit assoziiert. Stress, Alltagsbelastungen, Ängste oder Bedrohungen können die Motilität des Darmes beeinflussen und damit den Stuhlgang verändern oder behindern.
Gleichzeitig geht man auch von einer genetischen Disposition für Obstipation aus. So finden sich bei Kindern mit funktionellen Defäkationsstörungen häufig familiäre Belastungssituationen mit Trennungen der Eltern, psychischen Erkrankungen von einem oder beiden Elternteilen, wenig Verfügbarkeit von Eltern, sehr chaotischen familiären Strukturen oder auch dysfunktionalen Beziehungsmustern zwischen Eltern und Kind.
Einen wichtigen Anteil in der Entstehung funktioneller Defäkationsstörungen scheint demnach ein Mangel an Ruhe und Sicherheit, aber auch Halt gebenden Familienstrukturen und sicherer Bindung zu spielen. Diese und weitere Befunde weisen darauf hin, dass funktionelle Defäkationsstörungen weder eine isolierte Störung des Darms noch der Psyche sind, vielmehr handelt es sich um ein Ineinandergreifen körperlicher und psychosozialer Phänomene.
Funktionelle Defäkationsstörungen können die kindliche Entwicklung, die Eltern-Kind-Beziehung oder die sozialen Kontakte des Kindes erheblich beeinträchtigen, was wiederum negative Auswirkungen auf die Lebensqualität der Kinder hat. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, dass bei betroffenen Kindern möglichst frühzeitig therapeutische Massnahmen eingeleitet werden.
Interdisziplinäre Behandlung
In Basel werden Kinder mit funktionellen Defäkationsstörungen in einer interdisziplinären interprofessionellen Sprechstunde (IntestTeam) abgeklärt und betreut. Der Vorteil solch einer Sprechstunde ist die Verfügbarkeit der verschiedenen Spezialisten (Gastroenterologie, Psychologie, Ernährungsberatung, Pflege, Chirurgie, Pathologie etc.).
Gemäss des Interdisziplinären Basler Behandlungskonzeptes durchlaufen alle Kinder vier Therapiephasen:
- Motivationsphase
 - initiale Desimpaktion der Stuhlmassen im Darm
 - verhaltenstherapeutisches Toilettentraining zur Förderung regelmässiger Ausscheidung und Verhinderung erneuter Retention
 
Psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen
Psychische Probleme haben bei Kindern und Jugendlichen stark zugenommen. Fachpersonen halten diese Situation für besorgniserregend.
Die Anzeichen einer Depression können je nach Altersgruppe der Betroffenen unterschiedlich ausfallen. Kommt es in dieser Altersgruppe zu depressiven Verstimmungen oder einer Depression, ändert sich meist plötzlich das Verhalten der Kinder. Oft kommen auch körperliche Beschwerden dazu, wie Bauch- oder Kopfschmerzen.
In der Pubertät kommen neben den Ängsten und dem Leistungsdruck weitere Faktoren dazu, die den Betroffenen auf die Psyche schlagen: Zum einen befinden sich die Hormone aufgrund der körperlichen Veränderungen auf einer Achterbahn. Auch das Gehirn verändert sich während der Pubertät stark.
Die Pro-Juventute-Jugendstudie zeigt auch, dass junge Frauen tendenziell häufiger unter depressiven Symptomen leiden als junge Männer. Bei den Frauen sind dies 36 Prozent ihrer Altersgruppe, bei den Männern sind es 21 Prozent.
Unterstützung und Hilfe
Grundsätzlich kann einem Kind mit einer Depression am besten geholfen werden, wenn seine psychischen Probleme möglichst früh erkannt werden. Als erste Kontaktstelle auf der Suche nach professioneller Hilfe dienen niederschwellige Beratungsangebote wie das 147 und die Elternberatung von Pro Juventute sowie die kinder- und jugendpsychiatrischen Dienste der Kantone.
Eltern sollten auf jeden Fall das Gespräch mit ihrem Kind suchen, wenn sie merken, dass es diesem psychisch nicht gut geht. Am einfachsten ist es für Eltern, das Gespräch möglichst ungezwungen bei der Tätigkeit im Haushalt wie beim Abwaschen oder bei einem Spaziergang zu suchen.
Für betroffene Kinder und Jugendliche ist wichtig, dass sie ihre gewohnte Tagesstruktur beibehalten. Zudem empfehlen Fachpersonen eine ausgewogene und gesunde Ernährung, um die psychische Gesundheit zu stärken. Zuletzt hilft auch Sport der Psyche.
Eltern sollten die Suizidgedanken auf jeden Fall immer ernst nehmen. Die Expertin rät Eltern, unbedingt ruhig zu bleiben und keinesfalls in Panik auszubrechen.
Selbstwirksamkeit und Resilienz
Für Kinder und Jugendliche sind Erfahrungen ganz zentral, bei denen sie lernen, dass sie Dinge selber machen und lösen können. Damit lernen sie, was Selbstwirksamkeit ist. «Je mehr selbstwirksame Erfahrungen Kinder haben, desto resilienter sind sie in schwierigen Situationen», sagt Pulver.
Selbstwirksamkeit und Resilienz lernen Kinder am besten in einem Zuhause, in dem sie von ihren Eltern von klein auf ermuntert werden, Dinge selber auszuprobieren und Probleme selber zu lösen. Eltern sollten deshalb nicht versuchen, ihren Kindern alle Steine aus dem Weg zu räumen. Dafür braucht es ein Umfeld zu Hause, in dem das Kind Fehler machen kann - und erfährt, dass wir nur aus Fehlern lernen können. «Damit schaffen Sie die beste Basis, dass Ihr Kind zu Ihnen kommt, wenn es ihm nicht gut geht», sagt Pulver.
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