Aggressives Verhalten bei Kindern: Ursachen, Lösungen und Fallbeispiele

Aggressives Verhalten bei Kindern ist ein komplexes Thema mit vielfältigen Ursachen und Erscheinungsformen. Es kann sich in physischen Angriffen, verbaler Gewalt, Mobbing oder Diebstählen äußern und sowohl für das Kind selbst als auch für sein Umfeld belastend sein. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen aggressiven Verhaltens, stellt Lösungsansätze vor und gibt Einblicke in Fallbeispiele.

Ursachen aggressiven Verhaltens bei Kindern

Für aggressives Verhalten bei Kindern gibt es vielfältige Ursachen. Diese müssen unbedingt im Einzelfall untersucht werden.

  • Egoistische Durchsetzung eigener Bedürfnisse: Die klassische Absicht der Aggression wird als egoistische Durchsetzung eigener Bedürfnisse und bewusste Schädigung und Verletzung anderer beschrieben.
  • Ausdruck von Angst und Unsicherheit: Aggressives Verhalten kann jedoch auch Ausdruck von Angst und Unsicherheit sein. Diese Kinder fühlen sich schneller bedroht und angegriffen als andere. Sie handeln aus einer eigenen Abwehrhaltung, bedingt durch soziale Unsicherheit, heraus.
  • Krisen im sozialen Umfeld: Ein weiterer möglicher Auslöser von aggressivem Verhalten kann eine Krise im sozialen Umfeld des Kindes sein, beispielsweise Konflikte in der Paarbeziehung der Eltern oder Stress in der Familie.
  • Familiäre Belastungssituationen: So finden sich bei Kindern mit funktionellen Defäkationsstörungen häufig familiäre Belastungssituationen mit Trennungen der Eltern, psychischen Erkrankungen von einem oder beiden Elternteilen, wenig Verfügbarkeit von Eltern, sehr chaotischen familiären Strukturen oder auch dysfunktionalen Beziehungsmustern zwischen Eltern und Kind.
  • Vorbildverhalten der Eltern: Zeigen die Eltern selbst manchmal aggressives Verhalten, wird dies zu einer hohen Wahrscheinlichkeit vom Kind übernommen, auch wenn die Situationen verschieden sind oder sich die Aggression nicht gegen das Kind, sondern gegen Erwachsene richtet.
  • Weitere Ursachen: Weitere Ursachen sind Vernachlässigung und Misshandlung, manchmal jedoch auch eine Veränderung der Lebenssituation wie zum Beispiel ein Umzug in eine neue Stadt und ein Schulwechsel.
  • Genetische Faktoren: Auch genetische Faktoren spielen eine Rolle.
  • Mangelnde Impulskontrolle und niedrige Frustrationstoleranz: Kinder mit aggressivem Verhalten weisen meist eine mangelnde Impulskontrolle und niedrige Frustrationstoleranz auf. Kinder mit ADHS haben ein höheres Risiko für oppositionelles Trotzverhalten.

Formen aggressiven Verhaltens im Kindesalter

Welche Form von aggressivem Verhalten bei Kindern auftritt, ist stark altersabhängig.

  • Säuglinge: Bereits Säuglinge ab rund sechs Monaten können Ärger ausdrücken, sie verfolgen jedoch keine Schädigungsabsicht.
  • Kleinkinder: Im zweiten und dritten Lebensjahr hingegen sind Wutanfälle und aggressives Verhalten nicht ungewöhnlich und richten sich oft gezielt gegen Erwachsene und andere Kinder.
  • Grundschulalter: Ab dem Grundschulalter sind geschlechtstypische Muster bei der Aggressionsäusserung sichtbar: Buben scheinen eher offene und körperliche Formen von Aggression zu zeigen. Bei Mädchen hingegen kommen häufiger verdeckte sowie verbale Formen vor.
  • Adoleszenz: In der Adoleszenz ist aggressives Verhalten in der Regel weniger häufig zu beobachten. Allerdings fällt das aggressive Verhalten oft heftiger aus als im Kleinkindalter, bedingt durch zunehmende körperliche Kraft, mehr Freiheiten ausser Haus und grössere finanzielle Ressourcen.

Auswirkungen aggressiven Verhaltens

Langfristig bewirkt aggressives Verhalten bei Kindern eine Einschränkung ihres Verhaltens und verhindert dadurch die Ausbildung der Fähigkeit, ein Problem konfliktfrei zu lösen.

  • Soziale Isolation: Das Kind wird schnell zum Störelement seines sozialen Umfelds, es wird als aggressiv und unkontrollierbar erlebt. Nicht selten ist das Kind deshalb weniger beliebt und wird selbst Opfer aggressiver Handlungen.
  • Verhaltensstörungen: Von Kindern, die stark oppositionell auffällig sind, entwickelt rund die Hälfte eine Störung des Sozialverhaltens. Zeigt ein Kind schon sehr jung Muster von Aggressivität, behält es diese oft bei und läuft Gefahr, delinquent zu werden.

Lösungsansätze und therapeutische Maßnahmen

Es wird empfohlen, extremes Verhalten so früh wie möglich mit einer Fachperson zu besprechen. Oft kann eine aussenstehende Person helfen - ein Berater oder eine Psychologin sowie andere Fachspezialisten können den Teufelskreis durchblicken und helfen, sich im Falle von Provokationen richtig zu verhalten. Sprechen Sie zudem mit der Lehrperson Ihres Kindes!

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  • Frühzeitige Intervention: Es ist wichtig, dass Eltern mit dem Kind üben, wie es Konflikte anders lösen kann. Hierbei ist konsequentes Reagieren und Intervenieren bedeutsam.
  • Förderung alternativer Umgangsweisen: Die Hilfestellung für alternative Umgangsweisen und Lob dafür sowie die eigene Vorbildhaltung sind Erfolg versprechend, denn auch die Kinder sind oft mit ihrer eigenen Reaktion nicht wirklich glücklich.
  • Ursachenforschung: Das Kind zu fragen, was es braucht und zugrunde liegende Probleme ermitteln, gibt Aufschluss über mögliche Lösungen.
  • Umgang mit Wut: So wie die schrittweise Steigerung von Wut möglich ist, ist auch das «Runterkommen» Schritt für Schritt möglich. Die Punkte stellen Ausstiegsmöglichkeiten dar (z. B. Handlungsalternativen, die weiter unten beschrieben werden). Hier ist man noch handlungsfähig. Steigt die Wut in den roten Bereich oder auf 180, kann man das Handeln nicht mehr beeinflussen. Es bleiben die Reaktionsweisen «Kampf» (Schreien, Schlagen), «Flucht» (Weglaufen, aus dem Haus rennen) oder «Blockade» (z. B. nicht mehr reden können, blockiert sein).

Fallbeispiele

Fallbeispiel 1: Felix

Felix wird uns vom Hausarzt zur weiteren Abklärung einer seit Jahren bestehenden Obstipation mit Überlaufenkopresis zugewiesen. Alle bisherigen Abklärungen konnten keinerlei organische Ursachen für die Symptome finden. Eine Behandlung mit stuhlaufweichenden Medikamenten habe bisher keine Besserung erzielt. Die Eltern schicken ihren Sohn regelmäßig zum WC, doch dort kann er keinen Stuhl absetzen. Deshalb komme es konstant zu Stuhlschmieren und Einkoten. Aus diesem Grund trage Felix auch Windeln. Felix leidet sehr unter dem Einkoten, was sich u.a. auch in einer starken körperlichen Anspannung und Rückzugstendenzen widerspiegelt. Insbesondere im Kindergarten fürchtet er „Unfälle“, welche er um jeden Preis vermeiden möchte. Auch die Eltern sind sehr verzweifelt, da sich die Problematik trotz langjähriger Behandlungsversuche nicht bessert.

Fallbeispiel 2: Hanna

Hanna kotet seit Jahren ein. Sie wurde bereits im Kindergartenalter in einer kinderpsychiatrischen Tagesklinik behandelt, nachdem es zum Kindergartenausschluss kam. In diesem Rahmen wurde mit der Patientin ein Toilettentraining durchgeführt, dieses konnte aber nach Austritt von der alleinerziehenden Kindsmutter (KM), welche an rezidivierenden Depressionen litt, nicht konsequent weitergeführt werden. Nach einem erneuten stationären Aufenthalt der KM in einer psychiatrischen Klinik, kam es zu einer weiteren Verschlechterung der Enkopresis mit bis zu 8-maligem Einkoten täglich. Die Patientin wurde daraufhin an die Spezialsprechstunde für Ausscheidungsstörungen der UPKKJ überwiesen. In der Anamnese berichtete die KM, dass Hanna zu Hause sehr stark kontrollierendes und oppositionelles Verhalten zeige. Die Konflikte mit ihr würden immer mehr zunehmen. Sie könne sich gegen ihre Tochter nicht mehr durchsetzen. Immer wieder hätte Hanna regelrechte Ausraster, in denen sie die KM körperlich attackiere. Auch das ständige Waschen, vor allem aber das Verstecken der verschmutzen Unterwäsche mit der entsprechenden Geruchsbelastung, würden sie an den Rand ihrer Kräfte bringen.

Herausforderndes Verhalten bei Menschen mit Behinderung

Herausforderndes Verhalten von Menschen mit Behinderung hat verschiedene Ursachen. Viele dieser Menschen haben kognitive Beeinträchtigungen, einige leben mit Autismus.

  • Spucken, schreien, schlagen, verkoten, Stühle werfen, Türen aus den Angeln reissen, Selbstverletzung: Menschen mit herausforderndem Verhalten zeigen grosse Kräfte. Sie fühlen sich in gewissen Situationen völlig ohnmächtig.
  • Laut der aktuellen HEVE-Studie zeigen rund 28 Prozent der Erwachsenen mit kognitiven Beeinträchtigungen, die in Institutionen der Schweiz leben, regelmässig herausforderndes Verhalten.
  • Wie kann sich herausforderndes Verhalten mit Autismus zeigen? In der Martin Stiftung leben Menschen mit Autismus und herausforderndem Verhalten. Für sie wird es in den nächsten Jahren dank dem Neubau Rütibühl zusätzliche neue Wohnplätze geben.

Fallbeispiele von Menschen mit Behinderung und herausforderndem Verhalten

Fallbeispiel: Marco

Der 19-jährige Marco (Name geändert) kann nicht sprechen, er macht sich durch undefinierbare Laute oder durch lautes Schreien bemerkbar. Wie viele Menschen mit Autismus hat Marco Mühe, Reize zu verarbeiten. Oft fühlt er sich unverstanden oder überfordert. In seiner Ohnmacht wird er wütend und entwickelt dabei grosse Kräfte. Bei einem dieser Wutanfälle hat Marco seine Zimmertüre so lange und heftig zugeschlagen, bis die Türzarge vollständig demoliert war. Für die vier Mitbewohnerinnen von Marco, die ebenfalls mit Autismus leben, wird die Situation von Tag zu Tag unerträglicher.

Fallbeispiel: Paul

Der 30-jährige Paul (Name geändert) leidet an einem Prader-Willi-Syndrom (PWS), einem genetischen Defekt. Betroffene weisen eine allgemeine Entwicklungsverzögerung auf. Die Regulierung des Appetits und der Umgang mit Frustrationen sind deshalb die zentralen Herausforderungen. Sie benötigen eine klare Tagesstruktur, genaue Abläufe und eine minutiöse Essenskontrolle mit Berechnung der Kalorienmenge. Paul trat 2016 in die Martin Stiftung ein, in eine für Menschen mit Prader-Willi-Syndrom spezialisierten Wohngruppe. Im Laufe der Zeit kam es zu immer grösseren Eskalationen. Im Kern ging es darum, dass sich Paul im Gefüge der Wohngruppe nicht mehr orientieren konnte. Trotz klarer Strukturen kann nicht alles streng gemeinschaftlich geregelt werden, es bedarf immer wieder individueller, situationsbezogener Ausnahmen, womit Paul nicht umgehen konnte. Nach einem Spitalaufenthalt fand Paul in keiner Institution mehr einen Platz, sowohl innerhalb als auch ausserhalb des Kantons Zürich.

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Fallbeispiel: Antonia

Die 34-jährige Antonia (Name geändert) lebt im Körper einer grossen und kräftigen erwachsenen Frau, kognitiv ist sie jedoch auf dem Stand eines Kleinkindes. Aufgrund ihres Verhaltens wurde Antonia in der alten Institution der Wohnplatz gekündigt. Ihre Eltern suchen verzweifelt nach einer Anschlusslösung, doch ihre Bemühungen waren lange erfolglos, weil sämtliche kontaktierten Institutionen inner- und ausserkantonal die Aufnahme von Antonia ablehnten. Die Verantwortlichen der Martin Stiftung erkannten den Leidensdruck der Eltern und vereinbarten, sie punktuell in der Betreuung von Antonia zu entlasten, anfänglich mit einem halben Tag pro Woche in der Tagesstruktur. Auf dringenden Wunsch der Eltern wurde die Betreuungszeit im Laufe der Zeit erhöht, was eine 1:1-Begleitung erforderte. Nach rund einem Jahr erhielt Antonia einen fixen Wohnplatz auf einer Wohngruppe mit vorwiegend Seniorinnen. Antonia ist eine liebenswerte und freundliche Person. Eine Herausforderung ist für sie ungewohnte Situation oder eine Veränderung, zum Beispiel, wenn sie einen Tonträger mit ihrem Lieblingslied vermisst. In solchen Momenten fängt sie an zu schreien, läuft davon, beisst ihre Betreuungsperson oder reisst ihre Mitbewohnerinnen an den Haaren. Antonia wird laut und fordernd, aus Wut verkotet sie ihr Zimmer. Viele Gespräche sind jeweils notwendig, um sowohl Antonia als auch die betroffenen Bewohnerinnen zu beruhigen.

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